Josef Stieber (1860–)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Ehe: ja
Biographie
Josef Stieber absolvierte eine Lehre als Drechsler und schloss sich als Drechslergehilfe der radicalen Arbeiterbewegung in Wien an, wo er bald dem sozialrevolutionären Flügel angehörte.
Die Protiwinsky-Affäre. Juni 1885
Am 10. September 1883 wurde Josef Stieber aufgrund der Denunziation des Milchmaiers Anton Protiwinsky (1860–1897) in Wien verhaftet, weil er auf die Hausmauer »Hoch die Republik!« – nach anderen Quellen »Es lebe die rote Republik!« – geschrieben habe. Bei seiner Verhaftung erlitt Josef Stieber durch den Stoß eines Gendarmen einen Schlüsselbeinbruch auf der rechten Seite. Trotz der Verletzung wurde er in Ketten in das Landesgericht Wien eingeliefert, wo auch der von Stieber erbetene Gefängnisarzt keine ernsthafte Verletzung feststellte. Nach neun Tagen wurde Josef Stieber ohne Anklageerhebung aus der Untersuchungshaft entlassen und begab sich sofort in das Wiener Allgemeine Krankenhaus, wo der ihn behandelnde Professor den Bruch des Schlüsselbeins feststellte. Auf diesen Vorfall wurde Stieber auch im Prozess gegen die Drechslergehilfen Adolf Hannich (1864–1892?) und Josef Straschar (1862–?) wegen des Verbrechens des Hochverrats, der am 11. Juli 1884 vor dem Ausnahmsgericht Wien stattfand, als Zeuge vom Staatsanwalt angesprochen. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1885 wurde in Baumgarten (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hauptstraße 4, im Dachbodenraum ein Feuer gelegt. Der Inhaber dieses Hauses war der Milchmaier Anton Protiwinsky (1860–1897), der einst Josef Stieber angezeigt hatte. Nunmehr wurde angenommen, dass das Feuer aus Rache für die damalige Anzeige gelegt worden sei. Eine Ausbreitung des Brandes wurde durch das Eingreifen des Nachtwächters und der von ihm alarmierten Hausbewohner verhindert. Als angebliche Brandleger dieser so genannten Protiwinsky-Affäre wurden erst im Herbst 1887 vier Sozialrevolutionäre ermittelt: der Metallschleifer Franz Czermak (1863–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Bronzearbeiter Johann Rith (1860–1943) und Josef Stieber.
Die Brandleger-Affäre. Oktober 1886
Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheiterte die so genannte Brandleger-Affäre. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 sollten gleichzeitig Brandanschläge in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Hietzing (Niederösterreich [zu Wien 13.]) und Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]) ausgeführt werden. Dazu werden vier Gruppen gebildet, denen der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–1908), der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), Heinrich Höfermayer, der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), der Drechslerund Wagnergehilfe Franz Koči (1855–1913), der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), welcher sich allerdings später als unschuldig herausstellte, der Schuhmachermeister Karl Schwehla (1851–1897), Josef Stieber, der Seidenzeugmacher Johann Waněk (1851–?) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?).
Verfolgung durch die Behörden. Oktober 1886
Die Behörden gingen mit ihren Kenntnissen über diese so genannte Brandleger-Affäre erst am 9. Oktober 1886 an die Öffentlichkeit, und in den Zeitungen wurde nun ausführlich von einem so genannten Anarchisten-Komplott berichtet. Schon länger hatte die Polizei eine Gruppe von etwa zwanzig Arbeitern, die sich jeden Sonntag im »Mader’schen Gasthaus« (Karl Mader) in Penzing (Niederösterreich [zu Wien 14.]), Poststraße 59 [Linzer Straße], traf, beobachtet. Nun holte die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 konnten acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche folgten weitere sieben. Im Zusammenhang mit der so genannten Brandleger-Affäre wurden Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek verhaftet. Lediglich Franz Koči und Johann Waněk gelang die Flucht in die USA. Im Zuge der Erhebungen zur so genannten Brandleger-Affäre konnten weitere Aktionen der Sozialrevolutionäre aufgeklärt werden. Im Zusammenhang mit der so genannten Reich-Affäre vom 18. Juni 1885, der so genannten Protiwinsky-Affäre vom 25. Juni 1885 und der so genannten Tyll-Affäre vom 3. August 1885 wurden der Schneidergehilfe Albert Friedmann (1866–?), der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1863–?) und Franz Schustaczek verhaftet. Heinrich Höfermayer und Karl Schwehla waren bereits als Beteiligte an der so genannten Brandleger-Affäre inhaftiert. Wegen der so genannten Linke-Affäre wurde gegen die auch wegen der so genannten Brandleger-Affäre verhafteten Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari und Johann Wawrunek ermittelt. Dies galt auch für die in die so genannte Dynamit-Affäre vom 14. März 1886 involvierten Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek.
Der Anarchisten-Prozess. März 1887
Vom 21. bis 28. März 1887 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen die im Oktober 1886 verhafteten Sozialrevolutionäre statt. Verhandelt wurden die so genannte Brandleger-Affäre vom Oktober 1886, die so genannte Trostler-Affäre vom April 1886, die so genannte Linke-Affäre vom März 1886, die so genannte Dynamit-Affäre vom 14. März 1886, die so genannte Tyll-Affäre vom 3. August 1885 und die so genannte Reich-Affäre vom 18. Juni 1885. Der Prozess sollte ursprünglich in geheimer Verhandlung stattfinden. Da aber jeder der fünfzehn Angeklagten drei Vertrauensmänner bestimmen konnte, wäre der geheime Charakter ohnedies hinfällig, so dass man sich zu einer öffentlichen Verhandlung entschloss. Lediglich in der Verhandlung vom 25. März 1887 wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Angeklagt wurden der Bronzearbeitergehilfe Stefan Buelacher (1858–1908), der Spenglergehilfe Josef Buzek (1851–1921), der Schneidergehilfe Albert Friedmann (1866–?), der Drechslergehilfe Heinrich Höfermayer (1862–?), der Schuhmachergehilfe Johann Hospodský (1863–?), der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), der Maschinenwärter Gustav Kopetzky (1850–1928), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), der Korbflechter Stefan Müller (~1858–?), der Fleischausträger Heinrich Rischawy (1858–1942), der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908), der Schumachermeister Karl Schwehla (1851–1897), Josef Stieber, der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?) und der Pfeifenschneidergehilfe Thomas Zoppoth (1866–1906). Angeklagt wurden des Verbrechens der Brandlegung Heinrich Höfermayer, Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla, des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung Stefan Buelacher, Josef Buzek, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Friedrich Kratochvil, Stefan Müller, Karl Schwehla, Josef Stieber und Johann Wawrunek, der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek, des Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Betrugs Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer, Johann Hospodský, Franz Schustaczek und Karl Schwehla, des Verbrechens des versuchten Diebstahls Leopold Kaspari, Heinrich Rischawy, Johann Wawrunek und Thomas Zoppoth sowie des Verbrechens der versuchten Verleitung zum Raub Stefan Buelacher. Außer Stefan Buelacher und Josef Stieber sowie dem später freigesprochenen Josef Buzek legten alle Angeklagten mehr oder weniger umfangreiche Geständnisse ab, belasteten aber einander auch stark. Die Anklage gegen Stefan Müller zog der Staatsanwalt am 25. März 1887 zurück; er wurde freigesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Dieser Prozess war übrigens der letzte von Staatsanwalt Karl von Pelser-Fürnberg (1838–1917), der am 14. März 1887 mit Wirksamkeit vom 1. April 1887 zum Rat am Oberlandesgericht ernannt worden war.
Verurteilt wurden wegen Brandlegung als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger sowie wegen des Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes Friedrich Kratochvil zu zwanzig Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Leopold Kaspari zu sechzehn Jahren, wegen Brandlegung als unmittelbar Täter und Mitschuldiger sowie wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Heinrich Höfermayer und Karl Schwehla zu je fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung, wegen Verbrechens der §§ 5 und 6 des Sprengstoffgesetzes und wegen versuchten Diebstahls Johann Wawrunek zu fünfzehn Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung und versuchter Verleitung zum Raub Stefan Buelacher zu zwölf Jahren, wegen Mitschuld an der Brandlegung Josef Stieber zu neun und Gustav Kopetzky zu acht Jahren, wegen versuchten und vollbrachten Betrugs Franz Schustaczek zu sechs und Johann Hospodský zu fünf Jahren, wegen Betrugs als unmittelbarer Täter und Mitschuldiger Albert Friedmann zu sechs Jahren, wegen versuchten Diebstahls Thomas Zoppoth zu einem Jahr und Heinrich Rischawy zu sechs Monaten schwerem Kerker, bei allen verschärft mit einem Fasttag im Monat, bei Friedrich Kratochvil zusätzlich durch Dunkelhaft an jedem 3. Oktober des Jahres. Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek wurden außerdem nach Verbüßung der Strafe für immer aus Niederösterreich ausgewiesen, alle anderen Verurteilten nach überstandener Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Josef Buzek, der sich auch nach Aussagen aller Verurteilten von vornherein gegen die Brandlegung ausgesprochen habe, wurde freigesprochen. Insgesamt wurden in diesem Prozess hundertachtundzwanzig Jahre und sechs Monate Haft verhängt. Mit Ausnahme von Johann Hospodský legten alle Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung ein.
Das Revisionsverfahren. August 1887
Am 25. und 26. August 1887 fand vor dem Kassationshof in Wien die Revisionsverhandlung der Verurteilten im so genannten Anarchisten-Prozess vom März 1887 statt. Der Nichtigkeitsbeschwerde von Stefan Buelacher, Heinrich Höfermayer, Leopold Kaspari, Gustav Kopetzky, Franz Schustaczek, Josef Stieber und Johann Wawrunek wegen der so genannten Brandleger-Affäre wurde dahingehend teilweise stattgegeben, dass die Brandlegung auf dem Holzplatz des Karl Johann Scholtes jun. nicht nach dem Strafsatz des § 167 lit. d (Wiederholung), sondern nach § 167 lit. f zu erfolgen habe; dies habe auch auf die Urteile gegen Friedrich Kratochvil und Karl Schwehla Auswirkung, welche diesbezüglich keine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hatten. Die Nichtigkeitsbeschwerde von Albert Friedmann, Heinrich Höfermayer und Franz Schustaczek in der so genannten Tyll-Affäre wurde dahingehend anerkannt, dass es sich nicht um vollbrachten, sondern versuchten Betrug handle; dies habe auch auf die Urteile gegen Johann Hospodský und Karl Schwehla Einfluss, welche diesbezüglich keine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hatten. Eine Änderung des Strafmaßes sei aber durch diese Erkenntnisse nicht bewirkt. Die anderen eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerden wurden zurückgewiesen. Über die Berufungen solle der Oberste Gerichtshof entscheiden.
Der Prozess anlässlich der Protiwinsky-Affäre. Februar 1888
Am 13. Februar 1888 fand vor dem Landes- als Erkenntnisgericht Wien das Verfahren gegen drei Sozialrevolutionäre wegen des Brandanschlages in der so genannten Protiwinsky-Affäre vom 25. Juni 1885 statt. Angeklagt wurden Franz Czermak, Johann Rith und Josef Stieber. Die Anklage gegen den ebenfalls an dieser Brandlegung beteiligten Heinrich Höfermayer wurde fallen gelassen, weil er bereits wegen der so genannten Brandleger-Affäre vom 3. Oktober 1886 im so genannten Anarchisten-Prozess, der vom 21. bis 28. März 1887 vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien stattgefunden hatte, zur Höchststrafe von fünfzehn Jahren verurteilt worden war. Franz Czermak, der bereits wegen seiner Teilnahme an der so genannten Tyll-Affäre vom 3. August 1885 am 9. Mai 1887 vom Landes- als Ausnahmsgericht Wien zu vier Jahren schwerem Kerker verurteilt worden war, legte nun ein Geständnis im Sinne der Anklage ab und wurde zu weiteren fünf Jahren schwerem Kerker verurteilt. Josef Stieber, der im so genannten Anarchisten-Prozess, der vom 21. bis 28. März 1887 vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien stattgefunden hatte, zu neun Jahren schwerem Kerker verurteilt worden war, wurde zwar aufgrund der Aussage von Franz Czermak als bei der Tat nicht anwesend entlastet, wurde aber trotzdem zu weiteren drei Jahren schwerem Kerker verurteilt. Außerdem wurden Franz Czermak und Josef Stieber nach Verbüßung der Strafen unter Polizeiaufsicht gestellt. Das Verfahren wegen Verbrechens der Brandlegung aus anarchistischen Motiven gegen Johann Rith, den beide Mitangeklagten entlasteten, wurde vertagt und an den Untersuchungsrichter zurückverwiesen. Am 16. März 1888 wurde das Alibi von Johann Rith als unwiderlegbar betrachtet, woraufhin der Staatsanwalt die Klage zurückzog und Johann Rith aus der Haft entlassen wurde.
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Autor: Reinhard Müller
Version: April 2025
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