Josef Peukert: Erinnerungen an das Treffen mit den Feudal-Klerikalen. Mai 1883
Erinnerungen an das Treffen mit den Feudal-Klerikalen. Mai 18831
»Ein anderes Schattenbild des sozialen Kampfes bildete eine Art geheimer Konferenz mit den staatlichen Machthabern. Verschiedene Genossen erzählten mir, daß sie auf Veranlassung des Mechanikers Schneider mehrere Zusammenkünfte mit Vertretern der damals allmächtigen klerikal-feudalen Partei gehabt hätten, um über beabsichtigte ›Sozialreformpläne‹ zu beraten, welche die Regierung durchführen wolle, und wozu sie die Zustimmung der radikalen Arbeiterpartei von vornherein wünsche; dafür sei die Regierung ihrerseits bereit, Konzessionen zu machen. Man habe jedoch keinerlei Abkommen getroffen, da sich die Genossen genügend Zeit zum Ueberlegen, besonders aber – wie man mir sagte – um erst den Prozeß2 vorübergehen zu lassen, ausbedungen. Es würde jedenfalls jetzt bald wieder eine Einladung erfolgen und ich müsse dabei sein.
Mir war die Geschichte ganz und gar unheimlich. [137] Wohl war die radikale Arbeiterpartei, trotz aller Unterdrückung, ein Faktor im sozialpolitischen Leben Österreichs, aber wozu sucht die allmächtige herrschende Partei deren Unterstützung? Der einfachste Mutterwitz mußte sich da sagen: Da sind Hintergedanken, von dieser Seite kann nichts Gutes kommen. Die treffendste Illustration dafür lieferte die eben in Beratung befindliche Schulgesetznovelle, welche die Volksschulen wieder den Pfaffen auslieferte und ein weiter Sprung nach rückwärts war. Die angeregten ›Sozialreformen‹, wie die Gesetznovelle, welche den Kleingewerbetreibenden ›unter die Arme‹ greifen sollte, waren vom gleichen Kaliber, verfolgten aber auch den Zweck, gleichzeitig die Arbeiterscaft [!] unter schärfere Polizeikontrolle zu bringen.
Nach all diesen Erwägungen wurden auch Bedenken laut, ob jetzt nach dem gänzlich unerwarteten Ausgange des Prozesses – hatte doch niemand eine gänzliche Freisprechung erwartet – überhaupt noch eine weitere Einladung erfolgen würde. Es vergingen auch Wochen, ohne daß wir etwas hörten. Schneider3 war wohl in die Redaktion gekommen und mir durch G. Motz vorgestellt worden, hatte jedoch nichts weiter verlauten lassen. Einige Zeit darauf kam er wieder und lud uns zu einem ›Abendessen‹ in seiner Wohnung ein, mit der Bemerkung, daß auch einige bei der Regierung einflußreiche Herren anwesend sein würden. Wie mir Motz nachher mitteilte, war das eine abermalige Konferenz, zu welcher man mich zuzog.
Von anderer Seite hörte ich von einer Äußerung, daß die ›Arbeiterführer‹ für ein paar Glas Wein für ›Alles zu haben seien‹. Daraufhin veranlaßte ich vorher eine Zusammenkunft sämtlicher eingeladenen Genossen, wo wir uns einigten: erstens, uns nicht zum Trinken verleiten zu lassen, zweitens, soviel wie möglich [138] die Herren über ihre Absichten auszuforschen und drittens, uns auf keinerlei Versprechungen einzulassen.
Von uns waren beteiligt die Genossen Motz, Pauler, Nechviller, Schustazek, Notzar und ich, von der anderen Seite die zwei Brüder Fürsten Liechtenstein,4 Esterhazy, Graf Belcredi, der Redakteur des Wiener ›Vaterland‹, Vogelsanger und noch zwei oder drei andere, deren Namen ich mich nicht mehr erinnere.
Nach erfolgter Speisung, bei welcher wir eifrig zum Trinken schwerer Weine – allerdings ohne Erfolg – animiert worden waren, eröffnete Belcredi die Diskussion. Die Herren gaben sich große Mühe, uns ihre Liebe und warme Fürsorge, welche sie für die Arbeiter haben, ans Herz zu legen. Wir machten nur Fragen und kurze Bemerkungen, z. B.: Wie reimt sich die warme Fürsorge mit den fortgesetzten Verfolgungen der Arbeiter, der Unterdrückung der Arbeiterversammlungen, der Konfiskation der Arbeiterblätter, den harten Urteilen über Arbeiter wegen an und für sich ganz harmloser Sachen usw. zusammen! Schließlich stellte ich die kategorische Frage, was man eigentlich von uns wolle? Darauf wurde uns von allen den ›Herren‹ erklärt, daß sie gewissermaßen im Namen der Regierung sprechen und handeln, denn seine Excellenz der Herr Ministerpräsident Taaffe und das ganze Kabinet [!] seien mit ihren Plänen und sozialen Bestrebungen einverstanden; was sie hier sagen und versprechen, sei der Genehmigung von offizieller Seite sicher! Was man von uns wolle, sei kurz gesagt folgendes: ›Die radikalale [!] Arbeiterpartei solle die sozialen Bestrebungen der Regierung unterstützen, oder doch zum mindesten keine Opposition entgegensetzen, dafür werde uns die höchstmögliche Rede-, Preß- und Versammlungsfreiheit gewährt werden und in Kürze würde auch das allgemeine direkte Wahlrecht in Erwägung gezogen und bewilligt werden.‹ Auf einzelne Fragen, welche Garantien für all die Versprechungen geboten würden, erhielten wir nur vage, ausweichende [139] Antworten, man könne doch bei solchen Abmachungen keine schriflichen [!] Verträge schließen usw.
Bis dahin hatte ich nur wenig gesagt, nun fand ich es aber an der Zeit, umsomehr, als mich einer der Herren direkt herausforderte, was meine Meinung sei. Dabei nahm ich mir auch kein Blatt vor den Mund: ›Die Arbeiter hätten für all die Reformpläne nicht das geringste Interesse, im Gegenteil müsse jeder erkennen, daß es nur Köder seien, um die reaktionären Bestrebungen der Herren am Ruder zu bemänteln und die Arbeiter noch mehr zu versklaven. Das beweise ja das neue Schulgesetz am deutlichsten, wie man mittelalterliche Zustände wieder einführen wolle; ebenso seien die gewerblichen Reformpläne selbst nur zu dem Zwecke, die soziale Entwicklung aufzuhalten, und dazu sollen wir unsere Hülfe geben? wir, die wir eine vollständige Neugestaltung der sozialen Verhältnisse erstreben? Nie und nimmer! Das wäre der schändlichste Verrat, den wir an unserer gerechten Sache verüben könnten. Dazu gebe ich mich für meine Person nicht her und würde die Pläne mit aller Energie bekämpfen.‹
Schon während ich sprach, lief Esterhazy ganz entsetzt ob solcher Sprache aus dem Zimmer und schließlich waren die anderen Herren ebenfalls höchlich entrüstet, daß ich ihre ›wohlmeinenden‹ Absichten so schnöde zurückwies, und die Konferenz hatte ihr Ende.
Selbst einzelne an dieser Konferenz teilnehmende Genossen fanden mein Auftreten zu schroff, und in der nächsten Parteisitzung, woselbst die ganze Sache vorgebracht wurde, kam es darüber zu einer lebhaften Debatte. Es waren eben unter den Delegaten verschiedene, die sich von dem politischen Gaukelspiel blenden ließen und an den Köder anbissen. Ihr Hauptargument war: ›Was liegt uns an all den Palliativmitteln der herrschenden Partei, wenn wir dabei Rede-, Preß- und Versammlungsfreiheit haben und unsere Ideen verbreiten können.‹ Die guten Leute standen eben an der Kante zur Bahn des kompromisselnden Parlamentarismus, wenn [140] auch noch außerhalb des Parlaments. Daß dabei nur der Reaktion geholfen und wenn deren Zwecke erreicht wären, die Unterdrückung um so schlimmer einsetzen würde, wurde des momentanen Vorteiles halber nicht bedacht; ebensowenig die moralisch korrumpierenden Folgen, welche daraus entstehen müssen, daß der Geist der Arbeiterschaft dadurch verwirrt und wankelmütig gemacht und das feste Zielbewußtsein verloren geht. Das alles konnten die guten Leutchen, die die 500 Gulden-Versammlung5 mitgemacht, anfangs nicht begreifen. Aber zum Schluß der Debatte wurde meine Haltung in der Sache als korrekt erkannt und als fernere Richtschnur für die Partei bestimmt.
Damit hatte die Parteileitung eine sehr gefährliche Klippe glücklich passiert, denn einmal ins Komprommisseln gekommen, hätten wir aufgehört eine revolutionäre Partei zu sein. Wir hätten aufgehört, uns von den parlamentarischen Sozialdemokraten zu unterscheiden.«
Daten
- 1
Josef Peukert (1855–1910): Erinnerungen eines Proletariers aus der revolutionären Arbeiterbewegung. Berlin: Verlag des Sozialistischen Bundes 1913, S. 136–140.
- 2
Gemeint ist der Merstallinger-Prozesses, 8. bis 21. März 1883. Anmerkung Reinhard Müller.
- 3
Der Mechaniker Schneider gehörte zur christlich-sozialen Partei als Zutreiber, wofür er ja auch später ein Reichstagsmandat als Entschädigung erhielt.
- 4
Das sind die Brüder Alfred Prinz von und zu Liechtenstein (1842–1907), konservativer Politiker in Wien und Aloys Prinz von und zu Liechtenstein (1846–1920), Sozialreformer und konservativer Politiker in Graz (Steiermark). Anmerkung Reinhard Müller.
- 5
500 Gulden-Versammlung nannte man eine ähnliche Affaire im kleineren Maßstabe, welche vor meinem Eintreffen in Wien stattgefunden und gegen die liberale Partei gerichtet war. Die Regierung hatte 500 Gulden für die Veranstaltung von Versammlungen bezahlt, wobei ebenfalls volle Redefreiheit gewährt war, die von den Genossen auch ausgenützt worden war.