Stefan Müller (1858–)

Persönliche Daten
Namensvarianten
ungarische Namensform: István Müller
Geburtsdatum
Ungefähr 1858
Geburtsort
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch
Berufe
Biographie

Der Korbflechter Stefan Müller kam nach Wien, wo er sich dem sozialrevolutionären Flügel der radicalen Arbeiterbewegung anschloss.

Die Brandleger-Affäre. Oktober 1886

Am 20. September 1886 traf sich in Obermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) nahe der Maria-Theresien-Brücke [Augartenbrücke], Wien 2. und 9., eine Gruppe Wiener Sozialrevolutionäre erstmals zu einer geheimen Zusammenkunft: der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), der Drechsler- und Wagnergehilfe Franz Koči (1855–1913), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Seidenzeugmacher Johann Waněk (1851–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?). Franz Koči und Friedrich Kratochvil entwickelten einen Plan, in Wien und Umgebung mehrere Holzlagerplätze in Brand zu stecken. In den nächsten Wochen fanden mehrere Treffen bei der Maria-Theresien-Brücke sowie beim Wasserreservoir auf der Schmelz statt, an denen auch Stefan Müller teilgenommenm haben soll, und sie fertigten vierzehn Brandflaschen an. Am 27. September 1886 wurden die vier Gruppen für die Brandanschläge eingeteilt. Zunächst dachte man an einen Wochentag, doch Franz Koči und Friedrich Kratochvil setzten einen Sonntag als Attentatstermin durch, damit man mehr Aufsehen errege. So bestimmte man Sonntag den 3. Oktober 1886 als Attentatstag.

Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheiterte die so genannte Brandleger-Affäre. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 sollten gleichzeitig Brandanschläge in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hietzing (Niederösterreich [zu Wien 13.]) und Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]) ausgeführt werden. Dazu wurden vier Gruppen gebildet, und zwar aus dem Kreis der zwölf Verschwörer: der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–1908), der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Franz Koči, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, welcher sich allerdings später als unschuldig herausstellte, der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Drechslergehilfe Josef Stieber (~1860–?), Johann Waněk und Johann Wawrunek.

Die vierte Gruppe, bestehend aus Josef Buzek und Gustav Kopetzky, sollte bei einem Holzlagerplatz in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Postgasse, agieren. Die beiden trafen sich mit einem später nicht ermittelten Sozialrevolutionär im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße]. Nachdem die Polizei mittlerweile in der Wohnung Gustav Kopetzkys vier Brandflaschen gefunden hatte, wurden Josef Buzek und Gustav Kopetzky abends in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Schmiedgasse [Beckmanngasse], verhaftet, nachdem sie gegen 21 Uhr das Gasthaus verlassen hatten. Der Widerstand der beiden Verhafteten, bei denen dann auch Dolche gefunden wurden, war so stark, dass der von zwei Polizeidetektiven unterstützte Polizeikommissär vier sich in der Nähe befindliche Polizeiagenten zur Hilfe holen musste.

Verfolgung durch die Behörden. Oktober 1886

Die Behörden gingen mit ihren Kenntnissen über diese so genannte Brandleger-Affäre erst am 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit, und in den Zeitungen wurde nun ausführlich von einem so genannten Anarchisten-Komplott berichtet. Schon länger hatte die Polizei eine Gruppe von etwa zwanzig Arbeitern, die sich jeden Sonntag im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße], traf, beobachtet. Nun holte die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Es begann mit der Verhaftung von Josef Buzek und Gustav Kopetzky am 3. Oktober 1886. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 konnten acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche folgten weitere sieben. Im Zusammenhang mit der so genannten Brandleger-Affäre wurden Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek verhaftet. Lediglich Franz Koči und Johann Waněk gelang die Flucht in die USA. Wegen der so genannten Linke-Affäre wurde gegen die auch wegen der so genannten Brandleger-Affäre verhafteten Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari und Johann Wawrunek ermittelt. Dies galt auch für die in die so genannte Dynamit-Affäre vom 14. März 1886 involvierten Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek.

Der Anarchisten-Prozess. März 1887

Vom 21. bis 28. März 1887 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen die im Oktober 1886 verhafteten Sozialrevolutionäre statt. Verhandelt wurden die so genannte Brandleger-Affäre vom 3. und 4. Oktober 1886, die so genannte Trostler-Affäre vom April 1886, die so genannte Linke-Affäre vom März 1886, die so genannte Dynamit-Affäre vom 14. März 1886, die so genannte Tyll-Affäre vom 3. August 1885 und die so genannte Reich-Affäre vom 18. Juni 1885. Der Prozess sollte ursprünglich in geheimer Verhandlung stattfinden, da aber jeder der fünfzehn Angeklagten drei Vertrauensmänner bestimmen konnte, wäre der geheime Charakter ohnedies hinfällig, so dass man sich zu einer öffentlichen Verhandlung entschloss. Lediglich in der Verhandlung vom 25. März 1887 wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Angeklagt wurden der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–1908), der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), der Schneidergehilfe Albert Friedmann (1866–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1863–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), Stefan Müller, der Fleischausträger Heinrich Rischawy (1858–1942), der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908), der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Drechslergehilfe Josef Stieber (~1860–?), der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?) und der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–1906). Angeklagt wurden des Verbrechens der Brandlegung Heinrich Höfermayer, Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla, des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek, der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek, des Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Betrugs Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer, Johann Hospodský, Franz Schustaczek und Karl Schwehla, des Verbrechens des versuchten Diebstahls Leopold Kaspari, Heinrich Rischawy, Johann Wawrunek und Thomas Zoppoth sowie des Verbrechens der versuchten Verleitung zum Raub Stefan Buelacher. Außer Stefan Buelacher und Josef Stieber sowie dem später freigesprochenen Josef Buzek legten alle Angeklagten mehr oder weniger umfangreiche Geständnisse ab, belasteten aber einander auch stark. Die Anklage gegen Stefan Müller zog der Staatsanwalt am 25. März 1887 zurück; er wurde freigesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Dieser Prozess war übrigens der letzte von Staatsanwalt Karl von Pelser-Fürnberg (1838–1917), der am 14. März 1887 mit Wirksamkeit vom 1. April 1887 zum Rat am Oberlandesgericht ernannt worden war.

Verurteilt wurden wegen Brandlegung als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger sowie wegen des Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes Friedrich Kratochvil zu zwanzig Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Leopold Kaspari zu sechzehn Jahren, wegen Brandlegung als unmittelbar Täter und Mitschuldiger sowie wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Heinrich Höfermayer und Karl Schwehla zu je fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Johann Wawrunek zu fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung und versuchter Verleitung zum Raub Stefan Buelacher zu zwölf Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung Josef Stieber zu neun und Gustav Kopetzky zu acht Jahren, wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Franz Schustaczek zu sechs und Johann Hospodský zu fünf Jahren, wegen Betrugs als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger Albert Friedmann zu sechs Jahren, wegen versuchten Diebstahls Thomas Zoppoth zu einem Jahr und Heinrich Rischawy zu sechs Monaten schwerem Kerker, bei allen verschärft mit einem Fasttag im Monat, bei Friedrich Kratochvil zusätzlich durch Dunkelhaft an jedem 3. Oktober des Jahres. Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek wurden außerdem nach Verbüßung der Strafe für immer aus Niederösterreich ausgewiesen, alle anderen Verurteilten nach überstandener Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Josef Buzek, der sich auch nach Aussagen aller Verurteilten von vornherein gegen die Brandlegung ausgesprochen habe, wurde freigesprochen. Insgesamt wurden in diesem Prozess hundertachtundzwanzig Jahre und sechs Monate Haft verhängt. Mit Ausnahme von Johann Hospodský legten alle Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung ein.

Der Sozialdemokrat Stefan Müller

Stefan Müller trat später der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« bei, war 1894 bis 1902 Obmann des »Gehilfenvereins der Korbflechter« und organisierte für die Partei seit 1905 eine Arbeitsvermittlung in seiner Korbmacherwerkstätte in Wien 5., Margaretenstraße 59, die er dann bis 1907 in der Margaretenstraße 67 betrieb.

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