Samuel David Friedländer (1865–1942)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Max Friedländer: Dr.; Heirat mit:
Mutter: Katharine Friedländer, geborene [?]: Hausfrau
Ehe: Wilma Edelstein; tschechischer Ehename: Vilma Friedländernová (Königssaal, Böhmen [Zbraslav, zu Praha, Tschechien] 17. Mai 1868 – Vernichtungslager Treblinka, Generalgouvernement [zu Małkinia Górna, Polen] 15. Oktober 1942, ermordet)
Tochter: Hedwig Friedländer; tschechische Namensform: Hedvika Friedländerová (Prag, Böhmen [Praha, Tschechien] 29. November 1896 – Ghetto Piaski, Generalgouvernement [Piaski, Polen] um 1942, ermordet)
Tochter: Lydia Friedländer, verheiratete Schnitzler (Prag, Böhmen [Praha, Tschechien] 1898 – Israel 7. November 1986)
Sohn: Friedrich Friedländer; tschechische Namensform: Bedřich Friedländer ( Prag, Böhmen [Praha, Tschechien] 1905 – ?)
Biographie
Samuel David Friedländer, zuständig nach Piesling (Mähren [Písečné (okres Jindřichův Hradec), Tschechien]), erhielt zunächst eine Ausbildung als Handlungsgehilfe. Dann kam er nach Wien, wo er sich der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« anschloss und seit 1890 als Journalist und Schriftsteller arbeitete. Noch 1890 nannte er als »das erste und natürlichste Regierungssystem, das Wahlsystem« bezeichnete die Sozialdemokratie »als einzige bestehenswerte wirtschaftliche Partei«.1 Und in der sozialdemokratischen Festschrift zum 1. Mai 1891 wurde sein Gedicht »Das alte Lied zum 1. Mai!« veröffentlicht.2Bereits in diesen Jahren unterhielt er enge Kontakte zum Porzellanmaler Adolf Heimann (1853–?) und zum Schriftsetzer Rudolf Hanser (1859–1909), die um ihre Zeitung »Die Volkspresse. Organ für die Interessen des arbeitenden Volkes. Organ der österreichischen Sozialdemokratie« (Wien) oppositionelle Sozialdemokraten innerhalb der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« sammelten. Schließlich reichten diese Oppositionellen am 21. November 1891 bei der niederösterreichischen Statthalterei die Statuten des Vereins »Unabhängigkeit« ein, welcher dann am 7. Dezember 1891 konstituiert wurde.
Doch kurz darauf verließ Samuel David Friedländer Wien und begab sich nach Zürich / Zurich / Zurigo (Kanton Zürich, Schweiz). Hier gab er seit April 1892 die Zeitung »Freie Gesellschaft. Organ der internationalen Sozialisten« (Zürich) herausgab, die aber nach sieben Nummern ihr Erscheinen einstellen musste. Daraufhin wurde Friedländer wegen Arbeitslosigkeit aus der Schweiz ausgewiesen.3
Im Juli 1892 kehrte Samuel David Friedländer nach Wien zurück. Hier schloss er sich der am 7. August 1892 konstituierten Partei der unabhängigen Socialisten, wie sich die Anarchisten nun nannten, an. Geleitet wurde diese von einem sogenannten Zehner-Ausschuss, dem während seiner kurzen Bestandszeit auch Friedländer angehörte. Nach einer internen Ausschreibung, zu der verschiedene Anarchisten Manuskripte einsannten, wurde als erstes ein von Samuel David Friedländer verfasstes »Manifest der unabhängigen Socialisten an das österreichische Proletariat« veröffentlicht: »Vor unseren Augen werden Szenen entrollt, die von einer äußerst betrübenden Verwahrlosung des revolutionär-sozialistischen Prinzips zeugen und erkennen lassen, in welch’ schmachvoller Weise die Verleugnung der ursprünglichen Ideale und Ziele in den Reihen der Sozialdemokratie eingerissen ist. Die österreichische Arbeiterschaft, einst bekannt durch ihre radikale Anschauungsweise und infolge ihres ehemaligen revolutionären Auftretens zu den besten Hoffnungen berechtigend, ist seit dem Hainfelder Parteitage zu einem Spielball in der Hand politischer Renegaten herabgesunken […,] sie hat die revolutionäre Idee des Sozialismus, der vor allem Anderen zuerst die wirthschaftliche Erlösung des Proletariats anstrebt, verkannt […]. Die ökonomische Abhängigkeit des Proletariats ist die Ursache der politischen Knechtschaft; die letztere schwindet daher nur durch Beseitigung der Ursache.«4Danach wurden die Ziele der neuen »Partei« aufgelistet, die zugleich die Prinzipien des kommunistischen Anarchismus wiedergeben, wobei allerdings schon in diesem frühen anarchistischen Manifest auf die Bedeutung der gewerkschaftlichen Organisations- wie Kampfform hingewiesen wurde: »Unser Ziel ist die wirthschaftliche und damit die soziale Befreiung der Arbeiterklasse. Wir bekämpfen die Herrschaft und Knechtschaft in jeder Form, die materielle, wie die geistige. Dieses wird möglich durch die Aufhebung des bürgerlichen Privateigenthums, insbesondere durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel. An Stelle des heutigen Sozial- und Wirthschaftszustandes tritt das gemeinsame Eigenthum, die gemeinsame Produktion und die gemeinsame Konsumtion. Aufgabe der Agitation ist es, das Proletariat dafür vorzubereiten, es zu organisiren für die Befreiung. In der internationalen Vereinigung des Proletariats liegt sein Recht und seine Stärke, in der Weltverbrüderung seine unwiderstehliche Macht. Aber das Band seiner Verbrüderung und seiner Vereinigung darf nicht im starren Programmpunkte, in dogmatischen Grundsätzen und in Systemen liegen […]. Darum empfehlen wir eine dezentralisirte Organisation im sozialen Kampfe; […] darum fordern wir auch die größtmögliche Bewegungsfreiheit der einzelnen Individuen innerhalb und außerhalb der Vereinigung. […] Zentralisation führt zur Korruption. Daher müssen wir nach Kräften diesen Fehler zu vermeiden suchen […]. Da die Herrschaft von jeher in der konsequentesten Weise das Elend über die arbeitenden Klassen des Volkes häufte und der Menschheit zum Fluche gereichte, so müssen wir unsere Taktik vorzugsweise gegen die Herrschaft richten. Wir müssen den Geist des Widerstandes im Volke wecken. […] Da aber die herrschende Klasse das Bollwerk der modernen Gesellschaftsordnung ist, so wird es die Hauptaufgabe unserer Taktik sein, dieselbe in ihren Grundfesten zu erschüttern und aufzulösen. Ihre Grundfesten aber sind die bestehenden Institutionen oder vielmehr die herrschenden Begriffe, nach welchen die modernen Gesellschaftseinrichtungen nothwendig und nützlich seien. Wir müssen diese Anschauungsweise zerstören, den menschlichen Geist revolutioniren und die große Masse von der Unhaltbarkeit der heutigen Einrichtungen überzeugen. Vorläufig müssen wir unsere Taktik auf gewerkschaftlichem Gebiet am regsten entfalten. Unser Kampf ist kein politischer, sondern ein sozialer, kein nationaler, sondern ein internationaler, ein rein proletarischer Klassenkampf, ein ökonomischer Kampf; und gerade weil er ein rein ökonomischer ist, so muß er vorzugsweise auf gewerkschaftlichem Gebiete entfacht werden.«5Friedländers Manifest lässt deutlich Ideen des kommunistischen Anarchismus eines Josef Peuktert (1855–1910) erkennen. Er war bereits 1891 Mitarbeiter an der von Peukert initiierten Zeitung »Die Autonomie« (London) und hat – ziemlich unüblich – einen Artikel auch namentlich gezeichnet.6
Samuel DavidFriedländer wurde erster verantwortlicher Schriftleiter der neuen Zeitung »Die Zukunft. Organ der unabhängigen Socialisten« (Wien), eine Funktion, die er vom vom August bis November 1892 inne hatte. Am 14. November 1892 fanden wegen mehrerer Artikel in dieser Zeitung Hausdurchsuchungen in der Redaktion der Zeitung »Die Zukunft«sowie bei Friedländer und beim Tischlergehilfen Kajetan Valenci (1853–?) statt. Friedländer und Valenci wurden schließlich ins Landesgericht Wien eingeliefert. Valenci wurde allerdings am 25. Nobember 1892 wieder freigelassen, trat aber im nachfolgende Prozess gegen Friedländer als entlastender Zeuge auf. Am 20. Dezember 1892 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Wien unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen Samuel David Friedländer statt, angeklagt des Verbrechens und des Vergehens der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Unter anderem wurde ihm ein wegen eines Artikel über die so genannten Haymarket-Märtyrer angelsatet. Friedländer wurde im Sinne der Anklage zu achtzehn Monaten schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag im Monat, und zur Ausweisung aus dem Kronland Niederösterreich und damit auch Wien verurteilt. Die Berufung seines Rechtsanwalts Emil Frischauer (1853–1913) blieb ebnenso erfolglos wie dessen Antrag auf Wiederufnahmes des Verfahrens, weil mittlerweile das Urteil im Prozess gegen die so genannten Chicagoer Märtyrer zumindest teilwiese als unrechtmäßig erkannt worden war. Frischauers Gesuch um Wiederaufnahme wurde am 5. Februar 1894 vom Landesgericht Wien abgewiesen. Es war wohl seine Erklärung für die im Rahmen der Propaganda der Tat ausgeführten Attentate, die dem Gericht zuviel waren, da er die Repräsentanten der herrschenden Gesellschaft dafür verantwortlich machte: »Wer hat die heute herrschenden Anschauungen über Terrorismus großgezogen, gehegt und gepflegt? Wer gab in der Geschichte die markantesten Beispiele davon? Ihr selbst, ihr Elenden, und heute thut ihr so entsetzt über die furchtbaren Früchte, die ihr selbst gezeitigt? […] Die Attentate von Paris, was sind sie anderes, als die in die Praxis übersetzte Theorie, [!] des von Euch gelehrten Massenmordes. Sie sind eurem Innersten entsprungen; sie sind euer eigenes Werk. Ihr seid die Mörder.«7 Auch während seiner Haftzeit wurden Artikel und Dichtungen von Samuel David Friedländer in diversen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, etwa 1893 bis 1894 »Die Zeitschwingen. Monatsschrift für Volksbildung, Aufklärung und Unterhaltung« (Reichenberg).
Am 1. Februar 1894 aus der Haft entlassen, übersiedelte Samuel David Friedländer nach Graz (Steiermark), wo er weiterhin für die Unabhängigen Socialisten aktiv war. Er wurde verantwortlicher Redakteur der Zeitung »Die Freiheit. Socialistisches Organ« (Graz / Wien), von der allerdings nur zwei Nummern (5. April und 6. Mai 1894) erschienen, zunächst in Graz, dann in Wien. Lange konnte Friedländer sich seiner Freiheit nicht erfreuen. Während der Feier zum 1. Mai 1894 kam es in den Abendstunden zu blutigen Straßenkämpfen mit Schutzleuten und dem Militär. Unter den sechsunddreißig Festgenommenen war auch Friedländer, weil er einem Wachmann, der ihn auf der Straße zum Weitergehen aufforderte, antwortete, er könne gehen, wohin er wolle. Bei der nachfolgenden Festnahme soll er dem Wachmann auch einen Stoß versetzt haben. Wieder freigelassen, brachte er am nächsten Tag mit brennender Zigarre im Mund im Büro des Polizeichefs eine Beschwerde gegen seine Arretierung ein, weshalb er vom Polizeichef wegen ungehörigen Benehmens aus den Räumlichkeiten verwiesen wurde. Am 6. Mai 1894 wegen der Vorfälle vom 1. Mai über Requisition der Staatsanwaltschaft neuerlich verhaftet und in das Landesgericht eingewiesen, wurde Friedländer 7. Mai 1894 vom Landes- als Schwurgericht Graz wegen öffentlicher Gewalttätigkeit zu neun Monaten schwerem Kerker, verschärft durch ein hartes Lager monatlich, verurteilt und im Jänner 1895 aus dem politischen Bezirk Graz Umgebung für immer ausgewiesen.
Samuel David Friedländer ließ sich danach in Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) nieder, wo er auch heiratete. Er zog sich aus der anarchistischen Bewegung zurück, nahm aber noch einmal Kontakt mit Wien auf. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie richtete er an das Landesgericht Wien ein Ansuchen um Aufhebung seiner im Prozess vom Dezember 1892 verhängten Ausweisung aus Wien und Niederösterreich. Obwohl von einem führenden Sozialdemokraten, dem damaligen Staatskanzler Otto Bauer (1881–1938), befürwortet, wurde das Ansuchen abgelehnt. Auch sein neuerliches Ansuchen vom 8. Juli 1919 wurde bereits am 18. Juli 1919 neuerlich zurückgewiesen.8
Samuel David Friedländer wurde in Neu-Leskau (Protektorat Böhmen und Mähren [Lískovec, zu Brno, Tschechien]) verhaftet, am 29. März 1942 in das Ghetto Theresienstadt (Protektorat Böhmen und Mähren [Terezín, Tschechien]) und am 15. Oktober 1942 in das Vernichtungslager Treblinka (Generalgouverneent [zu Małkinia Górna, Polen]) deportiert, wo er – wie auch seine Ehefrau – ermordet wurde.
Mitarbeiter*innen an Periodika
- Die Autonomie (London) 1891
- Die Zukunft (Wien) 1892
- Die Freiheit (Graz / Wien) 1894
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Autor: Reinhard Müller
Version: Juli 2025
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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- 1
S[amuel] D[avid] Friedländer (1865–1942): Der Staat und die Sozialdemokratie, in: Familien-Bibliothek für das arbeitende Volk (Wien), 1. Jg. (1890), S. 87–89.
- 2
Vgl. S[amuel] D[avid] Friedländer (1865–1942): Das alte Lied zum 1. Mai!, in: 1. Mai 1891. (Herausgeber: Dr. Viktor Adler, Ad. Heimann, Rud Pokorny. Redigirt und für den Inhalt verantwortlich: Rudolf Hanser.) Wien: Druck v. Th. Bannwarth [1891], S. 6.
- 3
Vgl. S[amuel] D[avid] Friedländer (1865–1942): Literarischer Pöbel, in: Der Sozialist. Organ der unabhängigen Sozialisten (Berlin), 2. Jg., Nr. 28 (10. Juli 1892), S. [3], noch datiert Zürich, am 27. Juni 1892.
- 4
[Samuel David Friedländer (1865–1942)]: Manifest der unabhängigen Sozialisten an das österreichische Proletariat, in: Der Sozialist. Organ der unabhängigen Sozialisten (Berlin), 2. Jg., Nr. 33 (13. August 1892), S. [2–3], hier S. 2. Vgl. auch Reinhard Müller (1954–): Manifest der Unabhängigen Socialisten (1892). Das erste anarchistische Manifest in Österreich. Wien: Verlag Monte Verita, Ing. Peter Stipkovics 2002 (= Edition wilde Mischung. Vernünftige Texte in schwarzen Heften. Herausgegeben von Arno Maierbrugger, Adi Rasworschegg, Gerhard Senft, Peter Stipkovics. 22.), 57 S.
- 5
[Samuel David Friedländer (1865–1942)]: Manifest der unabhängigen Sozialisten an das österreichische Proletariat, in: Der Sozialist. Organ der unabhängigen Sozialisten (Berlin), 2. Jg., Nr. 33 (13. August 1892), S. [2–3], hier S. 2–3.
- 6
Vgl. S[amuel] D[avid} Friedländer (1865–1942): »Freie Männer«, in: Die Autonomie. Anarchistisch-communistisches Organ (London), Nr. 165 (19. Dezember 1891), S. [1–2].
- 7
S[amuel] D[avid} Friedländer (1865–1942): Lügen, in: Die Zukunft (Wien), 1. Jg., Nr. 6 (12. November 1892), S. 4.
- 8
Vgl. Alpheus [d. i. Carl Colbert (1855–1929)]: Sozialpolitische Wochenplauderei. Im Anfang war das Wort, in: Der Abend (Wien), 5. Jg., Nr. 196 (28. August 1919), S. 3–4.