Rudolf Schnaubelt (1859–1927)

Persönliche Daten
Namensvarianten
das ist Rudolf Bernhard Schnaubelt
in den USA: Rudolph Schnaubelt
tschechische Namensform: Rudolf Bernard Schnaubelt
falsche Namensschreibweise: Rudolph Schnaubel
Geburtsdatum
11. Juni 1859
Sterbedatum
1927
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch

Vater: Eduard Franz Schnaubelt (?, Österreichisch-Schlesien [?, Tschechien] 1834 – San Francisco, California, USA 16. Oktober 1896), Sohn einer Hausfrau und eines Rentmeisters: fürstlich Liechtensteinscher Unterjäger; Heirat in Wien 1860 mit:
Mutter: Johanna Maria Schnaubelt, geborene von Stehlig (?, Böhmen [?, Tschechien] 20. Februar 1824 – San Francisco, California, USA 18. November 1903), Tochter einer Hausfrau und eines Unterjägers: Hausfrau
Schwester: Hermine Anna Schnaubelt, verheiratete Hoffmann; in den USA: Hermena Ann Schnaubelt, verheiratete Hoffmann (Karlsthal, Österreichisch-Schlesien [Karlovice (okres Bruntál), Tschechien] 14. Februar 1853 – ?)
Bruder: Eduard Bernhard Schnaubelt; in den USA: Edward Bernard Schnaubelt (Karlsthal, Österreichisch-Schlesien [Karlovice (okres Bruntál), Tschechien] 5. April 1855 – Trinidad, California, USA 22. Mai 1913, ermordet): Angestellter; emigrierte im Oktober 1888 in die USA, seit 20. Oktober 1893 US-amerikanischer Staatsbürger; er wurde von angeheuerten Wachleuten eines Grundstückspekulanten erschossen, als er das von ihm besetzte Grundstück verteidigen wollte; Anarchist
Schwester: Ida Antonia Schnaubelt, verheiratete Schönitzer; in den USA: Eda A. Schnaubelt, verheiratete Schoenitzer (Karlsthal, Österreichisch-Schlesien [Karlovice (okres Bruntál), Tschechien] 30. Oktober 1856 – San Francisco, California, USA 22. Jänner 1922): Hausfrau; emigriert 1882 in die USA
Bruder: Heinrich Bernhard Schnaubelt; in den USA: Henry Bernard Schnaubelt (Breitenau, Österreichisch-Schlesien [Široká Niva, Tschechien] 3. Dezember 1857 – San Bernardino, California, USA 20. Oktober 1896)
Schwester: Maria Anna Schnaubelt, seit 7. Juni 1884 verheiratete Schwab; in den USA: Mary Ann Schnaubelt, verheiratete Schwab, seit 4. Mai 1903 verheiratete Langknecht, zuletzt verheiratete Muller (Unterwald, Böhmen [Podlesí, zu Brněnec, Tschechien] 26. Februar 1860 – San Francisco, California, USA 29. November 1928): Hausfrau; emigrierte 1883 in die USA; Ehefrau des Buchbinders und Redakteurs Michael Schwab (1853–1898), gleichsam einer der Haymarket-Märtyrer
Bruder: Adolf Bernhard Schnaubelt (Breitenau, Österreichisch-Schlesien [Široká Niva, Tschechien] 3. Dezember 1862 – ?)
Ehe: in Argentinien mit Anna Schmidt
Kinder: mehrere

Biographie

Rudolf Schnaubelt wuchs in Breitenau (Österreichisch-Schlesien [Široká Niva, Tschechien]) und in Adamsthal (Österreichisch-Schlesien [Adamov, zu Karlovice (okres Bruntál), Tschechien]) auf, wo er zum Eisendreher ausgebildet wurde. Er kam um 1880 nach Salzburg (Salzburg), wo er bei der Bahn Arbeit fand und am 5. Juni 1880 in den Ausschuss des »Allgemeinen Arbeitervereins für Salzburg und Umgebung« gewählt wurde. Wohl um diese Zeit schloss sich Schnaubelt der radicalen Arbeiterbewegung an.

Rudolf Schnaubelt übersiedelte im März 1881 nach Steyr (Oberösterreich), wo er auf Requisition des Landesgerichts Salzburg am 28. April 1881 verhaftet und am 8. Mai 1881 ins Landesgericht Salzburg eingeliefert wurde. Seine Verhaftung ging auf Ereignisse zurück, die sich mittlerweile in Salzburg abgespielt hatten.

Auf Grundlage der Denunziation des Schuhmachergehilfen Rudolf Deutl (1863–1929), ebenfalls ein Radicaler, wurden im Zuge einer großen Polizeiaktion gegen Radicale in Salzburg seit dem 26. April 1881 zahlreiche Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vorgenommen. Es ging vor allem gegen Mitglieder des 1880 gegründeten »Allgemeinen Arbeitervereins für Salzburg und Umgebung«. Diese hätten am 17. April 1881 in einer geheimen Sitzung einiger Radicaler im Gasthaus »zum goldenen Anker« (Josef Kreuzberger) in Salzburg, Steingasse 44, ein Attentat auf Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) geplant. Dafür seien bereits drei gefüllte Petarden, zwei Hülsen und ein Revolver vorhanden, die zusammen mit verbotenen sozialistischen Druckschriften vom Schneidergehilfen Josef Marschall (1858–?), vom Schuhmachergehilfen Leonhard Pinter (1852–?) und vom Gasthausbesitzer Josef Kreuzberger im Keller dieses Gasthauses beziehungsweise im Gastgarten unter der Kegelbahn vergraben worden wären. Es wurden weder die in der bürgerlichen Presse kolportierten Sprengbomben im Gasthaus »zum goldenen Anker«, noch die angeblich unter der Kegelbahn des Gasthauses »zum Gaswerk« in Mülln [zu Salzburg] (Salzburg), Gaswerkgasse 7, vergrabene Kiste mit Waffen und Druckwerken gefunden. Dennoch wurden dreizehn Radicale verhaftet. Am 21. Juni 1881 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Salzburg ein großer Prozess gegen elf Radicale statt, die im April und Mai 1881 verhaftet worden waren. Rudolf Schnaubelt und seine Genossen wurden des Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung durch die Bildung einer geheimen Gesellschaft im Jahr 1880, Schnaubelt zusätzlich wegen Verteilung von verbotenen Druckschriften der Übertretung des Pressgesetzes angeklagt. Vom Hauptvorwurf wurde er freigesprochen und wurde nach acht Wochen Untersuchungshaft entlassen. Allerdings wurde er wegen Übertretung des Pressgesetzes zu 5 Gulden Geldstrafe zugunsten des Armenfonds der Stadt Salzburg, eventuell vierundzwanzig Stunden Arrest, verurteilt

Rudolf Schnaubelt übersiedelte noch im Juni 1881 nach Wien, wo er ins Herausgeberkomitee der Gewerkschaftszeitung »Sozialpolitische Fachzeitung der Metallarbeiter Oesterreichs« (Wien) gewählt wurde, welchem er vermutlich bis 1883 angehörte.

Rudolf Schnaubelt zog 1883 nach Kärnten wo er als Maschinist arbeitete. An der geheimen Konferenz der Radicalen, welche vom 25. bis 27. Oktober 1883 in Langenzersdorf (Niederösterreich), Klosterneuburg (Niederösterreich) und Wien stattfand, nahm er als Kärntner Delegierter teil. Die Tagesordnung umfasste vier Punkte: 1) die Frage, ob die Partei sich eine zentralistische oder föderalistische Organisation geben soll; 2) die politische und ökonomische Frage; 3) die Parteipresse; 4) die Parteiorganisation überhaupt. Diskutiert wurde unter anderem, sich nach einem Gruppensystem zu organisieren und eine ländermäßige Aufgliederung vorzunehmen. Man wollte künftig auch entschiedene Front gegen alle anderen politischen Parteien machen und alle zu Gebote stehenden Mittel zur Propaganda ergreifen, besonders in Fabriken, wo Arbeiterinnen und Arbeiter schlecht entlohnt werden. Die Fachzeitungen sollten zugunsten eines Hauptorgans eingestellt werden. Bemerkenswert ist, dass nicht die Zeitung »Die Zukunft« (Wien), sondern »Radikal« (Budapest) die Funktion eines Hauptorgans übernehmen sollte, welche von Graz (Steiermark) aus kontrolliert und von Grazer sowie Wiener Boten aus Budapest abgeholt werden sollte. Schließlich wurde geplant, in jeder Provinz eine geheime Presse zu organisieren, auf der Flugschriften gedruckt werden könnten, die dem Charakter der jeweiligen Provinz entsprächen. Es blieb jedoch nur bei Erörterungen, Beschlüsse wurden keine gefasst. Diese letzte große Konferenz der Radicalen lässt nicht nur deutliche anarchistische Ansätze (etwa dezentrale, föderative Organisation) erkennen, es zeigen sich auch deutliche Differenzen unter den Sozialrevolutionären innerhalb der radicalen Arbeiterbewegung: So meinten einige, man solle versuchen, die Revolution mittels einer Art Guerillakrieges auszulösen, während andere für Aktionen Einzelner plädierten.

Rudolf Schnaubelt emigrierte 1884 in die USA, wo er sich in Chicago (Illinois, USA) niederließ. Hier lebte sein Schwager, der Buchbinder und Redakteur Michael Schwab (1853–1898), später gleichsam einer der Haymarket-Märtyrer. Michael Schwab hatte Rudolf Schnaubelts Schwester Maria Anna Schnaubelt (1860–1928) geheiratet, die Aktivistin der »International Woking People’s Association« (Internationale Arbeiter-Assoziation) war. In den USA lebte auch Rudolf Schnaubelts Bruder »Eddie« Edward Bernard Schnaubelt (1855–1913), ein Anarchist, der von durch einen Grundstückspekulanten engagierten Wachleuten am 22. Mai 1913 in Trinidad (California, USA) erschossen wurde, als er aus seiner enteigneten Schindelfabrik ihm gehörende Maschinen und Werkzeuge zurückholen wollte. Die von Eduard Schnaubelts Ehefrau veranlasste Grabsteininschrift »Murdered by Capitalism« (Ermordet vom Kapitalismus) inspirierte John Ross (1938–2011) zum gleichnamigen, 2004 erschienenen Buch.1 Rudolf Schnaubelt arbeitete hier wieder als Maschinist, schloss sich der »International Woking People’s Association« an und war als Aktivist der anarchistischen Gruppe um Louis Lingg (1864–1887) tätig, der sich später seiner Hinrichtung als Haymarket-Märtyrer durch den Freitod entzog. Auch Rudolf Schnaubelt war im Mai 1886 in die so genannte Haymarket-Affäre verwickelt.

Am 4. Mai 1886 explodierte nahe dem Haymarket Square in Chicago während einer von Anarchisten organisierten Arbeiterversammlung zum Kampf um den Achtstundentag eine Bombe, die acht Polizisten tötete: Das war der Beginn der so genannten Haymarket-Affäre. Rudolf Schnaubelt wurde als Teilnehmer an der Demonstration am 5. und erneut am 7. Mai 1886 festgenommen und von der Polizei verhört, doch jedes Mal wieder auf freien Fuß gesetzt. Das brachte ihm wiederholt den Vorwurf ein, mit der Polizei kooperiert zu haben, eventuell sogar ein Agent provocateur gewesen zu sein. Am 17. Mai 1886 billigte das Schwurgericht Chicago die Anklage der Ermordung von acht Polizisten gegen die späteren Haymarket-Märtyrer, darunter auch gegen den mittlerweile flüchtigen Rudolf Schnaubelt. Und am 14. Juni 1886 wurde er steckbrieflich von der Chicagoer Polizei gesucht, die ihn nunmehr – allerdings aufgrund zweier einander widersprechender Zeugenaussagen – als den angeblichen Bombenwerfer suchte: »City of Chicago. Incoroprated 4th March 1837. Police Headquarters. Chicago June 14th 1886. Arrest For Murder and Inciting Riot, Rudolph Schnaubelt, about 30 years of age, 6 feet high, 190 lbs. weight, slightly stooped shouldered, light brown hair, usually wears full light beard, but was shaved off when he left here, and more light mustache. Depend more on photograph than / above description. Works at making watchmakers tools. Schnaubelt was one of the leading Anarchists who caused the riot and massacre in Chicago, May 4th. If found arrest him and wire me. Frederick Ebersold, / Gen[era]l Superintendent of Police.«2 Am 31. Juli 1886 wurde im Anarchisten-Prozess anlässlich der so genannten Haymarket-Affäre das Verhör der Belastungszeugen abgeschlossen. Es galt nun als erwiesen, dass Rudolf Schnaubelt die Dynamitbombe gegen die Polizei geworfen habe. Außerdem glaubte man zu diesem Zeitpunkt, der flüchtige Rudolf Schnaubelt habe den Freitod gewählt und man habe seine Leiche am 29. Juli 1886 in dem zwischen Kanada und den USA gelegenen Lake Erie gefunden. Erst Jahre später stellte sich die Unschuld von Rudolf Schnaubelt heraus. Schnaubelt, der selbst behauptete, nicht an diesem Bombenattentat beteiligt gewesen zu sein, versteckte sich zunächst auf einer Farm nahe Chicago.

Schließlich gelangte Rudolf Schnaubelt zu Fuß nach Kanada. Hier verdingte er sich auf einer Farm nahe Quebec / Québec (Quebec, Kanada), wo ihm sein Arbeitgeber und ein mit dem Arbeitgeber befreundeter Richter die nötigen Papiere besorgten, mit denen er sich nach England einschiffen konnte.

Ende September, Anfang Oktober 1886 ließ sich Rudolf Schnaubelt in London (England) unter falschem Namen nieder, wo er zunächst beim Maler- und Anstreichergehilfen und Journalisten Josef Peukert (1855–1910), dann beim Mechaniker und Journalisten Josef Kaufmann (1841–?) Unterkunft fand. Er arbeitete neuerlich als Maschinist in derselben Fabrik wie der aus Österreich geflüchtete Anarchist Julius Břestian (1852–1915/1920). Nach Aussage von Peukert arbeitete Schnaubelt hier an der Entwicklung des »Skorpions« mit, ein auf dem Prinzip von Giftnadeln basierendes Attentatsinstrument.

Als Rudolf Schnaubelt seinen Arbeitsplatz verlor, flüchtete er im Mai 1887 – da ihm ein weiterer Aufenthalt in Europa zu gefährlich schien – nach Argentinien, ausgerüstet mit einem Empfehlungsschreiben von Josef Peukert für Errico Malatesta (1853–1932). Hier ließ er sich in Buenos Aires (Argentinien) nieder. Dort soll er, von Verfolgungsängsten geplagt, jeden Kontakt zu anarchistischen Genossinnen und Genossen abgebrochen haben und völlig menschenscheu geworden sein. Er wurde in Buenos Aires ein einigermaßen erfolgreicher Geschäftsmann, angeblich Inhaber einer Maschinenwerkstätte, hatte geheiratet und war Vater mehrerer Kinder, mit denen er sich um 1896 fotografieren ließ. Nach dem Ersten Weltkrieg, vermutlich 1922, besuchte ihn seine Schwester Maria Schwab. Rudolf Schnaubelt verstarb in Buenos Aires um 1927/1928, nicht 1901, wie mehrfach behauptet.

Der Schriftsteller Frank Harris (1855–1931) verfasste einen erfolgreichen, in mehrere Sprachen übersetzten Roman über Rudolf Schnaubelt, der mit der mehr als zweifelhaften Selbstbezichtigung von Rudolf Schnaubelt, die Bombe am Haymarket geworfen zu haben, beginnt: »My name is Rudolph Schnaubelt. I threw the bomb which killed eight policemen and wounded sixty in Chicago in 1886. Now I lie here in Reichholz, Bavaria, dying of consumption under a false name, in peace at last.«3 Dieser aus der fiktiven Sicht Schnaubelts geschriebene Roman trug wesentlich zur Mystifizierung Rudolf Schnaubelts bei, von dem Frank Harris, wie er selbst zugab, wenig Ahnung hatte.

Adressen

  • Breitenau, Österreichisch-Schlesien [Široká Niva, Tschechien], Breitenau 122 (Geburtsadresse)
Karte
  • 1

    Vgl. John Ross (1938–2011): Murdered by Capitalism. A Memoir of 150 Years of Life & Death on the American Left. Ne York: Nation Books 2004, 400 S.

  • 2

    Übersetzung: »City of Chicago. Aufgenommen am 4. März 1837. Hauptquartier der Polizei. Chicago, 14. Juni 1886. Verhaftung wegen Mordes und Anstiftung zum Aufruhr, Rudolph Schnaubelt, etwa 30 Jahre alt, 6 Fuß groß, 190 Pfund schwer, leicht gebeugte Schultern, hellbraunes Haar, trägt normalerweise einen hellen Vollbart, der jedoch abrasiert wurde, als er hier wegging, und einen helleren Schnurrbart. Verlassen Sie sich mehr auf das Foto als auf die obige Beschreibung. Arbeitet an der Herstellung von Uhrmacherwerkzeugen. Schnaubelt war einer der führenden Anarchisten, die am 4. Mai den Aufstand und das Massaker in Chicago verursachten. Wenn Sie ihn finden, verhaften Sie ihn und schicken Sie mir ein Telegramm. Frederick Ebersold, Generalkommissar der Polizei.«

  • 3

    Vgl. Frank Harris (1855–1931): The Bomb. By Frank Harris. London: John Long 1908, 312 S. Übersetzung: »Mein Name ist Rudolph Schnaubelt. Ich warf die Bombe, die 1886 in Chicago acht Polizisten tötete und sechzig verletzte. Jetzt liege ich hier in Reichholz, Bayern, unter falschem Namen an Schwindsucht sterbend, endlich in Frieden.«