02.09.03. Im August 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder. Wien 1886

Im August 1886
 

Lebenszeichen der Anarchisten.

Arbeiter! Brüder1


 Lange – lange haben wir gehofft auf dem Wege der fridlichen Entwikelung die Freiheit aller Völker begründen zu können; aber Hass und Verachtung von Seiten der Besitzenden – Verfolgung und Gefägniss von Seiten der Herrschenden musten uns bald von der Thorheit socher Hoffnungen überzeugen und so sind nicht wir es, sondern die Herrschenden Klassen, welche den Kampf für Freiheit und Menschenrecht zur Inhumanität drängten. Die herrschenden Klassen haben uns gezeigt, wie wir in der Zukunft zu kämpfen haben. So oft ein Kampf für Freiheit und Menschenrecht von Seiten der besitzenden und bevorrechtigten Klasse unterdrügt wurde, gaben die Sieger keinen Pardon – sie kannten keine Humanität. Aus allen Schlupfwinkeln wurden die Besiegten hervorgeholt und vernichtet und wir, die Proletarier haben alle Urssache uns dieses Beispiel zu merken. Dennoch soll unser Kampf gegen die bestehende Gesellschaft ein inhumaner sein? Wir sind (aus lauter Humanität) gezwungen; soll die Menschheit nicht voll und ganz verkommen durch die Eigenthumssbestie, den Kampf mit allen Mitteln zu führen. – überall, wohin wir blicken, Noth und Elend; überall Kampf um’s Dasein, trotzdem dass alles was man braucht um glücklich zu sein, in Ueberfluss vorhanden ist. Zustände sind vorhanden, in denen Wohltat zur Schande und Mitleid zur Heuchlerei wird. Wer will solche Zustände aufrecht erhalten – wer will sie verewigen: – Schurken in Menschengestalt können solches nur wollen.

Unser Herz schrumpft zusammen vor Humanität wenn wir gesunde, kräftige und arbeitslustige Männer auf der Strasse herumlaufen sehen – wen wir sehen, wie sie um Arbeit betteln; unser Herz schrumft zusammen vor Humanität, wenn wir sehen, dass Weib und Kinder hungern und nach Brod schrein; unser Herz schrumpft zusammen vor Humanität, wenn wir sehen, wie ganze Völker sich gegenseitig morden – morden, um den Plänen ehrgeiziger Tyranneu zu dienen; und so ist es die Humanität; die uns zwingt mit allen Mitteln gegen die heutige Misswirtschaft zu kämpfen. –

Desshalb aber auch gedenken wir immer an unsere von der Justitz unschuldig verurtheilten, von ihren Henkersknechten ermordeten. genossen STELMACHER2 und KAMMERER;3 weil auch diese dass Recht den Kampf für Freiheit erblickten. Desshalb gedenken wir immer der gefallenen Freiheitskämpfer, weil wir wissen, dass es auch unsere Väter–vorkämpfer waren, welche den Kampf für Freiheit, und Menschenrechte nach den Grundsatz: »Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn« zu führeu. Darum aber auch ist die Erinnerung an das Jahr 1848 an alle Märtyrer der Revolution. – Wer vermag die Namen jener Heroen aufzuzählen, die ihr Leben hingaben für die Sache des Proletariats; tausende und abermals tausende wurden vernichtet durch die herrschenden kasen; Altar, Thron und Geldsack. Tausende und aber tausente harren der Sühne. Mag man uns vorwerfen, dass eine solche kriegsführung babarisch sei – – wir kämpfen für Freiheit, Glaicheit und Brüderlichkeit und ein solcher kampf rechtfertigt alle Mitteln. – Gift und Dolch – – Revolver und Dynamit - - alles sind berechtigte Mittel. – – Ja wir hultigen dem Kampf mit allen Mitteln. Längst sind wir überzeigt, dass wir von seiten der herrschenden klassen nichts als Vernichtung zu erwarten haben, und darum so lange zu kämpfen, bis sie der Vernichtung anheim fallen.

»Nieder mit den Barbarn, es lebe die Anarchi.« »Nider mit Allem, was der freien Entwikelung der Menschheit wiederstrebt.« »Es lebe die Commune.«

GENOSSEN! Soeben geht man daran unsere Bestrebungen zur Emancipation (Befreiung) des arbeitenden Volkes als gemeingefährlich« gesetzlich zu brandmarken. Wir die wir gegen die wirthschaftliche Ausbeutung der ungeheuren Volksmehrheit durch eine verschwendende Capitalistenminoritet kämpfen, sollen nun durch das zu ANARCHISTENGESETZ in kerkermauern als lebendig begraben hinfiechen, damit jene Volksausbeuter ihren Raub ungestört in auswärtigen (englische bank) anlegen können, von welchem sie damit bei den ersten Zuckungen der socialen Revolution in Siecherheit zehren. Tausende von Vorkämpfern für unsere Ideen schmachten in kerkern (Reinsdorff,4 Lieske5 Stellmacher Kamerer) besiegelten unsern Ideen mit ihren Blute. Jede gewaltige, epochemachende Idee Verlangt ihre Blutzeugen. Nicht umsonst starben jene bahnbrechenden Männer, ihre Leiber sind von den Henkers knechten der herrschenden Clasen unter dem Galgen verscharrt ihr Geist aber lebt unsterblich unter den arbeitendem Volke.

Die »das in die Luft Sprengen nicht werthe« österreichische Volksvertretung schreitet soeben daran, uns den Fehdehandshuh hinzuwerfen! ganz abgesehen von den Hauptschurken im Herrenhause. Wohlan, wir nehmen den kampf auf und werden ihn führen bis ans Messer. Einzelne Männer kann man hinrichten, die Idee selbst ist unsterblich. Was für Scheuslichkeiten (unsere Partei seit Ihren, Inslebentreten von der Regierung nicht auszuhalten, und stets regt sich wieder die unbesiegbaren Hydra der socialen Revolution der rothe Schrecken ist den österreichischen, blaublütigen Schurken und Geldpratzen in den Leib gefahren. Die Wahrzeichen des grossen, reinigenden Ungewitters, genannt sociale Revoulution, machen die gekrönten, europeischen Hauptstrolche und Massemörder erbeben.

Brüder! An uns ist es zu zeigen, dass wir Lebensfähigkeit genug besitzen, unsere schäbige Regierung sammt ihren Hauptshcurken in Schacht zu halten, Die Wogen unserer zungenbewegung können das Staatsschiff noch uicht verschlingen, aber sie gehen immer höher – –

Proletarier! die Zukunft gehört uns.

Die Reibungen im Schosse unserer Partei sind euch allen bekannt. Jehne Fraction, die meinte auf den Boden der »Gesetzlichkeit« schrittweise vorzudringen, sucht selbst die Anlehnung an unsere Organisation. Sie meinte durch Comessinen6 »nachgeben« im Princip etwas zu erreichen. Auf das Entgegenkommen hörte sie jedoch nur das schallende Gelächter der Bourgecis. Was Verhandlungen unter uus niccht vermochten, das bewirkte, der Fusstritt »Anarchistengesetz« der herrschenden Classe. Abgeträngt vom Boden des Gesetzes, ein sehend die Nutzlossigkeit ihres öflendlichen Wirkens, gehen die erlichen Elemente der gemässigten Fraction in unser Lager über: Den Anforderungen gemäss werden wir unsere Organisation aufbauen. Die Vereine haben sich aufzulösen.

Genossen! Antwortet auf den von der der Regierung gegen uns geführten Schlag mit Dynamit! und Dolch: Belehrungen in chemischtechnischen Beziehungen werden auf diesen Wege folgen. Fernerhin werden wir bestrept sein, der »Propaganda der That« durch schriftliche Agitationen Vorschub zu leisten, um die Drachensaat der Rebellion aufgehen zu lassen.

Arbeiter Oesterreichs! Lasst nicht länger dass hohläugige Gespenst des Hungers durch unsere Reihen schreiten. In der Viermillionentstadt London beginnt die Morgenröthe einer besseren Zeit zu dämmen. Auch unsere Brüder in der Neuen Welt (Amerika) rüsten sich abermals zum letzten Kampf um eine bessere Zukunft. Sie wollen die Capitalls herrschaft nicht mehr länger ertragen. Unser Kampf ist kein vereinzelter. Unterwühlt ist die herrschende Gesellschaft aller Länder. Spielt sie ihre letzte Karte heute aus«, Wir haben nichts zu verlieren nur zu gewinnen, die Geschichte wird es l lehren.

Es lebe die sociale Revolution

Hoch die Anarchie.

Warnung: Denuncianten werden vernichtet.

  • 1

    [Anonym]: Im 1886. Lebenszeichen der Anarchisten. Arbeiter! Brüder. [Wien]: [ohne Druckerangabe] 1886, Flugblatt. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 17. August 1886 in Österreich verboten.

  • 2

     Hermann Stellmacher (1853–1884, hingerichtet): aus Preußen gebürtiger Schuhmachergeselle und Attentäter; Radicaler, dann Sozialrevolutionär in der Schweiz und in Wien. Anmerkung Reinhard Müller.

  • 3

    Anton Kammerer (1862–1884, hingerichtet): Buchbindergehilfe, dann Eisenbahnarbeiter und Attentäter; Radicaler, dann Sozialrevolutionär in Wien. Anmerkung Reinhard Müller.

  • 4

    August Reinsdorf (1849–1885): aus Preußen gebürtiger Schriftsetzer und Sozialrevolutionär, Urheber einer Dynamitexplosion in Elberfeld (Preußen [zu Wuppertal, Nordrhein-Westfalen]) am 4. September 1883 und des gescheiterten Sprengstoffattentats gegen die deutschen Bundesfürsten anlässlich der Einweihung des Niederwalddenkmals bei Rüdesheim (Preußen [Hessen]) am 28. September 1883; deswegen zum Tod verurteilt und am 7. Februar 1885 geköpft. Anmerkung Reinhard Müller.

  • 5

    Julius Lieske (1863–1885): aus Preußen gebürtiger Schustergeselle und Sozialrevolutionär, in einem rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren verurteilt, den Frankfurter königlich preußischen Polizeirat und Kriminalkommissar Ludwig Rumpff (1822–1885) am 13. Jänner 1885 ermordet zu haben; er wurde zum Tod verurteilt und am 17. November 1885 geköpft. Anmerkung Reinhard Müller.

  • 6

    Gemeint sind wohl »Konzessionen«. Anmerkung Reinhard Müller.