Franziska Kammerer (1825–1900)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Josef Überreiter (Kronau, Baden [Baden-Württemberg] um 1783 – Tulln, Niederösterreich 13. Jänner 1864): Inwohner und Schiffknecht, zuletzt Spitalpfründner; Heirat mit:
Mutter: Anna Überreiter, geborene Nowotný (Lieben, Böhmen [Libeň, zu Prag ‹Praha›] um 1783 – Tulln, Niederösterreich 5. September 1861): Inwohnerin und Hausfrau
Schwester: Catharina Überreiter (Tulln, Niederösterreich 2. November 1818 – Tulln, Niederösterreich 13. Dezember 1832): an nervösem Durchfall verstorben
Bruder: Joseph Überreiter (Tulln, Niederösterreich 18. April 1821 – Tulln, Niederösterreich 15. Dezember 1869): Taglöhner, zuletzt Armenpfründner
Bruder: Franz Seraphin Überreiter (Tulln, Niederösterreich 23. Mai 1824 – Tulln, Niederösterreich 28. Mai 1824): an den Fraisen verstorben
Bruder: Michael Überreiter (Tulln, Niederösterreich 27. September 1829 – ?): Schiffknecht
Ehe: in Jedlesee (Niederösterreich [zu Wien 21.]) am 31. August 1852 mit Franz Xaver Kammerer (Alservorstadt, Niederösterreich [zu Wien 9.] 1. Mai 1824 – Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.] 23. Oktober 1893), unehelicher Sohn einer Wäscherin: Weichenwächter bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn
Sohn: Franz Kammerer; d. i. Franz Xaver Kammerer (Jedlesee, Niederösterreich [zu Wien 21.] 12. Jänner 1854 – ?): Oberpartieführer bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, dann Fabrikarbeiter; seit 21. April 1897 konfessionslos; Heirat in Deutsch-Wagram (Niederösterreich) am 21. Oktober 1879 mit Maria Kießling (Deutsch-Wagram, Niederösterreich 16. März 1849 – ?), außereheliche Tochter: Hausfrau
Tochter: Totgeburt (Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.] 1. Jänner 1856)
Sohn: Michael Kammerer (Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.] 17. Jänner 1857 – ?): Bahnaufseher bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn; Heirat in Priwoz (Mähren [Přívoz, zu Ostrava, Tschechien]) am 2. März 1886 mit Rosa Auf (Priwoz, Mähren [Přívoz, zu Ostrava, Tschechien] 20. August 1860 – ?), Tochter einer Hausfrau und eines Magazinoberaufsehers: Hausfrau
Sohn: Johann Kammerer (Stiebnig, Österreichisch-Schlesien [Jistebník, Tschechien] 31. August 1859 – Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.] 18. April 1893): Taglöhner, Fabrikarbeiter. Er wurde im Februar 1848 in seiner zuständigen Heimatgemeinde Jedlesee (Niederösterreich [zu Wien 21.]) vorübergehend konfiniert. Erste Heirat in Floridsdorf (Niederösterreich [zu Wien 21.]) am 24. Mai 1885 mit Maria Johann Brandstätter (Hernals 25. Februar 1860 – ?), Tochter einer Hausfrau und eines Taglöhners; Trauzeuge war sein Bruder Michael Kammerer; zweite Heirat in Floridsdorf (Niederösterreich [zu Wien 21.]) am 31. Oktober 1886 mit Anna Durst (Jedlesee, Niederösterreich [zu Wien 21.] 17. Mai 1862 – ?), Tochter einer Hausfrau und eines Schiffmanns; die Witwe Anna Kammerer heiratete in Floridsdorf (Niederösterreich [zu Wien 21.]) am 5. November 1893 den Kanzleidiener bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn Karl Mortinger (Alt Brünn, Mähren [Staré Brno, zu Brno, Tschechien] 21. Oktober 1852 – ?)
Sohn: Anton Kammerer; Pseudonym: A. Marmerek; Decknamen: Josef Blum, Matthias Haller, Arnold Otter, Konrad Wilkens (Stiebnig, Österreichisch-Schlesien [Jistebník, Tschechien] 5. April 1862 – Wien 20. September 1884, hingerichtet): Buchbinder, Eisenbahnarbeiter; Radicaler, Sozialrevolutionär, Anarchist
Tochter: Therese Kammerer
Biographie
Franziska Kammerer kam nach Jedlesee (Niederösterreich [zu Wien 21.]), wo sie heiratete und als Hausfrau tätig war. Ihr Ehemann war Weichenwächter bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, arbeitete und lebte seit etwa 1855 in Floridsdorf (Niederösterreich [zu Wien 21.]), wurde kurz darauf nach Stiebnig (Österreichisch-Schlesien [Jistebník, Tschechien]) versetzt, und kam Mitte der 1860er-Jahre wieder nach Floridsdorf zurück. Die drei älteren Söhne des Ehepaares Kammerer fanden auch bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn Arbeit. Lediglich ihr jüngster Sohn, Anton Kammerer (1862–1884) machte zunächst eine Buchbinderlehre, arbeitete aber seit 1880 ebenfalls bei der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, nämlich als Verschieber. Anton Kammerer schloss sich der radicalen Arbeiterbewegung an und wurde eine der bekanntesten Repräsentanten der Sozialrevolutionäre Österreichs.
Exkurs: Um dem Militärdienst zu entgehen, aber auch aus Furcht vor polizeilicher Verfolgung wegen seiner Aktivitäten in der radicalen Arbeiterbewegung, flüchtete Anton Kammerer im August 1882 in die Schweiz. Hier bildete er mit dem Schuhmachergesellen Hermann Stellmacher (1853–1884) und dem Tischlergehilfen Michael Kumić (1853–?) eine sozialrevolutionäre Gruppe. Diese Gruppe sowie ein vierter Unbekannter soll am 22. Oktober 1883 in Straßburg (Elsaß-Lothringen [Strasbourg, Frankreich]) die Apotheke »zum Storch« von Emil Reeb (1843–1928), Lange Straße 2 [Grande Rue], überfallen haben, wobei der Musketier Johann Adels (?–1883) vom 1. Rheinischen Infanterieregiment Nr. 25, ein gelernter Schreiner, und der Apothekergehilfe Franz Lienhardt (~1833–1883) ermordet wurden. Dieselbe Gruppe soll am 21. November 1883 in Stuttgart (Württemberg [Baden-Württemberg]) die Firma »J. A. Heilbronner, Bank- und Wechselgeschäft« des Bankiers Josef Heilbronner (1850–1930), Kronprinzstraße 12, überfallen und dessen Inhaber sowie seinen zufällig anwesenden Freund, den Kaufmann Louis Oettinger (~1856–?), schwer verletzt haben. Was Anton Kammerer betrifft, ist lediglich sicher, dass er am 15. Dezember 1883 in Floridsdorf den in der Arbeiterschaft verhassten Polizeikonzipisten Franz Hlubek (1854–1883) erschoss. Schließlich soll Anton Kammerer gemeinsam mit Hermann Stellmacher auch am Raubüberfall auf die die Eisert’sche Wechselstube in Wien 6., Mariahilfer Straße 55, am 10. Jänner 1884 beteiligt gewesen sein, bei dem der Besitzer Heinrich Eisert sen. (~1838–1884) und dessen beide Kinder, der neunjährige Rudolf Eisert (~1875–1884) und der elfjährige Heinrich Eisert jun. (~1873–1884), ermordet und die im Lokal anwesende Französischlehrerin der Kinder, Karoline Berger (~1819–?), schwer verletzt wurden.
Nach einer abenteuerlichen Flucht kehrte Anton Kammerer nach Wien zurück, wo er nach heftigem Widerstand, bei dem mehrere Polizeiagenten und Sicherheitswachmänner teils schwer verletzt wurden, am 28. Februar 1884 festgenommen wurde. Zunächst ins Landesgericht Wien eingeliefert, wurde er als Deserteur am 19. Mai 1884 dem Garnisonsgericht Wien in der Alser Kaserne in Wien 9., Alser Straße 2, übergeben. Im Verfahren, das am 5. und 6. September 1884 vor dem Kriegsgericht Wien stattfand, wurde Anton Kammerer in einem sehr zweifelhaften Verfahren zum Tod verurteilt und am 20. September 1884 in der Alser Kaserne gehängt. Gerade in den letzten Monaten von Anton Kammerers Aufenthalt in der Schweiz und während seiner Flucht war Franziska Kammerer ganz offensichtlich eine wichtige Stütze ihres Sohnes. Sie war es auch, die ihm am 26. Februar 1884 durch den Kesselheizer Mathias Dokupil (1851–?) die Warnung zukommen ließ, dass er von der Wiener Polizei bereits überwacht werde. Franziska Kammerer, die keine Anhängerin, höchstens eine Sympathisantin der radicalen Arbeiterbewegung war, wollte ihren Sohn im Gefängnis und auch noch vor seiner Hinrichtung besuchen, doch wurde ihr dieses verwehrt. Nach dem Tod ihres Ehemannes zog Franziska Kammerer zu ihrem Sohn Franz Kammerer (1854–?).
Adressen
- Tulln, Niederösterreich, Tulln 21 (Geburtsadresse)
- Jedlesee, Niederösterreich [zu Wien 21.], Jedlesee 76 (1852)
- Jedlesee, Niederösterreich [zu Wien 21.], Jedlesee 24 (1852)
- Stiebnig, Österreichisch-Schlesien [Jistebník, Tschechien], Stiebnig 180 (1859–1862)
- Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.], Stationsplatz der Nordbahn 152 (1856–1857)
- Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.], Leopoldsplatz 323 [Kinzerplatz] (1893)
- Floridsdorf, Niederösterreich [zu Wien 21.], Wassergasse 1 (Sterbeadresse)
Autor / Version / Copyleft
Autor: Reinhard Müller
Version: Mai 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
Copyleft