Die Zeitung »Arbeit« (1887)
Als erstes anarchistisches, allerdings noch durchaus in Traditionen der Radicalen verhaftetes Organ Österreichs ist die in Villach / Beljak (Kärnten) erschienene Zeitung »Arbeit. Organ der Socialisten Oesterreichs« (Villach) zu bezeichnen. Der neue Untertitel, das Motto »Proletarier aller Länder vereinigt euch!«, mehr noch das Quasi-Motto – »Parteigenossen vergeßt die Familien der Inhaftirten nicht« – weisen darauf hin, dass es sich um ein von der zuvor in Marburg an der Drau (Steiermark [Maribor, Slowenien]) und dann in Graz (Steiermark) erschienenen Zeitung »Die Arbeit. Sozialdemokratisches Organ der Arbeiter Oesterreichs« unabhängiges Organ handelt, wenngleich es als deren unmittelbarer Nachfolger einzuschätzen ist.
Die Zeitung »Arbeit« (Villach) erschien zwischen dem 3. Juni 1887 und dem 16. Juni 1887, zwei Nummern mit zusammen acht Seiten.1 Herausgeber und Verleger waren der Schneidergehilfe Johann Risman (1864–1936) für Graz und der Comptoirist Josef Tikal (1865–1891) für Villach / Beljak. Als verantwortlicher Schriftleiter zeichnete über Losentscheid der Schuhmachergehilfe Valentin Wutte (1858–1932). Die meisten Artikel der Zeitung erschienen anonym. Namentlich zuzuordnen sind nur ein Artikel der Herausgeber Johann Risman und Josef Tikal sowie Beiträge des Wiener radicalen Schriftsetzergehilfen Rudolf Hanser (1859–1909) und des radicalen Schuhmachermeisters Josef Zweibrot (1841–1886).
Schon in der ersten Nummer gibt es einen Seitenhieb gegen die Gemäßigten der Sozialdemokratie: »Die Reaction macht Anstrengungen mehr als je die Arbeiter in geistiger Finsterniß und öconomischer Knechtschaft zu erhalten. Wir sehen Gestalten in die Oeffentlichkeit treten, welche scheinbar mit neuem ›Programm‹ ausgestattet sind und den Kampf gegen Ausbeutung zu führen vorgeben.« Und die Herausgeber betonen den ökonomischen Kampf: »von der Erkenntniß ausgehend, daß eine politische Freiheit ohne wirthschaftliche Gleichheit unmöglich ist, und da bei der Aufrechthaltung des Lohnsystems die Grundbedingung der öconomischen Gerechtigkeit: daß jedem Individuum der volle Ertrag seiner Arbeit zukomme, nicht erfüllbar ist, so es unsere Aufgabe, die radicale Umänderung der privatcapitalistischen Productionsweise anzustreben sein muß.«2
Erst am 28. Dezember 1887 fand vor dem Landes- als Erkenntnisgericht Klagenfurt / Celovec der Prozess gegen Josef Tikal als Herausgeber und Valentin Wutte als verantwortlichem Redakteur der Zeitung »Arbeit« (Villach) statt. Sie wurden zu je zwei Wochen Arrest und einer Geldstrafe von 10 Gulden verurteilt. Doch zu diesem Zeitpunkt gab es die zuletzt in Wien erschienene Zeitung »Arbeit« nicht mehr.
Es waren vor allem finanzielle Gründe, warum die Zeitung »Arbeit« (Villach) eingestellt wurde. Doch schon eineinahlb Monate später, auf dem am 14. und 15. August 1887 in Linz an der Donau abgehaltenen Fahnenweihefest des dortigen »Arbeiter-Sängerbundes« wurden wieder Stimmen laut, die Zeitung »Arbeit« fortzusetzen. Es kam aber zum Bruch zwischen den steirischen Autonomisten einerseits und den Linzer Radicalen und Gemäßigten andererseits, weil sich Johann Risman weigerte, die Redaktion zu übernehmen. Zwar sollte in Linz an der Donau am 6. Oktober 1887 die erste und einzige Nummer der Zeitung »Arbeit« (Linz) als Nummer 3 des 1. Jahrgangs erscheinen, doch wurden noch vor deren Auslieferung die einzigen drei gedruckten Exemplare konfisziert. Der weltanschauliche Riss zwischen Graz und Linz an der Donau zeigt sich auch in den Beiträgen der Zeitung. Von Seiten der Autonomisten schrieben die Herausgeber Johann Risman und Josef Tikal nur einen kurzen Bericht zum Entstehen dieser Nummer der Zeitung und Rudolf Hanser unter dem Pseudonym »Rolf« einen historischen Artikel. Für die Gemäßigten plädierte der Metalldruckergehilfe Jakob Sokopp (1855–1925) in seinem Beitrag für den sozialen und den politischen Kampf. Dafür verantwortlich war wohl der verantwortliche Redakteur, der Schneidergehilfe Johann Neander (1849–1899), wichtiger Repräsentant der Linzer Gemäßigten. Dessen Funktion hätte ursprünglich jemand ganz anderer übernehmen sollen. Als die Zeitung »Arbeit« (Villach) eingestellt und eine Fortsetzung in Linz an der Donau diskutiert wurde, boten die Linzer Radicalen noch im Juni 1887 die Stelle eines Redakteurs dem Schneidergehilfen Ludwig Philipp Schrödl (1851–1888) an, zu diesem Zeitpunkt bereits ein umtriebiger Polizeispitzel der Linzer Polizei. Als dann im August 1887 die Entscheidung fiel, die Zeitung tatsächlich nach Linz an der Donau zu verlegen, wurde Schrödl weder zum Redakteur noch zum Mitglied des Herausgeberkomitees gewählt. Und Schrödl lehnte es auch ab, einen Artikel für das Organ zu schreiben. Bemerkenswert: Schrödl bezeichnete sich in seinen konfidentiellen Mitteilungen an die Polizei als Mitglied des Herausgeberkomitees, doch taucht in der Zeitung »Arbeit« (Linz) sein Name nicht auf. Vor dem Hintergrund dieser weltanschaulichen Wirrnisse war die Linzer »Arbeit« höchstens eine unbedeutende Fußnote in der Geschichte der Autonomisten in Österreich.
Eigentlich hätte in Linz an der Donau eine weitere Nummer der Zeitung erscheinen sollen. Doch auf Wunsch von Rudolf Hanser und mit zögerlicher Zustimmung von Johann Risman wurde beschlossen , die Zeiung nunmehr in Wien erscheinen zu lassen. Dafür kehrte Josef Tikal, der erst am 27. September 1887 nach Linz an der Donau übersiedelt war, noch im Oktober 1887 nach Wien zurück. Vom 27. Oktober bis 22. Dezember 1887 erschienen dann mit neuer Jahrgangszählung fünf Nummern der Zeitung »Arbeit. Organ der Sozialisten Oesterreichs« (Wien), von der aber drei Nummern konfisziert wurden. Als Herausgeber zeichnete zunächst nur Josef Tikal, ab der Nummer 2 (10. November 1887) Josef Tikal für Wien und Johann Risman für Graz. Verantwortlicher Redakteur war Rudolf Hanser. Anschließend an die weltanschauliche Tradition der »Arbeit« (Villach) wurde die Zeitung zum – allerdings kurzlebigen – Organ der Autonomisten. Nach der Konfiskation der letzten Nummer war die finanzielle Belastung zu groß geworden, und das letzte Organ der radicalen Arbeiterbewegung und zugleich erste anarchistische Österreichs in seinen heutigen Grenzen fand sein Ende. Die insgesamt acht Nummern der »Arbeit« boten aber erstmals die Möglichkeit, anarchistische Ideen in einer eigenen Zeitung zu formulieren. Und viele der im Umfeld der Zeitung agierenden Personen wurden Wegbereiter der Unabhängigen Socialisten, welche die anarchistischen Bewegungen in Österreich während der ersten Hälfte der 1890er-Jahre prägten.
Und was wurde aus den führenden Köpfen der Autonomisten der Zeitung »Arbeit«? Rudolf Hanser, der 1888 bis 1889 in London (England) weilte, gründete 1891 den zur »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« oppositionellen »Politischen Arbeiterverein Unabhängigkeit«, der sich zumindest anfangs der deutschen Opposition der »Jungen« verwandt fühlte. Johann Risman wurde Mitbegründer der anarchistischen Unabhängigen Socialisten, zog sich aber nach einem zwar mit seinem Freispruch endenden Hochverratsprozess 1894 aus der Arbeiterbewegung zurück und schloss sich 1899 der Sozialdemokratie an. Josef Tikal wandte sich um 1888 verstärkt sozialrevolutionären Ideen zu und gründete eine Geheimdruckerei, in der er 1889 für ein »Radikales Comite« sozialrevolutionär-anarchistische Flugschriften druckte. Und Valentin Wutte wandte sich bereits 1889 der Sozialdemokratie zu.
Autor: Reinhard Müller
Version: Mai 2025
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Daten
- 1
August Krčal (1862–1894): Zur Geschichte der Arbeiter-Bewegung Oesterreichs. 1867–1892. Eine kritische Darlegung von August Krčal. Graz: Selbstverlag des Verfassers 1893, S. 35, lässt die Zeitschrift irrtümlich am 2. Juni 1887 erstmals erscheinen und spricht von drei Nummern, von denen zwei konfisziert worden seien. Tatsächlich wurde nur die Nummer 2 (16. Juni 1887) konfisziert, die allerdrings gleich zweimal, so dass sie in dritte Auflage erscheinen musste.
- 2
Die Herausgeber [d. s. Johann Risman (1864–1936) und Josef Tikal (1865–1891)]: Arbeiter! Gesinnungsgenossen!, in: »Arbeit« (Villach), 1. Jg., Nr. 1 (3. Juni 1887), S. [1].