Franz Nechvíle (1856–1931)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Jan Nechvíle; deutsche Namensform: Johann Nechvile (Unterrowen, Böhmen [Dolní Roveň, Tschechien] 12. Jänner 1833 – ?): Heirat in Unterrowen (Böhmen [Dolní Roveň, Tschechien]) am 23. November 1856 mit:
Mutter: Barbora Svatoň; deutsche Namensform: Barbara Svaton (Unterrowen, Böhmen [Dolní Roveň, Tschechien] 7. Juli 1835 – ?): Hausfrau
Ehe: mit [?] Hoffmannová; deutsche Namensform: [?] Hoffmann: Hausfrau
Biographie
Franz Nechvíle absolvierte eine Schlosserlehre und schloss sich um 1874 der sozialistischen Arbeiterbewegung an. 1876 kam er als Schlossergehilfe bei den Werkstätten des Bahnhofs nnach Reichenberg (Böhmen [Liberec, Tschechien]). Hier wurde er Obmann des »První řemeslnicko - dělnický podporovací spolek ›Dobročin‹ v Liberci« (Erster Handwerker- und Arbeiter-Untersützungsverein »Wohltätigkeit« in Reichenberg). Auf dem vierten Delegiertentag (Parteitag) der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs«, welcher am 1. Juli 1877 in Atzgersdorf (Niederösterreich [zu Wien 23.]) stattfand, wurde Nechvíle in deren Zentralkomitee gewählt.
Nachdem er als rühriger sozialistischer Agitator seinen Posten in Reichenberg verloren hatte, übersiedelte Franz Nechvíle 1878 nach Wien, wo er als Schlossergehilfe arbeitete. Als Wiener Delegierter nahm er am Gründungskongress der »Sociálně-demokratická strana českoslovanská v Rakousku« (Tschechoslawische sozial-demokratische Arbeiterpartei in Österreich), der am 7. April 1878 in Breunau (Böhmen [Břevnov, zu Praha, Tschechien]) stattfand, teil, auf dem auch ein eigenes Parteiprogramm für die tschechoslawische Sozialdemokratie beschlossen wurde. Wegen seiner Teilnahme an diesem Kongress mussten sich fünfzehn Sozialisten im Prozess, der am 24. und 25. Jänner 1879 vor dem Landesgericht Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) in geheimer Verhandlung stattfand, verantworten, darunter Nechvíle, der wegen Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung durch Bildung eines Geheimbundes zu vier Monaten strengem Arrest verurteilt wurde. Gleichzeitig wurde er vom Kreis- als Pressgericht Reichenberg wegen Übertretung des Pressegesetzes zu 20 Gulden Geldstrafe, eventuell vierzig Tage Arrest, verurteilt.
Nach Verbüßung der Haftstrafe begab sich Franz Nechvíle wieder nach Reichenberg, wo er sich endgültig der radicalen Arbeiterbewegung anschloss. Nechvíle wurde in das Herausgeberkomitee der Zeitung »Der Arbeiterfreund« (Reichenberg) gewählt. 1880 schied er aus dem Zentralkomitee der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« aus und wurde in die Landesleitung der »Sociálně-demokratická strana českoslovanská v Rakousku« gewählt. Nechvíle, der regelmäßig zwischen Reichenberg beziehungsweise Rosenthal (Böhmen [Růžodol, zu Liberec, Tschechien]) und Wien hinundherpendelte, wurde eine einflussreiche Persönlichkeit der tschechoslawischen Radicalen in Wien. So nahm er auch als Delegierte der tschechoslawischen Radicalen an der wichtigen geheimen Vertrauensmännerkonferenz der Wiener Radicalen und Gemäßigten zur Klärung ihrer Differenzen teil, die am 2. Juli 1882 in Wien stattfand. Die Radicalen beharrten auf ihrer Ablehnung des Wahlrechts, stimmten aber der Einberufung eines Parteitags zu, sofern dieser geheim abgehalten werde. Die Gemäßigten beharrten auf dem Wahlrecht und einem öffentlichen Parteitag. Diese Konferenz besiegelte den Bruch zwischen den Wiener Radicalen und Gemäßigten. Auch auf dem von Gemäßigten initiierten einberufenen Allgemeinen Österreichischen Arbeitertag (Parteitag) der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs«, der am 15. und 16. Oktober 1882 in Brünn (Mähren [Brno, Tschechien]) stattfand, nahm Nechvíle teil, obwohl dieser von den Radicalen abgelehnt und als österreichischer Arbeitertag nicht anerkannt wurde. Als Sprecher der Wiener tschechoslawischen Partei und Vertreter der Zeitung »Dělnické listy« (Vídeň [Wien]; Arbeiterblätter) wiederholte hier Nechvíle nochmals die ablehnende Haltung der Radicalen in der Wahlrechtsfrage. Dieser Rumpfparteitag verabschiedete eine Resolution, welche für den Einigungsparteitag von Hainfeld (Niederösterrreich) zur Jahreswende 1888/1889 richtungweisend wurde und die Kluft zwischen den beiden Lagern in der österreichischen Arbeiterbewegung besiegelte.
Franz Nechvíle hatte als wichtiger Journalist der tschechoslawischen Radicalen auch mehrere Presseverfahren. So fand am 6. Juli 1882 vor dem Kreis- als Pressgericht Reichenberg der Prozess gegen Nechvíle und die Tuchmachergehilfen Anton Behr (1854–1931) Josef Ulbrich (1845–1910) wegen Vergehens gegen das Pressegesetz durch Verbreitung verbotener Druckschriften statt, doch wurden alle drei Angeklagten freigesprochen. Und am 27. Februar 1883 wurde Nechvíle vom Landes- als Pressgericht Wien wegen Übertretung des Pressegesetzes, begangen durch unbefugte Verbreitung von Gesetzestexten, zu 5 Gulden Geldstrafe verurteilt.
Franz Nechvíle nahm auch an der Enquete »Über die Arbeitergesetzgebung« des Gewerbeausschusses des Österreichischen Reichsrats teil, die vom 30. April bis 8. Mai 1883 in Wien stattfand. Anlässlich dieser Arbeitstagung wurden 103 Abgeordnete, Arbeitgeber und Arbeiter berufen, ihre Gutachten abzugeben.1
Bereits Ende Februar 1883 hatte der Feinmechaniker Ernest Schneider (1850–1913) im Auftrag der so genannten Feudal-Klerikalen erste Kontakte mit Wiener Radicalen aufgenommen. Da damals die meisten Radicalen noch wegen der Merstallinger-Affäre in Haft waren, blieb es bei Unverbindlichkeiten. Im April 1883 kam Ernest Schneider nun mehrmals in die Redaktion der Zeitung »Die Zukunft« (Wien), wo ihn der Maschinist Franz Motz (1850–~1921) mit dem Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910) bekannt machte. Ernest Schneider, unrühmlicher Vorkämpfer des rassischen Antisemitismus in Österreich, später Reichsrats- und niederösterreichischer Landtagsabgeordneter, überbrachte schließlich die Einladung zu einem Abendessen im Mai 1883 mit den christlichsozialen Reformern um Karl von Vogelsang (1818–1890). Die Gruppe um diesen konservativen Sozialreformer wurden von den Radicalen als »Feudal-Klerikale« bezeichnet. An dieser quasi geheimen Konferenz nahmen von Seiten der Radicalen Franz Motz, Franz Nechvíle, der Bäckergehilfe Anton Notzar (1848–1917), der Metallarbeiter Stefan Pauler (1840–?), Josef Peukert und der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908) teil, seitens der Feudal-Klerikalen der Politiker Ekbert Graf Belcredi (1816–1894), einer der Grafen Esterházy, der Reichsratsabgeordnete Aloys Prinz von und zu Liechtenstein (1846–1920) und sein Bruder, der Reichsratsabgeordnete Alfred Prinz von und zu Liechtenstein (1842–1907), Ernest Schneider, Karl von Vogelsang und noch zwei oder drei andere Personen. Josef Peukert lehnte das Angebot ab,2 die sozialen Bestrebungen der Feudal-Klerikalen durch die Radicalen unterstützen zu lassen, eine Ansicht, die von der Mehrheit der anwesenden Radicalen geteilt wurde. Dennoch blieben vereinzelte Kontakte zu Radicalen bis 1884 bestehen, nämlich zu Franz Nechvíle, zum Sattlergehilfen Vinzenz Zich (1846–1917). Franz Motz und Stefan Pauler.
Franz Nechvíle schloss sich später der Sozialdemokratie an und arbeitete als Schlossermeister in Reichenberg.
Adressen
Unterrowen, Böhmen [Dolní Roveň, Tschechien], Unterrowen 198 (Geburtsadresse)
Mitarbeiter*innen an Periodika
Die Zukunft (Wien) 1879, 1882
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Autor: Reinhard Müller
Version: Oktober 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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Karte
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Vgl. die Stellungnahme von Franz Nechvíle in: Stenographisches Protokoll über die vom 30. April bis inclusive 8. Mai 1883 im Gewerbeausschusse des Abgeordnetenhauses stattgehabte Enquête Über die Arbeitergesetzgebung. Wien: k. u. k. Hof- und Staatsdruckerei 1883, S. 106–111; vgl. auch die Stellungnahmen zweier anderer Radicaler, nämlich vom Maler- und Anstreichergehilfen Josef Peukert (1855–1910), S. 86–96, und vom Metallarbeiter Stefan Pauler (1840–?), S. 116–119.
- 2
Vgl. [anonym]: Sozialpolitische Rundschau. [/] Die klerikal-feudale Partei […], in: Die Zukunft (Wien), [5]. Jg., Nr. 92 (9. August 1883), S. [2]: »Die klerikal-feudale Partei ist äußerst rührig um eine kritisch-soziale Bewegung in’s Leben zu rufen. Es fehlt ihr nichts, als – – organisirte Arbeiter, welche ihr auf den Leim gehen.«