Münzverfälschungs-Affäre 1887

Daten
Zeitraum
Januar 1887–27. Mai 1887
Beschreibung

Zeit: Jänner 1887 bis 27. Mai 1887
Ort: Sechshaus (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Hauptstraße 53 [Sechshauser Hauptstraße]; Wien 5., Siebenbrunnengasse 16
Beteiligte: Schlossergehilfe Johann Ammerer (~1862–?), Gürtler und Bronzearbeitergehilfe Ferdinand Emerling (1868–1888), Schlossergehilfe Ferdinand Hilbert (1856–?), Knopfdrechslergehilfe Anton Mličko (1857–1900), Metallgießer Anton Schreger (1867–1927), Metalldreher Franz Spiegl (~1870–?), Tischlermeister Karl Titz (1836–1894), Hausfrau Viktoria Titz (1850–?)
fälschlich Beschuldigte: Kartenmaler Karl Czastka, Meerschaumbildhauer Ludwig Nedomansky, Tischlergehilfe Adolf Preßl
Denunziant: Metallgießer Anton Schreger (1867–1927)

Eine Vorgeschichte

Zwischen Dezember 1885 und 18. September 1886 ereignete sich eine Münzverfälschungs-Affäre, die in gewisser Weise Vorbildcharakter hatte. Die Silberarbeitergehilfen Johann Ondriczek (~1854–?), Josef Paul Schwarz (1857–?) und Otto Steidl (~1851–?) versuchten, Silbergulden zu fälschen. Dieses Vorhaben flog durch Denunziation am 18. September 1886 auf. Am 28. Dezember 1886 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der so genannte Anarchisten-Prozess gegen Johann Ondriczek, Josef Paul Schwarz und Otto Steidl statt, angeklagt der Verbrechen des Diebstahls und der Mitschuld daran sowie der Münzverfälschung. Im Sinne der Anklage wurden Otto Steidl zu fünf Jahren, Johann Ondriczek und Josef Paul Schwarz zu je drei Jahren schwerem Kerker verurteilt, jeweils verschärft durch einen Fasttag im Monat. Außerdem wurde über sie nach Verbüßung der Strafe die Unterstellung unter Polizeiaufsicht verhängt.

Das Ereignis

Der Knopfdrechslergehilfe Anton Mličko (1857–1900) lernte zu Weihnachten 1886 den Schlossergehilfen Ferdinand Hilbert (1856–?) kennen. Beide kamen zur Überzeugung, dass ihre wegen Münzverfälschung am 28. Dezember 1886 verurteilten Genossen, die Silberarbeiter Johann Ondriczek (~1854–?), Josef Paul Schwarz (1857–?) und Otto Steidl (~1851–?), es dumm angestellt hätten. Für ihr Vorhaben, selbst Falschmünzen herzustellen, konnte Anton Mličko eine Bekannte, die Hausfrau Viktoria Titz (1850–?), gewinnen. Anton Mličko und Ferdinand Hilbert besorgten die nötigen Formenrahmen, Schmelztiegel und andere Utensilien, während Viktoria Titz ihr Schlafkabinett in ihrer Wohnung in Sechshaus (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Sechshauser Hauptstraße 53 [Sechshauser Straße], sowie einen Gussofen zur Verfügung stellte. Hier wurden nun im Jänner 1887 Silberscheidemünzen aus geringhaltigerem Metall hergestellt, nämlich vier Stück zu zehn Kreuzern und sieben oder acht Stück zu zwanzig Kreuzern. Da Ferdinand Hilbert Ende Jänner 1887 erkrankte, musste die Herstellung des Falschgeldes vorübergehend eingestellt werden.

Im Februar 1887 kam der Metallgießer Anton Schreger (1867–1927) ins Spiel, der damals Anton Mličko kennen lernte. Der Polizeispitzel Schreger sei damals – nach späterer – Einschätzung der Polizei wie auch des Gerichts ein Anhänger der so genannten Anarchisten geblieben. Anton Mličko und Anton Schreger konnten nun auch den Bronzearbeitergehilfen Ferdinand Emerling (1868–1888) und den später flüchtigen Metalldreher Franz Spiegl (~1870–?) gewinnen. Dazu kam nach seiner Genesung wieder Ferdinand Hilbert. Im Keller von Franz Spiegls Vater, dem Holz- und Kohlenhändler Alois Spiegl, in Wien 5., Siebenbrunnengasse 16, stellten sie – nach eigenen Angaben – sechs Silbergulden her. Diese kamen jedoch nicht in den Verkehr, weil Ferdinand Emerling das Polieren der Münze und die Beifügung der Randbeschriftung erst technisch bewältigen musste. Die hergestellten Münzprodukte wurden im Haus der Viktoria Titz am Dachboden versteckt, teils unter Mist, teils unter den Dachsparren. Bereits zu diesem Zeitpunkt kursierte in gewissen Kreisen der radicalen Arbeiterbewegung die Vermutung, dass Anton Schreger ein Polizeispitzel sei.

Die polizeiliche Verfolgung

Mitte März 1887 machte Anton Schreger der Polizei die Mitteilung, dass es zwei radicale Gruppen gäbe, die sich mit Münzverfälschung beschäftigten.
Seit diesem Zeitpunkt hatte die Polizei die Wohnung des Tischlermeister Karl Titz (1836–1894) in Sechshaus (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Hauptstraße 53 [Sechshauser Hauptstraße], beobachtet, und am 27. Mai 1887 nahm sie ihn auf der Landstraße [Linzer Straße] bei einer Kundin fest, wo er gerade Reparaturarbeiten machte. Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung von Karl Titz und des dazugehörigen Dachbodens fand die Polizei sozialistische und anarchistische Druckschriften, falsches Silbergeld, Bilder von Ferdinand Lassalle (1825–1864) sowie der Sozialrevolutionäre Hermann Stellmacher (1853–1884) und Anton Kammerer (1862–1884). Nun wurde auch seine Ehefrau verhaftet, die Hausfrau Viktoria Titz, Mutter von vier Kindern zwischen drei Monaten und zwölf Jahren, wobei das jüngste Kind, der am 17. Februar 1887 geborene Carl Titz (1887–?), bei der Verhaftung seiner Eltern schwer krank war. In ihrer Wohnung befanden sich zu diesem Zeitpunkt gerade die Ehefrauen der wegen der so genannten Brandleger-Affäre vom 3. Oktober 1886 flüchtigen Franz Koči (1855–1913), Drechsler- und Wagnergehilfe, und Johann Waněk (1851–?), Seidenwerkzeugmacher. Spät abends wurden weitere fünf Arbeiter in Sechshaus verhaftet, darunter Ferdinand Emerling, Ferdinand Hilbert und Anton Mličko.

Die erfundene Münzfälscherbande des Polizeispitzels

Anton Schreger teilte nun dem Polizeirat bei der Polizei-Direktion Wien Bernhard Frankl (1846–1907) mit, dass es eine weitere sozialrevolutionäre Münzfälscherbande gäbe. Bernhard Frankl glaubte Schreger, war es doch er, der Schreger bei den Sozialrevolutionären als Polizeispitzel eingeschleust hatte, um diese zur Münzverfälschung anzustiften beziehungsweise zu ermutigen. Anton Schreger nannte nun die Namen dieser zweiten Münzfälscherbande, weshalb in den nächsten Tagen weitere fünf Personen festgenommen wurden, darunter auch jene, die von Anton Schreger wissentlich fälschlicherweise der Münzverfälschung beschuldigt wurden: der Kartenmaler Karl Czastka, der Meerschaumbildhauer Ludwig Nedomansky, Schriftführer des »Arbeiter-Bildungsvereins«, und der Tischlergehilfe Adolf Preßl, ein Sozuialdemokrat, später Herausgeber der »Tischler-Zeitung« (Wien). Als Beweis für deren Münzverfälschung übergab Anton Schreger bei seiner Denunziation Polizeirat Bernhard Frankl eine gefälschte Zwanzigkreuzer-Münze, die er allerdings von Anton Mličko erhalten hatte. Erst nach Wochen, im Juli 1887, stellte sich aufgrund des beim Verhör gemachten Geständnisses von Anton Schreger deren Unschuld heraus. Ludwig Nedomansky wurde erst nach sieben Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen, Karl Czastka nach neununddreißig Tagen. Dessen Ehefrau Karoline Czastka (um 1844–?) erkrankte während der Untersuchungshaft ihres Ehemannes schwer und verübte wenige Tage nach dessen Freilassung, am 10. Juli 1887, in ihrer Wohnung in Wien 7., Burggasse 110, aus Kränkung über die lange Zeit, die ihr Ehemann im Gefängnis verbringen musste, einen Suizidversuch: Sie fügte sich mit einem Messer eine schwere Wunde am Hals zu, wurde in das Allgemeine Krankenhaus und später wegen Verfolgungswahn in ein so genanntes Irrenhaus eingeliefert.

Die gerichtliche Verfolgung

Am 10. Dezember 1887 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der Prozess wegen Verbrechens der Münzverfälschung für anarchistische Zwecke gegen die fünf am 27. Mai 1887 verhafteten Angeklagten statt: der Gürtler und Bronzearbeitergehilfe Ferdinand Emerling (1868–1888), der Schlossergehilfe Ferdinand Hilbert (1856–?), der Knopfdrechslergehilfe Anton Mličko (1857–1900), die Hausfrau Viktoria Titz (1850–?) sowie der Metallgießer und Polizeispitzel Anton Schreger (1867–1927). Im Prozess trat auch ein mittlerweile ehemaliger Radicaler, der Knopfdrechslergehilfe Josef Temke (1841–?), als Zeuge auf, ohne die Angeklagten jedoch zu belasten. Angeklagt wurden Ferdinand Emerling, Ferdinand Hilbert, Anton Milczko, Viktoria Titz und Anton Schreger wegen des Verbrechens der Münzverfälschung, Schreger zusätzlich des Verbrechens der Verleumdung. Ausgenommen Anton Schreger, der nur zum Schein mitgemacht haben wollte, waren die Angeklagten teilweise geständig, bestritten aber anarchistische Zwecke. Im Prozess wurde ganz offen über die Spitzeltätigkeit von Anton Schreger gesprochen, doch der Antrag auf Vorladung des Polizeirats bei der Polizei-Direktion Wien Bernhard Frankl, der ja Schreger angeworben hatte, wurde vom Gericht abgelehnt. Im Sinne der Anklage wurden Anton Schreger zu fünf Jahren, Anton Mličko und Ferdinand Hilbert zu je vier Jahren, Viktoria Titz zu fünfzehn Monaten und Ferdinand Emerling zu einem Jahr schwerem Kerker und zur nachherigen Stellung unter Polizeiaufsicht verurteilt. Dieser Prozess gegen die Münzfälscherbande war der letzte große so genannte Anarchisten-Prozess für längere Zeit. Der flüchtige Franz Spiegl und der Schlossergehilfe Johann Ammerer (~1862–?) wurden erst später vor Gericht gestellt. 

Franz Spiegl (~1870–?) war beim Auffliegen der Münzverfälschungs-Affäre geflüchtet, hatte sich dann aber am 1. Februar 1888 selbst beim Staatsanwalt gestellt und in der Untersuchungshaft seine Beteiligung an der Münzverfälschung gestanden. Am 23. Februar 1888 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Wien der Prozess gegen Franz Spiegl statt, angeklagt der Mitschuld am Verbrechen der Falschmünzung. Er wurde wegen seiner Selbstanzeige zur geringstmöglichen Strafe verurteilt: zu einem Jahr schwerem Kerker.

Das Nachspiel Johann Ammerer

Am 19. Juli 1888 meldete sich der seit dem 13. Juli 1888 vom Kreisgericht Wiener Neustadt (Niederösterreich) wegen Verbrechens des Diebstahls steckbrieflich gesuchte Schlossergehilfe Johann Ammerer (~1862–?) beim Polizeikommissariat in Sechshaus (Niederösterreich [zu Wien 15.]) selbst. Johann Ammerer war erst im Frühjahr 1888 nach Verbüßung einer wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit achtmonatigen schweren Kerkerstrafe aus Wien abgeschafft worden. Nun gab er an, im Herbst des vorigen Jahres von seinem Arbeitskollegen Ferdinand Hilbert fünfzehn Stück falsche Silbermünzen und etwa zehn falsche Zwanzig-Kreuzermünzen erhalten und diese trotz seines Wissens um deren Falschheit in Umlauf gesetzt zu haben. Johann Ammerer wurde sofort ins Landesgericht eingeliefert. Sowohl in den Verhören widerrief er mehrmals seine Angaben wie auch in der Verhandlung, die am 10. Oktober 1888 vor dem Landes- als Schwurgericht Wien stattfand. Johann Ammerer wurde wegen Falschmünzerei zu drei Jahren schwerem Kerker verurteilt, weil die Geschworenen nur sein ursprüngliches Geständnis sowie einige vom Staatsanwalt beigebrachte Belege berücksichtigten.

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