Mátyás Rusz (1860–)

Persönliche Daten
Namensvarianten
deutsche Namensform: Matthias Rusz
falsche Namensschreibweise: Mathias Russ
Geburtsdatum
1860

Heirat: mit Mária [?}
Kinder: mehrere

Biographie

Der Schriftsetzer Mátyás Rusz trat in der ungarischen Arbeiterbewegung erstmals 1879 als Mitarbeiter der Zeitung »Arbeiter-Wochen-Chronik. Sozial-ökonomisches Volksblatt« (Budapest) in Erscheinung, welche seit 1880 das Zentralorgan der »Magyarországi Általános Munkáspárt« (Ungarische Allgemeine Arbeiterpartei) war. Anfang 1880 schloss sich Rusz dem Flügel der radicalen Arbeiterbewegung Ungarns an. In diesem Jahr absolvierte er seinen Militärdienst bei der Budapester Kriegskommission. Er war gemeinsam mit dem Schriftsetzer Márkus Weisz Herausgeber der radicalen Zeitung »Der Kommunist« (Budapest), deren drei Nummern vom 11. März bis Mai 1882 erschienen. Verantwortliche Redakteur war der Hutmachergehilfe Rudolf Hofmann (1855–1924), der zu diesem Zeitpunkt bereits als Spitzel für die Wiener Polizeidirektion tätig war. Hauptberuflich arbeitete Rusz damals als Schriftsetzer bei der »Pesti Könyvnyomda Részvénytársulatnál« (Pester Buchdruckerei Aktiengesellschaft). Außerdem war er in der Redaktion der radicalen Zeitung »Népakarat« (Budapest; Volkswille) tätig, die vom 18. März 1883 bis 30. November 1884 erschien. Rusz unterhielt offensichtlich gute Kontakte zu den Wiener Radicalen. Diese wurden wohl verstärkt, als der Futteralmacher und Zeitungsherausgeber August Koditek (1855–?) im März 1883 von Wien nach Budapest (Ungarn) übersiedelte. Rusz zeichnete als Herausgeber und verantwortlicher Redakteur der ersten und einzigen Nummer der Zeitung »Die Zukunft« (Budapest), gedacht als Fortsetzung der aufgrund der Ausnahmsverordnungen vom 30. Jänner 1884 für Wien mit 31. Jänner 1884 verbotenen Zeitung »Die Zukunft« (Wien). Die Seele dieser Zeitung war aber Koditek, der vorübergehend verhaftet und am 26. Februar 1884 aus Budapest abgeschafft wurde. Nun übernahm Rusz von diesem auch den Inhaftiertenfonds der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs«. Rusz konnte als gebürtiger Ungar nicht ausgewiesen werden, wurde aber später in einer anderen Angelegenheit verhaftet.

Mit den Verhaftungen und Ausweisungen im Umfeld der Zeitung »Der Kommunist« begannen die Behörden ihre große Aktion zur Zerschlagung der radicalen Arbeiterbewegung in Ungarn. Bei der großen Verhaftungswelle, die am 13. und 14. März 1884 in Budapest durchgeführt wurde, wurde neben fünfunddreißig anderen Radicalen auch Mátyás Rusz verhaftetNeunzehn von ihnen wurden nach ersten Vernehmungen freigelassen und teilweise abgeschafft beziehungsweise ausgewiesen, siebzehn am 25. März 1884 in das Strafgericht Budapest eingeliefert, darunter Rusz. Anlass für diese Aktion der ungarischen Behörden unter Leitung des Hauptmanns der Budapester Polizeiwache (Polizeidirektor) Elek Thaisz (1820–1892) war der Überfall auf die Eisert’sche Wechselstube von Heinrich Eisert sen. (~1838–1884) am 10. Jänner 1884 in Wien gewesen.1 Der Schneidergehilfe und nunmehrige Fabrikarbeiter Ármin Práger (1851–1905) hatte von August Koditek per Post Wertpapiere aus Wien erhalten und diese an den Bankbuchhalter Jónás Gyula Fried (1864–1929) weitergegeben, angeblich ohne zu wissen, dass diese aus dem Überfall auf die Eisert’sche Wechselstube stammten. Vermutlich wurden diese Wertpapiere Anfang Februar 1884 von einem der Attentäter, nämlich dem Buchbindergehilfen Anton Kammerer (1862–1884), an Koditek gesandt. August Koditek und Ármin Práger beschlossen dann, dieses Geld zum größeren Teil für die Unterstützung der Familien politischer Gefangener und zum kleineren Teil für den Druck der Nummer 12 der Zeitung »Radikal« (Budapest) zu verwenden.

Am 5. Mai 1884 fand vor dem Schwur- als Pressegericht Budapest der Prozess gegen Mátyás Rusz, Redakteur der radicalen Zeitung »Die Zukunft« (Budapest), wegen Lobpreisung verbrecherischer Handlungen und Aufreizung zum Klassenhass statt, begangen durch einen Artikel in seiner Zeitung. Rusz hatte darin die Ermordung des Polizeikonzipisten Franz Hlubek (1854–1883) in Wien am 15. Dezember 1883 und des Polizei-Detektivs Ferdinand Blöch (1845–1884) in Wien am 25. Jänner 1884 als ein gerechtes Urteil bezeichnet. Rusz war ja im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Eisert’sche Wechselstube verhaftet worden und befand sich deswegen noch in Untersuchungshaft. Nun wurde erstmals seit Bestehen des Pressegesetzes ein Angeklagter in Begleitung eines bewaffneten Gefängnisinspektors vor die Jury geführt. Die Geschworenen sprachen Rusz zwar teilweise schuldig, und zwar wegen seines Eingeständnisses, Autor des inkriminierten Artikels zu sein, sprachen ihn aber ansonsten frei. Daraufhin verhängte der Richter kein Urteil, sondern verwies das Verfahren an eine andere Jury. Am 27. Mai 1884 wurde der Prozess neuerlich durchgeführt. Mittlerweile war jedoch das Verfahren gegen Rusz wegen des Überfalls auf die Eisert’sche Wechselstube eingestellt worden. Mátyás Rusz wurde nun wegen Pressevergehens der Aufreizung zum Klassenhass zu sechs Monaten Staatsgefängnis und 200 Gulden Geldstrafe verurteilt, weiters zum Ersatz der 250 Gulden Prozesskosten. Rusz meldete Berufung an und wurde gegen Kaution auf freiem Fuß belassen. Nach Verwerfung des Rekurses verbüßte Rusz seit 22. September 1884 seine Strafe im Staatsgefängnis Vác / Waitzen [Vác] (Ungarn). Übrigens wurde Rusz aus diesem Gefängnis vorgeführt, um im großen Prozess im Zusammenhang mit dem Raubüberfall auf die Eisert’sche Wechselstube, der vom 5. bis 9. Dezember 1884 vor dem Strafgerichtshof Budapest stattfand, als Zeuge aufzutreten. Danach verliert sich die Spur von Mátyás Rusz.

Adressen

  • Budapest, Ungarn, Hold utca 7 (1884)
Karte
  • 1

    Zum Überfall auf die Eisert’sche Wechselstube siehe die Biografie von Heinrich Eisert sen. (~1838–1884).