02.09.00. Der lange Winter des Niedergangs. 1884 bis 1886 / Chronik 1886

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Überblick

Zentren der radicalen Arbeiterbewegung waren weiterhin die Steiermark, Kärnten und Oberösterreich, während sie in Wien noch immer stagnierte. In den außerhalb Österreichs liegenden Teilen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gab es nach wie vor eine starke radicale Arbeiterbewegung in Böhmen, während in Mähren Radicale und Gemäßigte noch enger zusammenrückten, so dass hier Radicale alten Schlags bald auf Kleinstgruppen und Einzelpersonen reduziert wurden. Generell begannen die Gemäßigten stärker Fuß zu fassen, auch wenn insgesamt die Arbeiterbewegung in Österreich darniederlag. Und die Sozialrevolutionäre erlitten mit den im Oktober 1886 einsetzenden Verhaftungen einen schweren Rückschlag. Sie konnten nur mit der gescheiterten zweiten so genannten Brandleger-Affäre vom 3. und 4. Oktober 1886 einiges Aufsehen erregen. Ganz allgemein kann festgestellt werden, dass die sozialrevolutionären Teile der radicalen Arbeiterbewegung zugunsten einer sich formierenden anarchistischen Bewegung an Boden verloren.

Die Flugschriftenpropaganda war weitgehend bedeutungslos geworden, auch wenn die »Anarchisten« Wiens mit einem Flugblatt ein Lebenszeichen geben wollten. Die im Vorjahr gegründete Zeitung »Die Arbeit« (Graz) als wichtigste radicale Zeitung musste wegen behördlicher Verfolgung sowie daraus resultierenden finanziellen Gründen eingestellt werden, und es wird über ein Jahr dauern, bis ein Nachfolgeorgan ins Leben gerufen werden kann.

Während die Flugschriften- und Zeitungspropaganda eindeutig zurückging, nahm die Verfolgung von Anhängern der radicalen, teils sozialrevolutionären, teils bereits zum Anarchismus tendierenden Arbeiterbewegung massiv zu. Es gab unzählige Verhaftungen, mehrere Verurteilungen mit teils horrenden Strafen, und zweiundzwanzig Inländer sowie vier Ausländer wurden gemäß der Ausnahmsverodnungen vom 30. Jänner 1884 und 19. Dezember 1884 ausgewiesen, während im Gegenzug fünfzehn Ausgewiesenen die Rückkehr erlaubt wurde.

Hingewiesen sei darauf, dass es in London (England) unter den im Exil lebenden österreichischen und deutschen Sozialrevolutionären und Anarchisten endgültig zu einer Spaltung kam. Die sich dabei um den Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910) scharende »Gruppe ›Autonomie‹« wird für die Entwicklung einer anarchistischen Bewegung in Österreich bedeutend werden.

Ein weiteres wichtiges Ereignis in der Geschichte des Anarchismus spielte sich in den USA ab: die so genannte Haymarket-Affäre (Haymarket square riot). Sie wurde ein wichtiger Gedenktag in der anarchistischen Märtyrergeschichte, und auf dieses Ereignis geht auch der 1. Mai als Arbeiterkampftag zurück. Am 4. Mai 1886 explodierte in Chicago (Illinois, USA) am Haymarket square (ein nicht mehr vorhandener Platz zwischen West Washington boulevard und West Randolph street) während einer von Anarchisten organisierten Arbeiterversammlung zum Kampf um den Achtstundentag eine Bombe, die acht Polizisten tötete. Später wurden dafür vier Anarchisten justizgemordet und einer entzog sich durch Freitod dem Justizmord. Der Tag der Hinrichtung der Chicagoer Märtyrer, die sechs Jahre später offiziell rehabilitiert wurden, der 11. November (1887), ist ein noch immer bedeutender Gedenktag in den anarchistischen Bewegungen weltweit. In die so genannte Haymarket-Affäre war auch ein 1884 aus Österreich geflüchteter Sozialrevolutionär involviert: Als angeblicher Bombenwerfer wurde der Maschinist Rudolf Schnaubelt (1859–1927/1928) gesucht (►31. Juli 1886). Der tatsächliche Bombenwerfer konnte nie gefunden werden, doch gilt ein Agent Provocateur als wahrscheinlich.

Obwohl die radicale Arbeiterbewegung unter den massiven Verfolgungen der letzten Jahre stark gelitten und an vielen Orten zerstört worden war, setzte die Regierung im Juni 1886 nach und verabschiedete ein explizites Anarchistengesetz. Anders als in vielen anderen Staaten, wo angehörige der Arbeiterbewegung verfolgt wurden, zielte dieses in Österreich nicht generell auf Sozialisten ab, sondern richtete sich ausschließlich gegen Anarchistinnen und Anarchisten, oder genauer gesagt gegen solche, die man zu »Anarchistinnen« und »Anarchisten« erklärte. Hatte die Propaganda der Tat einiger Sozialrevolutionäre die radicale Arbeiterbewegung in den Untergrund gedrängt und den in Österreich eben erst keimenden Anarchismus fast vollständig erstickt, so bot dieses Gesetz den Gemäßigten die Möglichkeit, in öffentlicher Agitation und Propaganda verlorenes Terrain in der österreichischen Arbeiterbewegung zurück zu gewinnen. Einziger Lichtblick waren die Annäherungen an den Anarchismus, wie sie vor allem der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936) und seine Anhängerinnen und Anhänger versuchten. »Erst in diesem Jahre – 1886 – als die Bewegung sich allmählich erholte, lernten die fähigeren Träger derselben, den Terrorismus von der idealen Anarchie unterscheiden; erst da gab es Socialisten, die den Anarchismus begriffen und, wo es möglich war, propagierten; sie blieben jedoch marxistische Collectivisten nach wie vor, da sie durch die Länge der Jahre zu sehr im Banne der marxistischen Lehren gehalten worden waren, ohne im Stande zu sein, sich die Irrthümer zu erklären.«1

Vor diesem Hintergrund ist auch das folgenreiche Treffen von Victor Adler (1852–1918) mit Wiener Vertrauensmännern der Gemäßigten und Radicalen Ende Dezember 1886 zu sehen. Dieses wird das Ende der radicalen Arbeiterbewegung besiegeln, es wird aber auch den Weg zur ersten autonomen anarchistischen Bewegung in Österreich ebnen.


Chronik

  • Jänner 1886
    New York City (New York, USA): Im Jänner 1886 gründen in New York im Exil lebende österreichische Sozialrevolutionäre und Anarchisten eine Vereinigung namens »Revolutionärer Club«, welcher aber nur vor Ort aktiv ist. Für die Unterstützung der Genossinnen und Genossen in Österreich ist der ebenfalls in New York angesiedelte, am 15. November 1880 gegründete und von Anarchisten wie dem Journalisten Wilhelm Hasselmann (1844–1916) und dem Maurergehilfen und nunmehrigen Barkeeper Justus Schwab (1847–1900) geprägte »Sozial-Revolutionäre Club« zuständig, welcher ein Sammelbecken deutscher und österreichischer Sozialrevolutionäre sowie Anarchistinnen und Anarchisten ist. Beide Organisationen werden im Laufe des Jahres 1886 ihre Tätigkeiten einstellen. (►Mai 1886 und ►Dezember 1886). Wichtiges Organ ist die allerdings nur vereinzelt in Österreich auftauchende, von den »Autonomen Gruppen der Internationalen Arbeiter-Association« herausgegebene Zeitung »Der Anarchist« (Chicago), von der zwischen Jänner und ►Mai 1886 vier Nummern erscheinen.

  • 6. Jänner 1886 (Mittwoch)
    Wien und Vororte: Am 6. Jänner 1886 versammeln sich im Gasthaus »zum grünen Jäger« (Johann Lang) in Wien 5., Hundsturmer Straße 13 [Schönbrunner Straße], rund zweihundert Eisen- und Metallarbeiter und gründen nach langer Vorbereitung und Genehmigung durch die niederösterreichische Statthalterei die »Erste Produktiv-Gesellschaft der Eisen- und Metall-Arbeiter in Wien, registrierte Genossenschaft mit unbeschränkter Haftung«, welche der allgemeinen Genossenschaft beitritt. Etliche Radicale treten dieser Produktivgenossenschaft bei.

  • 10. Jänner 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 10. Jänner 1886 findet in der Volkshalle des Rathauses in Wien 1. eine vom gemäßigten »Politischen Verein ›Wahrheit‹« und von den Obmännern von sechsunddreißig Gehilfenausschüssen einberufene Versammlung zur »Diskussion über den § 114 der Gewerbeordnung« statt, an der etwa dreitausend Arbeiterinnen und Arbeiter des gemäßigten wie des radicalen Lagers teilnehmen. Die Leitung hat der Obmann des »Politischen Vereins ›Wahrheit‹«, der Bildhauer Ludwig Bretschneider (1860–1929) inne, welcher die Position der Gemäßigten darstellt. Nach ihm referiert der Buchbinder Gustav Höfner, der sich gegen Zwangsgenossenschaften als Mittel der Arbeiterorganisation ausspricht, jedoch am Ende seiner Rede auffordert , hinter den Gehilfenausschüssen zu stehen. Nach ihm erklärt der gemäßigte Sattlergehilfe Heinrich Gehrke (1835–1917) das Zustandekommen dieser Versammlung. Als daraufhin der radicale Bäckergehilfe und nunmehrige Vermischtwarenhändler Kaspar Gargula (1851–1888) meint, man habe diese Veranstaltung nur dazu gemacht, um zu klären, ob die Gemäßigten oder die Radicalen in Wien den Ton angäben, kommt es zum Tumult, und Gargula ruft: »Jeder, der für die Resolution stimmt, ist ein Schuft!«2 Nach etwa zehnminütigem Gejohle kommt es zu einer Abstimmung, bei der jedoch keine Mehrheit zustande kommt. Die nunmehrige Schwäche der Wiener Radicalen, die ja Sozialreformen als Palliative, als wertlose Beruhigungsmittel, ablehnen, zeigt die verabschiedete Resolution, der zufolge die Genossenschaften das Recht zur Regelung der Verhältnisse über Arbeitszeit, Arbeitsvermittlung und über das Lehrlingswesen in Anspruch nehmen sollen. Den Radicalen kommt man etwas entgegen, indem auch beschlossen wird, dass jede Teilnahme am Genossenschaftswesen unterbleiben solle, falls die Gewerbebehörde dem Ansinnen der Resolution nicht zustimme. Gegen den Protest der Radicalen wird die Resolution nach einer neuerlichen Abstimmung von einer Mehrheit der Arbeiter angenommen, die Versammlung aber wegen des erneuten Tumults sofort nach der Abstimmung geschlossen. Die nächste, für Samstag den 16. Jänner 1886 angesetzte Volksversammlung wird von den Einberufern des »Politischen Vereins ›Wahrheit‹« wegen zu erwartender Krawalle der Radicalen abgesagt.

  • 24. Jänner 1886 (Sonntag)
    Linz an der Donau (Oberösterreich): Am 24. Jänner 1886 findet in Linz an der Donau eine geheime Konferenz der Radicalen statt, auf der beschlossen wird, die bisherige Organisationsform vom ►27. September 1885 in Fünfer-Gruppen dahingehend zu ändern, dass diese Gruppen nur mehr lose miteinander verbunden sein sollen. Die Gesamtorganisation soll durch zwei Vertrauensmänner geleitet werden: für die deutschsprachigen Radicalen der Schneidergehilfe und Polizeispitzel Ludwig Philipp Schrödl (1851–1888) und für die tschechoslawischen der Kleidermachergehilfe Franz Škopek (1861–1926). Noch im Jänner 1886 werden in Linz an der Donau fünf Gruppen nach dem neuen Fünfer-Gruppensystem mit zusammen sechsundzwanzig Personen gebildet. (►30. Juni 1886)

  • 25. Jänner 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Am Morgen des 25. Jänner 1886 werden in Wien 2., Taborstraße, von einem Mann auf rotem Papier gedruckte Flugblätter verteilt, die wie Werbeschriften eines Geschäfts aussehen, tatsächlich aber sozialrevolutionären Inhalts sind. Es sind die ersten sozialistischen Untergrundschriften, die seit Aushebung der illegalen Druckerpresse am 3. September 1884 nachweislich in Wien entstanden sind. Die sofort eingeleitete Fahndung nach dem Kolporteur dieser Flugblätter verläuft ergebnislos.

  • 29. Jänner 1886 (Freitag)
    Graz (Steiermark): Am 29. Jänner 1886 erscheint die einzige Nummer des vom Schneidergehilfen Johann Risman (1864–1936) herausgegebenen Faschingsblattes »Der Stockfisch. Organ der unfreiwilligen Faster und unschuldigen Büßer« (Graz).

  • Februar 1886
    Wien und Vororte: Im Februar 1886 gründen der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1862–?), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvíl (1851–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1850–?) eine Gruppe zur Erzeugung von Bomben, wobei sie in der Wohnung von Johann Wawrunek nach einem Artikel in der Zeitung »Der Rebell« (Nirgendsheim [d. i. London]) zwei Bomben herstellen, die durch Aufsetzen eines Zündhütchens scharf gemacht werden können. Leopold Kaspari besorgt zu diesem Zweck mehr als 1.500 Gramm Sprengstoff der Marke »Janit«. Am 14. März 1886, bei der Demonstration für die so genannten Märzgefallenen von 1848 (13. März 1886), tragen Leopold Kaspari und Johann Wawrunek diese Bomben bei sich und hätten sie, gemäß späterem Geständnis, auch gezündet, hätte die Polizei die Arbeiter auf der Schmelz in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]) angegriffen. Sie hätten in einem Gasthaus in Rudolfsheim, Märzstraße, auf eine entsprechende Aufforderung der Genossen hin so reagiert. Später wird die Polizei in der Wohnung von Johann Wawrunek im Sparherd eingemauert, nach Wegreißen der Ziegelmauer, Explosivstoffe, eine Bombe, zwei Feilen und einen zweischneidigen Dolch finden. (3. und 4. Oktober 1886 und ►21. bis 28. März 1887)

  • 5. Februar 1886 (Freitag) bis 12. Februar 1886 (Freitag)
    Wiener Neustadt (Niederösterreich): Vom 5. bis 12. Februar 1886 findet vor dem Ausnahmsgericht Wiener Neustadt in geheimer Verhandlung der Prozess gegen den Seilergehilfen Josef Klinger (1856–?) wegen der Verbrechen des Hochverrats und der Störung der öffentlichen Ruhe statt. Josef Klinger wird zu sechs Jahren schwerem Kerker verurteilt, doch wird am Montag dem 15. März 1886 das Strafmaß durch das Oberlandesgericht Wien mit Rücksicht auf seine große Gefährlichkeit auf zwölf Jahre schwerem Kerker erhöht.

  • 8. Februar 1886 (Montag)
    Proßnitz (Mähren [Prostějov, Tschechien]): Mit der Nummer vom 8. Februar 1886 muss die seit ►27. März 1884 erscheinende tschechische Zeitung »Duch času« (Prostějov; Der Zeitgeist) nach fünfundvierzig Nummern ihr Erscheinen einstellen. Diesem gemeinsamen Organ der tschechoslawischen Radicalen und Gemäßigten – mit leichter Dominanz der Radicalen – wird am ►16. September 1886 die Zeitung »Hlas lidu« (Prostějov; Die Volksstimme) folgen.

  • 11. Februar 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Der erst kürzlich aus der Haftanstalt Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich) entlassene Schuhmachervorarbeiter Johann Till (8. Juni 1885) wird am 11. Februar 1886 abends betrunken im Schnee schlafend aufgegriffen und ins Polizeikommissariat Wieden (Wien 4.) gebracht. Nachdem man bei der Leibesvisitation im Futteral seines Mantels einen Dolch findet, wird er am nächsten Tag vom Bezirksgericht Wieden wegen Übertretung gegen das Waffenpatent zu drei Tagen Arrest verurteilt.

  • 14. Februar 1886 (Sonntag)
    Pine View (California, USA): Am 14. Februar 1886 stirbt in Pine View der aus der Steiermark gebürtige Silberarbeiter und Schriftsteller Norbert Zoula (1854–1886), ein 1883 aus Österreich in die Schweiz und dann weiter in die USA geflüchteter Radicaler und späterer Anarchist, an Tuberkulose.

  • 20. Februar 1886 (Samstag)
    Wien und Vororte: Mit der Nummer vom 20. November 1886 wird die Zeitung »Die Wahrheit« (Wien), das führende Organ der Gemäßigten, eingestellt.

  • 21. Februar bis März 1886 (Sonntag)
    Österreichische Provinz: Am 21. Februar 1886 beginnt der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936) seine bis in den März hinein dauernde Agitationsreise durch die Steiermark, durch Kärnten, Tirol, Salzburg und Oberösterreich. Neben der Erörterung organisatorischer Fragen will er auch die Haltung der Radicalen zum drohenden Sozialistengesetz (►5. bis 10. Juni 1886 und ►23. Juni 1886) diskutieren.

  • 22. Februar 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Am 22. Februar 1886 beginnt in Wien der Ausschuss zur Beratung der Sozialisten-Vorlage die Generaldebatte. (24. Februar 1886)

  • 24. Februar 1886 (Mittwoch)
    Wien und Vororte: Am 24. Februar 1886 legt Ministerpräsident Eduard Graf Taaffe (1833–1895), auch Leiter des Ministeriums des Innern, dem Ausschuss zur Beratung der Sozialisten-Vorlage in Wien neuerlich den Entwurf eines Sozialistengesetzes vor (►20. Jänner 1885), bestehend aus dem »Gesetzentwurf mit den Bestimmungen gegen gemeingefährliche sozialistische Bestrebungen«, dem »Gesetzentwurf über die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, welchen gemeingefährliche sozialistische Bestrebungen zugrunde liegen«, und dem »Gesetzentwurf über den Vollzug der in solchen Fällen verhängten Freiheitsstrafen«, nämlich die zeitliche Einstellung der Geschworenengerichte. Der deutsch-liberale Abgeordnete Eduard Sturm (1830–1909) beantragt, das Wort »socialistisch« durch »anarchistisch« zu ersetzen, was jedoch abgelehnt wird. (►5. bis 10. Juni 1886 und ►23. Juni 1886)

  • März 1886
    Wien und Vororte: Im März versucht eine Gruppe von Sozialrevolutionären zwecks Geldbeschaffung einen Überfall vorzunehmen. Der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–?) schlägt vor, den Versetzer und Hauseigentümer Ferdinand Linke (1831–1898) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Pfarrgasse 17 [Einwanggasse], entweder durch Bedrohung mit Dolchen oder durch Chloroformierung seines Bargelds und seiner Wertpapiere zu berauben. Stefan Buelacher stellt zu diesem Zweck nach dem Buch »Die Wunder der Physik und Chemie« von Ferdinand Siegmund (1829–1902)3 Chloroform her. Die beteiligten Genossen, der Drechslergehilfe Heinrich Höfermeier (1862–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1862–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1850–?), glauben nämlich, dass er dies als Beteiligter der so genannten Merstallinger-Affäre (4. Juli 1882) könne. (3. und 4. Oktober 1886 und ►21. bis 28. März 1887) Nach mehreren gescheiterten Versuchen, in das Haus von Ferdinand Linke zu gelangen, geben die Sozialrevolutionäre ihren Plan auf.
    Das ins Auge gefasste Opfer, der mehrfach vorbestrafte Ferdinand Linke, wird übrigens am Montag dem 25. April 1887 wegen des Verdachts der Mitschuld des Betrugs verhaftet werden, begangen durch Wechselfälschungen. Nach einer Hausdurchsuchung am Samstag dem 7. Mai 1887 wird er als Hauptschuldiger verdächtigt und bis Mittwoch den 10. August 1887 in Untersuchungshaft gehalten werden. Im Prozess am Donnerstag dem 10. und Freitag dem 11. November 1887 wird er des erwerbsmäßigen Wuchers angeklagt und zu acht Monaten Arrest sowie einer Geldstrafe von 1.500 Gulden oder hundertfünfzig Tagen Arrest verurteilt werden. Seine Nichtigkeitsbeschwerde wird am Freitag dem 16. März 1888 vom Kassationsgerichtshof abgewiesen, das Urteil bestätigt werden.

  • 4. März 1886 (Donnerstag)
    Graz (Steiermark): Am 4. März 1886 findet vor dem Landes- als Schwurgericht Graz unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen den Schuhmachergehilfen Michael Tschabitscher (1855–?) statt, angeklagt der Verbrechen des Hochverrats, der Störung der öffentlichen Ruhe und der Aufreizung gegen vom Staat anerkannte und eingesetzte Körperschaften sowie der Ehrenbeleidigung. Vorgeworfen wird ihm die Verteilung verbotener Druckschriften, unter anderem der Nummer 1 der Zeitung »Erste Freie Presse Cisleithanien’s« [Inzersdorf (Wien)] (►15. März 1883), im Jahr 1883 in Wien, Neunkirchen (Niederösterreich), Wiener Neustadt (Niederösterreich), Graz, Leoben (Steiermark), Marburg an der Drau (Steiermark [Maribor, Slowenien]) und anderen Orten. Außerdem stand er nachweislich im Briefverkehr mit dem Anarchisten Johann Christoph Neve alias John Neve (1844–1896). Michael Tschabitscher wird im Sinne der Anklage von den Geschworenen einstimmig für schuldig befunden und zu sechs Jahren schwerem Kerker verurteilt. Eigentlich hätte Michael Tschabitscher schon im großen Grazer Hochverratsprozess, ►11. bis 25. Juni 1884, vor Gericht stehen sollen, konnte sich damals aber durch Flucht ins Ausland entziehen. Nach seiner Rückkehr nach Österreich konnte er jedoch verhaftet und nun nach mehrmonatiger Untersuchungshaft vor Gericht gestellt werden.

  • 4. März 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Das Ansuchen des Wiener »Arbeiter-Bildungsvereins«, neue Lesezimmer im 3. und 10. Bezirk eröffnen zu dürfen, wird von der Statthalterei per Erlass an die Polizei-Direktion Wien am 4. März 1886 mit dem Hinweis abgelehnt, dass dadurch die polizeiliche Überwachung erschwert werde. Es wird jedoch gestattet, die bei mehreren Arbeitervereinen noch vorhandenen Lesezimmer weiterhin zu betreiben, solange diese nicht beanstandet werden.

  • 7. März 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 7. März 1886 gelangt nach langem wieder eine aus London (England) eingeschmuggelte illegale Flugschrift, nämlich »An die Hungrigen und Nackten!«,4 zur Veröffentlichung in Wien. Sie wird auf der behördlichen Kundmachungstafel des Polizeikommissariats Sechshaus Niederösterreich [Wien 15.]), Hauptstraße 45, affichiert; in diesem Gebäude befindet sich außerdem das Bezirksgericht.

  • 13. März 1886 (Samstag)
    Wien und Vororte: Am Abend des 13. März 1886 finden wieder die Gedenkfeiern am Grab der so genannten Märzgefallenen von 1848 (►14. März 1880) auf dem Schmelzer Friedhof in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]) statt. Auch hier zeigt sich neuerlich die Spaltung der Arbeiterbewegung. Am Sockel liegen zwei Kränze von Arbeiterdelegationen, jeweils mit roter Schleife, doch unterschiedlichen Aufschriften: »Politischer Verein Wahrheit – Die socialistische Arbeiterpartei« und »Den gefallenen Freiheitskämpfern – Die radicalen Arbeiter Oesterreich-Ungarns«. Später kommen noch einige Kränze der Deutschnationalen hinzu. Die Behörden vermuten am Abend dieses Tags, dass angesichts der ungewöhnlichen Kälte und der Tatsache, dass es sich um einen Samstag, also einen normalen Werktag, handelt, es zu keinen größeren Demonstrationen der Arbeiterschaft kam.

  • 14. März 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 14. März 1886 versammeln sich ab 15 Uhr auf dem Schmelzer Friedhof Arbeiter, die in kleinen Gruppen eintreffen und sich um den Obelisken des Denkmals für die sogenannten Märzgefallenen von 1848 auf dem Schmelzer Friedhof in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]) aufstellen. Um 13 Uhr 30 marschieren dann rund zweihundert Arbeiter von der Schönbrunner Straße (Wien 4.) über die Fünfhauser Gürtelstraße ebenfalls zum Denkmal. Wie auf Kommando entblößen die Arbeiter ihre Köpfe und bringen ein dreifaches »Hoch!« auf die Revolutionsopfer aus. Daraufhin fordert ein Polizeibeamter, unterstützt von dreißig Mann Sicherheitswache, die Arbeiter zur Auflösung dieser Demonstration auf. Zwei Arbeiter werden festgenommen, jedoch am Abend wieder freigelassen; unter ihnen befindet sich auch einer der beiden Redner, der Blumenmacher Josef Müller (1839–1891).
    Ein Teil der Arbeiter zieht daraufhin, sozialistische Lieder singend, durch die Märzstraße (Wien 15.) und Breitenseer Straße nach Breitensee (Niederösterreich [zu Wien 14.]), wo sie am Dorfeingang von Gendarmerie empfangen werden, welche den Demonstrationszug auseinandersprengt. Ein anderer Teil der Arbeiter, rund hundertfünfzig Personen, zieht über die Schmelz nach Ottakring (Niederösterreich [zu Wien 16.]), wo die Exekutive den Demonstrationszug zerstreut. Der Polizei wie einem Großteil der demonstrierenden Arbeiter bleibt verborgen, dass sie an diesem Tag unter Umständen einer größeren Attentatskatastrophe entgangen sind. (►Februar 1886) An diesem Tag wird auch deutlich, dass die radicale Arbeiterbewegung bei weitem nicht mehr jene Massen mobilisieren kann wie in den vorangegangenen Jahren.

  • 15. März 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Am 15. März 1886 wollen sich am Abend mehrere Radicale spazierengehend am Graben (Wien 1.) versammeln. Dann sollen auf ein verabredetes Zeichen hin die Nobelläden dieser vornehmen Einkaufsstraße geplündert werden, um nach wenigen Minuten spurlos zu verschwinden. Die Aktion, die übrigens englische Vorbilder hat, wird jedoch verraten. Die Radicalen werden nämlich von hundertfünfzig Mann der Sicherheitswache erwartet. Die Polizei ist bereits in höchster Alarmbereitschaft, und schon bei der Annäherung zum Graben werden an der Ecke Tuchlauben / Bognergasse (Wien 1.) zwei Arbeiter, welche ein neues, scharf geschliffenes Küchenmesser und einen großen Stein mit sich tragen, von zwei Detektiven festgenommen. Die Aktion wird daraufhin von den Radicalen abgebrochen. Gegen die Festgenommenen, den Pfeifenschneidergehilfen Thomas Zoppoth (1866–?) und den in Bayern gebürtigen Bäckergehilfen Josef Friedrich (1864–?), wird ein Verfahren eingeleitet. (19. April 1886 und 29. Juli 1886)

  • 20. März 1886 (Samstag)
    London (England): Am 20. März 1886 stirbt in London der Tischler Gustav Knauerhase (1851–1886), Mitbegründer der »Gruppe ›Autonomie‹« (►17. Mai 1885) und enger Mitkämpfer des Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910), der bei der Leichenfeier auch die Trauerrede hält.

  • 22. März 1886 (Montag) und 23. März 1886 (Dienstag)
    Graz (Steiermark): In der Nacht vom 22. auf den 23. März 1886 verlässt der verantwortliche Redakteur der Zeitung »Die Arbeit« (Graz), der Schuhmachergehilfe Franz Göpfhardt (1857–1942), fluchtartig Graz, um der strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen Er wird aber einige Tage später in Lindau im Bodensee [Lindau (Bodensee)] (Bayern) festgenommen und nach Graz zurücktransportiert werden. (►2. April 1886 und ►10. Mai 1886)

  • 31. März 1886 (Mittwoch)
    Graz (Steiermark): Am 31. März 1886 werden unter einer Brücke der auf den Grazer Schlossberg führenden Fahrstraße dreißig Stück Dynamitpatronen gefunden, hergestellt in der »Dynamitfabrik Alfred Nobel & Co.« in Pozsony / Preßburg (Ungarn [Bratislava, Slowakei]). Die Polizei vermutet, dass diese von einem durch Radicale durchgeführten Diebstahl stammen könnten und stellt auch Vermutungen an, dass hier eine Beziehung zu dem vor eineinhalb Wochen geflüchteten Schuhmachergehilfen Franz Göpfhardt (1857–1942) (►22. und 23. März 1886) bestehen könnte.

  • April 1886
    Wien und Vororte: Der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1862–?), der Fleischausträger Heinrich Rischawy (1859–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1850–?) versuchen im April 1886 in der Nacht, nach 22 Uhr, die Eingangstür der Druckerei des  Josef Trostler (1852–1917), Ecke Mollardgasse / Marchettigasse (Wien 6.), aufzubrechen, um zu Lettern für eine geheime Druckerpresse zu gelangen. Josef Trostler wurde ausgewählt, weil durch seine Zeugenaussage der Schuhmachergehilfe Johann Richter (1852–nach 1932) zu zwölf Jahren schwerem Kerker verurteilt worden war (►25. Mai 1882). Nach Aussagen von Thomas Zoppoth sollte ein Flugblatt »Hoch Stellmacher und Kammerer!« hergestellt werden, welches am ►14. März 1886 während der Gedenkfeier für die so genannten Märzgefallenen von 1848 (►14. März 1880) verteilt werden sollte. Da man sich so spät für den Einbruch entschied, sei dieser Plan ins Wasser gefallen. Josef Trostler erhält von diesem Einbruchsversuch, der so genannten Trostler-Affäre, erst im Oktober 1886 im Zuge seiner Vorladung beim Landesgericht Wien Kenntnis. (►3. und 4. Oktober 1886 und ►21. bis 28. März 1887)

  • 6. April 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Am Morgen des 6. April 1886 werden in mehreren Bezirken Wiens Plakate mit aufreizenden Gedichten von den Polizeiorganen entfernt. Die einen halben Bogen großen Plakate haben große lateinische Buchstaben, die mit Hilfe aufgeschnittener Patronen aufgetragen worden waren. Die Behörden gehen daher davon aus, dass die Produzenten keine Druckerpresse zur Verfügung haben und verdächtigen als Hersteller Sozialrevolutionäre.

  • 7. April 1886 (Mittwoch)
    Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich): Der Eisendreher Adolf Hartmann (1854–1886) stirbt am 7. April 1886 im Gefängnis Stein an Lungentuberkulose. Er war im Prozess, der vom ►11. bis 27. Mai 1885 vor dem Ausnahmsgericht Wiener Neustadt (Niederösterreich) stattgefunden hatte, wegen Verbrechens des Hochverrats zu fünf Jahren schwerem Kerker verurteilt worden.

  • 16. April 1886 (Freitag)
    Graz (Steiermark): Die seit ►6. August 1885 in Marburg an der Drau (Steiermark [Maribor, Slowenien] und seit ►8. Dezember 1885 in Graz erscheinende radicale Zeitung »Die Arbeit« muss mit der Nummer vom 16. April 1886 nach insgesamt siebzehn Nummern ihr Erscheinen einstellen. Damit verliert die radicale Arbeiterbewegung ihr wichtigstes, in Österreich verlegtes Organ. Von der Zeitung mussten nach der Konfiskation acht Nummern in zweiter Auflage erscheinen. Da das geplante Sozialistengesetz (►5. bis 10. Juni 1886 und ►23. Juni 1886) vorsieht, dass eine Zeitung nach zwei konfiszierten Nummern behördlich verboten werden kann, entschließen sich die Radicalen, ihr Organ einzustellen. Eine gewichtige Rolle spielen dabei auch finanzielle Gründe. Die behördliche Verfolgung, welche einen geregelten Vertrieb der Zeitung unmöglich machten, bedingen eine große Summe ausstehender Abonnentengelder: 500 Gulden. Allein aus Wien, wo der Ausnahmezustand den Schmuggel zum wichtigsten Vertriebsweg macht, stehen 390 Gulden Abonnentengelder aus. Nachfolgerin wird die seit dem 3. Juni 1887 erscheinende anarchistische Zeitung »Arbeit« (Villach) werden.

  • 19. April 1886 (Montag)
    Gröding (Salzburg): Am 19. April 1886 wird am Gossenleier, einer Erhebung des Untersberg in der Gemeinde Grödig, die Leiche des 1884 aus Wien und 1885 aus Budapest (Ungarn) ausgewiesenen Schneidergehilfen Anton Fröhlich (1854–1886) gefunden. Der von der Salzburger Polizei als Radicaler massiv drangsalierte Fröhlich hatte am ►16. November 1885 in Salzburg (Salzburg) seinen einstigen Freund, den Schneidergehilfen Peter Borošai (1845–?), Zuschneider eines Modewarengeschäfts, mit Messerstichen schwer verletzt, angeblich, weil er einen Verrat durch diesen befürchtete. Nach diesem Attentat ergriff Anton Fröhlich die Flucht und wählte den Freitod. Er hatte sich vermutlich zunächst erhängen wollen und, nachdem der Riemen gerissen war, sich dann mit einer Zuschneiderschere erstochen.

  • 19. April 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Wegen des vereitelten Auflaufs am Graben am 15. März 1886 wird am 19. April 1886 vom Landes- als Erkenntnisgericht Wien der in Bayern gebürtige Bäckergehilfe Josef Friedrich (1864–?) wegen Vergehens des Auflaufs zu einer Woche strengem Arrest verurteilt. Als damals der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–?) verhaftet worden war, soll Josef Friedrich versucht haben, dies zu verhindern. Bei Josef Friedrichs Festnahme hatte er dann einen Ziegelstein, den er in seiner Tasche gehabt hatte, zu Boden fallengelassen.

  • 27. April 1886 (Dienstag)
    Graz (Steiermark): Am 27. April 1886 findet in Graz eine Arbeiterversammlung gegen den Antisemitismus statt. Wie schon bei den letzten Versammlungen nehmen auch an dieser Radicale wie Gemäßigte daran teil. Anlässlich des Einschreitens des anwesenden Polizeikommissärs wird dieser bedroht, ohne dass es dabei zu einem tätlichen Angriff kommt. Anschließend ziehen mehrere Gruppen von Arbeitern demonstrierend durch die Stadt und skandieren »Es lebe der Sozialismus!«. Am nächsten Tag werden einige Arbeiter vorübergehend festgenommen werden.

  • 29. April 1886 (Donnerstag)
    Chicago (Illinois, USA): Mit der Nummer vom 29. April 1886 muss die seit ►16. Juni 1883 erscheinende tschechische radicale Zeitung »Budoucnost« (Chicago; Die Zukunft) nach einhundertzweiundzwanzig Nummern ihr Erscheinen einstellen.

  • Mai 1886
    Chicago (Illinois, USA): Im Mai 1886 erscheint die erste Nummer der tschechischen radicalen Zeitung »Práce« (Chicago; Die Arbeit), die am ►30. Juli 1887 ihr Erscheinen einstellen wird. Diese Zeitung hat ihre Leserschaft vor allem in den USA, doch gelangen einzelne Nummern bisweilen auch nach Österreich.

  • Mai 1886
    Chicago (Illinois, USA): Die allerdings nur vereinzelt in Österreich auftauchende, von den »Autonomen Gruppen der Internationalen Arbeiter-Association« herausgegebene, seit ►Jänner 1886 erscheinende Zeitung »Der Anarchist« (Chicago) wird im Mai 1886 nach vier Nummern eingestellt.

  • Mai 1886
    New York City (New York, USA): Vermutlich im Mai 1886 gründen in New York der im April 1886 aus Österreich in die USA geflüchtete Brotführer Ferdinand Schaffhauser (1836–190?) und der im August 1884 aus Österreich zunächst nach Frankreich und 1886 in die USA geflüchtete Kürschnergehilfe Johann Petržílek (1855–1946) einen Club zum Schmuggel verbotener, meist tschechischer Druckwerke über Paris (Frankreich) nach Österreich sowie einen Inhaftiertenfonds. (►Jänner 1886)

  • 3. Mai 1886 (Montag)
    Graz (Steiermark): Am 3. Mai 1886 löst sich der »Allgemeine Arbeiter-Verein« in Graz, wichtigstes Sammelbecken der Grazer Radicalen, »freiwillig« selbst auf. Grund ist der bevorstehende Hochverratsprozess (►10. Mai 1886) gegen den der Schuhmachergehilfen Franz Göpfhardt (1857–1942), der erst am Montag dem 4. Jänner 1886 zum Obmann gewählt worden war. Diesem Beispiel folgen auch die von Radicalen dominierten Grazer Fachvereine der Tischler und der Kleidermacher, welche sich ebenfalls »freiwillig« selbst auflösen, um einer behördlichen Auflösung zuvorzukommen.

  • 3. Mai 1886 (Montag) bis 12. Juli 1886 (Montag)
    Graz (Steiermark): Am 3. Mai 1886 reist der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936) von Graz in die Schweiz ab, um sich dort mit Anarchisten zu besprechen. Dann begibt er sich nach Paris (Frankreich), wo er sich den Autonomisten, Anhänger des Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910), anschließt. (►17. Mai 1886) Mittlerweile wird in Graz gegen Johann Risman ein strafgerichtliches Verfahren wegen einer Rede in einer Arbeiterversammlung in Graz eingeleitet. Johann Risman, der bereits Anfang Juli in einer Zuschrift an Genossen seine baldige Rückkehr und die Selbststellung bei Gericht ankündigt, kehrt am 12. Juli 1886 nach Graz zurück, wo ihm dann die Staatsanwaltschaft mitteilt, dass die eingeleiteten Erhebungen wegen Störung der öffentlichen Ruhe eingestellt worden sind.

  • 4. Mai 1886 (Dienstag)
    Chicago (Illinois, USA): Am 4. Mai 1886 explodiert in Chicago, Haymarket square, während einer von Anarchisten organisierten Arbeiterversammlung zum Kampf um den Achtstundentag eine Bombe, die acht Polizisten tötet: Das ist der Beginn der so genannten Haymarket-Affäre. Als Bombenwerfer wird später der 1884 aus Österreich in die USA emigrierte Maschinist Rudolf Schnaubelt (1859–1927/1928) von der Polizei gesucht werden (►31. Juli 1886). (►21. Juni1886, ►31. Juli 1886, ►19. August 1886 und ►11. November 1887)

  • 6. Mai 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Am 6. Mai 1886 treffen sich Delegierte der Wiener Radicalen und Gemäßigten in einem Gasthaus in Wien 8., Laudongasse, um eine Versammlung gegen das geplante Sozialistengesetz (►5. bis 10. Juni 1886 und ►23. Juni 1886) für den ►9. Mai 1886 vorzubereiten. Es ist dies seit langer Zeit das erste Treffen beider Fraktionen, bei dem sich auch die Vertreter beider Lager um eine gemeinsame Haltung bemühen. Man einigt sich auf eine gemeinsame Resolution gegen das Sozialistengesetz, welche am nächsten Tag in einer Auflage von 5.000 Stück in Pozsony / Preßburg (Ungarn [Bratislava, Slowakei]) gedruckt wird. (►9. Mai 1886)

  • 7. Mai 1886 (Freitag)
    Hohenelbe (Böhmen [Vrchlabí, Tschechien]) / Ober Langenau (Böhmen [Horní Lánov, zu Lánov, Tschechien]): Am 7. Mai 1886 wird der von Hohenelbe nach Ober Langenau heimkehrende Postbote Josef Erben am Nachmittag auf offener Straße vom Kunstweber und Fabrikarbeiter Robert Douth (1865–1913) überfallen. Josef Erben wird im Zuge seiner heftigen Gegenwehr durch einen Revolverschuss schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Robert Douth ergreift daraufhin die Flucht, wird aber noch am Abend desselben Tages verhaftet. Am Samstag dem 8. Mai 1886 in das Bezirksgericht Hohenelbe eingeliefert, gesteht Robert Douth auch den Raubmord am Gastwirt und ehemaligen Gemeindevorsteher Josef Hollmann (?–1886) in Niederhof (Böhmen [Dolní Dvůr, Tschechien]) am Freitag dem 2. April 1886. Da Robert Douth von den Behörden als Radicaler klassifiziert wird, erregt der Fall nicht nur in Böhmen in der radicalen Arbeiterbewegung Aufsehen und führt zu heftigen Diskussionen. Robert Douth wird am Montag dem 16. August 1886 wegen vollbrachten und versuchten meuchlerischen Raubmordes vom Kreis- als Schwurgericht Jitschin (Böhmen [Jičín, Tschechien]) zum Tod durch den Strang verurteilt, im Oktober 1886 von Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) begnadigt und in Folge dessen vom Obersten Gerichtshof zu lebenslangem schwerem Kerker verurteilt werden. Er wird nach siebenundzwanzig Jahren 1913 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, aber 1917 wegen eines neuerlichen Raubmordes und unter dem Verdacht eines weiteren Raubmordes verhaftet werden und im Gefängnis im Juni 1918 sterben.

  • 9. Mai 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 9. Mai 1886 findet in »Schwender’s Colosseum« (Anna Silberbauer) in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Fünfhauser Hauptstraße, Ecke Kirchengasse [Mariahilfer Straße, Ecke Reindorfgasse], die polizeilich genehmigte, gemeinsame Protestveranstaltung von Radicalen und Gemäßigten unter dem Vorsitz des Reichsratsabgeordneten Ferdinand Kronawetter (1838–1913) zur Tagesordnung »Das österreichische Sozialistengesetz« statt (►5. bis 10. Juni 1886 und ►23. Juni 1886). Einberufer dieser Versammlung sind der Arzt und Journalist Victor Adler (1852–1918), der Reichsratsabgeordnete Karl Ausserer (1844–1920), der Reichsratsabgeordnete Ferdinand Kronawetter, der Fabrikdirektor Paul Pacher von Theinburg (1832–1906) und der Reichsratsabgeordnete Engelbert Pernerstorfer (1850–1918), alles Vertreter der gemäßigten Sozialdemokraten oder Deutschnationalen. Nach ausführlichen Diskussionen wird die am ►6. Mai 1886 beschlossene und bereits gedruckte Resolution von den Anwesenden angenommen.5 Mit dieser Versammlung beginnt bei den Gemäßigten die Hinwendung zur vollständig öffentlichen Organisation der Partei.

  • 10. Mai 1886 (Montag)
    Graz (Steiermark): Am 10. Mai 1886 findet vor dem Landes- als Schwurgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen den nach einem gescheiterten Fluchtversuch verhafteten (►22. und 23. März 1887) Schuhmachergehilfen Franz Göpfhardt (1857–1942) statt, angeklagt der Verbrechen des Hochverrats, der Ruhestörung und der Religionsstörung sowie des Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung. Diese Delikte habe er in zahlreichen Reden in öffentlichen Versammlungen begangen. Franz Göpfhardt bestreitet die ihm angelasteten Aussagen nicht und weist darauf hin, dass sie stets ohne den Einspruch des anwesenden Regierungsvertreters erfolgt seien. Franz Göpfhardt wird einstimmig freigesprochen, verlässt aber anschließend Graz, um sich in Feldkirchen [Feldkirchen in Kärnten / Feldkirchen in Šmohor ] (Kärnten) niederzulassen, wo er eine zum Anarchismus tendierende Gruppe Radicaler um sich zu versammeln sucht (►18. Juli 1886).

  • 11. Mai 1886 (Dienstag)
    New York City (New York, USA): Am Abend des 11. Mai 1886 wird der Journalist Johann Most (1846–1906) in New York City in der Allan street 198 bei Lina Spies – Schwester des am ►11. November 1887 justizgemordeten Journalisten August Spies (1855–1887) – aufgrund eines vom April 1886 datierenden Haftbefehls festgenommen. Johann Most war ursprünglich wegen einer am Freitag dem 23. April 1886 im Germania’s Garden bei einer Versammlung der »Internationalen Schützenmänner« gehaltenen Rede gesucht worden, in der er zur Herstellung von Bomben aufgerufen hat. Nunmehr wird gegen ihn auch in der so genannten Haymarket-Affäre vom 4. Mai 1886 ermittelt. Johann Most wird aber am Freitag dem 14. Mai 1886 gegen eine Kaution von 1.000 Dollar auf freien Fuß gesetzt werden. (29. Mai 1886)

  • 13. Mai 1886 (Donnerstag) und 14. Mai 1886 (Freitag)
    Wien und Vororte: In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1886 wird versucht, bei den ärarischen (im Staatsbesitz befindlichen) Pulvertürmen auf der Simmeringer Haide (Niederösterreich [zu Wien 11.]) einzubrechen, offensichtlich, um dort lagerndes Dynamit zu stehlen. Beim Nahen eines Wachpostens ergreift ein Verdächtiger die Flucht. Anschließend wird festgestellt, dass die Umzäunung durchbrochen und die zur Dynamitabteilung führende Tür gelockert ist. Die Behörden verdächtigen diesbezüglich Sozialrevolutionäre.

  • 17. Mai 1886 (Montag)
    London (England): Am 17. Mai 1886 feiert in London die vom Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910) initiierte »Gruppe ›Autonomie‹« den ersten Jahrestag ihrer Gründung. (16. Mai 1885)

  • 23. Mai 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am Abend des 23. Mai 1886 erscheint im Laden der Zuckerbäckerin Josefa Hahn in Hernals (Niederösterreich [zu Wien 17.]), Kirchengasse 50 [Kalvarienberggasse], ein Mann in der Uniform der Sicherheitswache und erkundigt sich, ob sie heute Zehngulden-Banknoten erhalten habe. Als sie dies bejaht, verlangt er diese zur Überprüfung. Er gibt ihr danach alle Scheine zurück und verlässt den Laden. Josefa Hahn, der dies verdächtigt vorkommt, zeigt den Vorfall beim Polizeikommissariat Ottakring (Niederösterreich [zu Wien 16.]) an. Die Behörden gehen davon aus, dass es sich bei dem Mann um keinen Sicherheitswachebeamten, eventuell um einen Sozialrevolutionär gehandelt habe. (►3. August 1885)

  • 24. Mai 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Der Wiener »Fachverein der Schuhmacher« beruft für den 24. Mai 1886 eine freie Versammlung in das Gasthaus »zu den drei Engeln« (Josef Renz) in Wien 4., Große Neugasse 36, ein. Der zweite Tagesordnungspunkt, »Besprechung der fachlichen Produktionsweise in Bezugnahme auf das Sitzwesen und die Wochen-Arbeiter«, wird genehmigt, der erste Tagesordnungspunkt, das Referat des Advokaten Friedrich Elbogen (1854–1909) »Über das Sozialisten-Gesetz« (►5. bis 10. Juni 188, ►23. Juni 1886 und ►27. Juni 1886), jedoch von der Polizeibehörde verboten.

  • 28. Mai 1886 (Freitag)
    New York City (New York, USA): Am 28. Mai 1886 wird der Journalist Johann Most (1846–1906) wegen Aufreizung zum Mord, zur Brandstiftung und zum Raub zur Höchststrafe von einem Jahr Zuchthaus und einer Geldstrafe von 500 Dollar verurteilt. Er wird am nächsten Tag Berufung einlegen, doch wird das Urteil am Donnerstag dem 3. Juni 1886 bestätigt werden. (11. Mai 1886) Desgleichen werden auch die Urteile der Mitangeklagten bestätigt werden: Der Möbelschreiner Richard Braunschweig sowie der Journalist und Schriftsteller Adolph Schenk werden zu je neun Monaten Zuchthaus und 250 Dollar Geldstrafe oder weitere zweihundertfünfzig Tage Haft verurteilt. (1. April 1887)

  • 30. Mai 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 30. Mai 1886 findet, wie bereits in den vergangenen Jahren, das Maifest des Wiener »Fachvereins der Schuhmacher« auf der Ramschwiese in Hütteldorf (Niederösterreich [zu Wien 14.]) statt. Mehrere tausend Arbeiter verschiedener Branchen nehmen mit ihren Familien daran teil. Für Unterhaltung sorgen zwei Musikkapellen sowie der »Arbeiter-Sängerbund in Wien« und der Gesangverein der Bäcker. In diesem Jahr kommt es zu keinerlei Zwischenfällen. (►6. April 1885) Allerdings hatte die Bezirkshauptmannschaft Sechshaus (Niederösterreich [zu Wien 14.]) den Veranstaltern bereits im Vorfeld bisher unübliche Bedingungen gestellt, etwa das Verbot eines korporativen Aufmarsches von Hütteldorf zur Festwiese und die Anordnung, dass die Festordner statt der bisher üblichen roten diesmal weiße Abzeichen zu tragen haben.

  • 1. Juni 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Mit 1. Juni 1886 wird der in Arbeiterkreisen verhasste, aber auch im Reichsrat von Abgeordneten mehrfach heftig angegriffene kaiserliche Rat und Polizei-Oberkommissär Bernhard Frankl (1846–1907), der bisher bei der Staatspolizei arbeitete, dem Polizei-Präsidium Wien zugeteilt. Er wird über Jahrzehnte die personalisierte Feindfigur des Polizeibüttels der Anarchistinnen und Anarchisten sein.

  • 5. Juni 1886 (Samstag) bis 10. Juni 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Am 5. Juni 1886 findet im Reichsrat in Wien die zweite Lesung (►20. Jänner 1885) des vorgelegten »Gesetzes mit Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, welchen anarchistische Bestrebungen zugrunde liegen« statt (►24. Februar 1886). Die daran anschließende Diskussion wird in den Sitzungen am Montag dem 7., Dienstag dem 8, Mittwoch dem 9. und Donnerstag dem 10. Juni 1886 fortgesetzt. Es ist dies die erste große Debatte des österreichischen Abgeordnetenhauses über den Sozialismus. Exponierte Gegner des geplanten Gesetztes sind der Jungtscheche Eduard Grégr (1827–1907) und der deutschnationale Engelbert Pernerstorfer (1850–1918). Am 9. Juni 1886 wird der abgeänderte Paragraf 1 mit 179 gegen 39 Stimmen angenommen. Schließlich wird in der Sitzung vom 10. Juni 1886 das Gesetz nach dritter Lesung mit 186 gegen 46 Stimmen angenommen, womit die notwendige Zweidrittelmehrheit gegeben ist. Nachdem eine namentliche Abstimmung abgelehnt worden war, stimmen nur der Deutsche Club, die Demokraten und die Anti-Semiten gegen das Gesetz. Damit hat Österreich ein explizites Anarchistengesetz, übrigens das erste in Europa. Im Gegensatz etwa zum deutschen Sozialistengesetz, welches Sozialisten aller Schattierungen betrifft, ist das österreichische ausschließlich gegen Anarchistinnen und Anarchisten gerichtet (►23. Juni 1886 und ►27. Juni 1886).
    Bemerkenswert: Folgt man der bürgerlichen Presse, so ist die Bevölkerung Österreichs in diesen Tagen weniger am Anarchistengesetz interessiert, sondern vielmehr am Freitod des Bayernkönigs Ludwig II. (1845–1886) am Sonntag dem 13. Juni 1886.

  • 21. Juni 1886 (Montag)
    Chicago (Illinois, USA): Am 21. Juni 1886 beginnt in Chicago der Anarchisten-Prozess anlässlich der so genannten Haymarket-Affäre vom 4. Mai 1886, der bis Mittwoch den 11. August 1886 dauern wird. Dieser wird nicht nur innerhalb der anarchistischen Bewegungen mit bemerkenswertem Interesse verfolgt. (31. Juli 1886)

  • 21. Juni 1886 (Montag)
    Rheindorf [zu Lustenau] (Vorarlberg): Am 21. Juni 1886 werden in Rheindorf unter einem Heuhaufen vier Pakte mit – wohl am Vorabend – aus der Schweiz eingeschmuggelten, im Ausland hergestellten radicalen Druckschriften gefunden. Die Behörden glauben, damit die Schmuggelroute aus der Schweiz nach Österreich gefunden zu haben.

  • 23. Juni 1886 (Mittwoch)
    Wien und Vororte: Am 23. Juni 1886 wird das am Donnerstag dem 10. Juni 1886 im Reichsrat beschlossene »Gesetz mit Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, welchen anarchistische Bestrebungen zugrunde liegen« (►5. bis 10. Juni 1886) auch im Herrenhaus nach zweiter und dritter Lesung angenommen (►27. Juni 1886).

  • 27. Juni 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Mit der Veröffentlichung im »Reichsgesetzblatt für die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder« tritt das Anarchistengesetz, das »Gesetz vom 25. Juni 1886, womit Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, welchen anarchistische Bestrebungen zu Grunde liegen, erlassen werden«, mit einer bis zum Montag dem 25. Juni 1888 beschränkten Geltungsdauer in Kraft,6 unterzeichnet von Franz Joseph I. (1830–1916), Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen, König von Kroatien-Slawonien und Dalmatien und Erzherzog von Österreich, von Eduard Graf Taaffe (1833–1895), von 1869 bis 1870 und 1870 bis 1893 Ministerpräsident, und von Alois von Pražák (1820–1901), von 1881 bis 1888 k. k. Justizminister. Mit diesem Gesetzt werden alle Verbrechen, die man als strafbare Handlungen mit einem anarchistischen Charakter erachtet, nicht mehr vor einem Schwurgericht verhandelt, sondern sie kommen vor ein Sechs-Richter-Kollegium. (►12. April 1888)

  • 30. Juni 1886 (Mittwoch)
    Linz an der Donau (Oberösterreich): Am 30. Juni 1886 trifft der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1864–?) in Linz an der Donau ein, der sich der vom Kleidermachergehilfen Franz Škopek (1861–1926) geleiteten tschechoslawischen Gruppe Radicaler anschließt (►Oktober 1885). Bereits im Juli 1886 wird Johann Hospodský eine neue Gruppe gründen, welche sozialrevolutionär ausgerichtet ist. Dagegen werden Anhänger der radicalen Arbeiterbewegung unter Leitung des Schuhmachergehilfen Karl Hubmayer (1856–?) eine weitere geheime Gruppe bilden. Gemeinsam ist beiden, dass sie sich zu den Prinzipien der Konferenz radicaler Vertrauensmänner nahe Leoben (Steiermark) vom ►28. Juni 1885 bekennen. (►24. Jänner 1886)

  • 10. Juli 1886 (Samstag)
    Wien und Vororte: Die Versammlung des Wiener »Arbeiter-Bildungsvereins«, die am 10. Juli 1886 im Vereinslokal in Wien 7., Mariahilfer Straße 56, stattfindet, wird vom anwesenden Behördenvertreter wegen Abschweifung auf politisches Gebiet und aufreizender Rede um 22 Uhr 45 aufgelöst. Die Arbeiter zerstreuen sich danach ohne jeden Widerstand.

  • 18. Juli 1886 (Sonntag)
    Feldkirchen [Feldkirchen in Kärnten / Feldkirchen in Šmohor] (Kärnten): Der im Hochverratsprozess vom ►10. Mai 1886 in Graz (Steiermark) freigesprochene Schuhmachergehilfe Franz Göpfhardt (1857–1942) hatte sich kurz danach in Feldkirchen niedergelassen. Von hier aus versuchte er, eine geheime Druckerei in Klagenfurt / Celovec [Klagenfurt am Wörthersee / Celovec ob Vrbskem jezeru] (Kärnten) für die zum Anarchismus tendierenden Radicalen zu organisieren. Franz Göpfhardt wird gemeinsam mit mehreren Genossen wegen einer Bestellung revolutionärer Flugschriften aus London (England) am 18. Juli 1886 verhaftet. Vier der neun Inhaftierten, die der Geheimbündelei und der Verbreitung verbotener Druckwerke beschuldigt werden, werden Mitte September 1886 ohne Anklageerhebung freigelassen werden, während unter anderem der Tischlergehilfe Franz Egger (1859–1935), Vorstand der Filiale Feldkirchen der kärntnerischen »Arbeiter-Kranken- und Invalidenkasse«, und Franz Göpfhardt in Haft bleiben. (►16. August 1886 und ►6. und 7. Dezember 1886)

  • 22. Juli 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Die vom radicalen Bäckergehilfen Josef Pica für den 23. Juli 1886 in das Gasthaus »zum chinesischen Salon« (Max Grasser) in Hernals (Niederösterreich [zu Wien 17.]), Hauptstraße 2 [Hernalser Hauptstraße], einberufene freie Bäckerversammlung wird von der Behörde untersagt. Die Bäckermeister und Bäckergehilfen sind innerhalb der Fachvereine nach wie vor eine Hochburg der Radicalen in Wien und seinen Vororten. Josef Pica wird übrigens in einer anderen Angelegenheit am Freitag dem 15. Februar 1889 der Geheimbündelei angeklagt und zu vier Wochen strengen Arrests verurteilt werden.

  • 29. Juli 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Am 29. Juli 1886 findet vor dem Landesgericht Wien der Prozess wegen des Vorfalls vom 15. März 1886 gegen den Pfeifenschneidergehilfen Thomas Zoppoth (1866–?) statt. Er wird im Sinne der Anklage wegen der Verbrechen der Majestätsbeleidigung und der Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses zu einem Jahr schwerem Kerker, verschärft mit einem Fasttag im Monat, verurteilt. (3. und 4. Oktober 1886)

  • 31. Juli 1886 (Samstag)
    Chicago (Illinois, USA): Am 31. Juli 1886 wird im Anarchisten-Prozess anlässlich der so genannten Haymarket-Affäre vom 4. Mai 1886 das Verhör der Belastungszeugen abgeschlossen. Durch eine Fotografie gilt als erwiesen, dass der 1884 aus Österreich in die USA emigrierte Maschinist Rudolf Schnaubelt (1859–1927/1928) die Dynamitbombe gegen die Polizei geworfen habe. Außerdem glaubt man zu diesem Zeitpunkt, der flüchtige Rudolf Schnaubelt habe den Freitod gewählt und man habe seine Leiche am Donnerstag dem 29. Juli 1886 in dem zwischen Kanada und den USA gelegenen Lake Erie gefunden. Erst Jahre später wird sich die Unschuld von Rudolf Schnaubelt herausstellen. Im Gegensatz zur Vermutung der Justiz war Rudolf Schnaubelt über Kanada nach England und schließlich nach Argentinien geflüchtet, was sicherlich sein Glück war, wie der im Zuge der so genannten Haymarket-Affäre am Freitag dem ►11. November 1887 verübte Justizmord an vier Anarchisten zeigt. (21. Juni 1886 und 19. August 1886)

  • Anfang August 1886
    Wien und Vororte: Anfang August 1886 wird in Wien und seinen Vororten das Flugblatt »Aufruf an die Arbeiter«,7 beginnend mit den Worten »Arbeiter! Unsere Ausbeuter«, verstreut.

  • 2. August 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Am 2. August 1886 findet vor dem Landes- als Erkenntnisgericht Wien der Prozess gegen den Schriftsetzer Wilhelm Goldschmied (1863–?) und den Holzdrechslergehilfen Johann Šindelář (1864–?) statt, angeklagt des Vergehens der Geheimbündelei sowie der Übertretungen der unbefugten Kolportage und Falschmeldung. Zur Vorgeschichte: Am Montag dem 1. März 1886 wurde ein in Graz (Steiermark) abgesandtes, an Johann Šindelář adressiertes Paket auf dem Wiener Hauptzollamt beschlagnahmt, welchen entgegen der Deklaration kein Leinen, sondern sechshundertachtundsiebzig Exemplare der Zeitung »Die Arbeit« (Graz) enthielt. Als der Maschinenschlosser Anton Krausenecker das Paket abholen wollte, wies dieser die ihn erwartende Polizei darauf hin, dass er das Paket im Auftrag von Johann Šindelář abholen wollte. Im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Johann Šindelář in Ottakring (Niederösterreich [zu Wien 18.]) wurden zahlreiche Exemplare verbotener Druckschriften, Patronen und Patronenhülsen, Chemikalien, eine Elektrisiermaschine, Metallplatten, Lettern und eine Druckerwalze gefunden, weshalb die Polizei die geplante Einrichtung einer geheimen Druckerei vermutete. Außerdem fand die Polizei über der Drehbank von Johann Šindelář das Porträt des Sozialrevolutionärs Hermann Stellmacher (1853–1884) aus der Zeitung »Illustrirtes Wiener Extrablatt« (Wien) aufgehängt. Im Zuge der Hausdurchsuchung stellte sich auch heraus, dass es sich bei dem in demselben Kabinett gemeldeten, aber dort nicht wohnenden angeblichen Bruder »Wilhelm Šindelář« tatsächlich um Wilhelm Goldschmied handelte. Beide wurden sofort verhaftet und ins Landesgericht Wien eingeliefert. Der unbefugten Kolportage werden die beiden verdächtigt, weil die bei ihnen gefundenen Exemplare der Zeitung »Die Arbeit« die Stampiglie »Für Wien 7 kr.« tragen, ein Aufdruck, den nur für Wien bestimmte Exemplare der Zeitung haben. Im Laufe des Prozesses tritt der Staatsanwalt bei Wilhelm Goldschmied von der Anklage der unbefugten Kolportage zurück. Ansonsten werden die nur teilweise geständigen Wilhelm Goldschmied und Johann Šindelář im Sinne der anderen Anklagepunkte zu je zwei Monaten strengem Arrest und 50 Gulden Geldstrafe sowie anschließender Ausweisung aus dem Wiener Polizeirayon verurteilt. (►10. Oktober 1886)

  • 14. August 1886 (Samstag) und 15. August 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 14. August 1886 wird in Wien das vor Ort hergestellte Flugblatt »Im August 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder«8 verbreitet, in welchem die Sozialrevolutionäre auch auf das Anarchistengesetz (►27. Juni 1886) eingehen. Dass hinter der Selbstbezeichnung »Anarchisten« im Wesentlichen Sozialrevolutionäres steckt, zeigt der Inhalt des Flugblattes. Die Sicherheitsbehörden befürchteten schon seit mehreren Tagen eine Aktion der Wiener Radicalen, nicht zuletzt wegen der internationales Aufsehen erregenden Arbeiterunruhen in Brüssel ‹Ville de Bruxelles / Stad Brussel› (Belgien). Deshalb sind die Sicherheitskräfte am Wochenende 14./15. August 1886 besonders präsent und wird für sie die Bereitschaft verhängt. Dennoch können an diesem Wochenende nur zwei Personen festgenommen werden. Am 14. August 1886 wird am Abend der Bäckergehilfe Josef Kittler (1853–?), der zweihundertsechzig Exemplare des Flugblatts in seinem Bäckerkorb mit sich führt, auf dem Rennweg (Wien 3.) verhaftet. Und am 15. August 1886, um 1 Uhr morgens, wird der Schuhmachergehilfe Johann Sekanina (1861–?) beim Plakatieren im öffentlichen Pissoir auf der Gumpendorfer Straße (Wien 6.) von der Polizei ertappt. Bei ihm finden sich neben Klebemittel noch zweiundvierzig Exemplare des Flugblatts. (►29. Oktober 1886) Am Samstag dem 21. August 1886 werden von der Polizei-Direktion Wien für die erste Festnahme der Sicherheitswachmann Anton Pitzinger mit einer Remuneration (Belohnung) von 30 Gulden, für die zweite Festnahme der Sicherheitswachmann Edmund Falkner mit einer von 20 Gulden belohnt werden. Die Polizei wird am Montag dem 16. August 1886 früh am Morgen bei mehreren amtsbekannten Radicalen Hausdurchsuchungen vornehmen, wobei sie vereinzelt auch fündig werden wird. Andere Radicale werden erst Monate später verhaftet und verurteilt werden. (►29. Dezember 1886 und ►3. Mai 1887)

  • Mitte August 1886
    St. Gallen / Saint-Gall / San Gallo (Kanton St. Gallen, Schweiz): Mitte August 1886 reist der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908) im Auftrag der Wiener Radicalen in die Schweiz, wobei er auf dem Weg dahin in Linz an der Donau (Oberösterreich), Salzburg (Salzburg) und wohl auch anderen Orten versucht, die abgerissenen Verbindungen unter den verschiedenen Gruppen und Vereinen der radicalen Arbeiterbewegung wiederherzustellen. In St. Gallen / Saint-Gall / San Gallo angekommen, will er von hier aus den Vertrieb revolutionärer Druckschriften nach Österreich reorganisieren. Im Zusammenhang mit der am ►3. und 4. Oktober 1886 gescheiterten zweiten so genannten Brandleger-Affäre wird Franz Schustaczek auf österreichisches Ersuchen hin in St. Gallen von der Schweizer Polizei verhaftet und an Österreich ausgeliefert werden.

  • 16. August 1886 (Montag)
    Villach / Beljak (Kärnten): Im Zusammenhang mit dem am ►18. Juli 1886 verhafteten Schuhmachergehilfen Franz Göpfhardt (1857–1942) werden am 16. August 1886 in Villach / Beljak Hausdurchsuchungen durchgeführt, wobei mehrere Radicale vorübergehend verhaftet werden. Weitere Verhaftungen werden Ende August in Feldkirchen [Feldkirchen in Kärnten / Feldkirchen in Šmohor] (Kärnten) und Klagenfurt / Celovec [Klagenfurt am Wörthersee / Celovec ob Vrbskem jezeru] (Kärnten) folgen, wobei auch diese Festgenommenen bald wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

  • 19. August 1886 (Donnerstag)
    Chicago (Illinois, USA): Am 19. August 1886 werden im Anarchisten-Prozess anlässlich der so genannten Haymarket-Affäre vom 4. Mai 1886 sieben Angeklagte des Mordes für schuldig erklärt und zum Tod verurteilt. Ein Angeklagter wird zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. (►31. Juli 1886, ►20. August 1886 und ►11. November 1887)

  • 20. August 1886 (Freitag)
    New York City (New York, USA): Nach der Bekanntgabe des Urteils gegen die so genannten Haymarket-Märtyrer (►19. August 1886) findet am 20. August 1886 in der Irving Hall in New York City, 211 Broome street, unter Vorsitz des 1882 aus Österreich in die USA geflüchteten Tischlergehilfen Heinrich Hotze (1851–1891) eine Massenversammlung anlässlich der Urteile gegen die wegen der so genannten Haymarket-Affäre vom 4. Mai 1886 zum Tod verurteilten Anarchisten statt.

  • 20. August 1886 (Freitag)
    Wien und Vororte: Am Morgen des 20. August 1886 wird in Neulerchenfeld (Niederösterreich [zu Wien 16.]) der Pflasterergehilfe Arnold Luchs (1869–?) wegen des Verdachts auf Verbreitung illegaler sozialistischer Flugschriften verhaftet, nachdem er dabei betreten wird, wie er eine solche auf der Koppstraße liest, wobei er selbst ein Paket mit etwa zwanzig Stück dieses Flugblatts in der Hand hat.

  • 29. August 1886 (Sonntag)
    Budapest (Ungarn): Der im Juli 1885 aus Oberösterreich ausgewiesene und seither in Budapest lebende Hafnergehilfe Anton Fuchs (1847–?) setzt sich nach Einstellung der Zeitung »Die Arbeit« (Graz) am ►16. April 1886 mit Radicalen in der Steiermark und in Kärnten, später auch mit jenen in Oberösterreich, Salzburg und Tirol in Verbindung, um den Plan einer in Budapest erscheinenden Zeitung der Radicalen zu erörtern. Die Umsetzung dieses Vorhabens verzögert sich zunächst, weil der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936) die in Aussicht gestellten Geldmittel nicht zur Verfügung stellen kann, und wird dann endgültig vereitelt, weil Anton Fuchs zusammen mit dem Eisenbahnarbeiter Johann Ondra (1856–?) am Dienstag dem 24. August 1886 verhaftet und am Sonntag dem 29. August 1886 aus Budapest ausgewiesen wird. Dadurch erleidet die bereits sehr geschwächte radicale Arbeiterbewegung in Ungarn einen weiteren Rückschlag. Die völlige Zerschlagung der ohnedies kleinen Gruppe der Radicalen in Ungarn erfolgt durch die Verhaftung von sechs Genossen am ►14. Dezember 1886.

  • 29. August 1886 (Sonntag)
    Graz (Steiermark): Am 29. August 1886 findet in der »Puntigamer Bierhalle« in Graz, Jakobigasse 6 [Orpheumgasse 8], eine vom gemäßigten »Politischen Verein ›Wahrheit‹« einberufene Versammlung statt, auf welcher der radicale Schuhmachergehilfe Johann Pischler (1854–?), später ein Anarchist, zum Anarchistengesetz (►27. Juni 1886) treffend feststellt: »Der Begriff Anarchist ist überhaupt gar nicht definiert.«9

  • September 1886
    London (England): Im September 1886 erscheint »Im Namen einer grossen Anzahl in London lebender Anarchisten« die vom Journalisten, Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910) verfasste Broschüre »Trau, schau, wem! oder: Ein Erzgauner«.10 In dieser Schrift legt Josef Peukert seine Sicht des so genannten Bruderkriegs zwischen ihm und dem Journalisten Johann Most (1846-1906) dar (►17. Mai 1886).

  • 3. September 1886 (Freitag)
    Wels (Oberösterreich): Am 3. September 1886 muss sich der so genannte Anarchist Franz Heuhofer (1843–?), ein Gärtnergehilfe, wegen Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe vor dem Kreisgericht Wels verantworten. Er hatte sich am Freitag dem 6. August 1886 am Abend in einem Gasthaus in Gmunden (Oberösterreich) als Anarchist geriert, in Gegenwart mehrerer Gäste zum Hass und zur Verachtung gegen den Kaiser, die Regierung und Staatsverwaltung aufgerufen und meinte, heute, wo das Theater in Gmunden voller Menschen sei, sei ein günstiger Moment, dieses mit Dynamit in die Luft zu sprengen. Der siebzehn Mal Vorbestrafte (Urkundenfälschung, Veruntreuung, Diebstahl, Wachebeleidigung und Landstreicherei), der sich mit Volltrunkenheit zur Tatzeit verteidigt, wird zu drei Jahren schwerem Kerker verurteilt.

  • 5. September 1886 (Sonntag)
    London (England): Am Sonntag 5. September 1886 erscheint die erste Nummer der radicalen tschechischen Zeitung »Pomsta« [Nedomov [recte London]; Die Rache], die ab der Nummer 5 (März 1887) in Paris (Frankreich) und später in New York (New York, USA) erscheinen und im April 1895 nach zweiundzwanzig Nummern ihr Erscheinen einstellen wird. Diese von dem am ►26. Februar 1885 aus der Schweiz ausgewiesenen Schneidergehilfen Franz Jonata (1852–1917) herausgegebene Zeitung wird regelmäßig nach Österreich eingeschmuggelt.

  • 5. September 1886 (Sonntag) bis 19. September 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Vom 5. bis 19. September 1886 veranstaltet der »Wiener Drucker- und Maschinenmeister-Club « in seinem Klublokal in Wien 8., Kochgasse 9, eine Ausstellung von Buchdruckmaschinen: eine lehrreiche Ausstellung auch für die Radicalen.

  • 8. September 1886 (Mittwoch)
    Graz (Steiermark): Am 8. September 1886 findet in Graz, Körösistraße 38, eine Sitzung von steirischen Radicalen und Gemäßigten statt, an der unter Vorsitz des Krankenkassenbeamten Franz Scherübl (1850–1927) unter anderem der Bandagist und Orthopäde Friedrich Jurschitzka, seit 1885 Kassier des »Allgemeinen Arbeitervereins«, der Student der Rechtswissenschaften und spätere Haupttheoretiker des freiheitlichen Sozialismus Hermann Kadisch (1862–1934), Johann Markitsch aus Marburg an der Drau (Steiermark [Maribor, Slowenien]) und der Schuhmachergehilfe Johann Pischler (1854–?) teilnehmen. Nach heftigen Auseinandersetzungen verlassen fünf Gemäßigte und zwei jüdische Vertreter die Sitzung, während die verblieben zwanzig Genossen, überwiegend zum Anarchismus tendierende Radicale, die Gründung einer geheimen Organisation mit einem Exekutivkomitee als Leitung beschließen. Einflussreichste Persönlichkeit dieser Gruppe wird der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936) werden. (►25. Dezember 1886)

  • 12. September 1886 (Sonntag)
    Gmunden (Oberösterreich): Am 12. September 1886 findet in Gmunden das Gründungsfest des »Arbeiter-Bildungsvereins Gmunden« statt. Dazu reisen Delegierte aus Linz an der Donau (Oberösterreich), Ried (Oberösterreich) und Wels (Oberösterreich) sowie aus Salzburg (Salzburg) an. In einer geheimen Konferenz wird beraten, auf welche Weise die Verbindung mit Genossen in Kärnten, Krain, der Steiermark und Tirol aufgenommen werden können. Man beschließt dies einer noch einzuberufenden Delegiertenkonferenz zu überlassen. Zugleich gelingt es hier der sozialrevolutionären Linzer Gruppe um den Schuhmachergehilfen Johann Hospodský (1864–?) und den Kleidermachergehilfen Franz Škopek (1861–1926) Anhänger zu gewinnen: in Gmunden den Tischlergehilfen Karl Fürst, den Spenglergehilfen Vinzenz Scheda und den Schuhmachergehilfen Karl Tagwerker, in Ried den Hafnergehilfen Alois Sperl und in Salzburg den Hafnergehilfen Josef Weiß, Obmann des 1879 gegründeten Salzburger »Allgemeinem Arbeitervereins«. Die gemäßigte Gruppe der Linzer Radicaler um den Schuhmachergehilfen Karl Hubmayer (1856–?) kann lediglich zwei Anhänger rekrutieren: in Gmunden den Schuhmachergehilfen Alois Indra und in Wels den Holzarbeiter Matthias Tischlinger. Allerdings erleidet die sozialrevolutionäre Gruppe einen schweren Rückschlag, weil Johann Hospodský kurz vor diesem Gründungsfest, am Mittwoch dem 8. September 1886, im Zuge der Erhebungen zur zweiten so genannten Brandleger-Affäre (►3. und 4. Oktober 1886) verhaftet und nach Wien überstellt worden war. Und Karl Hubmayer wird am ►25. Dezember 1886 eine für die Entstehung einer anarchistischen Bewegung in Österreich wichtige Reise nach Graz (Steiermark) unternehmen.

  • 16. September 1886 (Donnerstag)
    Proßnitz (Mähren [Prostějov, Tschechien]): Am 16. September 1886 erscheint an Stelle der am ►8. Februar 1886 eingestellten Zeitung »Duch času« (Prostějov; Der Zeitgeist) die erste Nummer der tschechischen Zeitung »Hlas lidu« (Prostějov; Die Volksstimme) als gemeinsames Organ der tschechoslawischen Radicalen und Gemäßigten. Unter Redaktion des Webergehilfen Josef Hybeš (1850–1921) wird die Zeitung rasch überwiegend Positionen der Gemäßigten vertreten. Die Zeitung wird bis 1924 erscheinen.

  • 18. September 1886 (Samstag) und 21. September 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Am 18. September 1886 hebt die Polizei in Wien eine geplante Falschmünzerwerkstätte von Sozialrevolutionären aus, geht aber mit dieser Information erst am Samstag dem 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit. Die Gruppe besteht aus den Silberarbeitergehilfen Johann Ondříček (1854–?), Josef Paul Schwarz (1857–?) und Otto Steidl (1851–?). Auf Aufforderung von Josef Paul Schwarz entwendete Johann Ondříček seinem Arbeitgeber, dem bekannten Silberwarenfabrikanten Vinzenz Czokally in Wien 7., Halbgasse 22, wo er bereits seit sieben Jahren arbeitete, seit Ende 1885 Silberabfälle, wobei er von Josef Paul Schwarz für jedes Gramm Silber 3 Kreuzer erhielt, insgesamt nach eigenen Angaben etwa 30 Gulden, nach Meinung des Staatsanwalts etwa 60 Gulden. In gleicher Weise stahl auch der ebenfalls bei Vinzenz Czokally arbeitende Otto Steidl seinem Arbeitgeber zwischen März und Mai 1886 etwa 300 Gramm Silber im Wert von 18 Gulden und gab diese an Josef Paul Schwarz weiter. Schwarz verpfändete das Silber im kaiserlichen Versatzamt beziehungsweise bei der Verkehrsbank-Filiale Neubau, Wien 7., wobei er ein Drittel des Erlöses für sich behielt. Ein Gerichtsgutachter wird später feststellen, dass die bei Josef Paul Schwarz noch vorgefundenen Silberabfälle einen Wert von 128 Gulden und 40 Kreuzern darstellen. Johann Ondříček, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl wollten mit einer Legierung von Silber, Nickel und Kupfer unechte österreichische Silbergulden herstellen, wobei sie im August und September 1886 jene Werkzeuge beschafften, die dazu nötig waren: Stahlstanzen und eine Silber ähnliche Legierung. Josef Paul Schwarz kaufte im August 1886 eine Stahlstanze, auf der er eine kreisrunde Vertiefung mit dem Durchmesser eines österreichischen Silberguldens ausdrehen ließ. Danach übergab er die Stanze Otto Steidl, damit dieser die Gravierung veranlasse. Otto Steidl versprach am Montag dem 6. September 1886 dem Ziseleur Wilhelm Bachzelt, angeblich ein Sozialist, 100 Gulden für die notwendige Gravierung und versprach ein Zusatzhonorar für die Randschrift »Viribus unitis« (Lateinisch: Mit vereinten Kräften), Wahlspruch von Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916). Wilhelm Bachzelt präsentierte am Freitag dem 10. September 1886 das entsprechende Gipsmodell und wollte am 18. September 1886 die gravierte Stahlstanze übergeben: An diesem Tag verhaftet die von Wilhelm Bachzelt am Montag dem 13. September 1886 informierte Polizei Otto Steidl. Die anderen Beteiligten werden am 21. September festgenommen: Johann Ondříček, Josef Paul Schwarz und der Bildhauergehilfe Nikolaus Liegel, der aber kurz darauf aus der Untersuchungshaft ohne Anklageerhebung entlassen wird. Die von Johann Ondříček ermittelte Legierung (sechzehn Teile Silber sowie je sechs Teile Nickel und Kupfer) gab dieser Josef Paul Schwarz bekannt, der auch ein Stück dieser Legierung herstellte. Die Falschmünzen sollten dann im Geschäftslokal von Josef Paul Schwarz hergestellt werden, wofür ihm eine tägliche Entlohnung von 10 Gulden zugesichert wurde. Das Hauptmünzamt in Wien bestätigt später, dass die vorgenommene Legierung in Gewicht und Aussehen dem Silbergulden entspricht. Weitere Falschprägungen sollten folgen. So fand sich später bei Josef Paul Schwarz eine Stahlstanze mit der begonnenen Gravierung der Reversseite eines österreichischen Zwanzig-Kreuzerstücks. Die Aushebung dieser Falschmünzerwerkstätte ist der Beginn einer großen Polizeiaktion gegen Wiener Sozialrevolutionäre. Die drei in Untersuchungshaft verbliebenen Silberarbeitergehilfen werden sich am ►28. Dezember 1886 vor Gericht verantworten müssen. (►3. und 4. Oktober 1886)

  • 20. September 1886 (Montag) bis 27. September 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Am 20. September 1886 trifft sich in Obermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) nahe der Maria-Theresien-Brücke [Augartenbrücke], Wien 2. und 9., eine Gruppe Wiener Sozialrevolutionäre erstmals zu einer geheimen Zusammenkunft: der Drechslergehilfe Heinrich Höfermeier (1862–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1862–?), der Drechslergehilfe Franz Kočí (~1856–?), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvíl (1851–?), der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–?), der Seidenzeugmacher Johann Wanek (1851–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1850–?). Franz Kočí und Friedrich Kratochvíl entwickeln einen Plan, in Wien und Umgebung mehrere Holzlagerplätze in Brand zu stecken. In den nächsten Wochen werden mehrere Treffen bei der Maria-Theresien-Brücke sowie beim Wasserreservoir auf der Schmelz stattfinden, und sie werden vierzehn Brandflaschen anfertigen. Am 27. September 1886 werden die Gruppen für die Brandanschläge eingeteilt. Zunächst denkt man an einen Wochentag, doch Franz Kočí und Friedrich Kratochvíl setzen einen Sonntag als Attentatstermin durch, damit man mehr Aufsehen errege. So bestimmt man Sonntag den 3. Oktober 1886 als Attentatstag (3. und 4. Oktober 1886).

  • 21. September 1886 (Dienstag) und 22. September 1886 (Mittwoch)
    Linz an der Donau (Oberösterreich): Bereits seit August 1886 hat in der sozialrevolutionären Gruppe der Linzer Radicalen um den Schuhmachergehilfen Johann Hospodský (1864–?) und den Kleidermachergehilfen Franz Škopek (1861–1926) der Plan bestanden, mittels eines Überfalls Dynamit für die Propaganda der Tat zu besorgen. Ziel des geplanten Anschlags ist der so genannte Fünfzehnerturm im nahen Unterpuchenau [zu Puchenau] (Oberösterreich). In diesem alten Wehrturm lagert das Militär Sprengstoff. In der Nacht vom 21. auf den 22. September 1886 schleichen sich die Radicalen an den Fünfzehnerturm an, stoßen dabei jedoch auf eine Wache und ergreifen nach einem Anruf die Flucht. Der in die Aktion eingeweihte Polizeispitzel, der Schneidergehilfe Ludwig Philipp Schrödl (1851–1888), hatte die Behörden bereits zuvor informiert.

  • 27. September 1886 (Montag)
    Maria-Lanzendorf (Niederösterreich): Am 27. September 1886 bricht in dem nahe Wien gelegenen Wallfahrtsort Maria-Lanzendorf ein Brand aus. Die Scheune und Stallung des Hauses Nr. 25 steht plötzlich in Flammen, und das Feuer greift wegen des starken Windes rasch auf die nahe gelegene Scheune des Hauses Nr. 24 über. Beide Gebäude werden vollständig eingeäschert. Der Gerichtschemiker findet bei seiner Untersuchung des Brandplatzes Reste und Bestandteile einer Brandflasche mit Spuren von Salpetersäure. Deshalb nimmt die Polizei an, dass es sich um einen Brandanschlag so genannter Anarchisten handle. Später werden die verhafteten Sozialrevolutionäre gestehen, dass es sich dabei um eine Probebrandlegung für den Anschlag vom ►3. und 4. Oktober 1886 gehandelt habe. (►21. bis 27. September 1886)

  • 27. September 1886 (Montag) und 28. September 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Am 27. September 1886 ziehen anlässlich des Lichtbratelfestes (Michaelifest) zu Mittag etwa dreißig Arbeiter, meist Tischlergehilfen, gegen Altmannsdorf (Niederösterreich [zu Wien 12.]) und entrollen außerhalb des Polizeirayons eine rote Fahne. In Altmannsdorf selbst greifen sie unbeteiligte Passanten handgreiflich an, werden schließlich von Bauern verjagt und flüchten Richtung Inzersdorf (Niederösterreich [zu Wien 10.]). Am nächsten Tag, am 28. September 1886, wird in Ottakring (Niederösterreich [zu Wien 16.]) ein Sicherheitswache-Inspektor um 1 Uhr nachts von vier Arbeitern, vermutlich Drechslergehilfen, umringt und zur Herausgabe seines Geldes aufgefordert. Es gelingt ihm, einen Schreckschuss abzugeben, worauf die offensichtlich vom Lichtbratelfest Gekommenen die Flucht ergreifen.

  • 29. September 1886 (Mittwoch)
    Wien und Vororte: Mit dem 29. September 1886 wird die vom Wiener Polizeipräsidenten Karl Krticzka Freiherr von Jaden (1824–1885) ins Leben gerufene Polizei-Direktions-Bereitschaft durch die Polizei-Direktions-Abteilung abgelöst. Sie wird von bisher fünfzig auf achtzig Mann aufgestockt, welche rund um die Uhr als schnelle Eingreiftruppe zur Herstellung von Ruhe und Ordnung bereitsteht.

  • Oktober 1886
    London (England): Mit der Nummer vom Oktober 1886 stellt die seit ►Dezember 1881 erscheinende anarchistische Zeitung »Der Rebell« (Nirgendsheim [d. i. London]) nach siebzehn Nummern ihr Erscheinen ein. Diese Zeitung wird durch die seit ►6. November 1886 erscheinende anarchistische Zeitung »Die Autonomie« (London) mehr oder weniger ersetzt werden.

  • 3. Oktober 1886 (Sonntag) und 4. Oktober 1886 (Montag)
    Wien und Vororte: Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheitert die zweite (►28. und 29. August 1883) so genannte Brandleger-Affäre. Die Behörden gehen mit diesem Vorfall erst am Samstag dem 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit, und in den Zeitungen wird nun ausführlich von einem so genannten Anarchisten-Komplott berichtet. Schon länger beobachtete die Polizei eine Gruppe von etwa zwanzig Arbeitern, die sich jeden Sonntag im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße], traf (►20. bis 27. September 1886). In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 sollen gleichzeitig Brandanschläge in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hietzing (Niederösterreich [zu Wien 13.]) und Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]) ausgeführt werden. Dazu werden vier Gruppen gebildet, und zwar aus dem Kreis der zwölf Verschwörer: der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–?), der Spenglergehilfe Josef Bůžek (1852–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermeier (1862–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1862–?), der Drechslergehilfe Franz Kočí (~1856–?), der Maschinenwärter Gustav Kopecký (1851–?), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvíl (1851–?), der Korbflechter Stefan Müller (1858–?), welcher sich allerdings später als unschuldig herausstellen wird, der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–?), der Drechslergehilfe Josef Stieber (1860–?), der Seidenzeugmacher Johann Wanek (1851–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1850–?).
    Die erste Gruppe soll in Hetzendorf (Niederösterreich [zu Wien 12.]) und Untermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) agieren. Franz Kočí, Friedrich Kratochvíl und Johann Wanek ziehen mit zwei Brandflaschen versehen bereits gegen 15 Uhr los und deponieren zwischen 20 und 21 Uhr eine Flasche auf dem Holzplatz des Holzhändlers Simon Hraschko in Hetzendorf. Friedrich Kratochvíl fürchtet, dass die Flasche nicht explodieren könnte, verschüttet daher deren Inhalt, nämlich Terpentinöl, auf die dort lagernden Eichenschwellen und tränkt auch noch mitgebrachte Fetzen in Terpentinöl. Das Feuer beginnt nur langsam zu brennen, und ein Passant, der Diurnist (Verwaltungsbeamter) der Staatsbahn Josef Martinek, entdeckt außerdem die brennende Umhüllung der Flasche und kann den Brand durch Treten mit den Füßen und Schlagen mit seinem Stock im Keim ersticken. Es ist dies der einzige Brandanschlag dieser Serie, bei dem auch tatsächlich – zumindest kurzzeitig – ein Feuer ausbricht. Anschließend begibt sich die Gruppe zu einem Holzlagerplatz bei der Meidlinger Remise, wo sie aber an ihrem Vorhaben durch das Erscheinen eines Sicherheitswachmanns gehindert wird. Als ein weiterer Brandlegungversuch vereitelt wird, weil neuerlich ein Wachmann auftaucht, glauben die Attentäter an Verrat. Auf ihrem Rückzug werfen sie die zweite, mit Zündstoff gefüllte und bereits adjustierte Flasche auf den Holzlagerplatz des Tischlermeisters Wenzel Grohmann in Untermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]), Miesbachgasse 60 [Vivenotgasse], doch auch diese ist falsch adjustiert, explodiert nicht und wird am 4. Oktober 1886 von den Behörden sichergestellt.
    Die zweite Gruppe, die vier Brandflaschen mit sich führt, soll ein großes Holzlager in der Roßau (Wien 9.) in Brand stecken. Heinrich Höfermeier und Karl Schwehla deponieren nach 22 Uhr am Holzlagerplatz des Bauholzhändlers Karl Johann Scholtes jun. in Wien 9., Roßauer Lände 31, zwei mit Zündstoff gefüllte Flaschen, eine Flasche an dem einen, die zweite am anderen Ende des Lagerplatzes, wobei allerdings eine beim Adjustieren explodiert, ohne zu zünden. Die beiden anderen Flaschen funktionieren ebenfalls nicht, weil die Gaszylinder verkehrt in die Flasche eingesetzt worden waren. Diese Brandsätze werden erst am Freitag dem 8. und Samstag dem 9. Oktober 1886 vom Holzplatzarbeiter Karl Quarda aufgefunden werden.
    Die dritte Gruppe, bestehend aus Leopold Kaspari und Johann Wawrunek, soll mittels vierer Brandflaschen das Feuer legen: bei den Holzlagerplätzen in Matzleinsdorf (Wien 5.) und bei einem Petroleummagazin in der Nähe der Matzleinsdorfer evangelischen Kirche. Sie legen die Brandflaschen jedoch nicht ab, vermutlich, weil sie durch Passanten gestört werden. Sie entledigen sich nach 18 Uhr der Attentatswerkzeuge: vier Explosivröhrchen, zwei Flaschen Schwefelsäure und eine Petroleumflasche. Diese werden nahe dem Hundsturmer Friedhof [Haydnpark] in Untermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) verscharrt, wo sie später von der Polizei sichergestellt werden. Vor Gericht geben sie an, die Brandflaschen nicht gelegt zu haben, weil um den Holzlagerplatz zu viele Wohnhäuser standen.
    Die vierte Gruppe, bestehend aus Josef Bůžek und Gustav Kopecký, soll bei einem Holzlagerplatz in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Postgasse, agieren. Die beiden treffen sich mit einem später nicht ermittelten Sozialrevolutionär im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße]. Nachdem die Polizei mittlerweile in der Wohnung Gustav Kopeckýs vier Brandflaschen gefunden hat, werden Josef Bůžek und Gustav Kopecký abends in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Schmiedgasse [Beckmanngasse], verhaftet, nachdem sie gegen 21 Uhr das Gasthaus verlassen hatten. Der Widerstand der beiden Verhafteten, bei denen dann auch Dolche gefunden werden, ist so stark, das der von zwei Polizeidetektiven unterstützte Polizeikommissär vier sich in der Nähe befindliche Polizeiagenten zur Hilfe holen muss.
    Nun holt die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 können acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche werden weitere sieben folgen. Im Zusammenhang mit der zweiten so genannten Brandleger-Affäre werden Stefan Buelacher, Josef Bůžek, Heinrich Höfermeier, Leopold Kaspari, Gustav Kopecký, Friedrich Kratochvíl, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek verhaftet. Lediglich Franz Kočí und Johann Wanek gelingt die Flucht in die USA. Im Zuge der Erhebungen zur zweiten so genannten Brandleger-Affäre können weitere Aktionen der Sozialrevolutionäre aufgeklärt werden. Im Zusammenhang mit der so genannten Reich-Affäre (►18. Juni 1885) und der so genannten Tyll-Affäre (►3. August 1885) werden der Schneidergehilfe Albert Friedmann (1867–?), der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1864–?) und der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908) verhaftet. Heinrich Höfermeier und Karl Schwehla sind bereits als Beteiligte an der zweiten so genannten Brandleger-Affäre inhaftiert. Dem ebenfalls beteiligten Metallschleifer Franz Czermak (1864–?) gelingt zunächst die Flucht, doch wird er am Samstag dem ►9. April 1887 verhaftet werden. Im Zusammenhang mit der so genannten Trostler-Affäre (►April 1886) wird der Fleischausträger Heinrich Rischawy (1859–?) verhaftet. Der daran beteiligte Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–?) sitzt bereits wegen eines anderen Verbrechens im Gefängnis (►29. Juli 1886) und Leopold Kaspari sowie Johann Wawrunek sind bereits als Beteiligte an der zweiten so genannten Brandleger-Affäre inhaftiert. Wegen der so genannten Linke-Affäre (►März 1886) wird gegen die auch wegen der zweiten so genannten Brandleger-Affäre verhafteten Stefan Buelacher, Heinrich Höfermeier, Leopold Kaspari und Johann Wawrunek ermittelt. Dies gilt auch für die in die so genannte Dynamit-Affäre (►Februar 1886) involvierten Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvíl und Johann Wawrunek.
    Der eigentliche Beginn dieser Polizeiaktion gegen die Sozialrevolutionäre war die Aushebung der Falschmünzerwerkstätte am ►18. und 21. September 1886, bei welcher die Silberarbeitergehilfen Johann Ondříček (1854–?), Josef Paul Schwarz (1857–?) und Otto Steidl (1851–?) verhaftet wurden. Gegen sie wird auch die Anklageschrift zuerst fertig gestellt: Am Dienstag dem 30. November 1886 überreicht die Staatsanwaltschaft in Wien die Anklage gegen Johann Ondříček, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl wegen Verbrechens der Münzverfälschung und des Diebstahls.
    Die weitreichenden Kontakte der Sozialrevolutionäre, die alle am Montag dem 11. Oktober 1886 ins Landesgericht Wien eingeliefert werden, sind auch dadurch belegt, dass bereits am 4. Oktober 1886 die Polizei-Direktion Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) die Polizei-Direktion Wien von einem bevorstehenden Attentat in Wien unterrichtet. Die polizeiliche Operation gegen die Wiener Sozialrevolutionäre ist durch die Verhöre, vor allem aber durch die Hausdurchsuchungen möglich. Dabei werden zweieinhalb Kilogramm Dynamit, sieben mit Terpentin und Salpetersäure gefüllte Brandflaschen, zwei mit dem Sprengmittel »Janit« gefüllte Bomben mit Pistons, drei Dolche, Zündhütchen, mehrere Explosivstoffe, chlorsaures Kali, Salzsäure, Chloroform, falsche Bärte, falsche polizeiliche Hausdurchsuchungsbefehle sowie zahlreiche illegale Druckschriften beschlagnahmt. Außerdem werden auf den Holzlagerplätzen vier Brandflaschen sichergestellt. In den folgenden Wochen werden weitere Verhaftungen folgen, so dass bis zum Mittwoch dem 29. Dezember 1886 insgesamt siebzehn Sozialrevolutionäre verhaftet werden. Unter den später Angeklagten befinden sich auch zwei nicht in Wien festgenommene Sozialrevolutionäre. Der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1864–?) war bereits am Mittwoch dem 8. September in Linz an der Donau (Oberösterreich) verhaftet worden (12. September 1886), und der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908) wird in St. Gallen / Saint-Gall / San Gallo (Kanton St. Gallen, Schweiz) festgenommen und im Dezember 1886 an Österreich ausgeliefert werden (►August 1886). Während der Erhebungen und Verhöre kommt es zu gegenseitigen Beschuldigungen und Denunziationen der Verhafteten, welche dem Ansehen der Sozialrevolutionäre äußerst schaden. Die zweite so genannte Brandleger-Affäre und die anderen oben vermerkten Affären werden gemeinsam in einem Prozess verhandelt werden (►21. bis 28. März 1887).

  • 6. Oktober 1886 (Mittwoch)
    Brünn (Mähren [Brno, Tschechien]): Am 6. Oktober 1886 erscheint die erste Nummer der Zeitung »Arbeiterstimme« (Brünn) als gemeinsames Organ der deutschsprachigen Radicalen und Gemäßigten, wobei aber die alten radicalen Positionen keinen Niederschlag mehr finden. Die Zeitung wird bis 1896 erscheinen.

  • 10. Oktober 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 10. Oktober 1886 langt auf dem Polizeikommissariat Wieden (Wien 4.) eine anonyme Korrespondenzkarte ein, in welcher der Schuhmachergehilfe Karl Feyrer (1859–1942) in Wien 4., Wienstraße 28 [Rechte Wienzeile], beschuldigt wird, zu den »anarchistischen« Verschwörern zu gehören, weil er Waffen und entsprechende Flugschriften bei sich trage. Detektive nehmen sofort eine Hausdurchsuchung vor, stellen einen zweischneidigen Dolch, einen Totschläger und zahlreiche Flugschriften sicher und verhaften Karl Feyrer. Rasch stellt sich heraus, dass er mit den verhafteten Sozialrevolutionären (►3. und 4. Oktober 1886) nichts zu tun hat, trotz der bei ihm gefundenen Druckwerke. Am Mittwoch dem 13. Oktober 1886 wird Karl Feyrer vom Bezirksgericht Wieden von der Anklage wegen Übertretung des Waffenpatents freigesprochen werden, da weder das zweischneidige Messer noch der Totschläger unter die durch das Waffenpatent verbotenen Waffen fallen. Der Staatsanwalt geht sofort in die Berufung. Dennoch wird Karl Feyrer kurz darauf gemeinsam mit dem Holzdrechslergehilfen Johann Šindelář (1864–?) »wegen fortgesetzter agitatorischer Thätigkeit« aus Wien und dem Geltungsbereich der Ausnahmsverordnungen vom ►30. Jänner 1884 ausgewiesen werden. (►2. August 1886)

  • 12. Oktober 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Am 12. Oktober 1886 findet ein Hausbesorger im Stiegenhaus in Wien 4., Heugasse 54 [Prinz-Eugen-Straße], acht Stück Dynamitpatronen samt Sprengkapseln und Zündschnüren, alles in der originalen Blechbüchse verpackt, die in ein zerrissenes Taschentuch eingewickelt ist. Die Behörden gehen davon aus, dass sich jemand der Gegenstände angesichts der zweiten so genannten Brandleger-Affäre (►3. und 4. Oktober 1886) entledigen wollte.

  • 29. Oktober 1886 (Freitag)
    Wien und Vororte: Am 29. Oktober 1886 findet vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der Prozess gegen den bereits vorbestraften (►5. Februar 1884) Bäckergehilfen Josef Kittler (1853–?) und den Schuhmachergehilfen Johann Sekanina (1861–?) statt, die erste Verhandlung auf Grundlage des Anarchistengesetzes (►27. Juni 1886). Sie werden in geheimer Verhandlung des Verbrechens des Hochverrats angeklagt, begangen durch die Verbreitung des Flugblatts »Im August 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder« (►14. und 15. August 1886). Im Sinne der Anklage werden Josef Kittler zu sechs, Johann Sekanina zu vier Jahren schwerem Kerker verurteilt, jeweils verschärft durch einen Fasttag im Monat.

  • November 1886
    London (England): Im November 1886 erscheint die von der »Gruppe ›Autonomie‹« übersetzte und herausgegebene Broschüre »Gesetz und Autorität« von Pjotr Alexejewitsch Kropotkin ‹Пётр Алексеевич Кропоткин› (1842–1921),11 die sofort auch nach Österreich eingeschmuggelt wird.

  • November 1886
    Mariaschein (Böhmen [Bohosudov, Tschechien]): Im November 1886 findet eine geheime Konferenz tschechoslawischer radicaler Vertrauensmänner in Mariaschein statt. Hier werden ähnliche Beschlüsse gefasst wie in der Konferenz deutschsprachiger radicaler Vertrauensmänner nahe Leoben (Steiermark) am ►28. Juni 1885, wobei aber jede terroristische Taktik ausdrücklich verworfen wird.

  • 5. November 1886 (Freitag)
    Wien und Vororte: Eine Anarchistenhysterie greift in Wien um sich. Der Personalstand der 1870 gegründeten Wiener Sicherheitswache für die Millionenstadt Wien beträgt nunmehr, abgesehen von den Detektiven, rund zweitausendsiebenhundert Mann. Dennoch können sie das in Teilen der Bevölkerung vorhandene Gefühl der Unsicherheit nicht verhindern. Am 5. November 1886 wird spät abends auf einem Fenstervorsprung des Gebäudes des »Wiener Giro- und Cassen-Vereins« in Wien 1., Rockhgasse 4, eine in Papier gehüllte Blechkassette gefunden und der Polizei übergeben. Das vermutete Attentat entpuppt sich als bloße Entsorgungsaktion. Irgendjemand hat dort einen hygienischen Zwecken dienenden, verrosteten und bereits unbrauchbar gewordenen Apparat abgestellt.

  • 6. November 1886 (Samstag)
    London (England): Am 6. November 1886 erscheint die erste Nummer der auf Initiative des Journalisten, Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910) und der »Gruppe ›Autonomie‹« (►17. Mai 1886) gegründeten anarchistischen Zeitung »Die Autonomie« (London), die mit der Nummer vom Samstag dem 22. April 1893 nach insgesamt zweihundertelf Nummern ihr Erscheinen einstellen wird. Die Zeitung wird vornehmlich in Konkurrenz zur Zeitung »Freiheit« (New York) des Journalisten Johann Most (1846–1906) gegründet und wird bereits 1887 das führende anarchistische Organ deutscher Sprache sein. Im ►Dezember 1887 wird auch der erste Band der von der »Gruppe ›Autonomie‹« herausgegebenen Schriftenreihe »Anarchistisch-communistische Bibliothek« (London) erscheinen, in der bis 1893 zehn Bände veröffentlicht werden, davon zwei in einer zweiten Auflage. Es ist dies die erste anarchistische Schriftenreihe deutscher Sprache. Die Zeitung wird noch im selben Jahr nach Österreich eingeschmuggelt und zählt hier zum wichtigsten Organ der sich formierenden anarchistischen Bewegung. Da der Zeitung der Postdebit (Zeitungsvertrieb durch die Post) mit Erkenntnis des Ministeriums des Innern vom 16. November 1886 für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder (also für die österreichische Reichshälfte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie) behördlich entzogen wird, muss sie nach Österreich eingeschmuggelt werden.

  • 14. November 1886 (Sonntag)
    Wien und Vororte: Am 14. November 1886 werden in Ottakring (Niederösterreich [zu Wien 16.]) am Gallitzinberg drei Männer um etwa 12 Uhr von einem Sicherheitswachmann bei Schießübungen mit Revolvern ertappt. Einem der Männer gelingt – unter Zurücklassung eines Krückenstockes – die Flucht, die Tischlergehilfen Josef Kocwarik (1863–?) und Franz Panirek (1861–?) werden festgenommen und auf das Polizeikommissariat in Ottakring gebracht, wo man im Besitz der beiden Festgenommenen eine größere Menge Munition findet. Einige Tage später wird auch der Flüchtige ausgeforscht werden: der Tischlergehilfe Johann Drbal (1862–?). Kurz vor Weihnachten 1886 werden sich die drei Tischlergehilfen vor dem Bezirksgericht Alsergrund (Wien 9.) wegen Übertretung gegen die körperliche Sicherheit und Übertretung des Waffenpatentes verantworten müssen. In Sinne der Anklage werden sie zu je vier Tagen Arrest verurteilt und anschließend, der anarchistischen Propaganda verdächtigt, gemäß Ausnahmsverordnungen vom ►30. Jänner 1884 aus Wien ausgewiesen und in ihre Heimatgemeinden abgeschafft werden.

  • Dezember 1886
    New York City (New York, USA): Im Dezember 1886 gründen in New York City vor allem österreichische Sozialrevolutionäre, Anarchistinnen und Anarchisten den »Radikalen Arbeiterbund«, welcher notleidende Genossinnen und Genossen in Österreich unterstützen und die verbotene Druckschriftenpropaganda in und den Schmuggel der Flugschriften nach Österreich fördern soll. Nach Meinung der österreichischen Polizei diene er nur der Vorbereitung von Aktionen im Rahmen der Propaganda der Tat. (►Jänner 1886)

  • 2. Dezember 1886 (Donnerstag)
    Wien und Vororte: Am 2. Dezember 1886 beschließt der Magistrat Wien die Exhumierung der auf dem Schmelzer Friedhof in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]) beigesetzen so genannten Märzgefallenen von 1848 (14. März 1880) und die Übersiedlung von deren Gebeinen auf den Wiener Zentralfriedhof in Simmering (Niederösterreich [zu Wien 11.]). Dieser Vorschlag wird dem Gemeinderat zur Beratung und Abstimmung vorgelegt. (►13. März 1887 und ►11. August 1888)

  • 6. Dezember 1886 (Monta) und 7. Dezember 1886 (Dienstag)
    Klagenfurt / Celovec [Klagenfurt am Wörthersee / Celovec ob Vrbskem jezeru](Kärnten): Am 6. und 7. Dezember 1886 findet vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Klagenfurt unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen den im Hochverratsprozess vom ►10. Mai 1886 freigesprochenen und am ►18. Juli 1886 neuerlich verhafteten Schuhmachergehilfen Franz Göpfhardt (1857–1942) sowie gegen den Tischlergehilfen Franz Egger (1859–1835) und den Schuhmachergehilfen Johann Kiefer (1847–1903) statt. Es ist dies die erste Verhandlung auf Grundlage des Anarchistengesetzes (►27. Juni 1886) außerhalb Wiens. Franz Göpfhardt wird des Verbrechens des Hochverrats sowie des Verbrechens und Vergehens der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung angeklagt. Franz Egger und Johann Kiefer werden der Teilnahme am Verbrechen des Hochverrats beschuldigt. Im Sinne der Anklage werden Franz Göpfhardt zu zehn Jahren, Franz Egger und Johann Kiefer zu je drei Jahren schwerem Kerker verurteilt, alle Strafen verschärft durch einen Fasttag monatlich. Der für die Entstehung einer anarchistischen Bewegung in Österreich wichtige Franz Göpfhardt wird erst am Sonntag dem 14. April 1895 aus dem Gefängnis Karlau [zu Graz] (Steiermark) entlassen und kurz danach ausgewiesen werden.

  • 11. Dezember 1886 (Samstag)
    Wien und Vororte: Am 11. Dezember 1886 erscheint unter Redaktion des Bildhauers Ludwig Bretschneider (1860–1929) die erste Nummer der Zeitung »Gleichheit. Sozial-demokratisches Wochenblatt« (Wien) als Organ der Gemäßigten, herausgegeben vom Arzt und Journalisten Victor Adler (1852–1918). Victor Adler ist es auch, der sich nun intensiv um eine Vereinigung der radicalen und gemäßigten Arbeiterbewegung in Österreich bemüht. Aus anarchistischer Sicht wird er dabei zum Handlanger der Regierung und der von ihr geschützten Bourgeoisie sowie zum Einkäufer von Arbeiterinnen und Arbeitern: »Dr. Adler, der Herausgeber des Blattes ist ein Bourgeoisökonom und Regierungsfreund, seine Alliirten und Mitarbeiter aber sind – nun, sind k. k. Sozialdemokraten!«12 Und kurz darauf stellen die Autonomisten fest: »in der ›Gleichheit‹ ist ein neuer Anarchistentödter erstanden. Vergebliche Mühe! Je mehr der Anarchismus ›getödtet‹ wird, desto lebendiger wird er!«13 (►31. Dezember 1886)

  • 14. Dezember 1886 (Dienstag)
    Budapest (Ungarn): Die völlige Zerschlagung der kleinen Gruppe der Radicalen Ungarns erfolgt durch die Verhaftung von sechs Genossen am 14. Dezember 1886. (►29. August 1886)

  • 25. Dezember 1886 (Samstag)
    Graz (Steiermark): Am 25. Dezember 1886 findet eine geheime Konferenz radicaler Vertrauensmänner in Graz statt. Aus Linz an der Donau (Oberösterreich) reist der Schuhmachergehilfe Karl Hubmayer (1856–?) an (►12. September 1886), der nun gemeinsam mit dem Schneidergehilfen Johann Risman (1864–1936) zur treibenden Kraft jener radicalen Arbeiterbewegung wird, die zum Anarchismus tendiert.

  • 26. Dezember 1886 (Sonntag)
    Wels (Oberösterreich): Am 26. Dezember 1886 veranstaltet der »Arbeiter-Bildungsverein Wels« in Wels ein Fest. Dieses wird dazu genutzt, dass sich Sozialisten aus Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich zu einer geheimen Konferenz treffen. Hierbei setzen sich die Gemäßigten durch und beschließen die Wiederbegründung der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« auf Basis des Eisenacher Programms, also jenes Programms, mit dem am Sonntag dem 8. August 1869 das Gründungsprogramm der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« Deutschlands beschlossen worden war.

  • 28. Dezember 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Am 28. Dezember 1886 findet vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen die am ►18. und 21. September 1886 verhafteten Sozialrevolutionäre statt. Die Silberarbeitergehilfen Johann Ondříček (1854–?), Josef Paul Schwarz (1857–?) und Otto Steidl (1851–?) werden des Diebstahls und der Mitschuld daran sowie der Münzverfälschung angeklagt. Otto Steidl, der nach eigener Aussage seit 1883 bei den Sozialisten aktiv ist, bestätigt im Prozess die teils vorgenommene, teils beabsichtigte Nutzung des aus der Falschmünzerei erzielten Gewinns für sozialistische Zwecke. Johann Ondříček und Josef Paul Schwarz geben an, nur für sich, nicht jedoch für sozialistische Zwecke gearbeitet zu haben. Sie seien durch den aufgedeckten Fall von Münzverfälschung der Maurergehilfen Karl Müller (1858–?) und Heinrich Hampel (1833–?) sowie dessen Ehefrau Theresia Hampel (1852–?) auf diese Idee gekommen (2. April bis 2. Mai 1884). Alle drei Angeklagten sind großteils geständig. Im Sinne der Anklage werden Otto Steidl zu fünf Jahren, Johann Ondříček und Josef Paul Schwarz zu je drei Jahren schwerem Kerker verurteilt, jeweils verschärft durch einen Fasttag im Monat. Außerdem wird über sie nach Verbüßung der Strafe die Unterstellung unter Polizeiaufsicht verhängt. (►27. Mai 1887)

  • 28. Dezember 1886 (Dienstag)
    Wien und Vororte: Am 28. Dezember 1886, im Anschluss an die oben besprochene Verhandlung, findet vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der Prozess wegen der Verbrechen des Hochverrats und Diebstahls gegen den am Sonntag dem 24. Oktober 1886 verhafteten Bronzearbeitergehilfen Julius Ehinger (1868–?) statt. Er soll eine Stampiglie hochverräterischen Inhalts übernommen sowie Materialien für diese Stampiglie entwendet haben. Die Polizei stellt den 18-jährigen Angeklagten als »einen der thätigsten und verwegensten, weil unbesonnensten Anarchisten« dar. »Wegen seiner rücksichtslosen Befürwortung der Propaganda der That steht er bei den Anarchisten trotz seiner Jugend in einem gewissen Ansehen.«14 So fand man bei ihm zwei Revolver, ein von Julius Ehinger selbst gezeichnetes Porträt des preußischen Sozialisten Ferdinand Lassalle (1825–1864) und Notizbücher, die seine extreme Gesinnung belegten. Vor allem aber entdeckte die Polizei die Stampiglie für jene Druckschrift, die in den letzten Monaten mehrfach ausgestreut worden war. Man ertappte damals (►7. November 1884) zwar den Hersteller dieser Stampiglien, den Tischlergehilfen Josef Barfuß (1863–?) und verhaftete ihn, doch die Streuaktionen gingen weiter, und es wurde eine neue Stampiglie angefertigt: »Nieder mit Staat, Kirche und Capital!« (►7. Juni 1885). Außerdem wurde bei Julius Ehinger ein Holzstück sichergestellt, welches offensichtlich zur Herstellung der Stampiglie diente, sowie Chemikalien, darunter Salpeter- und Schwefelsäure, welche Julius Ehinger nach eigenen Angaben seinem Arbeitgeber in der »I. privilegierten Ledergalanterie- und Metallgalanteriewarenfabrik August Klein« von August Klein Ritter von Ehrenwalten (1824–1890) in Wien 7., Andreasgasse 6, entwendet hatte. Schon bei einer früheren Hausdurchsuchung wurden bei Ehinger ein Rezept für Explosivstoffe, die vom Journalisten Johann Most (1846–1906) herausgegebene Broschüre »Neuestes Proletarier-Lieder-Buch von verschiedenen Arbeiterdichtern«15 sowie mehrere revolutionäre Zeitschriften sichergestellt. Mehrere inhaftierte »Anarchisten«, nämlich der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–?), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvíl (1851–?), der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908), der Silberarbeitergehilfe Otto Steidl (1851–?) und der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–?), bestätigen außerdem die Teilnahme von Julius Ehinger an »anarchistischen« Treffen. Julius Ehinger, der sich vor Gericht als »Anhänger der radicalen Arbeiterpartei« bezeichnet, wird im Sinne der Anklage zur niedrigst möglichen Strafe, nämlich zu drei Jahren schwerem Kerkerm, verurteilt. Julius Ehinger wird später ein bedeutender Anarchist in Österreich werden.

  • 29. Dezember 1886 (Mittwoch)
    Wien und Vororte: Am 29. Dezember 1886 werden in Wien der Bäckergehilfe Franz Hajek (1857–?) und der Perlmutterdrechslergehilfe Karl Markowitsch (1863–?) verhaftet. Bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung von Karl Markowitsch findet sich ein Holzkoffer mit vierzehn Beuteln teils gebrauchter, teils ungebrauchter Lettern, welche für den Druck des Flugblatts »Im August 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder« (14. und 15. August 1886) verwendet worden waren. Karl Markowitsch gibt an, den Holzkoffer von einem ihm unbekannten Arbeiter zur Aufbewahrung übernommen zu haben. Bei Franz Hajek, der seit 1869 in Wien lebt und 1885 in den Ausschuss des »Fachvereins der Bäcker« gewählt worden war, werden im Zuge einer Leibesvisitation sechs Exemplare der Zeitschrift »Die Autonomie« (London) gefunden. Franz Hajek und Karl Markowitsch werden sich am ►3. Mai 1887 vor Gericht verantworten müssen.

  • 31. Dezember 1886 (Freitag)
    Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich): Vororte: Am 31. Dezember 1886 verstirbt mit fünfundzwanzig Jahren der Miedermachergehilfe Friedrich Schreiblechner (1861–1886) im Gefängnis Stein an Lungentuberkulose, unmittelbar vor der für Sonntag den 2. Jänner 1887 vorgesehenen Entlassung. Friedrich Schreiblechner war im Wiener Hochverratsprozess vom ►28. und 29. November 1884 zu drei Jahren schwerem Kerker verurteilt worden.

  • 31. Dezember 1886 (Freitag)
    Wien und Vororte: Am 31. Dezember 1886 erhält der Landesgerichtsrat Ferdinand Holzinger Ritter von Janaburg (1836–1901), der in vielen Sozialistenprozessen als Vorsitzender fungierte, von Anarchisten aus London (England) Neujahrsgrüße zugesandt, in welchen ihm auch gedroht wird, etwa, dass der Krug so lange zum Brunnen gehe, bis er breche. Er ist nicht der Einzige, der einen derartigen Brief erhält. (►3. Jänner 1887)

  • 31. Dezember 1886 (Freitag)
    Wien und Vororte: Am 31. Dezember 1886 treffen sich Vertrauensmänner der Gemäßigten aus dem Umfeld des Arztes und Journalisten Victor Adler (1852–1918) und der Radicalen im Gasthaus »zum braunen Hirschen« (Franz Maul) in Wien 8., Kochgasse 9. Dieses Treffen ist die endgültige Weichenstellung Richtung so genanntem Einigungsparteitag von Hainfeld (Niederösterreich) zur Jahreswende 1888/1889 (►30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889). Es markiert aber auch jenen Punkt, an welchem zum Anarchismus tendierende Radicale erkennen, dass eine anarchistische Bewegung nur außerhalb der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« als eine selbstständige, autonome möglich sei. Einer, der an diesem folgenreichen Treffen teilnimmt, ist der erst seit einem Jahr in der Arbeiterbewegung tätige Bäckergehilfe August Krčal (1860–1894), der sich sechseinhalb Jahre später erinnern wird: »Nachdem aus der verfolgten und aufgeriebenen radicalen Partei ein gesunder Kern sich herauszuschälen begann und die Partei im allmählichen Aufwärtssteigen begriffen, war jetzt die Regierung darauf bedacht, eine veränderte Position gegenüber der Arbeiterbewegung einzunehmen. Es galt ihr weniger [32] mit roher Gewalt, als mit anderen, schlaueren Mitteln, den gefährlichen Charakter der radicalen Bewegung zu ertödten; sie fand es für gut, auf eine Weile ›Toleranz‹ zu üben. Die Bewegung völlig auszurotten gieng nicht, das sah die Regierung ein und hätte auch keine guten Früchte getragen. Es stand bei ihr also fest, eine Arbeiterbewegung müsse bestehen; und das war klar: womit sollten sich die Arbeiter im gegentheiligen Falle auch beschäftigen? Aber diese musste so beschaffen sein, dass sie sich voll und ganz auf dem Boden des Gesetzes bewegt und zu jeder Zelt controlierbar ist. Mit welchen Dingen sie sich dann zu beschäftigen haben wird, dafür sorgt schon sie, die Regierung. So sann Graf Taaffe nach einem entsprechenden Mittel, so lange – bis er es fand: ›Die Fusion der gemäßigten und radicalen Partei in eine Mittelpartei – das wäre nicht schlecht‹. Diese Idee sollte zur Ausführung kommen. Nun galt es also, eine Person aus der Arbeiterpartei zu finden, welche auf beiden Seiten der Partei Vertrauen genoss und gedachte Fusion zu Stande bringt. Diese Person wurde in dem ehemaligen Radicalen, Leo Walecka gefunden und – zur Audienz des Grafen Taaffe beschieden. Der Plan wurde Walecka unterbreitet mit der Versicherung, falls man in die Gründung einer Mittelpartei mit einem vermittelnden Programm einwilligt, die Regierung eine solche in der Entwicklung nicht hemmen wird; selbstverständlich müsste sie jeder Ungesetzlichkeit entsagen.
    Allein Walecka – so war seine Erklärung den Vertrauenspersonen gegenüber – erklärte sich von jeder Thätigkeit zurückzuziehen und will somit damit nichts zu thun haben. Ob seine Erklärung auf Wahrheit beruhte, ist allerdings fraglich, denn der Umstand, dass Walecka sich in Kreisen bewegte, die nichts weniger als Freunde der radicalen Partei zu betrachten waren, lässt uns daran sehr zweifeln. Indessen, die Führer der Gemäßigten griffen die Idee auf und suchten Annäherung an die Radicalen. Walecka, der auf beiden Seiten, wie schon gesagt, ziemliches Vertrauen genoss, trug das Seine dazu bei, dass eine gemeinschaftliche Vertrauensversammlung stattfand, um die Idee, eine Mittelpartei zu gründen, zur Sprache zu bringen. Diese Versammlung, in welcher wir zum ersten Male Dr. Victor Adler kennen zu lernen die Gelegenheit hatten (ohne zu ahnen, welcher ›Messias‹ den Arbeitern in ihm entsteht), fand zu Ende des Jahres 1886 in Maul’s Restauration in der Josefstadt statt, wo fast acht Stunden die Frage erörtert wurde. Mit Aufgebot aller Kräfte suchte Dr. Adler die Versöhnung herbeizuführen zu dem gedachten Zwecke, um eine Mittelpartei zu Stande zu bringen; er spielte den ›Mittelparteimann‹. ›Ich geb’ nicht Euch und diesen auch nicht Recht, Ihr müsst ein bischen nachgeben und Ihr, Radicale, auch und wir werden eine geeinigte Partei haben.‹ Das war der Sinn seiner Reden. (In ihm ist ein tüchtiger Handelsmann verloren gegangen, schade!) Allein nach einer heftig geführten Discussion, wobei die Radicalen die gräfliche Idee verwarfen, gieng die Versammlung resultatlos auseinander.
    Aber ›Mr.‹ Adler wollte nicht immer deutsch-nationaler Parteiführer sein – dieser Partei hatte er nämlich bis dahin angehört, zu dessen intimen Freunden der Abgeordnete Pernerstorfer und Andere zählten – sondern es einmal versuchen, socialdemokratischer ›Heerschauer‹ à la Bebel oder Liebknecht zu werden. Seine Vermögensverhältnisse hatten es ihm gestattet, selbst auf dem Boden der Arbeiterbewegung seine Capriolen zu treiben. Die socialdemokratischen Führer – das war eigentlich zur Hälfte die Partei – ungefähr ein halbes Dutzend, hatte er bald auf seiner Seite; für Geld ist bekanntlich viel, sehr viel zu haben – auch socialdemokratische Führer, und so ward auch Dr. Adler bald ihr [33] lieb’ Kind, sie die Führer, seine Freunde. Mit den Radicalen war bis dahin nichts zu machen, also ging Dr. Adler mit seinen Ergebenen daran, ein ›Arbeiterblatt‹ zu gründen.
    Am 11. December 1886 erschien unter dem Titel ›Gleichheit‹, ›socialdemokratische Wochenschrift‹, die Probenummer mit den Hauptprogrammpunkten, ›offene Organisation als politische Partei; Kampf für politische Freiheit, für das Recht auf freie, unbeschränkte Meinungsäußerung etc.‹ Wie man sieht, entsprach da Dr. Adler mit Programm und Blatt der Socialdemokratie vollkommen, nach diesem sollte die österreichische Arbeiterpartei organisiert werden.
    Doch Adler war ein schlauer, berechnender Politiker, wie keiner seiner Vorgänger, die nach Ansehen und Ruhm geizten. Er wusste von seinem Standpunkte die Situation zu erfassen, er sah, wenn das Blatt sich in die Massen Eingang verschaffen soll, müsse man sich einer kräftigeren und interessanteren Sprache bedienen. Freilich, die Anarchisten konnten dessenungeachtet bei Wahrung der Ehrlichkeit nicht r’einfallen, da ihnen ja das Programm genug besagte. Immerhin, Adler setzte sich mit den fähigsten Elementen der Socialdemokratie aller Länder in Verbindung, welche für hohe Honorare – Adler konnte das thun! – gut geschriebene Situationsberichte für die ›Gleichheit ‹ schrieben; natürlich wurde wohlweislich alles vermieden, was geeignet war, in radicalen Kreisen Anstoß zu erregen. Das Blatt gestaltete sich in Folge dessen interessant und nachdem kein anderes, besseres Organ in dieser Zeit existierte, so las man eben dieses, obgleich radicalerseits die Escamoteurpolitik16 durchschaut wurde.
    Die Radicalen selbst konnten ein entsprechendes Blatt nicht gründen, weil sie wussten, dass es die Regierung einfach unterdrückt hätte. Die Situation der Radicalen gestaltete sich immer schlimmer, da die Adleriten mit ihrem Organe denselben den Wind zusehends aus den Segeln nahmen. Die Einen fanden, dass ja die früheren Blätter auch nicht besser schrieben und schlossen sich den Adleriten an; die Andern, wissend, dass diese ›Mittelpartei‹ nicht der Verfolgung ausgesetzt sei – schloss sich aus Furcht an. So blieb den radicalen Vertrauenspersonen Julius Popp, Rudolf Pokorny, August Krčal, Josef Tikal, Anton Kreutzer, Josef Temke und andern nichts anderes übrig, als den Adleriten auf ihren eigenen Boden zu folgen. Diese besaßen den politischen Verein ›Wahrheit‹, wo sie ihre Discussionen regelmäßig abhielten und an denen jetzt auch die Radicalen teilnahmen.
    Allein die Verhältnisse und schwache Menschen sollten vollends Rache nehmen an der Partei der Radicalen.«17

 

Bücher und Broschüren im Kontext anarchistischer Bewegungen in Österreich
Auswahl für das Jahr 1886

  • [Anonym]: An die Hungrigen und Nackten! [London]: [Druckerei der Zeitung »Der Rebell«] [1886], 8 S. Diese Schrift wird bisweilen fälschlich Mina Kanewi (1860–1952) zugeschrieben. Laut Polizei-Direktion Wien wurde die Schrift vom Schriftsetzer Emil Werner (1846–?) verfasst. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 15. März 1886 in Österreich verboten.

  • [Anonym]: Victor Dave’s Thätigkeit in der Arbeiter-Bewegung; siehe: Peukert, Josef

  • [Anonym]: Vorwärts! Eine Sammlung von Gedichten für das arbeitende Volk. Zürich: Verlag der Volksbuchhandlung in Hottingen 1886, IX, 481 S. Herausgeber: »R. L.«, Rudolf Lavant, d. i. Richard Carl Cramer (1844–1915). Sozialdemokratische, aber auch in radicalen, sozialrevolutionären und anarchistischen Kreisen rezipierte Gedichtanthologie, die zum Teil damals nur mehr schwer zugängliche Lyrik enthält, neben anonymen Texten unter anderem Texte von Jakob Audorf (1834–1898), Pierre-Jean de Béranger (1780–1857), Friedrich von Bodenstedt (1819–1892), Ferdinand Freiligrath (1810–1876), Franz von Gaudy (1800–1840), Adolf Glaßbrenner (1810–1876), Wilhelm Hauff (1802–1827), Heinrich Heine (1797–1856), Georg Herwegh (1817–1875), Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), Victor Hugo (1802–1885), Friedrich Krasser (1818–1893), Ferdinand Lassalle (1825–1864), Nikolaus Lenau (1802–1850), Alfred Meißner (1821–1885) und Andreas Scheu (1844–1929). Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 12. Mai 1887 in Österreich verboten.

  • Anonymus Veritas; siehe: Most, Johann

  • Ž., Matthey Dr. [d. i. Arthur Arnould] (1833–1895): Černý bod. Román z pražského života. Dle Mattheye Dr. Ž. Přiloha »Národních listů«. V Praze [Praha]: Tiskem a nákladem »Národních listů« 1886, 353 S. Zur Fortsetzung siehe: Pan zeť. Original: Le Point noir. Paris 1885. Tschechisch: Der schwarze Punkt. Roman aus dem Prager Leben. Von Matthäus Dr. Ž. Beilage zu den »Nationalen Blättern«.

  • Ž., Matthey Dr. [d. i. Arthur Arnould] (1833–1895): Pan zeť. Román z pražského života. Pokračování románu »Černý bod«. Dle Mattheye Dr. Ž. Přiloha »Národních listů«. V Praze [Praha]: Tiskem a nákladem »Národních listů«1886, 302 S. Fortsetzung von: Černý bod. Original: Un gendre. Paris 1885. Tschechisch: Herr Schwiegersohn. Roman aus dem Prager Leben. Fortsetzung des Romans »Der schwarze Punkt«. Von Matthäus Dr. Ž. Beilage zu den »Nationalen Blättern«.

  • Brophy, John; siehe: Krasser, Friedrich

  • Haufe, Ewald (1854–1839): Briefe an eine Mutter. Von Dr. Ewald Haufe. Waldshut: Kommissions-Verlag von H. Zimmermann 1886, 194 S.

  • Hertzka, Theodor (1845–1924): Die Gesetze der sozialen Entwickelung. Von Theodor Hertzka. Leipzig: Verlag von Duncker & Humblot 1886, XVIII, 300 S.

  • Krapotkin, Peter; siehe: Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch Fürst

  • Krasser, Hermann; siehe: Krasser, Friedrich

  • Krasser, Hermann [d. i. Friedrich Krasser] (1818–1893): Anti-Syllabus von Dr. Hermann Krasser. Hottingen – Zürich: Verlag der Volksbuchhandlung [1886], 4 S. Zuerst Braunschweig [1870].

  • Krasser, Hermann [d. i. Friedrich Krasser] (1818–1893): Anti-Syllabus von Dr. Hermann Krasser. [Hottingen – Zürich]: [Verlag der Volksbuchhandlung] [1886], 7 S.

  • Krasser, Hermann [d. i. Friedrich Krasser] (1818–1893) / [John Brophy]: Anti-syllabus and Tom Strang killed. Two thrilling facts for wage-slaves. – Anti-syllabus, adapted from Dr. Herman Krasser by Lily Curry. – [John Brophy]: Tom Strang killed. (Reprinted from John Swinton’s paper.) New York: Julius Bordollo and company 1886 (= Labor library. 1.), 12 S. Koautor: John Donnelly Brophy; Übersetzerin: Lily Curry. Englisch: Anti-Syllabus und Tom Strang ermordet. Zwei spannende Fakten für Lohnsklaven. – Anti-Syllabus adaptiert von Dr. Herman Krasser durch Lily Curry. –Tom Strang ermordet. (Abgedruckt aus den John Swinton-Papieren.).

  • Krasser, Friedrich (1818–1893): Ceterum censeo von Dr. Friedrich Krasser. Hottingen – Zürich: Verlag der Volksbuchhandlung [1886], 8 S. Zuerst [Ohne Ortsangabe] [1870].

  • Krapotkin, Peter [d. i. Pjotr Alexejewitsch Kropotkin ‹Пётр Алексеевич Кропоткин›] (1842–1921): Gesetz und Autorität. Von Peter Krapotkin. Herausgegeben in deutscher Uebersetzung von der Gruppe »Autonomie«, London. London: The International Publishing Company (H. Seymour), 35, Newington Green Road 1886, 31 S. Die Broschüre stammt aus dem Umfeld der Zeitung »Die Autonomie« (London). Original: La Loi et l’autorité, in: Le Révolté (Genève) vom 31. Mai bis 19. August 1882, als Broschüre Genève 1882. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 23. November 1886 in Österreich verboten.

  • Anonymus Veritas [d. i. Johann Most] (1846–1906): Acht Jahre hinter Schloß und Riegel. Skizzen aus dem Leben Johann Most’s. Von Anonymus Veritas. New York: [Selbstverlag des Verfassers] 1886, 80 S. Berichtet über seine Jahre in Österreich 1868 bis 1871, Seite 13–32, den er (ausgenommen die Seiten 24–27 und – neu erzählt – 27–28) in den beiden ersten Bänden seiner »Memoiren« wiederveröffentlichte.

  • Most, Jan; siehe: Most, Johann

  • Most, Jan [d. i. Johann Most] (1846–1906): Bohomor a náboženská nákaza. V Chicagu [Chicago]: Nákladem České skupiny Mezinárodní Dělnické Jednoty 1886 (= Epištoly revoluce. 2.), 25 S. Original: Die Gottes-Pest und die Religions-Seuche. [New York 1883]. Tschechisch: Die Gottespest und die Religionsseuche. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Olmütz vom 2. September 1892 in Österreich verboten.

  • [Peukert, Josef (1855–1910)]: Victor Dave’s Thätigkeit in der Arbeiter-Bewegung. Trau, schau, wem! oder: Ein Erzgauner. [Gezeichnet] Im Namen einer grossen Anzahl in London lebender Anarchisten. A[ugust] Reeder, R. Walhausen. J. Novotny [d. i. Jakob Novotný], F. Kirchhoff, R. Lieske [recte Karl Lieske], H. Heinrich [recte Hubert Heinrichs]. [London]: [Gruppe »Autonomie«] [1886], 16 S. Die anonym erschienene Schrift, Victor Dave (1845–1922) betreffend, wurde allein von Josef Peukert verfasst.

  • Ž., Matthey Dr.; siehe: Arnould, Arthur


Verbotene Flugblätter
Auswahl aus dem Jahr 1886

  • [Anonym]: Aufruf an die Arbeiter. [London]: [Druckerei der Zeitung »Der Rebell«] [1886], Flugblatt. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 7. August 1886 in Österreich verboten.

  • [Anonym]: Im August 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder. [Wien]: [ohne Druckerangabe] 1886, Flugblatt. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 17. August 1886 in Österreich verboten.

 

Für die radicale Arbeiterbewegung in Österreich wichtige Zeitungen und Zeitschriften
Auswahl für das Jahr 1886


Autor: Reinhard Müller
Version: November 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
Copyleft

Daten
bis
31. Dezember 1886
von
1. Januar 1886
  • 1

    August Krčal (1860–1894): Zur Geschichte der Arbeiter-Bewegung Österreichs. 1867–1892. Eine kritische Darlegung. Graz: Selbstverlag des Verfassers 1893, S. 31.

  • 2

    Zitiert nach [anonym]: [Arbeiter-Meeting.], in: Neue Freie Presse [/] Abendblatt (Wien) [23]. Jg., Nr. 7677 (11. Jänner 1886), S. 2.

  • 3

    Vgl. Ferdinand Siegmund (1829–1902): Die Wunder der Physik und Chemie. Für Leser aller Stände gemeinfaßlich bearbeitet von Ferdinand Siegmund. Mit 100 Illustrationen« (Wien – Pest [Budapest] – Leipzig: A. Hartleben’s Verlag 1880, VIII, 960 S.

  • 4

    Vgl. [anonym]: An die Hungrigen und Nackten! [London]: [Druckerei der Zeitung »Der Rebell«] [1886], 8 S. Diese Schrift wird bisweilen fälschlich Mina Kanewi (1860–1952) zugeschrieben. Laut Polizei-Direktion Wien wurde die Schrift vom Schriftsetzer Emil Werner (1846–?) verfasst. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wird mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 15. März 1886 in Österreich verboten.

  • 5

    Vgl. [anonym]: Resolution, in  Ludwig Brügel (1866–1942): Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. Dritter Band: Parteihader. Propaganda der Tat. Einigung. (1878 bis 1889). Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1922, S. 368–369.

  • 6

    Vgl. Gesetz vom 25. Juni 1886, womit Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, welchen anarchistische Bestrebungen zu Grunde liegen, erlassen werden, in: Reichsgesetzblatt für die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder (Wien), Nr. 98, unterzeichnet von Franz Joseph I. (1830–1916), Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen, König von Kroatien-Slawonien und Dalmatien und Erzherzog von Österreich, von Eduard Graf Taaffe (1833–1895), von 1869 bis 1870 und 1870 bis 1893 Ministerpräsident, und von Alois von Pražák (1820–1901), von 1881 bis 1888 k. k. Justizminister.

  • 7

    Vgl. [anonym]: Aufruf an die Arbeiter. [London]: [Druckerei der Zeitung »Der Rebell«] [1886], Flugblatt. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wird mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 7. August 1886 in Österreich verboten.

  • 8

    Vgl. [anonym]: Im August 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder. [Wien]: [ohne Druckerangabe] 1886, Flugblatt. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wird mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 17. August 1886 in Österreich verboten.

  • 9

    Zitiert nach Steiermärkisches Landesarchiv, 5 Ver-1333/1886, Akt 2575/1886.

  • 10

    Vgl. [Peukert, Josef (1855–1910)]: Victor Dave’s Thätigkeit in der Arbeiter-Bewegung. Trau, schau, wem! oder: Ein Erzgauner. [Gezeichnet] Im Namen einer grossen Anzahl in London lebender Anarchisten. A[ugust] Reeder, R. Walhausen. J. Novotny [d. i. Jakob Novotný], F. Kirchhoff, R. Lieske [recte Karl Lieske], H. Heinrich [recte Hubert Heinrichs]. [London]: [Gruppe »Autonomie«] [1886], 16 S. Die anonym erschienene Schrift gegen Victor Dave (1845–1922) wurde allein von Josef Peukert verfasst.

  • 11

    Vgl. Peter Krapotkin [d. i. Pjotr Alexejewitsch Kropotkin ‹Пётр Алексеевич Кропоткин›] (1842–1921): Gesetz und Autorität. Von Peter Krapotkin. Herausgegeben in deutscher Uebersetzung von der Gruppe »Autonomie«, London. London: The International Publishing Company (H. Seymour), 35, Newington Green Road 1886, 31 S. Die Broschüre ist Ende Dezember 1886 fast vollständig vergriffen. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wird mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 23. November 1886 in Österreich verboten.

  • 12

    [Anonym]: Sozialpolitische Rundschau. [/] Oesterreich-Ungarn, in: Die Autonomie (London), 2. Jg., Nr. 5 (1. Jänner 1887), S. 3.

  • 13

    [Anonym]: Sozialpolitische Rundschau. [/] Oesterreich-Ungarn, in: Die Autonomie (London), 2. Jg., Nr. 6 (15. Jänner 1887), S. 3.

  • 14

    Zitiert nach [anonym]: Aus dem Gerichtssaale. [/] Zwei Anarchisten-Processe, in: Die Presse (Wien), 39. Jg., Nr. 358 (29. Dezember 1886), S. 11–12, hier S. 12.

  • 15

    Vgl. Neuestes Proletarier-Lieder-Buch von verschiedenen Arbeiterdichtern. Gesammelt von Johann Most. Chemnitz: Genossenschafts-Buchdruckerei [1872], 88 S. Das von Johann Most (1846–1906) herausgegebene Liederbuch erschien in jeweils verbesserter Auflage bis zur vierten Auflage 1873.

  • 16

    Escamoteur: aus dem Französischen »escamoteur« entlehntes Wort, das soviel wie Taschenspieler, Bauernfänger, listiger Dieb bedeutet.

  • 17

    August Krčal (1860–1894): Zur Geschichte der Arbeiter-Bewegung Österreichs. 1867–1892. Eine kritische Darlegung. Graz: Selbstverlag des Verfassers 1893, S. 31–33.