Stefan Buelacher (1858–1908)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Ehe: mit Theresia [?]
Kinder: zwei
Biographie
Stefan Buelacher absolvierte eine Vergolderlehre und arbeitete als Bronzearbeitergehilfe in Wien, wo er sich 1880 dem sozialrevolutionären Flügel der radicalen Arbeiterbewegung anschloss.
Die Merstallinger-Affäre. Juli 1882
Stefan Buelacher gehörte seit etwa 1881 dem geheimen Club »Nummer VII« an, zu dessen Mitgliedern auch die Tischlergehilfen Josef Engel (~1858–?), Heinrich Hotze (1851–1891), Franz Pfleger (1831–1884) und Theodor Wagner (1858–?) sowie der Metallgießer Josef Winter (1840–?) zählten. Für den geplanten Raubüberfall zwecks Beschaffung von Geldern für die sozialrevolutionäre Propaganda wurde allerdings ein eigener geheimer Club gegründet, dem Stefan Buelecher nicht angehörte. Am 4. Juli 1882, um etwa 12 Uhr 15, überfielen Josef Engel und Franz Pfleger den Schuhwarenfabrikanten Josef Merstallinger (~1832–?) in Wien 7., Zieglergasse 8. Im Zuge dieser so genannten Merstallinger-Affäre, der ersten sozialrevolutionären Aktion der Wiener Radicalen, wurde am 20. November 1882 auch Stefan Buelacher festgenommen.
Vom 8. bis 21. März 1883 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Wien der Prozess anlässlich der so genannten Merstallinger-Affäre statt, der von der Staatsanwaltschaft als großer Schau- und Hochverratsprozess gegen die Wiener Radicalen angelegt wurde.1 Vor Gericht standen neunundzwanzig Personen, darunter Stefan Buelacher, angeklagt der Verbrechen des Hochverrats und der Vorschubleistung. Lediglich das Raubattentat führte zu Verurteilungen: Josef Engel und Franz Pfleger, welche die Schuld mehr oder weniger auf sich nahmen, wurden wegen Raubs zu je fünfzehn Jahren schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag monatlich, der Tischlermeister Wilhelm Bernt (1841–?), der während der polizeilichen Einvernahmen umfangreiche und teils die Mitangeklagten belastende Aussagen getätigt hatte, wurde wegen Teilnahme am Raub zu zwei Jahren schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag monatlich, verurteilt. Die sechsundzwanzig anderen Angeklagten wurden gänzlich freigesprochen.
Die Linke-Affäre. März 1886
Im März 1886 versuchte eine Gruppe von Sozialrevolutionären zwecks Geldbeschaffung einen Überfall vorzunehmen. Stefan Buelacher schlug vor, den Versetzer und Hauseigentümer Ferdinand Linke (1831–1898) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Pfarrgasse 17 [Einwanggasse], entweder durch Bedrohung mit Dolchen oder durch Chloroformierung seines Bargelds und seiner Wertpapiere zu berauben. Stefan Buelacher stellte zu diesem Zweck nach dem Buch »Die Wunder der Physik und Chemie« von Ferdinand Siegmund (1829–1902)3 Chloroform her. Die beteiligten Genossen, der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?), glaubten nämlich, dass Buelacher dies als Beteiligter der so genannten Merstallinger-Affäre vom 4. Juli 1882 könne. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, in das Haus von Ferdinand Linke zu gelangen, gaben die Sozialrevolutionäre ihren Plan auf.
Die zweite Brandleger-Affäre. Oktober 1886
Am 20. September 1886 traf sich in Obermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) nahe der Maria-Theresien-Brücke [Augartenbrücke], Wien 2. und 9., eine Gruppe Wiener Sozialrevolutionäre erstmals zu einer geheimen Zusammenkunft: Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, der Drechsler- und Wagnergehilfe Franz Koči (1855–1913), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Seidenzeugmacher Johann Wanek (~1851–?) und Johann Wawrunek. Franz Koči und Friedrich Kratochvil entwickelten einen Plan, in Wien und Umgebung mehrere Holzlagerplätze in Brand zu stecken. In den nächsten Wochen fanden mehrere Treffen bei der Maria-Theresien-Brücke sowie beim Wasserreservoir auf der Schmelz statt, und sie fertigten vierzehn Brandflaschen an. Am 27. September 1886 wurden die vier Gruppen für die Brandanschläge eingeteilt. Zunächst dachte man an einen Wochentag, doch Franz Koči und Friedrich Kratochvil setzten einen Sonntag als Attentatstermin durch, damit man mehr Aufsehen errege. So bestimmte man Sonntag den 3. Oktober 1886 als Attentatstag.
Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheiterte die zweite so genannte Brandleger-Affäre. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 sollten gleichzeitig Brandanschläge in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hietzing (Niederösterreich [zu Wien 13.]) und Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]) ausgeführt werden. Dazu wurden vier Gruppen gebildet, und zwar aus dem Kreis der zwölf Verschwörer: Stefan Buelacher, der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Franz Koči, der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), Friedrich Kratochvil, der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), welcher sich allerdings später als unschuldig herausstellte, (1851–1897), der Drechslergehilfe Josef Stieber (~1860–?), Johann Wanek und Johann Wawrunek.
Verfolgung durch die Behörden. Oktober 1886
Die Behörden gingen mit ihren Kenntnissen über diese zweite so genannte Brandleger-Affäre erst am 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit, und in den Zeitungen wurde nun ausführlich von einem so genannten Anarchisten-Komplott berichtet. Schon länger hatte die Polizei eine Gruppe von etwa zwanzig Arbeitern, die sich jeden Sonntag im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße], traf, beobachtet. Nun holte die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 konnten acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche folgten weitere sieben. Im Zusammenhang mit der zweiten so genannten Brandleger-Affäre wurden Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek verhaftet. Lediglich Franz Koči und Johann Wanek gelang die Flucht in die USA. Wegen der so genannten Linke-Affäre wurde gegen die auch wegen der zweiten so genannten Brandleger-Affäre verhafteten Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari und Johann Wawrunek ermittelt. Dies galt auch für die in die so genannte Dynamit-Affäre vom Februar 1886 involvierten Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek.
Der Anarchisten-Prozess. März 1887
Vom 21. bis 28. März 1887 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen die im Oktober 1886 verhafteten Sozialrevolutionäre statt. Verhandelt wurden die zweite so genannte Brandleger-Affäre vom 3. und 4. Oktober 1886, die so genannte Trostler-Affäre vom April 1886, die so genannte Linke-Affäre vom März 1886, die so genannte Dynamit-Affäre vom Februar 1886, die so genannte Tyll-Affäre vom 3. August 1885 und die so genannte Reich-Affäre vom 18. Juni 1885. Der Prozess sollte ursprünglich in geheimer Verhandlung stattfinden, da aber jeder der fünfzehn Angeklagten drei Vertrauensmänner bestimmen konnte, wäre der geheime Charakter ohnedies hinfällig, so dass man sich zu einer öffentlichen Verhandlung entschloss. Lediglich in der Verhandlung vom 25. März 1887 wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Angeklagt wurden Stefan Buelacher, der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), der Schneidergehilfe Albert Friedmann (1866–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1863–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), der Fleischausträger Heinrich Rischawy (1858–1942), der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908), der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Drechslergehilfe Josef Stieber (~1860–?), der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?) und der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–1906). Angeklagt wurden des Verbrechens der Brandlegung Heinrich Höfermayer, Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla, des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek, der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek, des Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Betrugs Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer, Johann Hospodský, Franz Schustaczek und Karl Schwehla, des Verbrechens des versuchten Diebstahls Leopold Kaspari, Heinrich Rischawy, Johann Wawrunek und Thomas Zoppoth sowie des Verbrechens der versuchten Verleitung zum Raub Stefan Buelacher. Außer Stefan Buelacher und Josef Stieber sowie dem später freigesprochenen Josef Buzek legten alle Angeklagten mehr oder weniger umfangreiche Geständnisse ab, belasteten aber einander auch stark. Die Anklage gegen Stefan Müller zog der Staatsanwalt am 25. März 1887 zurück; er wurde freigesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Dieser Prozess war übrigens der letzte von Staatsanwalt Karl von Pelser-Fürnberg (1838–1917), der am 14. März 1887 mit Wirksamkeit vom 1. April 1887 zum Rat am Oberlandesgericht ernannt worden war.
Verurteilt wurden wegen Brandlegung als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger sowie wegen des Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes Friedrich Kratochvil zu zwanzig Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Leopold Kaspari zu sechzehn Jahren, wegen Brandlegung als unmittelbar Täter und Mitschuldiger sowie wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Heinrich Höfermayer und Karl Schwehla zu je fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Johann Wawrunek zu fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung und versuchter Verleitung zum Raub Stefan Buelacher zu zwölf Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung Josef Stieber zu neun und Gustav Kopetzky zu acht Jahren, wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Franz Schustaczek zu sechs und Johann Hospodský zu fünf Jahren, wegen Betrugs als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger Albert Friedmann zu sechs Jahren, wegen versuchten Diebstahls Thomas Zoppoth zu einem Jahr und Heinrich Rischawy zu sechs Monaten schwerem Kerker, bei allen verschärft mit einem Fasttag im Monat, bei Friedrich Kratochvil zusätzlich durch Dunkelhaft an jedem 3. Oktober des Jahres. Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek wurden außerdem nach Verbüßung der Strafe für immer aus Niederösterreich ausgewiesen, alle anderen Verurteilten nach überstandener Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Josef Buzek, der sich auch nach Aussagen aller Verurteilten von vornherein gegen die Brandlegung ausgesprochen habe, wurde freigesprochen. Insgesamt wurden in diesem Prozess hundertachtundzwanzig Jahre und sechs Monate Haft verhängt. Mit Ausnahme von Johann Hospodský legten alle Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung ein.
Das Revisionsverfahren. August 1887
Am 25. und 26. August 1887 fand vor dem Kassationshof in Wien die Revisionsverhandlung der Verurteilten im so genannten Anarchisten-Prozess vom März 1887 statt. Der Nichtigkeitsbeschwerde von Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Franz Schustaczek, Josef Stieber und Johann Wawrunek wegen der so genannten zweiten Brandleger-Affäre wurde dahingehend teilweise stattgegeben, dass die Brandlegung auf dem Holzplatz des Karl Johann Scholtes jun. nicht nach dem Strafsatz des § 167 lit. d (Wiederholung), sondern nach § 167 lit. f zu erfolgen habe; dies habe auch auf die Urteile gegen Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla Auswirkung, welche diesbezüglich keine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hatten. Die Nichtigkeitsbeschwerde von Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer und Franz Schustaczek in der so genannten Tyll-Affäre wurde dahingehend anerkannt, dass es sich nicht um vollbrachten, sondern versuchten Betrug handle; dies habe auch auf die Urteile gegen Johann Hospodský und Karl Schwehla Einfluss, welche diesbezüglich keine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hatten. Eine Änderung des Strafmaßes sei aber durch diese Erkenntnisse nicht bewirkt. Die anderen eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerden wurden zurückgewiesen. Über die Berufungen solle der Oberste Gerichtshof entscheiden.
Das Leben nach der Haft. 1897 bis 1908
Stefan Buelacher wurde am 31. Dezember 1897 aus dem Gefängnis Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich) entlassen und für drei Jahre unter Polizeiaufsicht gestellt. Er schloss sich nun der Sozialdemokratie an und wurde als Bote bei der »Allgemeinen Arbeiterkasse« in Wien angestellt. Dennoch wurde er 1899 verhaftet, weil er sich nicht zeitgerecht bei der Polizei gemeldet hatte. Er musste sich deshalb vor dem Bezirksgericht wegen Vagabundage verantworten, doch sprach ihn der Richter frei. Nach Berufung des Staatsanwalts wurde Buelacher am 6. September 1899 vom Landesgericht Wien zu vierundzwanzig Stunden strengem Arrest verurteilt. Stefan Buelacher starb im Wilhelminenspital [Klinik Ottakring], Wien 16., Montleartstraße 37, am 25. November 1908.
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Adresse
- Wilhelminenspital [Klinik Ottakring], Wien 16., Montleartstraße 37 (Sterbeadresse)
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Autor: Reinhard Müller
Version: April 2025
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Vgl. [anonym]: Der Hochverraths-Proceß und die Affaire Merstallinger gegen Engel, Pfleger, Berndt, Sommer, Schmidt, Gröbner, Spiegel, Krondorfer, Winter, Masur, Motz, Kompoß, Würges, Wagner, Weich, Spahl, Wetz, Buelacher, Treibenreif, Peukert, Kotidek, Stiaßny, Führer, Gams, Kreps, Schenk, Wordak, Heitzer und Hotze. Verhandelt vor dem k. k. Schwurgericht Wien, vom 8.–21. März 1883. Nach den stenographischen Berichten bearbeitet und wahrheitsgetreu wiedergegeben. Herausgegeben von Josef Müller. VII. Bezirk, Gumpendorferstraße 78. Wien: Im Selbstverlage des Herausgebers 1883, 238 S. Herausgeber: Josef Müller (1839–1891).