02.00.05 Der Inhaftiertenfonds der radicalen Arbeiterbewegung in Österreich 1880 bis 1885
Im Zuge der sich immer rascher verbreitenden radicalen Arbeiterbewegung in Österreich nahmen auch die behördlichen Verfolgungen zu. Dadurch wurde es notwendig, einen eigenen Inhaftiertenfonds der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« einzurichten. Diesen gab es mindestens seit 1880. In diesem Jahr wurden 1.064 Gulden und 49 Kreuzer eingezahlt. Laut Polizeiangaben verschlang er 1883 mit 6.608 Gulden und 7 Kreuzer bereits den größten Teil der finanziellen Mittel der Partei.
Die Gelder stammten von Sammlungen am Arbeitsplatz und bei Arbeiterveranstaltungen, von Spenden sowie von der Selbstbesteuerung jener Genossen, welche ein eigenes Unternehmen betrieben, wobei etwa vier bis sechs Prozent der Einnahmen abgeliefert wurden. Auf der Delegiertenkonferenz der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« in Julienfeld (Mähren [Juliánov, zu Brno, Tschechien]) wurde am 25. Dezember 1880 beschlossen, das Unterstützungs- und Agitationswesen zu zentralisieren. Unter anderem wurde festgelegt, dass die wöchentliche Unterstützung für die Ehegattin beziehungsweise Lebensgefährtin des Inhaftierten fünf Gulden, für jedes Kind einen Gulden betragen soll.
Der zunächst vom Webergehilfen Josef Hybeš (1850–1921) verwaltete Inhaftiertenfonds hatte seit September 1881 je eine Verwaltungsstelle in Wien und Graz (Steiermark).
In Wien wurde der Inhaftiertenfonds seit September 1881 vom Schuhmachergehilfen Johann Richter (1852–nach 1932) verwaltet, nach dessen Verhaftung am 1. April 1882 von der Administration der Zeitung »Die Zukunft« (Wien), seit Juli 1882 von deren Redakteur, dem Zimmermaler Josef Peukert (1855–1910), nach dessen Verhaftung am 24. August 1882 vom Webergehilfen Franz Schustaczek (1850–1908), seit April 1883 vom Buchbindergehilfen Ernst Schmid (1853–1919). Mit Februar 1884 sollte der Silberarbeiter Hermann Engländer (1858–?) die Verwaltung des Wiener Inhaftiertenfonds übernehmen, doch machte die Verhängung des Ausnahmezustands am 31. Jänner 1884 dies hinfällig. Daraufhin wurden die Genossinnen und Genossen aufgefordert, das Geld an den Futteralmacher August Koditek (1855–?) in Budapest (Ungarn) zu senden, doch der wurde bereits am 26. Februar 1884 aus Ungarn ausgewiesen. Daraufhin übernahm der Schriftsetzer und Redakteur der einzig erschienenen Nummer der Zeitung »Die Zukunft« (Budapest) Mátyás Rusz (1860–?) dessen Funktion, doch auch der wurde bereits am 13. März 1884 verhaftet. Nun übernahm das einzige noch erscheinende Organ der Radicalen, »Der Radikale« (Reichenberg [Liberec]), die Verwaltung des Inhaftiertenfonds bis zur Einstellung dieser Zeitung mit der Nummer vom 2. April 1885.
In Graz, wo es seit September 1881 eine eigene Verwaltungsstelle für den Inhaftiertenfonds der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« gab, wurde diese vom Tischlergehilfen Franz Kramer (~1848–1921) verwaltet.
Autor: Reinhard Müller
Version: Mai 2024
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