Münzverfälschungs-Affäre 1886

Daten
Zeitraum
Dezember 1885–18. September 1886
Beschreibung

Zeit: Dezember 1885 bis 18. September 1886
Ort: Wien 8., Blindengasse 16
Beteiligte: Silberarbeitergehilfe Johann Ondriczek (~1854–?), Silberarbeitergehilfe Josef Paul Schwarz (1857–?), Silberarbeitergehilfe Otto Steidl (~1851–?)
fälschlich Verdächtigter: Bildhauergehilfe Nikolaus Liegel
Opfer: Silberwarenfabrikant Vinzenz Czokally (1838–1922)
Denunziant: Ziseleur Wilhelm Bachzelt

Eine Vorgeschichte

Am 10. Jänner 1884 wurde Theresia Hampel (1852–?) am Marktplatz in Neulerchenfeld (Niederösterreich [zu Wien 16.]), Brunnengasse, ertappt, wie sie mit einem gefälschten Silbergulden ihre um 3 Kreuzer gekauften Erdäpfel bezahlen wollte. Sie hatte schon in den beiden letzten Wochen kleine Einkäufe getätigt und jedesmal mit einem, wie sich nun herausstellte, gefälschten Silbergulden bezahlt. Bei der Hausdurchsuchung fand man in der Wohnung von Theresia Hampel und ihrem Ehemann, dem Maurergehilfen Heinrich Hampel  (1833–?), Hilfsmittel zur Fabrikation von gefälschten Münzen, Fragmente von Gussformen, Gips, Formsand und Wasserglas sowie Zinn- und Kupferstücke gefunden, in der Einfahrt des Wohnhauses ein Heinrich Hampel gehörendes, in einem Düngerhaufen vergrabenes Taschentuch mit falschen Silbergulden und jenen kleinen Münzen. Kurz darauf wurde auch der Maurergehilfe Karl Müller (~1858–?) festgenommen, weil er nachweislich am Marktplatz Brot mit gefälschten Münzen gekauft, sich zunächst aber durch Flucht seiner Verhaftung entzogen hatte. Am 2. April 1884 begann vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der Prozess gegen Heinrich Hampel, Theresia Hampel und Karl Müllerwegen Verbrechens der Münzverfälschung . Wegen eines erst einzuholenden Gutachtens musste der Prozess vertagt werden. Am 2. Mai 1884 fortgesetzt, wurden wegen versuchter Münzverfälschung und der Mitschuld an der Münzverfälschung Heinrich Hampel zu zwei und Karl Müller zu eineinhalb Jahren schwerem Kerker, Theresia Hampel wegen Teilnahme an der Münzverfälschung zu acht Monaten schwerem Kerker verurteilt. Diese Münzfälscherei hatte zwar nicht unmittelbar mit der radicalen Arbeiterbewegung zu tun, hatte aber 1886 für Sozialrevolutionäre Vorbildcharakter.

Das Ereignis

Bereits 1885 beschlossen die Silberarbeitergehilfen Silberarbeitergehilfe Johann Ondriczek (~1854–?), Josef Paul Schwarz (1857–?) und Otto Steidl (~1851–?) eine Falschmünzerwerkstätte einzurichten. Dies war der Beginn der so genannten Münzverfälschungs-Affäre. Auf Aufforderung von Josef Paul Schwarz entwendete Johann Ondriczek seinem Arbeitgeber, dem bekannten Silberwarenfabrikanten Vinzenz Czokally (1838–1922) in Wien 7., Halbgasse 22, wo er bereits seit sieben Jahren arbeitete, seit Ende 1885 Silberabfälle, wobei er von Josef Paul Schwarz für jedes Gramm Silber 3 Kreuzer erhielt, insgesamt nach eigenen Angaben etwa 30 Gulden später nach Meinung des Staatsanwalts etwa 60 Gulden. In gleicher Weise stahl auch der ebenfalls bei Vinzenz Czokally arbeitende Otto Steidl seinem Arbeitgeber zwischen März und Mai 1886 etwa 300 Gramm Silber im Wert von 18 Gulden und gab diese an Josef Paul Schwarz weiter. Schwarz verpfändete das Silber im kaiserlichen Versatzamt beziehungsweise bei der Verkehrsbank-Filiale Neubau in Wien 7., wobei er ein Drittel des Erlöses für sich behielt. Ein Gerichtsgutachter stellte später fest, dass die bei Josef Paul Schwarz noch vorgefundenen Silberabfälle einen Wert von 128 Gulden und 40 Kreuzern darstellten. Johann Ondriczek, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl wollten mit einer Legierung von Silber, Nickel und Kupfer unechte österreichische Silbergulden herstellen, wobei sie im August und September 1886 jene Werkzeuge beschafften, die dazu nötig waren: Stahlstanzen und eine Silber ähnliche Legierung. Josef Paul Schwarz kaufte im August 1886 eine Stahlstanze, auf der er eine kreisrunde Vertiefung mit dem Durchmesser eines österreichischen Silberguldens ausdrehen ließ. Danach übergab er die Stanze Otto Steidl, damit dieser die Gravierung veranlasse. Otto Steidl versprach am 6. September 1886 dem Ziseleur Wilhelm Bachzelt, angeblich ein Sozialist, 100 Gulden für die notwendige Gravierung und versprach ein Zusatzhonorar für die Randschrift »Viribus unitis« (Lateinisch: Mit vereinten Kräften), Wahlspruch von Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916). Wilhelm Bachzelt präsentierte am 10. September 1886 das entsprechende Gipsmodell und wollte am 18. September 1886 die gravierte Stahlstanze übergeben.

Die polizeiliche Verfolgung

An diesem Tag, am 18. September 1886, verhaftete die von Wilhelm Bachzelt am 13. September 1886 informierte Polizei Otto Steidl. Die anderen Beteiligten wurden am 21. September 1886 festgenommen: Johann Ondriczek und Josef Paul Schwarz sowie der Bildhauergehilfe Nikolaus Liegel, der aber kurz darauf aus der Untersuchungshaft ohne Anklageerhebung entlassen wurde.

Die von Johann Ondriczek ermittelte Legierung (sechzehn Teile Silber sowie je sechs Teile Nickel und Kupfer) gab dieser Josef Paul Schwarz bekannt, der auch ein Stück dieser Legierung herstellte. Die Falschmünzen sollten dann im Geschäftslokal von Josef Paul Schwarz in Wien 8., Blindengasse 16, hergestellt werden, wofür ihm eine tägliche Entlohnung von 10 Gulden zugesichert wurde. Das Hauptmünzamt in Wien bestätigte später, dass die vorgenommene Legierung in Gewicht und Aussehen dem Silbergulden entsprach. Weitere Falschprägungen sollten folgen. So fand sich später bei Josef Paul Schwarz eine Stahlstanze mit der begonnenen Gravierung der Reversseite eines österreichischen Zwanzig-Kreuzerstücks. Die Aushebung dieser Falschmünzerwerkstätte, welche die Polizei erst am 9. Oktober 1886 der Öffentlichkeit bekannt gab, war der Beginn einer großen Polizeiaktion gegen Wiener Sozialrevolutionäre im Zusammenhang mit anderen Aktionen der Sozialrevolutionäre: die Reich-Affäre vom 18. Juni 1885, die Tyll-Affäre vom 3. August 1885, die Linke-Affäre vom März 1886, die Dynamit-Affäre vom 14. März 1886, die Trostler-Affäre vom April 1886 und die Brandleger-Affäre vom 23. und 24. Oktober 1886. Gegen die Beteiligten an der so genannten Münverfälschungs-Affäre wurde die Anklageschrift zuerst fertig gestellt: Am 30. November 1886 überreichte die Staatsanwaltschaft in Wien die Anklage gegen Johann Ondriczek, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl wegen Verbrechens der Münzverfälschung und des Diebstahls.

Die gerichtliche Verfolgung

Am 28. Dezember 1886 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen Johann Ondriczek, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl statt, angeklagt der Verbrechen des Diebstahls und der Mitschuld daran sowie der Münzverfälschung. Otto Steidl, der nach eigener Aussage seit 1883 bei den Sozialisten aktiv sei, bestätigte im Prozess die teils vorgenommene, teils beabsichtigte Nutzung des aus der Falschmünzerei erzielten Gewinns für sozialistische Zwecke. Johann Ondriczek und Josef Paul Schwarz gaben an, nur für sich, nicht jedoch für sozialistische Zwecke gearbeitet zu haben. Sie seien durch den am 10. Jänner 1884 aufgedeckten Fall von Münzverfälschung der Maurergehilfen Karl Müller (1858–?) und Heinrich Hampel (1833–?) sowie dessen Ehefrau Theresia Hampel (1852–?) auf diese Idee gekommen. Im Sinne der Anklage wurden Otto Steidl zu fünf Jahren, Johann Ondriczek und Josef Paul Schwarz zu je drei Jahren schwerem Kerker verurteilt, jeweils verschärft durch einen Fasttag im Monat. Außerdem wurde über sie nach Verbüßung der Strafe die Unterstellung unter Polizeiaufsicht verhängt. Johann Ondriczek, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl mussten ihre Strafe im Gefängnis Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich) absitzen.

Die Nachahmer. 1887

Sie hatten auch Nachahmer unter den Sozialrevolutionären, die es eigentlich besser machen wollten, aber dennoch am 27. Mai 1887 verhaftet wurden: der Schlossergehilfe Johann Ammerer (1862–?), der Gürtler und Bronzearbeiter Ferdinand Emerling (1868–?), der Schlossergehilfe Ferdinand Hilbert (1856–?), der Knopfdrechslergehilfe Anton Mliczko (1857–?), der Metalldreher Franz Spiegel (1870–?), die Hausfrau Viktoria Titz (1850–?) sowie der Metallgießer und Polizeispitzel Anton Schreger (1867–1927). Sie wurden im so genannten Anarchisten-Prozess am 10. Dezember 1887 vom Landes- als Ausnahmsgericht Wien wegen Verbrechens der Münzverfälschung für anarchistische Zwecke verurteilt: Anton Schreger zu fünf Jahren, Anton Mliczko und Ferdinand Hilbert zu je vier Jahren, Viktoria Titz zu fünfzehn Monaten und Ferdinand Emerling zu einem Jahr schwerem Kerker. Metalldreher Franz Spiegel (1870–?). Wegen Mitschuld am Verbrechen der Münzverfälschung wurden Franz Spiegel am 23. Februar 1888 vom Landes- als Ausnahmsgericht Wien zu einem Jahr, Johann Ammerer am 10. Oktober 1888 vom Landes- als Schwurgericht Wien zu drei Jahren schwerem Kerker verurteilt verurteilt. 

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