Franz Johann Leitner (1849–1922)

Persönliche Daten
Geburtsdatum
6. Januar 1849
Sterbedatum
12. Juli 1922
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch

Vater: Franz Leitner (Ischl [Bad Ischl], Oberösterreich 8. Dezember 1816 – Wiener Neustadt, Niederösterreich 20. Juli 1886), Sohn einer Hausfrau und eines Büchsenmachers: Wäscher; Heirat in Wiener Neustadt (Niederösterreich) am 2. März 1848 mit:
Mutter: Katharina Leitner, geborene Schwer (Pottendorf, Niederösterreich 27. März 1820 – Wiener Neustadt, Niederösterreich 26. März 1906), Tochter einer Hausfrau und eines Tischlers: Hausfrau
Ehe: keine
Kinder: keine

Biographie

Franz Johann Leitner, zuständig nach Ischl [Bad Ischl] (Oberösterreich), wuchs in Wiener Neustadt (Niederösterreich) auf, wo er eine Bäckerlehre begann, die er im April 1865 in Mürzzuschlag (Steiermark) abschloss. Kurz nach Wiener Neustadt zurückgekehrt, begab er sich auf Wanderschaft. Wieder in Wiener Neustadt, erlernte er autodidaktisch das Handwerk eines Hafners und betätigte sich nun als Backofenbauer. Er schloss sich jetzt dem dortigen Arbeiterverein an und engagierte sich in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, war aber auch in anderen Kronländern als Agitator tätig. Am 8. Dezember 1869 wurde er wegen aufreizender Reden verhaftet und aus Graz (Steiermark) abgeschafft. Zahlreiche Verurteilungen folgten: Am 3. Oktober 1870 wurde er vom Bezirksgercht Wiener Neustadt wegen Übertretung körperlicher Beschädigung abgestraft, am 25. Jänner 1871 wegen zweier im Vorjahr gehaltenen Reden vom Landesgericht Wien wegen der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu drei Monaten einfachem Kerker verurteilt, im Dezember 1879 vom Landesgericht Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) wegen Übertretung der Sicherheit der Ehre, begangen durch einen Artikel, zu 10 Gulden eventuell achtundvierzig Stunden Arrest; 1880 vom Bezirksgericht Wiener Neustadt wegen Ehrenbeleidigung zu 5 Gulden, eventuell vierundzwanzig Stunden Arrest, am 12. Februar 1882 wegen Wachebeleidigung zu fünf Tagen Arrest und am 9. April 1891 wegen Vergehens gegen das Pressegesetz zu 5 Gulden, eventuell vierundzwanzig Stunden Arrest.

Franz Johann Leitner veröffentlichte bald Artikel in der Lokalpresse und wurde im August 1873 verantwortlicher Redakteur des sozialdemokratischen Parteiorgans »Gleichheit. Sozialpolitische Zeitschrift für das arbeitende Volk« (Wiener Neustadt). Um 1875 verfasste er auch seine ersten Gedichte, die selbst in liberalen Zeitungen veröffentlicht wurden.

Schließlich schloss sich Franz Johann Leitner um 1880 der radicalen Arbeiterbewegung an. Bald zu einem wichtigen Aktivisten der Wiener Neustädter Radicalen geworden, fand unter seinem Vorsitz am 14. Mai 1882 im Bräuhaus in Wiener Neustadt, Bräuhausgasse 7–9, eine wichtige Volksversammlung von etwa achthundert Arbeitern statt, mit dem Tischlergehilfen Michael Kumić (1853–?) als Schriftführer. Tagesordnungspunkte waren »1. Die Forderungen des vierten Stands vor dem Forum des Parlaments; 2. Die Presse«. Es sprachen der liberale Reichsratsabgeordnete Ferdinand Kronawetter (1838–1913), der Kunsttischlermeister Wenzel Führer (1853–?), der Maler- und Anstreichergehilfe Josef Peukert (1855–1910) und der Webergehilfe Franz Schustaczek (1850–1908) aus Wien sowie der Schneidergehilfe und spätere Polizeispitzel Ludwig Philipp Schrödl (1851–1888) aus Neunkirchen (Niederösterreich), also fast nur Leute aus Wien, mit einem deutlichen Übergewicht der Radicalen. Umgekehrt war Franz Johann Leitner auch in Wien aktiv. Am 4. September 1882 fand in »Dreher’s Etablissement« (Anton Dreher) in Wien 3., Landstraßer Hauptstraße 97, eine von Franz Schustaczek einberufene, von rund dreitausend Arbeitern besuchte Volksversammlung zur Tagesordnung »Die Lebensmittelfrage« statt. Nach dem Fabrikarbeiter Ferdinand Schaffhauser (1836–190?) und Franz Johann Leitner aus Wiener Neustadt referierte der Kartenmaler Andreas Voglgruber (1832–?) und schloss mit dem Aufruf: »Auch diesmal, Genossen, kommt das Licht aus Osten!«1 Der Behördenvertreter, der darin eine Anspielung auf die russischen Nihilisten sah, löste die Versammlung daraufhin behördlich auf. Den dadurch ausgelösten Tumult im Saal konnte Franz Schustaczek zwar bändigen, doch anschließend zogen etwa zweitausend Arbeiter lautstark johlend und singend in Kolonnen im 3. Bezirk über die Ungargasse und Beatrixgasse, zunächst von der Polizei abgedrängt, in die Rochusgasse, wo ihnen aber neuerlich eine Polizeikette den Weitermarsch versperrte. Dann zogen sie zurück zur Beatrixgasse und weiter über den Heumarkt zum Schwarzenbergplatz. Die nur vierzig Mann Sicherheitswache wurden der Lage erst Herr, als die dienstfreie Mannschaft aus der Kaserne der Sicherheitswache an der Landstraßer Hauptstraße, rund sechzig Mann, anrückten und am Schwarzenbergplatz weitere hundert Mann Sicherheitswache Stellung bezogen.

1882 verfasste Franz Johann Leitner die Flugschrift »Die Vermaledeiten. Eine Skizze aus den unteren Schichten«, die sofort konfisziert wurde. Er setzte sich auch für die Eröffnung eines Lesezimmers der Metallarbeitergewerkschaft in Wiener Neustadt ein, was jedoch von der Behörde untersagt wurde. Er wurde sogar wegen der Abhaltung einer geheimen Versammlung unter Anklage gestellt, jedoch freigesprochen.

Franz Johann Leitner wurde aufgrund der Ausnahmsverordnungen vom 30. Jänner 1884 am 4. Februar 1884 durch den Stadtrat aus Wiener Neustadt ausgewiesen: »499 Leitner Franz Johann, Ofenbauer, zu Wiener-Neustadt geb., nach Ischl in O.-Oest. zust., 35 J. alt, k., l.«2
Nach seiner Ausweisung begab sich Franz Johann Leitner nach Budapest (Ungarn), von dort noch im Februar 1884 weiter nach Turn-Severin [Drobeta Turnu Severin] (Rumänien), kehrte aber im März 1884 nach Österreich zurück, wo er sich kurz in seiner zuständigen Gemeinde Ischl [Bad Ischl] (Oberösterreich) aufhielt. Von Hier ging es ins Deutsche Reich, von wo er aber ausgewiesen wurde. Schließlich konnter er sich nahe St. Gallen / Saint-Gall / San Gallo (Kanton St. Gallen, Schweiz) als Taglöhner verdingen, bis er dann als Bohrer in einer Maschinenfabrik in Niederuzwil [zu Uzwil] (Kanton St. Gallen, Schweiz) Arbeit fand.

Nachdem seine Eltern krank und mittellos waren, wurde Franz Johann Leitner die Rückkehr nach Wiener Neustadt genehmigt, wo er im Juli 1885 eintraf. Die wohl letzte Aktion Leitners als Radicaler war schon von seiner Tätigkeit als Arbeiterdichter geprägt. Am 25. Jänner 1887 gab er in Wiener Neustadt bekannt, dass er seine Posse über die damals einiges Aufsehen erregenden italienischen so genannten Hungerkünstler Giovanni Succi (1855–1918) und Stefano Merlatti (1866–1890), »Succi, Merlatti und Comp.«, fertig gestellt habe und dass diese demnächst in Wiener Neustadt und in Sopron / Ödenburg [Sopron] (Ungarn) aufgeführt werde.

Franz Johann Leitner, der nun auch als wichtiger Arbeiterdichter galt, wandte sich dann der Sozialdemokratie zu. Unter anderem kanditierte er 1896 bei den Gemeinderatswahlen in Wiener Neustadt für die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei«. Mit 25. Oktober 1905 erhielt er als bekannter Schriftsteller vom Stadtrat Wiener Neustadt das Heimatrecht. Als er nicht mehr als konzessionierter Ofenbauer tätig sein konnte, erhielt er mit Beschluss der Stadtgemeinde Wiener Neustadt vom 9. Juni 1914 eine kleine monatliche Ehrenpension. Er verstarb als »Volksdichter«, wie in den Sterbematriken sein Beruf vermerkt ist, im Landeskrankenhaus Wiener Neustadt an Altersschwäche und chronischer Nierenentzündung und wurde in einem Ehrengrab der Stadtgemeinde Wiener Neustadt beigesetzt.

Adressen

  • Wiener Neustadt, Niederösterreich, Wiener Neustadt 180 (Geburtsadresse)

  • Wiener Neustadt, Niederösterreich, Bräuhausgasse 5 (1913)

  • Wiener Neustadt, Niederösterreich,  Landeskrankenhaus (Sterbeadresse)

  1. Die Vermaledeiten. Eine Skizze aus den unteren Schichten. Wiener Neustadt: F. Leitner [1882]. Die Weiterverbreitung der Broschüre wurde in Österreich verboten.
  2. ’s Julerl. Original-Volksstück in fünf Bildern. Bühnen gegenü+ber Manuskript. Wiener Neustadt: Verlag von Karl Blumrich [1901], 73 S.
    b) ’s Julerl. Original-Volksstück in fünf Bildern. (Zweite Auflage.) . Bühnen gegenü+ber Manuskript. Wiener Neustadt: Verlag von Karl Blumrich [1909], 104 S.
  3. Der Wechselhof. Volksstück in 5 Bildern. Vollständiges Regiebuch. Als unverkäufliches Manuskript gedruckt. Im Handel nicht erschienen. Wien: W. Karczag & C. Wallner 1908, 128 S.
    b) Der Wechselhof. Volksstück in 5 Bildern. Vollständiges Regiebuch. Als unverkäufliches Manuskript gedruckt. Im Handel nicht erschienen. 2. Auflage. Wien: W. Karczag & C. Wallner 1910.

Periodika

  1. Wuchergeißel oder »Deutsche Hiebe«, den Vampyren meiner Vaterstadt und all jenen in der Umgebung, welche sich durch Plündern ihr Brot verdienen, verachtungsvollst gewidmet von ihrem Todfeine Franz Johann Leitner (Wiener Neustadt), 1 Jahrgang, 3 Nummern (1879).

Großteils unveröffentlichte Werke3

  • Schach dem Wucher, oder: Reichthum ohne Herz. Original-Volksstück in 4 Bildern. Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 23. Februar 1881.
  • Allzeit getreu. Romantisches Zeitgemälde. Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 19. Dezember 1885.
  • Succi, Merlatti und Comp. Eine Posse. 1887.
  • Er kandidirt. Eine Posse mit Musik von Eduard Schweiger. Komponist: Eduard Schweiger (18541926). Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 10. Dezember 1887.
  • Schlemihl – Schlamihl. Eine Geschichte von Sebenstein. 1888.
  • Die Zauberlampe. Libretto zur Musik von Eduard Schweiger. 1889. Komponist: Eduard Schweiger (18541926).
  • Im Schlamm der Kultur. Soziales Tendenzdrama. 1894.
  • ’s Julerl. Original-Volksstück in fünf Bildern. Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 6. April 1895.
  • Der Proletarier. Gedichtzyklus. 1899.
  • Eine nervenschwache Familie. Posse. 1901.
  • Allzeit getreu. Mit neuen Dekorationen. Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 19. Dezember 1903; veränderte Fassung des Stücks von 1885.
  • Stürme des Lebens. Volksdrama in 6 Bildern. 1903.
  • Der Schneeberg-Seff. Volksstück in 6 Bildern. 1903.
  • Der Wechselhof. Volksstück in 5 Bildern. Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 22. Februar 1908.
  • Jakob der Letzte. Dramatisches Schauspiel nach einer Erzählung von Peter Rosegger (1843–1918). 1910.
  • Im Brande der Leidenschaft. Volksdrama in drei Akten. Uraufführung im Stadttheater Wiener Neustadt am 12. Februar 1910. Stück aus den Tagen der Revolution von 1848.
  • Das Hellerlein. 1911.
  • Dr. Kranz. Ein tragisches Lebensbild. 1911.
  • In Ketten der Pflicht. Drama. 1912.
  • Schicksal. Veränderte Fassung von »Dr. Kranz« von 1911. 1917.
Karte
  • 1

    Zitiert nach [anonym]: Abermals eine aufgelöste Arbeiter-Versammlung, in: Neue Freie Presse [/] Morgenblatt (Wien), [19]. Jg., Nr. 6475 (5. September 1882), S. 5.

  • 2

    [Anonym]: 499 Leitner Franz Johann, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 11 (13. Februar 1884), S. 39.

  • 3

    Zusammengestellt – und ergänzt – nach der umfangreichen Biografie von Karl Flanner (1920–2013): Der Volkstribun. Das Leben und Wirken des Wiener Neustädte Arbeiterführers und Volksdichters Franz Johann Leitner 1849–1922. Wiener Neustadt: Karl Flanner / Druck: Druck- und Verlagsanstalt Gutenberg [1979], 198 S., hier S. 195.