Dynamit-Affäre
Daten
Beschreibung
Zeit: 14. März 1885
Ort: Schmelzer Friedhof in Rudolfsheim, Niederösterreich [zu Wien 15.]
Beteiligte: Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891), Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?)
vorgesehene Opfer: Angehörige der Wiener Sicherheitswache und Polizei
Zur Vorgeschichte
Im Februar 1886 gründeten der Stuckateurgehilfe Leopold Kaspari (1861–1891), der Spenglergehilfe Friedrich Kratochvil (~1850–1891) und der Webergehilfe Johann Wawrunek (1849–?) eine Gruppe zur Erzeugung von Bomben, wobei sie in der Wohnung von Johann Wawrunek nach einem Artikel in der Zeitung »Der Rebell« (Nirgendsheim [d. i. London]) zwei Bomben herstellten, die durch Aufsetzen eines Zündhütchens scharf gemacht werden könnten. Leopold Kaspari besorgte zu diesem Zweck mehr als 1.500 Gramm Sprengstoff der Marke »Janit«.
Das Ereignis
Am 14. März 1886 versammelten sich ab 15 Uhr auf dem Schmelzer Friedhof in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]) Arbeiter, die in kleinen Gruppen eintrafen und sich um den Obelisken des Denkmals für die sogenannten Märzgefallenen von 1848 aufstellten. Um 13 Uhr 30 marschierten dann rund zweihundert Arbeiter von der Schönbrunner Straße (Wien 4.) über die Fünfhauser Gürtelstraße ebenfalls zum Denkmal. Wie auf Kommando entblößten die Arbeiter ihre Köpfe und brachten ein dreifaches »Hoch!« auf die Revolutionsopfer aus. Daraufhin forderte ein Polizeibeamter, unterstützt von dreißig Mann Sicherheitswache, die Arbeiter zur Auflösung dieser Demonstration auf. Zwei Arbeiter wurden festgenommen, jedoch am Abend wieder freigelassen, darunter einer der beiden Redner, der Blumenmacher Josef Müller (1839–1891). Ein Teil der Arbeiter zog daraufhin, sozialistische Lieder singend, durch die Märzstraße (Wien 15.) und Breitenseer Straße nach Breitensee (Niederösterreich [zu Wien 14.]), wo sie am Dorfeingang von Gendarmerie empfangen wurden, welche den Demonstrationszug auseinandersprengte. Ein anderer Teil der Arbeiter, rund hundertfünfzig Personen, zog über die Schmelz nach Ottakring (Niederösterreich [zu Wien 16.]), wo die Exekutive den Demonstrationszug zerstreute.
Der Polizei wie einem Großteil der demonstrierenden Arbeiter blieb zunächst verborgen, dass sie an diesem Tag unter Umständen einer größeren Attentatskatastrophe entgangen waren. Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek trugen ihre selbst fabrizierten Bomben bei sich. Sie hätten sie, gemäß späterem Geständnis, auch gezündet, hätte die Polizei die Arbeiter auf der Schmelz in Rudolfsheim angegriffen. Sie hätten in einem Gasthaus in Rudolfsheim, Märzstraße, auf eine entsprechende Aufforderung der Genossen hin so reagiert.
Polizeiliche und gerichtliche Verfolgung
Diese so genannte Dynamit-Affäre wurde erst im Oktober 1886 aufgedeckt. Am 3. Oktober 1886, spät nachts, scheiterte die so genannte Brandleger-Affäre. Nun holte die Polizei nach wochenlangen Beobachtungen zum großen Schlag gegen die Wiener Sozialrevolutionäre aus. Noch in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1886 konnten acht Sozialrevolutionäre verhaftet werden, und innerhalb der nächsten Woche folgten weitere sieben. Im Zusammenhang mit der so genannten Brandleger-Affäre wurden auch Leopold Kaspari, Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek verhaftet. Bei den Hausdurchsuchungen fand die Polizei unter anderem in der Wohnung von Johann Wawrunek im Sparherd eingemauert, nach Wegreißen der Ziegelmauer, Explosivstoffe, eine Bombe, zwei Feilen und einen zweischneidigen Dolch. Im Zuge der Verhöre gestanden Friedrich Kratochvil und Johann Wawrunek ihre Rolle beim so genannten Dynamit-Attentat vom 14. März 1886. Friedrich Kratochvil wurde des Verbrechens der Brandlegung, des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung und der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben, angeklagt und im Sinne der Anklage zu zwanzig Jahren schwerem Kerker, verschärft mit einem Fasttag im Monat, verurteilt. Leopold Kaspari wurde des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung, der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben, und des Verbrechens des versuchten Diebstahls angeklagt und im Sinne der Anklage zu sechzehn Jahren schwerem Kerker, verschärft mit einem Fasttag im Monat, verurteilt. Johann Wawrunek wurde des Verbrechens der Mitschuld an der Brandlegung, der Verbrechen nach den §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1886, betreffend Anordnungen gegen den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen und die gemeingefährliche Gebarung mit denselben, und des Verbrechens des versuchten Diebstahls angeklagt und im Sinne der Anklage zu fünfzehn Jahren schwerem Kerker, verschärft mit einem Fasttag im Monat, verurteilt.
Leopold Kaspari und Friedrich Kratochvil verstarben im Gefängnis Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich).
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Autor: Reinhard Müller
Version: April 2025
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