August Krčal (1860–1894)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Veit Krčál; tschechische Namensform: Vít Krčál, Sohn einer Bäuerin und eines Bauern: Maurergehilfe
Mutter: Marie Krčál, geborene Havlíčka: Hausfrau
Ehe: keine
Kinder: keine
Biographie
Der Radicale August Krčal
Die neben dem Schneidermeister Johann Risman (1864–1936) wohl prägendste Persönlichkeit der anarchistischen Bewegung der Unabhängigen Socialisten war als Organisator wie Theoretiker August Krčal. Aufgewachsen in Polna (Böhmen [Polná, Tschechien]), absolvierte er eine Bäckerlehre und zog nach Wien. Seit 1879 in der sozialistischen Arbeiterbewegung aktiv, schloss er sich 1885 der radicalen Arbeiterbewegung an. Ende Dezember 1886 trafen sich Vertrauensmänner der Gemäßigten aus dem Umfeld des Arztes und Journalisten Victor Adler (1852–1918) und der Radicalen im Gasthaus »zum braunen Hirschen« (Franz Maul) in Wien 8., Kochgasse 9. Dieses Treffen, an dem auch August Krčal teilnahm, war die endgültige Weichenstellung Richtung Einigungsparteitag von Hainfeld (Niederösterreich) zur Jahreswende 1888/1889. Es markierte aber auch jenen Punkt, an welchem zum Anarchismus tendierende Radicale erkannten, dass eine anarchistische Bewegung nur außerhalb der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« als eine selbständige, autonome möglich sei. August Krčal, 1885 Obmann-Stellvertreter und seit 1886 Obmann des von Radicalen geprägten »Fachvereins der Bäcker Wiens«, stellte die am 17. Februar 1887 erschienene Broschüre »Geschichte des Fachvereines der Bäcker Wiens von der Gründung bis Ende December 1886. Herausgegeben vom Fachverein« zusammen. Es war dies nach Jahren die erste in Österreich veröffentlichte Broschüre der radicalen Arbeiterbewegung. Schließlich wurde August Krčal, der sich nun beruflich als »Bäckergehilfe und Literat« bezeichnete, Herausgeber der radicalen Gewerkschaftszeitung »Die Bäcker-Zeitung. Organ der Bäcker-Arbeiterschaft Oesterreich-Ungarns« (Wien), welche am 6. Oktober 1887 erstmals erschien.
Bezeichnend für die damalige Lage der sozialistischen Arbeiterbewegung in Wien ist die halbjährige Generalversammlung des »Arbeiter-Bildungsvereins«, welche am 17. Oktober 1887 im Gasthaus »zur schönen Schäferin« (Franz Schindler) in Wien 6., Gumpendorfer Straße 101, stattfand. Den Vorsitz hatte der bisherige Obmann-Stellvertreter, der Bildhauer und Redakteur Ludwig Bretschneider (1860–1929), inne, ein exponierter Gemäßigter. In einer Art Überrumpelungsaktion schlug das Wahlkomitee zwei Kandidaten für die Funktion eines ersten Obmanns vor: Ludwig Bretschneider und den Etuimacher Adolf Zinram (1845–1920). Da der bisherige Obmann, der Knopfdrechslergehilfe Josef Temke (1841–?), ein Radicaler, vom Wahlkomitee nominiert wurde, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gemäßigten und Radicalen. Nachdem mehrere Radicale, darunter auch August Krčal, zur Wahl von Adolf Zinram aufgerufen hatten, fand diese antraggemäß per Akklamation statt. Adolf Zinram wurde tatsächlich gewählt, doch wurde die Wahl für ungültig erklärt, weil auch Nichtmitglieder des Vereins mitabgestimmt hätten. Deshalb wurde die Wahl unter Ausschluss der Nichtstimmberechtigten wiederholt: Ludwig Bretschneider erhielt nun 47, Adolf Zinram 46 Stimmen. Es kam wieder zu einem Tumult und Josef Temke warf Victor Adler vor, als nur unterstützendes Mitglied nicht stimmberechtigt zu sein, worauf Victor Adler betonte, dass er nicht abgestimmt habe. Nach einem neuerlichen Tumult unterbrach der Vorsitzende Ludwig Bretschneider die Sitzung und erklärte anschließend seinen Rücktritt von der Wahl. Bei der neuerlichen Wahl wurden Adolf Zinram zum Obmann und Ludwig Bretschneider zum Obmann-Stellvertreter gewählt. Diese Generalversammlung zeugt nicht nur vom gespannten Verhältnis zwischen Gemäßigten und Radicalen, sie zeigt auch, dass die Radicalen in Wien zu diesem Zeitpunkt noch sehr einflussreich waren.
Am 23. Oktober 1887 wurde August Krčal in seiner Wohnung unter dem Verdacht sozialistischer Umtriebe verhaftet. Nach seiner kurz danach erfolgten Freilassung entschloss sich Krčal wegen der behördlichen Verfolgungen Wien zu verlassen. Fälschlich wird vielfach behauptet, er wäre aus Wien ausgewiesen worden.
Der Anarchist August Krčal
Nach einem kurzen Aufenthalt in Salzburg (Salzburg) begab sich August Krčal noch 1887 nach Berlin (Preußen [Berlin]). Bald darauf reiste er nach Brüssel ‹Ville de Bruxelles / Stad Brussel› (Belgien), von wo er 1888 in die USA ins Exil emigrierte. In New York City (New York, USA) wurde er endgültig zum überzeugten Anarchisten. Er war Mitglied des autonomistischen »Radikalen Arbeiter-Bundes New York«, unterhielt aber auch Beziehungen zum gelernten Buchbindergesellen und nunmehrigen Journalisten und Zeitungsherausgeber Johann Most (1846–1906) und arbeitete angeblich auch an dessen anarchistischer Zeitung »Freiheit« (New York) mit. Noch in Buffalo (New York, USA) erhielt August Krčal aus Graz vom Schneidermeister und anarchistischen Wortführer Johann Risman den Auftrag, eine Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung aus anarchistischer Sicht zu schreiben.
Am 8. November 1892 traf August Krčal aus den USA kommend in Graz (Steiermark) ein, wo ihm Johann Risman zunächst ein Quartier besorgte. Hier übte er starken Einfluss auf den am 8. August 1892 gegründeten anarchistischen Verein »Steiermärkischer Arbeiterbund« aus. Dessen Mitglieder schufen dann den mit Erlass der Statthalterei Steiermark vom 8. Juli 1893 genehmigten »Arbeiter-Bildungs- und Unterstützungs-Verein« (seit 7. März 1899 »Arbeiter-Bildungs- und Unterstützungs-Verein in Graz«), der durch sein Bestehen bis 1934 wesentlich zur Kontinuität der anarchistischen Bewegungen in der Steiermark beitrug. Seit Februar 1893 lebte August Krčal im benachbarten Eggenberg [zu Graz] (Steiermark). Er war auch Mitbegründer der am 27. November 1892 als Firma gegründeten »Ersten steiermärkischen Arbeiter-Bäckerei, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung« in Eggenberg, langjährige Hochburg der anarchistischen Bewegungen in Graz und Umgebung. In Graz und Umgebung engagierte sich August Krčal unter den dortigen Unabhängigen Socialisten, wo er sofort nach seiner Ankunft auch öffentlich als Redner auftrat. Noch im November 1892 unternahm er eine erste Agitationsreise nach Kärnten, wo er in Klagenfurt / Celovec und Ferlach / Borovlje als Redner auftrat. Am 3. Dezember 1892 machte er sich zu einer zweiten Agitationsreise nach Oberösterreich auf, wo er in Linz an der Donau und Wels sprach. Am 18. März 1893 wurde August Krčal – gemeinsam mit dem Schriftsetzer Ferdinand Barth (1862–1913) – verhaftet, weil er im Namen des »Steiermärkischen Arbeiterbundes« für den 18. März 1893 zu einer auf geladene Gäste beschränkte »Feier der Commune vom Jahre 1871 in Paris« in das Gasthaus »zum Bergwirt«, Lendplatz 27, eingeladen hatte. Allerdings wurde Krčal schon am nächsten Tag ohne Anklageerhebung wieder freigelassen. Im März und April 1893 unternahm Krčal seine letzte und längste Agitationsreise. Zuerst führte ihn der Weg nach Oberösterreich, wo er in Steyr und Linz an der Donau auftrat, dann – mit einer achttägigen Aufenthaltsbewilligung – nach Wien, wo er gemeinsam mit dem Bäckergehilfen Anton Notzar (1848–1917) als Grazer Delegierter der »Gewerkschaft der Bäcker Steiermarks« am österreichisch-ungarischen Bäckertag teilnahm und zum Leiter des »Internationalen Korrespondenzbureaus« der Bäckergewerkschaft gewählt wurde. Danach reiste August Krčal nach Böhmen [Tschechien] weiter: von Polzen [Ploučnice] nach Höflitz [Hvězdov] nahe Niemes [Momoň], Aussig [Ústí nad Labem], Turn [Trnovany] nahe Teplitz [Teplice], Karbitz [Chabařovice], Dux [Duchcov] und Komotau [Chomutov].
August Krčal wurde nunmehr ein wichtiger Mitarbeiter der anarchistischen Zeitung »Die Zukunft. Organ der unabhängigen Socialisten« (Wien), für die er 1892 bis 1893 »fünfzehn bis zwanzig« Artikel schrieb, wie er im Hochverratsprozess später aussagte. Die anarchistische Gruppe um diese Zeitung musste sich auch gegen die von bürgerlicher wie sozialdemokratischer Seite betriebene Gleichsetzung von »Anarchismus = Terrorismus« wehren, was ihre Selbstbezeichnung als »Unabhängige Socialisten« oder »Anti-Autoritäre« förderte sowie deren wiederholte Distanzierung vom Terrorismus erforderte. Typisch dafür ist die öffentliche Erklärung Krčals im Mai 1893: »Ich bin weder ein Socialdemokrat noch ein Dynamiter, der mit Bomben in der einen und Revolvern in der andern Tasche ausgerüstet, in Socialismus macht. Ich bin ein anti-autoritärer Socialist!«1 Solche Aussagen schützten Krčal nicht vor behördlichen Verfolgungen. Er wurde einmal wegen Vergehens und einmal wegen Übertretung das Pressegesetzes zu 20 Gulden beziehungsweise 15 Gulden Geldstrafe verurteilt, jeweils begangen durch unbefugte Kolportage. Und am 7. Juni 1893 wurde August Krčal vor dem Landes- als Erkenntnisgericht Graz angeklagt, er habe in seiner Rede über »Die Stellung der Frau in der Gesellschaft« bei einer Versammlung des »Steiermärkischen Arbeiterbundes« am 16. Jänner 1893 gegen die Sittlichkeit verstoßen und die Ehe, religiöse Zeremonien und Religionsgesellschaften verspottet und herabgewürdigt. Er wurde wegen Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung zu vierzehn Tagen strengem Arrest, verschärft durch ein hartes Lager jede Woche, verurteilt. Krčal erbat sich einen Aufschub des Strafantritts bis September 1893. Der Grund dafür war wohl die Fertigstellung von August Krčals nachhaltigster Leistung für die anarchistischen Bewegungen in Österreich: die noch im Juni 1893 erschienene Broschüre »Zur Geschichte der Arbeiter-Bewegung Oesterreichs. 1867–1892«, an der auch – ungenannt – Johann Risman mitgearbeitet hatte und welche in ihrer gesamten Auflage von etwa 5.000 Exemplaren sofort beim Erscheinen beschlagnahmt und bis auf wenige Belegexemplare vernichtet wurde. Wegen dieser Schrift wurde August Krčal gemeinsam mit Johann Risman am 19. Juni 1894 verhaftet. Nach fünfeinhalb Monaten Untersuchungshaft wurden August Krčal und Johann Risman am 1. und 2. Dezember 1894 vor dem Oberlandes- als Schwurgericht Graz in geheimer Verhandlung des Verbrechens des Hochverrats und des sechsfachen Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung angeklagt, und der am 8. August 1893 in Wien verhaftete und in das Landesgericht Graz überstellte Ferdinand Barth der Mitschuld durch Veranlassung der Drucklegung der Broschüre beschuldigt. Der bereits vom Tod gezeichnete Krčal wurde wie seine beiden Mitangeklagten freigesprochen. Dieser Freispruch mag verwundern, weil man im Zuge der Hausdurchsuchung bei Krčal je ein Bild des Sozialrevolutionärs Hermann Stellmacher (1853–1884) und des wegen einer so genannten Dynamitverschwörung verurteilten Anarchisten Henry Weismann (1865–1935) – übrigens kurz darauf New Yorker Gemeinderat – gefunden hatte, was in anderen Fällen für hohe Kerkerstrafen gereicht hatte. August Krčal erholte sich nicht mehr von der unter den üblen Haftbedingungen im Juli 1893 akut gewordenen Tuberkulose und starb nach monatelangem Krankenlager und der von ihm selbst veranlassten Entlassung aus dem Spital der Barmherzigen Brüder am 16. August 1894 bei einem Genossen in Graz, Metahofgasse 14.
Adressen
Polna, Böhmen [Polná, Tschechien], Polna 31 (Geburtsadresse)
Graz, Steiermark, Metahofgasse 14 (Sterbeadresse)
Publikationen
Bücher und Broschüren
Geschichte des Fachvereines der Bäcker Wiens von der Gründung bis Ende December 1886. Herausgegeben vom Fachverein. Wien: Selbstverlag des Vereines 1887, 16 S. Anonym erschienen. Enthält [August Krčal]: Die Geschichte des Fachvereines, S. 3–6; [anonym]: Thätigkeit des Vereines seit der Gründung bis Ende December 1886, S. 7–14; Der Ausschuß: Genossen!, S. 15–16. Auch die Zusammenstellung der Broschüre erfolgte durch August Krčal (1862–1894).
August Krčal (1862–1894): Zur Geschichte der Arbeiter-Bewegung Oesterreichs. 1867–1892. Eine kritische Darlegung von August Krčal. Graz: Selbstverlag des Verfassers 1893, 52 S. Enthält auch Johann Rismann [!]: Vorwort, S. 3–4. Johann Risman (1864–1936) ist ungenannter Ko-Autor dieser Broschüre. Die Broschüre wurde am 14. Juni 1893 polizeilich vollständig beschlagnahmt und bis auf einige Belegexemplare vernichtet.
b) August Krčal: Zur Geschichte der Arbeiter-Bewegung Oesterreichs. 1867–1894. Eine kritische Darlegung von August Krcal nebst Ergänzungen von X. Y. Berlin: [Verlag des »Sozialist«] 1894, 50 S. »X. Y.« ist Josef Schmied (1870–?). Neudruck der Ausgabe Graz 1893, erweitert um ein Porträtfoto Krčals und Der Verleger [d. i. Gustav Landauer]: An die geehrten Leser!, S. 5; [Josef Schmied (1870–)]: XV. 1893–1894, S. 45–48; [Josef Schmied]: Anhang, S. 49–50.
c) Blätter aus der Geschichte der Arbeiterbewegung Oesterreichs (1867–1894). Eine kritische Darlegung von August Krcal. Mit dem Bildnis des verstorbenen Verfassers. Zürich: Verlag Kulturgemeinschaft Freie Generation (Rainer Trindler) 1913, XVI, 95 S. Es handelt sich dabei um die dritte, erweiterte Auflage. Motto auf Titelblatt: Durch Wahrheit zur Klarheit! Enthält auch Kulturgemeinschaft Freie Generation [d. i. Rudolf Großmann alias Pierre Ramus (1882–1842)]: Geleitworte, S. III–XVI.
A) August Krčal: K dějinám dělnického hnutí v Rakousku 1867–1894. Přeložil Karel Vohryzek. V Liberici [Liberec]: Nákladem Ladislava Brunlíka [1898], 152 S. Enthält auch Karel Vohrýzek; Kamarádům, S. [3]–4. Übersetzer: Karel Vohryzek (1876–1933); übersetzt wurde die zweite, erweiterte Auflage Berlin 1894. Zuvor erschien eine tschechische Übersetzung als Artikelserie unter dem Titel: Úryvek z revolučního hnutí v Rakousku, in: Volné listy (Brooklyn), 1895–1896. Tschechisch: Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Österreich 1867–1894. Übersetzt von Karel Vohryzek.
Mitarbeiter*innen an Periodika
Die Bäcker-Zeitung (Wien) 1887
- Die Zukunft (Wien) 1892 bis 1893
Abdrucke in:
Die Wahrheit (Floridsdorf) 1904
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Autor: Reinhard Müller
Version: Oktober 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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Karte
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A. K. [d. i. August Krčal]: Von meiner Agitationsreise, in: Die Zukunft (Wien), 1. Jg., Nr. 18 (13. Mai 1893), S. 2.