Friedrich Kratochvil (1850–1891)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Wenzel Kratochvil; tschechische Namensform: Václav Kratochvíl: Amtsdiener; Heirat mit:
Mutter: Anna Kratochvil, geborenen Biber: Hausfrau
Schwester: Anna Kratochvil, seit 21. Juni 1885 verheiratete Mensa (Blatna, Böhmen [Blatná, Tschechien] 3. Mai 1858 – ?): Hausfrau
Ehe: ja
Biographie
Friedrich Kratochvil absolvierte eine Spenglerlehre und arbeitete als Spenglergehilfe in Wien, wo er sich dem sozialrevolutionären Flügel der radicalen Arbeiterbewegung anschloss.
Die Dynamit-Affäre. Februar und März 1886
Im Februar 1886 gründeten der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), Friedrich Kratochvil und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?) eine Gruppe zur Erzeugung von Bomben, wobei sie in der Wohnung von Johann Wawrunek nach einem Artikel in der Zeitung »Der Rebell« (Nirgendsheim [d. i. London]) zwei Bomben herstellten, die durch Aufsetzen eines Zündhütchens scharf gemacht werden konnten. Leopold Kaspari besorgte zu diesem Zweck mehr als 1.500 Gramm Sprengstoff der Marke »Janit«. Am 14. März 1886, bei der Demonstration für die so genannten Märzgefallenen von 1848, trugen Leopold Kaspari und Johann Wawrunek diese Bomben bei sich und hätten sie, gemäß späterem Geständnis, auch gezündet, hätte die Polizei die Arbeiter auf der Schmelz in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]) angegriffen. Diese so genannte Dynamit-Affäre wurde erst im Oktober 1886 aufgedeckt.
Die Brandleger-Affäre. Oktober 1886
Am 20. September 1886 traf sich in Obermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) nahe der Maria-Theresien-Brücke [Augartenbrücke], Wien 2. und 9., eine Gruppe Wiener Sozialrevolutionäre erstmals zu einer geheimen Zusammenkunft: der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), Leopold Kaspari, der Drechsler- und Wagnergehilfe Franz Koči (1855–1913), Friedrich Kratochvil, der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Seidenzeugmacher Johann Waněk (1851–?) und Johann Wawrunek. Franz Koči und Friedrich Kratochvil entwickelten einen Plan, in Wien und Umgebung mehrere Holzlagerplätze in Brand zu stecken. In den nächsten Wochen fanden mehrere Treffen bei der Maria-Theresien-Brücke sowie beim Wasserreservoir auf der Schmelz statt, und sie fertigten vierzehn Brandflaschen an. Am 27. September 1886 wurden die vier Gruppen für die Brandanschläge eingeteilt. Zunächst dachte man an einen Wochentag, doch Franz Koči und Friedrich Kratochvil setzten einen Sonntag als Attentatstermin durch, damit man mehr Aufsehen errege. So bestimmte man Sonntag den 3. Oktober 1886 als Attentatstag.
Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheiterte die so genannte Brandleger-Affäre. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 sollten gleichzeitig Brandanschläge in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hietzing (Niederösterreich [zu Wien 13.]) und Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]) ausgeführt werden. Dazu wurden vier Gruppen gebildet, und zwar aus dem Kreis der zwölf Verschwörer: der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–1908), der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Franz Koči, der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), Friedrich Kratochvil, der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), welcher sich allerdings später als unschuldig herausstellte, der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Drechslergehilfe Josef Stieber (~1860–?), Johann Waněk und Johann Wawrunek.
Die erste Gruppe sollte in Hetzendorf (Niederösterreich [zu Wien 12.]) und Untermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]) agieren. Franz Koči, Friedrich Kratochvíl und Johann Waněk zogen mit zwei Brandflaschen versehen bereits gegen 15 Uhr los und deponierten zwischen 20 und 21 Uhr eine Flasche auf dem Holzplatz des Holzhändlers Simon Hraschko in Hetzendorf. Friedrich Kratochvíl fürchtete, dass die Flasche nicht explodieren könnte, verschüttete daher deren Inhalt, nämlich Terpentinöl, auf die dort lagernden Eichenschwellen und tränkte auch noch mitgebrachte Fetzen in Terpentinöl. Das Feuer begann nur langsam zu brennen, und ein Passant, der Diurnist (Verwaltungsbeamter) der Staatsbahn Josef Martinek, entdeckte außerdem die brennende Umhüllung der Flasche und konnte den Brand durch Treten mit den Füßen und Schlagen mit seinem Stock im Keim ersticken. Es war dies der einzige Brandanschlag dieser Serie, bei dem auch tatsächlich – zumindest kurzzeitig – ein Feuer ausbrach. Anschließend begab sich die Gruppe zu einem Holzlagerplatz bei der Meidlinger Remise, wo sie aber an ihrem Vorhaben durch das Erscheinen eines Sicherheitswachmanns gehindert wurde. Als ein weiterer Brandlegungversuch vereitelt wurde, weil neuerlich ein Wachmann auftauchte, glaubten die Attentäter an Verrat. Auf ihrem Rückzug warfen sie die zweite, mit Zündstoff gefüllte und bereits adjustierte Flasche auf den Holzlagerplatz des Tischlermeisters Wenzel Grohmann in Untermeidling (Niederösterreich [zu Wien 12.]), Miesbachgasse 60 [Vivenotgasse], doch auch diese war falsch adjustiert, explodierte nicht und wurde am 4. Oktober 1886 von den Behörden sichergestellt.
Verfolgung durch die Behörden. Oktober 1886
Die Behörden gingen mit ihren Kenntnissen über diese so genannte Brandleger-Affäre erst am 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit, und in den Zeitungen wurde nun ausführlich von einem so genannten Anarchisten-Komplott berichtet. Schon länger hatte die Polizei eine Gruppe von etwa zwanzig Arbeitern, die sich jeden Sonntag im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße], traf, beobachtet. Nun holte die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 konnten acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche folgten weitere sieben. Im Zusammenhang mit der so genannten Brandleger-Affäre wurden Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek verhaftet. Lediglich Franz Koči und Johann Waněk gelang die Flucht in die USA. Wegen der so genannten Linke-Affäre wurde gegen die auch wegen der so genannten Brandleger-Affäre verhafteten Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari und Johann Wawrunek ermittelt. Dies galt auch für die in die so genannte Dynamit-Affäre vom 14. März 1886 involvierten Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek.
Der Anarchisten-Prozess. März 1887
Vom 21. bis 28. März 1887 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen die im Oktober 1886 verhafteten Sozialrevolutionäre statt. Verhandelt wurden die so genannte Brandleger-Affäre vom 3. und 4. Oktober 1886, die so genannte Trostler-Affäre vom April 1886, die so genannte Linke-Affäre vom März 1886, die so genannte Dynamit-Affäre vom 14. März 1886, die so genannte Tyll-Affäre vom 3. August 1885 und die so genannte Reich-Affäre vom 18. Juni 1885. Der Prozess sollte ursprünglich in geheimer Verhandlung stattfinden, da aber jeder der fünfzehn Angeklagten drei Vertrauensmänner bestimmen konnte, wäre der geheime Charakter ohnedies hinfällig, so dass man sich zu einer öffentlichen Verhandlung entschloss. Lediglich in der Verhandlung vom 25. März 1887 wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Angeklagt wurden der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–1908), der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), der Schneidergehilfe Albert Friedmann (1866–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1863–?), Leopold Kaspari, der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), der Fleischausträger Heinrich Rischawy (1858–1942), der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908), der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), der Drechslergehilfe Josef Stieber (~1860–?), der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?) und der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–1906). Angeklagt wurden des Verbrechens der Brandlegung Heinrich Höfermayer, Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla, des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek, der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek, des Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Betrugs Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer, Johann Hospodský, Franz Schustaczek und Karl Schwehla, des Verbrechens des versuchten Diebstahls Leopold Kaspari, Heinrich Rischawy, Johann Wawrunek und Thomas Zoppoth sowie des Verbrechens der versuchten Verleitung zum Raub Stefan Buelacher. Außer Stefan Buelacher und Josef Stieber sowie dem später freigesprochenen Josef Buzek legten alle Angeklagten mehr oder weniger umfangreiche Geständnisse ab, belasteten aber einander auch stark. Die Anklage gegen Stefan Müller zog der Staatsanwalt am 25. März 1887 zurück; er wurde freigesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Dieser Prozess war übrigens der letzte von Staatsanwalt Karl von Pelser-Fürnberg (1838–1917), der am 14. März 1887 mit Wirksamkeit vom 1. April 1887 zum Rat am Oberlandesgericht ernannt worden war.
Verurteilt wurden wegen Brandlegung als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger sowie wegen des Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes Friedrich Kratochvil zu zwanzig Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Leopold Kaspari zu sechzehn Jahren, wegen Brandlegung als unmittelbar Täter und Mitschuldiger sowie wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Heinrich Höfermayer und Karl Schwehla zu je fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Johann Wawrunek zu fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung und versuchter Verleitung zum Raub Stefan Buelacher zu zwölf Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung Josef Stieber zu neun und Gustav Kopetzky zu acht Jahren, wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Franz Schustaczek zu sechs und Johann Hospodský zu fünf Jahren, wegen Betrugs als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger Albert Friedmann zu sechs Jahren, wegen versuchten Diebstahls Thomas Zoppoth zu einem Jahr und Heinrich Rischawy zu sechs Monaten schwerem Kerker, bei allen verschärft mit einem Fasttag im Monat, bei Friedrich Kratochvil zusätzlich durch Dunkelhaft an jedem 3. Oktober des Jahres. Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek wurden außerdem nach Verbüßung der Strafe für immer aus Niederösterreich ausgewiesen, alle anderen Verurteilten nach überstandener Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Josef Buzek, der sich auch nach Aussagen aller Verurteilten von vornherein gegen die Brandlegung ausgesprochen habe, wurde freigesprochen. Insgesamt wurden in diesem Prozess hundertachtundzwanzig Jahre und sechs Monate Haft verhängt. Mit Ausnahme von Johann Hospodský legten alle Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung ein.
Das Revisionsverfahren. August 1887
Am 25. und 26. August 1887 fand vor dem Kassationshof in Wien die Revisionsverhandlung der Verurteilten im so genannten Anarchisten-Prozess vom März 1887 statt. Der Nichtigkeitsbeschwerde von Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Franz Schustaczek, Josef Stieber und Johann Wawrunek wegen der so genannten Brandleger-Affäre wurde dahingehend teilweise stattgegeben, dass die Brandlegung auf dem Holzplatz des Karl Johann Scholtes jun. nicht nach dem Strafsatz des § 167 lit. d (Wiederholung), sondern nach § 167 lit. f zu erfolgen habe; dies habe auch auf die Urteile gegen Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla Auswirkung, welche diesbezüglich keine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hatten. Die Nichtigkeitsbeschwerde von Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer und Franz Schustaczek in der so genannten Tyll-Affäre wurde dahingehend anerkannt, dass es sich nicht um vollbrachten, sondern versuchten Betrug handle; dies habe auch auf die Urteile gegen Johann Hospodský und Karl Schwehla Einfluss, welche diesbezüglich keine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hatten. Eine Änderung des Strafmaßes sei aber durch diese Erkenntnisse nicht bewirkt. Die anderen eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerden wurden zurückgewiesen. Über die Berufungen solle der Oberste Gerichtshof entscheiden.
Haft und Tod. 1887 bis 1891
Friedrich Kratochwil wurde in das Gefängnis Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich) eingeliefert, wo er – unter Zurückweisung einer Einsegnung – am 3. Februar 1891 an allgemeiner Skrofulose verstarb.
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Adresse
- Gefängnis Stein [zu Krems an der Donau], Niederösterreich, Stein 84 [Steiner Landstraße 4] (Sterbeadresse)
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Autor: Reinhard Müller
Version: April 2025
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