Die Organisation der Freiland-Bewegung. 1891 bis 1894

Organisatorisches Zentrum der von Theodor Hertzka (1845–1924) initiierten Freiland-Bewegung war der »Wiener Freiland-Verein«, dessen Bildung am 27. Oktober 1891 behördlich nicht untersagt wurde und der sich am 12. November 1891 konstituierte.1 Zweck des Vereins war es, »a) durch Wort und Schrift das Verständnis der socialwirthschaftlichen Fragen überhaupt (mit Ausschluss der Politik) und die Kenntnis der freiländischen Principien und Angelegenheiten insbesondere zu verbreiten. b) den activen Mitgliedern […] den Anschluss an die Freilandcolonie zu erleichtern.«2 Zum Präsidenten wurde Theodor Hertzka gewählt, zu Vizepräsidenten der Magistratsrat und ehemalige Reichsratsabgeordnete Ferdinand Kronawetter (1833–1913) sowie der Fabrikant Emil von Neuman (1857–1936), zum Kassier der Fabrikant Alois Pollak (1844–1904) – seit 19. Dezember 1892 der Ingenieur und Patentanwalt Fritz Karmin (1848–1922) –, zum Schriftführer der Kaufmann Julius Wilhelm (1861–1939), zu Rechnungsprüfern der Schriftsteller und Redakteur Otto von Kapff (1855–1918) – seit 2. Jänner 1894 der Kaufmann und Getreidekommissionshändler Julius Flamm (1857–1927) – und der Buchdruckereibesitzer Camillo Engel (1853–1898). Weitere Vorstandsmitglieder waren der Fabrikant, Theosoph und Publizist Friedrich Eckstein (1861–1939), der Buchdruckereibesitzer Cornel Engel (1855–1924), der Drechslergehilfe Nestor von Hueber, Fritz Karmin, der dann am 19. Dezember 1892 zum Schriftführer gewählt wurde, der Damenschneider sowie ehemalige Wiener Gemeinderat und Reichsratsabgeordnete Anton Kreuzig (1828–1905), der Bankbeamte, volks- und finanzwirtschaftliche Publizist Alfred Ostersetzer (1860–1911), der Schriftsteller, Ethnograph und Friedensaktivist Arthur Gundaccar von Suttner (1847–1902) und der Drechslergehilfe Anton Schindlöcker (1859–?). Neu in den Vorstand gewählt wurden in der Jahreshauptversammlung vom 19. Dezember 1892 der Maler- und Anstreichermeister Wilhelm Backhaus (1853–?), der Portier Andreas Ehlers (1847–1923), der Privatbeamte Rudolf Hausz, der Fleischergehilfe und spätere Fleischwarenverschleißer Albert Heli (1867–1936) sowie der Maschinist Michael Salamon (1858–1944). Bis Dezember 1892 waren 653 Personen als Interessenten namentlich erfasst, wenngleich der Verein damals nur 68 eingetragene Mitglieder umfasste. Die Tätigkeit des Vereins beschränkte sich im Wesentlichen auf die regelmäßige Abhaltung von Diskussionsabenden. Außerdem wurden seit Februar 1892 unentgeltliche Englischkurse unter Leitung von Alois Pollak organisiert.3 Sein Vereinslokal hatte der Verein im Gasthaus »zur goldenen Birne« (Paul Hopfner) in Wien 7., Mariahilfer Straße 30.

Die Freiland-Bewegung verstand sich von Anbeginn als eine internationale. So gab es im Juli 1891 zweiundzwanzig freiländische Ortsgruppen beziehungsweise Freiland-Vereine mit 1.086 Mitgliedern, wobei man die Gesamtzahl der Freiländer auf etwa 1.500 schätzte. Ein Jahr danach waren es bereits achtundzwanzig Ortsgruppen.4

Österreichische Ortsgruppen beziehungsweise Freiland-Vereine:

  • Barcs / Bartsch [Barcs] (Ungarn), gegründet 1891: Leiter war Josef Müller;
  • Brünn (Mähren [Brno, Tschechien]), gegründet 1891: dem Gründungskomitee gehörten der Lederfabrikant August Bloch (1857–1921), der Advokat und Musikschriftsteller Dr. Johann Brüll (1855–1926), der städtische Beamte Michael Constantin (1855–1911), der Reichsratsabgeordnete und Hochschulprofessor für allgemeine und analytische Chemie Dr. Josef Habermann (1841–1914) sowie der Gerichtsadjunkt und spätere Hofrat am Obersten Gerichtshof Friedrich Hrůza (1854–1919) an;
  • Budapest (Ungarn), gegründet 1891: dem Exekutivkomitees gehörten der Maschinenmeister Ernst Müller, der Kaufmann Julius Schur sowie der Kunstmaler und Fotograf Antal Simonyi (1821–1892); ein wichtiger Aktivist war der Verleger, Buchhändler und Antiquar Leó Révai (1844–1907);
  • Czernowitz (Bukowina [Tscherniwzi ‹Чернівці›, Ukraine]), gegründet 1892: Leiter war der Redakteur und spätere Zeitungsherausgeber Moriz Stekel (1860–1932);
  • Eger (Böhmen [Cheb, Tschechien]), gegründet 1891: Leiter war der Postassistent und spätere Postamtsdirektor Karl Glückselig (~1859–1928), seit 1892 der Graveurgehilfe Max Quintus (~1866–1903);
  • Graz (Steiermark), gegründet 1891;
  • Innsbruck (Tirol), gegründet 1891;
  • Lobming [zu Sankt Stefan ob Leoben] (Steiermark), gegründet 1891: Leiter war der libertäre Lehrer und Schulleiter Ignaz Fischer (1861–1936), später Mitglied des »Bundes herrschaftsloser Sozialisten«;
  • Mährisch-Schönberg (Mähren [Šumperk, Tschechien]), gegründet 1894;
  • Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]), gegründet 1891: Präsident war der Großgrundbesitzer und Reichsratsabgeordnete Adolf von Leonhardi (1856–1908), Schriftführer der Kaufmann und Großindustrielle Dr. Karl Winterstein (1865–?) der Freiland-Gruppe; bei der offiziellen Vereinsgründung am 6. Februar 1893 wurden der Zuckerspezialist, Statistiker und Publizist Vojtěch Hořínek (1852–1903) Obmann, die Lehrerin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Wilhelmine Wiechowski (1834–1925) Obmann-Stellvertreterin, der Handlungsgehilfe Anton Eckert Kassier und erneut Dr. Karl Winterstein Schriftführer;
  • Sarajewo, Kondominium Bosnien-Herzegowina [Sarajevo ‹Сарајево› [Bosnien und Herzegowina]);
  • Szigetvár / Inselburg [Szigetvár] (Ungarn), gegründet 1891: Leiter war der Buchdruckereibesitzer und Inhaber einer Gemischtwarenhandlung Dávid Fried;
  • Triest (Küstenland [Trieste, Italien]), gegründet 1891: Leiter war der Kaufmann Charles Ehrenfest (1840–?);
  • Warnsdorf (Böhmen [Varnsdorf, Tschechien]), gegründet 1892;
  • Zágráb / Agram (Ungarn [Zagreb, Kroatien]), gegründet 1891.

Ortsgruppen und Freiland-Vereine im Ausland (Auswahl):

  • Dänemark: Kopenhagen ‹København›, gegründet 1892;
  • Deutsches Reich: Bergedorf [zu Hamburg] (Freie und Hansestadt Hamburg), gegründet 1891; Berlin (Preußen [Berlin]), gegründet 1891; Braunschweig (Braunschweig [Niedersachsen]), gegründet 1891; Breslau (Preußen [Wrocław, Polen]), gegründet 1891; Colmar (Elsaß-Lothringen [Frankreich]), gegründet 1894; Elmshorn (Preußen [Schleswig-Holstein]), gegründet 1894; Essen (Preußen [Nordrhein-Westfalen]), gegründet 1894; Frankfurt am Main (Preußen [Hessen]), gegründet 1891; Hamburg (Freie und Hansestadt Hamburg), gegründet 1891; Hannover (Preußen [Niedersachsen]), gegründet 1891; Meseritz (Preußen [Międzyrzecz, Polen]), gegründet 1891; München (Bayern), gegründet 1891; Ottensen (Preußen [zu Hamburg, Freie und Hansestadt Hamburg]), gegründet 1891; Ovelgönne (Oldenburg [Niedersachsen]), gegründet 1891;
  • Großbritannien: London mit der wichtigen, 1893 gegründeten »British Freeland Association«;
  • Rumänien: Bukarest ‹București›, gegründet 1894;
  • Schweden: Kalmar, gegründet 1892;
  • Schweiz: Genf / Genève / Ginevra (Kanton Genf), gegründet 1891; Zürich / Zurich / Zurigo (Kanton Zürich), gegründet 1891;
  • USA: Milwaukee (Wisconsin), gegründet 1891; New York City (New York), gegründet 1894; Philadelphia, Pennsylvania), gegründet 1891; Toledo (Ohio).

Die meisten Ortsgruppen und Freiland-Vereine, vor allem jene in Österreich-Ungarn, lösten sich nach der 1894 gescheiterten Freiland-Expedition an den Fluss Tana auf oder verloren zumindest an Bedeutung.

 

Autor: Reinhard Müller
Version: September 2025
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Daten
von
1891
bis
1894
  • 1

    Vgl. [anonym]: Constituirende Generalversammlung des Wiener Freiland-Vereines, in: Freiland (Wien), [1]. Jg., Nr. 10 (17. November 1891), S. 1, und [anonym]: Constituirende Vorstand-Sitzung des Wiener Freiland-Vereines, in: ebenda, S. 2.

  • 2

    [Statuten], in: Freiland (Wien), 3. Jg., Nr. 19/20 (1. Juni 1894), S. 4–5, hier S. 4.

  • 3

    Vgl. [anonym]: Wiener Freiland-Verein, in: Freiland (Wien), 2. Jg., Nr. 10/11 (23. Dezember 1892), S. 1–2, hier S. 1.

  • 4

    Vgl. [anonym]: Die Freilandbewegung, in: Freiland (Wien), 2. Jg., Nr. 1 (15. Juli 1892), S. 1.