Thomas Tiefenbacher (1862–1948)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Josef Tiefenbacher: Zimmermannstaglöhner beim Brückenbau für die Drautalbahn der Südbahn; Heirat mit:
Mutter: Barbara Tiefenbacher, geborene Pollak (1829 – 1903)
Schwester: Agnes Tiefenbachr (Pobersch bei Marburg, Steiermark [Pobrežje, zu Maribor, Slowernien] 6. September 1864 – ?)
Ehe: in New York City (New York, USA) im Jänner 1893 mit der 1892 in die USA eingewanderten verwitweten Etelka Pollak, geborene Kalmen (Ungarn um 1861 – New York City, New York, USA 18. Dezember 1910)
Ehe: in New York City (New York, USA) am 11. Juni 1912 mit der 1910 in die USA eingewanderten »Lina« Helen Bard, d. i. Ilona Bard (Ungarn um 1895 – New York City, New York, USA 1924)
Tochter: Etelka Tiefenbacher (New York City, New York, USA 23. Jänner 1913 – New York City, New York, USA 8. Juni 1913)
Sohn: William Brittoc Tiefenbacher (New York City, New York, USA 21. April 1914 – Clifton, New Jersey, USA 5. August 2002)
Tochter: Lila Tiefenbacher (New York City, New York, USA 26. August 1916 – Clifton, New Jersey, USA 22. August 1995)
Sohn: Stanley Bard Tiefenbacher (New York City, New York, USA 5. November 1920 – Caldwell, New Jersey, USA 20. August 2001)
Biographie
Thomas Tiefenbacher, zuständig nach Luggau [Maria Luggau / Marija v Logu, zu Lesachtal / Lesna dolina] (Kärnten), kam nach Wiener Neustadt (Niederösterreich), wo er in der Wiener Neuwo er in der Wiener Neustädter Lokomotivfabrik als Schlosser und Eisendreher Arbeit fand und sich der radicalen Arbeiterbewegung anschloss. Folgenreich wurde für ihn das Jahr 1884.
Am 22. September 1884 explodierte um 2 Uhr morgens am Pfarrkirchturm von Wiener Neustadt – er ist wegen Renovierungsarbeiten gerade eingerüstet – eine Patrone. Diese war am Fuß der Hauptkirchtürme in einer Nische deponiert worden und richtete lediglich leichten Sachschaden am Mauerwerk an. Die Polizei vermutete, dass es sich dabei um gestohlenes Schießpulver handle, nicht zuletzt, weil am Vortag, am 21. September 1884, bei einem Steinmetzmeister in Neunkirchen (Niederösterreich) Dynamit gestohlen worden war. Die Polizei bestätigte aber auch, dass es sich um einen Bubenstreich gehandelt haben könnte. Am selben Tag, am 22. September 1884, um 21 Uhr, ging eine weitere Bombe, diesmal an der rückwärtigen Front des Wiener Neustädter Rathauses, in der Sparkassengasse 2, hoch. Die Mauer zeigte ein großes Loch, und alle Fensterscheiben zur Straße hin gingen kaputt. Zunächst nahm man diesbezüglich an, dass der Anschlag dem gegenüberliegenden Hotel »zum goldenen Hirschen« in der Sparkasengasse 1 gegolten habe, weil dort Splitter der Rohrbombe gefunden worden und dreizehn Fensterscheiben zu Bruch gegangen waren. Kurz darauf, am 23. September 1884, um 0 Uhr 30, wurde neuerlich bei den Kirchtürmen versucht, einen Brandsatz zu zünden, doch wurden die beiden Attentäter dabei gestört, und diese ergriffen die Flucht. Daraufhin wurden noch in der Nacht die Polizeipatrouillen durch eine Abteilung Dragoner verstärkt. Am Vormittag des 23. September 1884 erhielt der seit 1874 amtierende Bürgermeister von Wiener Neustadt Josef Pöck (1826–1886) einen Drohbrief aus Baden (Niederösterreich), in welchem ihm seine Verurteilung zum Tod mitgeteilt wurde: »Stellmacher und Kammerer sind hin, jetzt kommen Sie an die Reihe.«1 Kurz darauf langte ein weiterer Brief ähnlichen Inhalts ein. Josef Pöck, als Bürgermeister auch Chef der Stadtpolizei, war unter Radicalen besonders verhasst, weil auf seine Empfehlung hin nach Verhängung des Ausnahmezustands ein Dutzend Arbeiter aus Wiener Neustadt ausgewiesen worden waren. Die Briefe waren mit »Das Executiv-Comité« gezeichnet. In den nächsten Tagen wurden regelmäßig sozialrevolutionäre Flugschriften ausgestreut und die Kundmachungen des Bürgermeisters mit Plakaten revolutionären Inhalts überklebt. Und am 30. November 1884, um 7 Uhr morgens, erfolgte in Wiener Neustadt eine heftige Detonation, außen an der Kirchenmauer der Hauptpfarrkirche. Die Gläubigen, die gerade am Johannesaltar das Abendmahl empfingen, gerieten in Unruhe, jedoch nicht in Panik. Das Attentat wurde nun eindeutig den Sozialrevolutionären angelastet.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1884 wurden in Wiener Neustadt rund vierzig Kilo Rundscheibenpulver aus dem zwischen Fischauer Straße und Wöllersdorfer Straße gelegenen Pulvermagazin des Kaufmanns und Holzhändlers Ferdinand Lasnaňsky (1849–1933) sowie sechzig bis hundert Stück Eisenbahn-Knallsignale und ein halbes Kilo Knallsalz sowie ein Achtel Liter Salpetersäure und eine Pulvertüte aus dem nur achthundert Schritt entfernten chemischen Laboratorium der Firma »Alois Obertimpfler« gestohlen. Die Behörden brachten diese Sprengmitteldiebstähle sofort mit der radicalen Arbeiterbewegung in Verbindung.
Am 7. Dezember 1884 erschien der Maschinist und Schlosser Josef Mannsberger im Amtszimmer von Bürgermeister Josef Pöck und teilte diesem mit, dass mehrere Arbeiter der Wiener Neustädter Lokomotivfabrik zu Weihnachten während der Christmette einen Bombenanschlag gegen die Pfarrkirche und das Kreisgerichtsgebäude planten. Am 8. Dezember 1884 lud Josef Pöck um 22 Uhr Mannsberger zu sich nachhause ein, wobei ihm Mannsberger mehrere Namen von Verdächtigen nannte. In Begleitung von drei Sicherheitswachmännern fuhr Josef Pöck anschließend in die Wiener Neustädter Lokomotivfabrik, wo in einem Versteck rund zwei Kilo Dynamit, eine Schachtel mit Sprengkapseln und mehrere Exemplare des Flugblatts »Zum Gedächtniß an den tapferen, opfermuthigen, getreuen Genossen Hermann Stellmacher«2 gefunden wurden. Die Denunziation und dieser Fund führten zur großen Verhaftungswelle unter den Wiener Neustädter Radicalen.
Diese begann am 9. Dezember 1884, um 3 Uhr morgens. Als Erster wurde der Schlosser und Eisendreher Franz Partsch (1860–1931) verhaftet, in dessen Wohnung Zündschnüre, Sprengkapseln und verbotene Druckschriften gefunden wurden. Wenige Stunden danach wurde auch der Eisendreher Adolf Hartmann (1854–1886) festgenommen, in dessen Drehbank ein Büchlein mit Adressen von in der Schweiz lebenden Sozialisten, Radicalen und Sozialrevolutionären gefunden wurde. Am 10. Dezember 1884 ließ die Direktion der Wiener Neustädter Lokomotivfabrik die Arbeitskästen öffnen, wobei in jenem von Franz Partsch weiteres Dynamit und eine Doppelpistole gefunden wurden. Am 12. Dezember 1884 wurde der Eisendreher Franz Wögerer (1843–1887) verhaftet, in dessen Garten, in einem Misthaufen versteckt, rund sieben Kilo Dynamit gefunden wurden. Kurz darauf erfolgte die Verhaftung des Eisendrehers Franz Hermann (1857–1951) und seiner damaligen Lebensgefährtin, der ehemaligen Zündschnurfabrik- und nunmehrigen Kartonagenfabrikarbeiterin Leopoldine Pristovšek (1866–1950), sowie des Schlossers Wenzel Stuckheil (1852–1929). Und am 13. Dezember 1884 wurde der Schlosser Anton Kowalczuk (1864–?) verhaftet, der im Verhör seine Genossinnen und Genossen preisgab, was zu weiteren Verhaftungen führte: der Schlosser Anton Kautschek (1851–1919), der Nietenpresser Franz Mährl (~1850–?), der Schmied Anton Rausch (1852–?) und András Stipschitz (~1830–1910), ein Kleinhäusler in Siklós / Sigleß (Ungarn [Sigleß, Burgenland]).
Vom 11. bis 27. Mai 1885 – auch an den Pfingstfeiertagen wurde die Verhandlung fortgesetzt – fand vor dem Ausnahmsgericht Wiener Neustadt unter Ausschluss der Öffentlichkeit der so genannte Anarchistenprozess gegen fünf Radicale wegen der Sprengstoffattentate statt, angeklagt des Verbrechens des Hochverrats: der Fabrikarbeiter Leopold Bronec (1867–1912), der Eisendreher Adolf Hartmann (1854–1886), Franz Partsch, der Beindrechsler Heinrich Schaden (~1854–?), der Taglöhner Wilhelm Ultz (1865–1951) und der Eisendreher Franz Wögerer (1843–1887). Wer bei diesem Prozess fehlte, war Thomas Tiefenbacher.
Thomas Tiefenbacher, Rekrut des 7. Infanterie-Regiments, wurde einerseits als Deserteur gesucht, vor allem aber als des Verbrechens des Hochverrats Beschuldigter gesucht. Er wurde vor allem aufgrund der Denunziation von Anton Kowalczuk verdächtigt, der Attentäter des Anschlags auf den Pfarrkirchturm gewesen zu sein. Tiefenbacher hatte sich Ende September 1884 von seiner Arbeitsstelle und am 4. Oktober 1884 vom Magistrat der Stadt zur Abreise nach Marburgan der Drau (Steiermark [Maribor, Slowenien]) abgemeldet, angeblich, um zu seiner Truppe einzurücken, war aber bei seinem Regiment nicht eingetroffen. Wegen der Dynamit-Attentate wurde er seit dem 29. Jänner 1885 steckbrieflich gesucht: »388 Tiefenbacher Thomas, Eisendreher, Rekrut des 7. Inf. Reg., aus Luggau, Bez. Hermagor in Kärnthen, 20 J., mittelgr., schlank, bld., mit kl. Schnurr- u. Backenb., guten Zähnen, gefälligem Aeußeren u. gut gekl., zuletzt in der h. o. Locomotivfabrik beschäftigt, ist dring. verd., sich mit dem h. g. weg. Verbr. des Hochverrathes in Untersuchungshaft befindlichen Eisendreher Franz Partsch aus Ludwigsthal in Oest.-Schlesien u. andern Genossen, sowohl an der im September v. J. hier ausgeführten, als auch an dem für Dezember v. J. oder später vorbereiteten Dynamit-Attentate u. sonstigen anarchistischen Umtrieben, als: Einschmugelung der Most'schen ›Freiheit‹ aus der Schweiz (speziell aus Rohrschach, unter Intervention eines in Rohrschach domizil. Seilers, Namens Josef Klinger), Münzverfälschung, Pulver- u. Eisenbahnsignale-Diebstählen, Fabriks-Speisenmarken-Fälschung ec. betheiligt zu haben. Derselbe hat sich, nachdem er Ende September v. J. die Arbeit eingestellt, am 4. Oktober v. J. h. o. zur Abreise nach Marburg abgemeldet u. angegeben, zu seiner Truppe einzurücken, ist aber bei seinem Regimente nicht eingetroffen, wird demnach auch von dort aus als Deserteur*) gesucht u. soll sich zunächst in die Schweiz begeben haben, um sich sohin nach Amerika zu flüchten. Der Umstand, daß der obbezeichnete Franz Partsch, welcher mit Tiefenbacher befreundet war, sich im Sommer v. J. einen Heimatschein verschafft hat, welches Dokument aber bei jenem nicht vorgefunden wurde, läßt vermuthen, daß Tiefenbacher sich im Besize dieses Heimatscheines befindet u. den Namen Franz Partsch führt. Kreis- Ger. Wr.-Neustadt 29/1.85. *) In der im Pol.-Anz. der Pol.-Dion. zu Wien Nr. 2, Art. 177 v. J. 1885 enthaltenen Deserteurs-Beschreibung ist als dessen Geburtsort ›Brunndorf‹, gleichnam. Bez. in Steiermark u. als Geburtsjahr ›1862‹ angeführt. Anm. d. Red.«3
Doch bereits im Februar 1885 konstatierte das Kreisgericht Wiener Neustadt, dass sich Thomas Tiefenbacher in den USA befinde: »445 Nachtrag. Tiefenbacher Thomas – Bl. Nr. 7, Art. 382 v. J. 1885 – ist in Brundorf [!] b. Marburg am 16. Dez. 1862 geb. u. n. Luggau in Kärnthen zust. Ihm wurde von der Heimatsgemeinde am 8. November 1880 ein Arbeitsbuch, seither aber kein weiteres Dokument ausgestellt u. er dürfte zufolge eines von ihm an seine Angehörigen gerichteten Schreibens sich in Amerika, u. zw. in New York aufhalten. Kreis- Ger. Wr.-Neustadt 6/2. 85.«4
Tatsächlich flüchtete Thomas Tiefenbacher in die Schweiz und von dort noch 1884 in die USA, wo er sich im Jänner 1885 in New York City (New York, USA) niederließ. Hier arbeitete er als Mechaniker, heiratete und wurde am 27. Juni 1905 US-amerikanischer Staatsbürger.
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Adresse
- Pobersch bei Marburg, Steiermark [Pobrežje, zu Maribor, Slowernien]), Pobersch 24 (belegt für 1864)
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Autor: Reinhard Müller
Version: März 2025
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- 1
Zitiert nach [anonym]: [Attentate in Wiener-Neustadt.], in: Wiener Allgemeine Zeitung [/] Morgenblatt (Wien), [5]. Jg., Nr. 1643 (24. September 1884), S. 5.
- 2
Vgl. [anonym]: Zum Gedächtniß an den tapferen, opfermuthigen, getreuen Genossen Hermann Stellmacher. Die Gruppe New York der Internationalen Arbeiter-Association an die Proletarier aller Länder. [Gezeichnet] New York. Die Executive. New York: Die Gruppe New York der Internationalen Arbeiter-Association[1884], Flugblatt. Betrifft den in Wien gehenkten Sozialrevolutionär Hermann Stellmacher (1853–1884). Die Weiterverbreitung der Druckschrift wird mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 4. September 1884 in Österreich verboten.
- 3
[Anonym]: 388 Tiefenbacher Thomas, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 7 (5. Februar 1885), S. 26.
- 4
[Anonym]: 445 Nachtrag. Tiefenbacher Thomas, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 87 (12. Februar 1885), S. 29–30.