Josef Stieber (1860–)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Ehe: ja
Biographie
Josef Stieber absolvierte eine Lehre als Drechsler und schloss sich als Drechslergehilfe der radicalen Arbeiterbewegung in Wien an, wo er bald dem sozialrevolutionären Flügel angehörte.
Am 10. September 1883 wurde Josef Stieber aufgrund der Denunziation des Milchmaiers Anton Protiwinsky (1860–1897) in Wien verhaftet, weil er auf die Hausmauer »Hoch die Republik!« – nach anderen Quellen »Es lebe die rote Republik!« – geschrieben habe. Bei seiner Verhaftung erlitt Josef Stieber durch den Stoß eines Gendarmen einen Schlüsselbeinbruch auf der rechten Seite. Trotz der Verletzung wurde er in Ketten in das Landesgericht Wien eingeliefert, wo auch der von Stieber erbetene Gefängnisarzt keine ernsthafte Verletzung feststellte. Nach neun Tagen wurde Josef Stieber ohne Anklageerhebung aus der Untersuchungshaft entlassen und begab sich sofort in das Wiener Allgemeine Krankenhaus, wo der ihn behandelnde Professor den Bruch des Schlüsselbeins feststellte. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1885 wurde in Baumgarten (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hauptstraße 4, im Dachbodenraum ein Feuer gelegt. Der Inhaber dieses Hauses war der Milchmaier Anton Protiwinsky (1860–1897), der einst Josef Stieber angezeigt hatte. Nunmehr wurde angenommen, dass das Feuer aus Rache für die damalige Anzeige gelegt worden sei. Eine Ausbreitung des Brandes wurde durch das Eingreifen des Nachtwächters und der von ihm alarmierten Hausbewohner verhindert. Als angebliche Brandleger dieser so genannten Protiwinsky-Affäre wurden erst im Herbst 1887 vier Sozialrevolutionäre ermittelt: der Metallschleifer Franz Czermak (~1864–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermeier (~1862–?), der Bronzearbeiter Johann Rith (~1859–?) und Josef Stieber.
Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheiterte die zweite so genannte Brandleger-Affäre. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 sollten gleichzeitig Brandanschläge in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hietzing (Niederösterreich [zu Wien 13.]) und Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]) ausgeführt werden. Dazu werden vier Gruppen gebildet, denen der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–?), der Spenglergehilfe Josef Bůžek (1852–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermeier (~1862–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (~1862–?), der Drechslergehilfe Franz Kočí (~1856–?), der Maschinenwärter Gustav Kopecký (~1851–?), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvíl (~1851–?), der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), welcher sich allerdings später als unschuldig herausstellte, der Schuhmachermeister Karl Schwehla (~1851–?), Josef Stieber, der Seidenzeugmacher Johann Wanek (~1851–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (~1850–?). Die Behörden gingen mit diesem Vorfall erst am 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit, und in den Zeitungen wurde nun ausführlich von einem so genannten Anarchisten-Komplott berichtet. Schon länger hatte die Polizei eine Gruppe von etwa zwanzig Arbeitern, die sich jeden Sonntag im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße], traf, beobachtet. Nun holte die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 konnten acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche wurden weitere sieben festgenommen. Unter den Verfateten und ins Landesgericht Wien Eingelieferten befand sich auch Josef Stieber.
Vom 21. bis 28. März 1887 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen die im Oktober 1886 verhafteten Sozialrevolutionäre statt. Verhandelt wurden die zweite so genannte Brandleger-Affäre vom 3. Oktober 1886, die so genannte Trostler-Affäre vom April 1886, die so genannte Linke-Affäre vom März 1886, die so genannte Dynamit-Affäre vom Februar 1886, die so genannte Tyll-Affäre vom 3. August 1885 und die so genannte Reich-Affäre vom 18. Juni 1885. Der Prozess sollte ursprünglich in geheimer Verhandlung stattfinden, da aber jeder der fünfzehn Angeklagten drei Vertrauensmänner bestimmen konnte, wäre der geheime Charakter ohnedies hinfällig, so dass man sich zu einer öffentlichen Verhandlung entschloss. Lediglich in der Verhandlung vom 25. März 1887 wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Josef Stieber, der alle Anklagepunkte bestritt, wurde des Verbrechens der Brandlegung angeklagt, begangen durch seine Teilnahme an der zweiten so genannten Brandleger-Affäre vom 3. Oktober 1886. Stieber wurde wegen Mitschuld an der Brandlegung zu neun Jahren schwerem Kerker, verschärft mit einem Fasttag im Monat, verurteilt. Am 25. und 26. August 1887 fand vor dem Kassationshof in Wien die Revisionsverhandlung der Verurteilten im so genannten Anarchisten-Prozess statt. Der Nichtigkeitsbeschwerde von Josef Stieber wurde dahingehend teilweise stattgegeben, dass die Brandlegung keine Wiederholung darstelle, doch habe dies auf das ausgesprochene Strafmaß keine Folgen.
Am 13. Februar 1888 fand vor dem Landes- als Erkenntnisgericht Wien das Verfahren gegen drei Sozialrevolutionäre wegen des Brandanschlagesder in der so genannten Protiwinsky-Affäre vom 25. Juni 1885 statt. Angeklagt wurden der Metallschleifer Franz Czermak (~1864–?), der Bronzearbeiter Johann Rith (~1859–?) und der Drechslergehilfe Josef Stieber. Die Anklage gegen den ebenfalls an dieser Brandlegung beteiligten Drechslergehilfen Heinrich Höfermeier (~1862–?) wurde fallengelassen, weil er bereits wegen der zweiten so genannten Brandleger-Affäre vom 3. Oktober 1886 im so genannten Anarchisten-Prozess, der vom 21. bis 28. März 1887 vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien stattgefunden hatte, zur Höchststrafe von fünfzehn Jahren verurteilt worden war. Franz Czermak, der bereits wegen seiner Teilnahme an der so genannten Tyll-Affäre vom 3. August 1885 am 9. Mai 1887 vom Landes- als Ausnahmsgericht Wien zu vier Jahren Kerker verurteilt worden war, legte nun ein Geständnis im Sinne der Anklage ab und wurde zu weiteren fünf Jahren schwerem Kerker verurteilt. Josef Stieber, der im so genannten Anarchisten-Prozess, der vom 21. bis 28. März 1887 vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien stattgefunden hatte, zu neun Jahren schwerem Kerker verurteilt worden war, wurde zwar aufgrund der Aussage von Franz Czermak als bei der Tat nicht anwesend entlastet, wurde aber trotzdem zu weiteren drei Jahren schwerem Kerker verurteilt. Außerdem wurden Franz Czermak und Josef Stieber nach Verbüßung der Strafen unter Polizeiaufsicht gestellt. Das Verfahren wegen Verbrechens der Brandlegung aus anarchistischen Motiven gegen Johann Rith, den beide anderen Angeklagten entlasten, wurde vertagt und an den Untersuchungsrichter zurückverwiesen. Am 16. März 1888 wurde das Alibi von Johann Rith als unwiderlegbar betrachtet, woraufhin der Staatsanwalt die Klage zurückzog und Johann Rith aus der Haft entlassen wurde.
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Autor: Reinhard Müller
Version: Dezember 2024
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