Die Zeitung »Die Zukunft« (1892–1896)
Ihre eigentliche personelle wie weltanschauliche Struktur erhielt die Partei der unabhängigen Socialisten, die bald auf die Beifügung »Partei« verzichtete, durch ihr Organ. Am 27. August 1892 erschien die erste Nummer der Zeitung »Die Zukunft. Organ der unabhängigen Socialisten« (Wien). Diese für den Anarchismus in Österreich überaus bedeutende Zeitung erschien bis zum 3. Jahrgang, Nummer 16, vom 11. Dezember 1895, der als Nachzügler noch eine Nummer 17, 4. Jahrgang, vom 1. Mai 1896 folgte. Die in einer Auflage von 2.000 Exemplaren erschienene Zeitung konnte trotz der zahlreichen Beschlagnahmungen und massiver behördlicher Verfolgung ihrer Mitarbeiter bis zum dritten Jahrgang die vierzehntägige Erscheinungsweise weitestgehend beibehalten. Danach gab es wiederholt Lücken, wenngleich man vom Anspruch her an der vierzehntägigen Erscheinungsweise festhielt.
Für eine Bewegung wie die anarchistische, die keine Parteistrukturen akzeptiert und kennt, ist ein Presseorgan ein wichtiges Instrumentarium des inneren Zusammenhalts: »Wir sind weit davon entfernt, der Presse einen Lobgesang darzubringen, aber die Nothwendigkeit, ein Parteiblatt zu besitzen, wollen wir nicht verkennen.«1 Man darf nicht vergessen, dass die Unabhängigen Socialisten keine Partei im rechtlichen Sinn waren, sondern eine lose »Organisation, die von der Behörde nicht registrirt werden soll und kann.«2 Eine eigene Zeitung hatte noch einen weiteren Vorteil: Gerade für kleinere Gruppen, die nicht über materielle Mittel für Agitationsreisen und über ein größeres Potential guter Redner verfügen, ist sie ein wesentliches Instrument, Ideen einem weiten Kreis bekannt zu machen. »Als wir vor wenigen Monaten«, hieß es im November 1892 nach den ersten Verhaftungen von Mitarbeitern, »die ›Zukunft‹ ins Leben riefen, waren wir uns dessen bewußt, daß wir eine schwere, mühevolle Arbeit auf unsere Schultern geladen, daß wir ein Unternehmen begonnen, welches bestimmt für die höchsten Interessen der unterdrückten und leidenden Menschheit einzutreten, nicht nur unsere besten Kräfte, sondern auch unsere höchste Aufopferung in Anspruch nehmen werde. Nicht blos um ein Parteiorgan zu besitzen, haben wir die ›Zukunft‹ gegründet. Unser Blatt war bestimmt, und zwar in erster Linie, dorthin zu dringen, wohin der Schall der gesprochenen Worte nicht zu dringen vermag; es war bestimmt uns die Agitation, die Verbreitung unserer Ideen, unserer Prinzipien zu erleichtern, uns vorzuarbeiten für jenen großen, erhebenden, für jenen gewaltigen Moment, in welchem die Realisirung unserer Ideen in Action zu treten vermag.«3
Herausgeber wie verantwortliche Schriftleiter wechselten – meist bedingt durch behördliche Verfolgungen – mehrfach. Herausgeber waren für Wien der Schriftsetzer Ferdinand Barth (1862–1913), der Bronzearbeitergehilfe Julius Ehinger (1868–1940), Josef Fürweger, der Tischlergehilfe Franz Heindl (1867–1906), der grafische Hilfsarbeiter Wilhelm Kallin (~1870–?),4 der ehemalige Offizier und nunmehrige Privatlehrer und Journalist Georg Matzinger (1848–1934), der Bäckergehilfe Franz Silberer (1871–1912) und der Tischlermeister Cajetan Valenci (1853–?), für Graz (Steiermark) der Schriftsetzergehilfe Franz Konitschek, der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936), der Schriftsetzergehilfe Anton Rott (1866–1948) und der Bäckergehilfe Josef Schmied (1870–?) sowie für Klagenfurt am Wörthersee / Celovec ob Vrbskem jezeru (Kärnten) der Schuhmachergehilfe Josef Krainer und der Schneidergehilfe Josef Lax (1841–1900). Verantwortliche Schriftleiter waren in Wien der Schneidergehilfe Franz Duscha, der Journalist und Schriftsteller Samuel David Friedländer (1898–1942), Johann Gratzl, der Journalist und Schriftsteller Sigmund Handl (1872–1920), der Schuhmachergehilfe Johann Hansl, der Schuhmachergehilfe Josef Huber, Josef Jirasek, der schon erwähnte Georg Matzinger, der Schuhmachergehilfe Josef Tuma und der schon erwähnte Cajan Valenci.
Von Stil und Inhalt handelt es sich bei der Zeitung »Die Zukunft« eindeutig um eine Arbeiterzeitung. Dies bezeugt bereits die Gruppe der Herausgeber und verantwortlichen Schriftleiter. Lediglich Sigmund Handl, Georg Matzinger und Johann Risman waren bereits vorher schriftstellerisch tätig gewesen. Der umfangmäßig wichtigste Beiträger war der ehemalige Offizier und nunmehrige Privatlehrer Georg Matzinger (1848–1934), Autor zahlreicher Leitartikel und der einzige, der vom Anfang bis zum Ende in der Zeitung »Die Zukunft« publizierte. Ein wichtiger Beiträger war der Bäckergehilfe August Krčal (1860–1894), zunächst noch in Buffalo (New York, USA), seit November 1892 in Graz. In Wien waren es neben Georg Matzinger vor allem der ehemalige Handlungsgehilfe und nunmehrige Journalist und Schriftsteller Samuel David Friedländer (1898–1942) sowie die Schuhmachergehilfen Johann Hansl (~1860–?) und Josef Huber (1867–?). Beiträge stammten auch vom Bronzearbeitergehilfe Julius Ehinger (1868–1940), vom Maschinenarbeiter Johann Gabauer (1860–?), vom Mechaniker Matthias Malaschitz (1871–1904), vom Historiker Max Nettlau (1865–1944) und vom Schuhmachergehilfen Anton Stránský (~1860–?). Mitarbeiter in Graz waren der Schriftsetzergehilfe Franz Konitschek sowie die Bäckergehilfen Anton Notzar (1848–1917), Josef Schmied (1870–?) und Franz Silberer (1871–1912), der dann nach Wien übersiedelte. Und je einen Artikel steuerten der Schuhmachergehilfe Josef Krainer aus Klagenfurt am Wörthersee / Celovec ob Vrbskem jezeru (Kärnten) und der Bäckergehilfe Johann Duchan (1866–1930) aus Ternitz (Niederösterreich) bei.
Der zweifellos wichtigste Mitarbeiter der Zeitung »Die Zukunft« im Ausland war der Maler- und Anstreichergehilfe Josef Peukert (1855–1910) in London (England), wenngleich anfangs nicht immer zur Zufriedenheit der Redaktion: »Ihre Berichte sind uns sehr erwünscht, jedoch wollen Sie uns bloße persönliche Wahrnehmungen und nicht weitgehende, romanhafte Reflexionen liefern. Ihre Berichte müssen vollständig von uns umgeschrieben werden, und bei Ihrer breiten, weitausgesponnenen Schreibweise ist das keine geringe Mühe und ist überdies zeitraubend. Also kurz und einfach schreiben. Der Bericht, Oesterreich anlangend, ist ein alltäglicher Werkstätten-Quatsch, den wir nicht verwenden können, nachdem wir wichtigere Einsendungen, wegen Raum-, weil Geldmangel, unberücksichtigt lassen müssen.«5 Eine ähnliche Bedeutung als ausländischer Mitarbeiter erreichte später nur der Handlungsgehilfe und Journalist Alfred Sanftleben (1871–1952) in Zürich / Zurich / Zurigo (Kanton Zürich, Schweiz) als Übersetzer, dem die Redaktion der Zeitung schrieb: »Herzlichsten Dank für deine fleißige Unterstützung. Vielleicht zu fleißig; wo sollen wir das Viele unterbringen«.6Hier in Zürich lebte auch seit 1893 der Wiener Fritz Handl (1876–?), der zwei Artikel für die Zeitung schrieb.
In der Zeitung »Die Zukunft« finden sich auch einige Beiträge anarchistischer Klassiker wie Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814–1876) – von Max Nettlau herausgegeben –, André Girard (1860–1942), Augustin Hamon (1862–1945), Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (1842–1921), Gustav Landauer (1870–1919), John Henry Mackay (1864–1933), Élisée Reclus (1830–1905), Robert Reitzel (1849–1898) und Giovanni Rossi alias Cardias (1856–1943) in der Übersetzung und Edition vom »Slovaken« (d. i. Alfred Sanftleben), aber auch Reden von Jean-Paul Marat (1743–1793) und Giovanni Bovio (1837–1903).
Seit dem Herbst 1894 häuften sich in der Zeitung »Die Zukunft« Artikel, die unter Pseudonym erschienen sind: Antibarbarus, Anticadi, (Der) Antikrat, Antipopulus, Arato, Ein Bärenländer,7 Ein Barbar, Bierrot Bombon, Cadi, Civis Romanus, St. Corday, Drei, Charles Fischer, Charles Fischer jun., Jemenfoutiste, Lucifer, Nathaniel, Peter, Le prince de l’amour, Rabelais, Teufel, Alfred von der Waz und Zut! sowie eine Serie von Beelzebub, Satan und Mephisto. Mit dieser Pseudonymenpraxis ging auch ein leichter Wandel der Zeitung einher. Der Charakter eines Arbeiterblattes wurde ein wenig zurückgedrängt, intellektuell anspruchsvolle Artikel voller Esprit nahmen überhand. Aus der alten Garde der Arbeiterjournalisten verblieb nur Georg Matzinger, dessen Beiträge auch vorher bereits ein bemerkenswertes intellektuelles Niveau besaßen. Ansonsten dominierten seit Anfang 1895 die pseudonymen Mitarbeiter, die leider nicht entschlüsselt werden konnten. Der Journalist und Schriftsteller Stefan Grossmann (1875–1935), vom Mai 1895 bis Mai 1896 einer – der meist namentlich zeichnenden – Mitarbeiter der Zeitung, bestätigte in seinen Erinnerungen nicht nur seine eigene Mitarbeit, sondern nannte auch eine Reihe von Namen junger Mitarbeiter der Zeitung »Die Zukunft«.8 Da war einmal der Kunsthistoriker Max Dvořák (1874–1921), der 1905 außerordentlicher und 1909 ordentlicher Universitätsprofessor wurde und heute als Mitbegründer der Wiener Kunstgeschichte-Schule gilt. Er studierte 1895 bis 1897 am Wiener Institut für österreichische Geschichtsforschung. Der später bekannte Feuilletonist und Theaterkritiker Alfred Polgar (1873–1955) unternahm damals gerade seine ersten schriftstellerischen Versuche. Der Rumäne Arthur Kahane (1872–1932), der im August 1893 am Internationalen Sozialistischen Kongress in Zürich / Zurich / Zurigo (Kanton Zürich, Schweiz) als Delegierter teilnahm und im Februar 1894 aus der Schweiz ausgewiesen wurde,9 weilte damals als Student der Germanistik und Philosophie in Wien. Kahane gehörte zu den wenigen Mitarbeitern aus dem Intellektuellenmilieu, die zeitlebens Anarchisten blieben.10 Max Nettlau nannte noch den Schriftsteller und Übersetzer Carl Morburger (1875–1916) und sich selbst als Beiträger.11 All diesen Personen konnte kein Artikel in der Zeitung »Die Zukunft« zugeordnet werden, doch sind es zweifellos einige jener Autoren, die sich hinter der Vielzahl an Pseudonymen versteckten.
Die Bemühungen des jungen Redakteurs Stefan Grossmann, auch die Kunst, insbesondere die Dichtung in die Bewegung zu integrieren, zeigt sich unter anderem darin, dass im November 1895 das gerade erschienene berühmte »Manifest české moderny« (Manifest der tschechischen Moderne) »nahezu vollständig« abgedruckt wurde. Im Kommentar dazu merkte Stefan Grossmann zu den Verfassern an: »Sie perhorrescieren die Parteien und schwärmen für die Individualität. Sie verachten die Politik, diese dünne Nahrung aller Quatschköpfe, sie halten den Parlamentarismus für verfault, aber sie mögen das allgemeine Wahlrecht (allerdings mit Vorbehalt). – Trotztdem ist dieses Manifest bemerkenswert. Unter den Verfassern sind lauter Studenten und Schriftsteller, keine Arbeiter. Aber man vergleiche diese Studenten-Schriftsteller mit unseren bierblöden Burschenschaftlern oder unseren Nichts-als-nur-Literaten!«12Stefan Grossmanns Bemühen um Kontakte, die weit über die Wiener Welt hinausgingen, zeigt sich auch darin, dass er 1895 und 1896 als enger Kontaktmann zur Anarchistin Emma Goldman (1869–1940) in Wien fungierte.
Autor: Reinhard Müller
Version: Juni 2025
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Daten
- 1
[Anonym]: »Die Zukunft«. (Zum III. Jahrgange.), in: Die Zukunft (Wien), 3. Jg., Nr. 1 (14. Dezember 1894), S. 1–2, hier S. 1.
- 2
M. [d. i. Georg Matzinger (1848–1934)]: Der Weg zum Ziel, in: Die Zukunft (Wien), 3. Jg., Nr. 2 (11. Jänner 1895), S. 1.
- 3
[Anonym]: Aufruf, in: Die Zukunft (Wien), 1. Jg., Nr. 6 (12. November 1892), S. 1.
- 4
Wilhelm Kallin (~1870–?) musste als Herausgeber zurücktreten, weil er zum Militärdienst einberufen wurde; vgl. St. G. [d. i. Stefan Grossmann (1875–1935)]: Briefkasten der Redaction [/] Revers, Wien, in: Die Zukunft (Wien), 3. Jg., Nr. 15 (21. November 1895), S. 4.
- 5
M. [d. i. Georg Matzinger (1848–1934)]: Briefkasten d[er] Red[action] u[nd] Adm[inistration] [/]J. P., London, in: Die Zukunft (Wien), 1. Jg., Nr. 11 (28. Jänner 1893), S. 6.
- 6
[Stefan Grossmann (1875–1935)]: Briefkasten der Redaction [/] Slovak, Zürich, in: Die Zukunft (Wien), 3. Jg., Nr. 16 (11. Dezember 1895), S. 4.
- 7
Hinter dem Pseudonym könnte der Schriftsteller und anarchistische Aktivist Maurice David Jeger (1871–1922) aus Galizien [Ukraine] stecken.
- 8
Vgl. Stefan Großmann (1875–1935): Ich war begeistert. Eine Lebensgeschichte. (1.–5. Auflage.). Berlin: S. Fischer 1931, S. 51.
- 9
Vgl. Max Nettlau (1865–1944): Die erste Blütezeit der Anarchie: 1886–1904. Vaduz: Topos Verlag 1981 (= Max Nettlau: Geschichte der Anarchie. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam. IV.), S. 446. Nettlau berichtet, dass er Arthur Kahane (1872–1932) »1891 in einer Wiener Diskussionsgruppe junger Marxisten als sich ganz von selbst aus dem Bann dieser Idee lösend sah und ein Jahr später in Zürich als bewussten Anarchisten.« Max Nettlau: Anarchisten und Syndikalisten. Teil 1. Der französische Syndikalismus bis 1909 – Der Anarchismus in Deutschland und Russland bis 1914 – Die kleineren Bewegungen in Europa und Asien. Vaduz: Topos Verlag 1984 (= Max Nettlau: Geschichte der Anarchie. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam. V.), S. 282. Im Dezember 1892 hörte Arthur Kahane in Zürich einen Vortrag des Anarchisten Gustav Landauer (1870–1919); vgl. ebenda, S. 225, Fußnote 259. Am 10. Februar 1894 wurde Kahane gemeinsam mit anderen Anarchisten aus der Schweiz ausgewiesen; vgl. ebenda, S. 299.
- 10
Vgl. beispielsweise den programmatischen Artikel von Arthur Kahane (1872–1932): Der Anarchist von heute, in: Der individualistische Anarchist. Halbmonatsschrift (Berlin), 1. Jg., H. 1 (1. April 1919), S. 5–10.
- 11
»Ich schickte dem Blatt eine Übersetzung aus einem Manuskript Bakunins für eine Frühjahrsnummer 1893 und schrieb damals (1893, 1894) einige Artikel.« Max Nettlau (1865–1944): Anarchisten und Syndikalisten. Teil 1. Der französische Syndikalismus bis 1909 – Der Anarchismus in Deutschland und Russland bis 1914 – Die kleineren Bewegungen in Europa und Asien. Vaduz: Topos Verlag 1984 (= Max Nettlau: Geschichte der Anarchie. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam. V.), S. 282, Fußnote 322.
- 12
St. G. [d. i. Stefan Grossmann (1875–1935)]: Hier veröffentlichen wir [...], in: Die »Tschechische Moderne«. [Gezeichnet] F[rantišek] V[áclav] Krejčí, F[rantišek] X[aver] Šalda, Dr. J[an] Třebický, A[ntonín] Sova, O[tokar] Březina, J[osef] S[vatopluk] Machar, V[ilém] Mrštík, J[osef] K[arel] Šlejhar, V[áclav] Choc, Dr. E[duard] Koerner, J[osef] Pelcl, Fr[antišek] Soukup, in: Die Zukunft (Wien), 3. Jg., Nr. 15 (21. November 1895), S. 4–5, hier S. 4.