Franz Haspel (1863–1935)

Persönliche Daten
Namensvarianten
genannt: der Kleine
Geburtsdatum
11. März 1863
Geburtsort
Sterbedatum
7. September 1935
Sterbeort
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch
Berufe

Mutter: Juliana Haspel: Köchin
Vater: unbekannt
Ehe: keine
Kinder: keine

Biographie

Franz Haspel, zuständig nach Grafendorf bei Hartberg (Steiermark), absolvierte eine Tischlerlehre und arbeitete als Tischlergehilfe in Wien. Hier wurde er einer der Initiatoren einer neuen – teilweise sich personell mit den Unabhängigen Socialisten überschneidenden – Gruppe von Anarchisten. Diese stand noch sehr stark in der Tradition der Sozialrevolutionäre der 1880er-Jahre, bekannte sich aber ebenfalls zur Anarchie als zu erstrebendem Ideal. Sie trat vor allem mit selbst hergestellten Flugblättern an die Öffentlichkeit. Bereits im Mai 1891 erschien das Flugblatt »Was thun?«, gezeichnet »Es lebe die Anarchie!«.1 Dieses Flugblatt wurde, wie auch die vier folgenden, teils stoßweise in den Straßen Wiens und seiner Vororte ausgestreut, teils auf Hausmauern und in Stiegenhäusern plakatiert. Weiters erschien das Flugblatt »Aufruf«.2 Im Dezember 1892 folgte der Nachdruck eines bereits 1887 erschienenen Flugblatts: »An die Arbeiter im Soldatenrock«, nun allerdings mit dem Zusatz »Es lebe die Soziale revolution [!]«.3 Im Jänner 1893 wurde die »Anweisung zur Herstellung eines Sprengstoffes von bedeutender Stärke«,4 veröffentlicht, gezeichnet »Es lebe die Anarchie«. Schließlich erschien noch der »Aufruf an die österreichische Volksmasse«.5 Lange vermutete die Polizei-Direktion Wien, dass diese Flugblätter in London (England) hergestellt würden. Doch wer steckte hinter den fünf 1891 und 1893 in Wien verteilten Flugblättern?

1890 lernten sich im Wiener »Fachverein der Tischler« die Tischlergehilfen Franz Haspel und Stefan Hanel (~1861–?) kennen. Im August 1890 bezogen sie gemeinsam eine aus einem Zimmer und einer Küche bestehende Wohnung im dritten Stock des Hauses in Wien 5., Siebenbrunnengasse 65. Hier entwickelten sie ihren Plan, mittels Untergrundschriften eine soziale Revolution herbeizuführen, welche sie noch für Ende des 19. Jahrhunderts erwarteten. Bereits am 29. Oktober 1890 kauften sie beim Schriftgießereibesitzer Wenzel Doskočil (1829–1904) in Wien 7., Mariahilfer Straße 122, einen Satz an neuen Lettern, der später mit alten Lettern ergänzt wurde. Bei den Flugschriften wurden die gebrauchten Lettern nur für die Überschrift, die neuen für den Text verwendet. In der Wohnung wurde nun, als Tisch getarnt und in einem Sofa versteckt, eine Druckerei eingerichtet. Haspel beschaffte die meist aus Wagenschmiere bestehende Druckerschwärze, der Tischlergehilfe Martin Stikula (1850–1898) das Papier. Als reine Amateure führten Satz und Druck der Flugblätter Hanel und Haspel aus. Den beiden war es auch gelungen, Gesinnungsgenossen zu gewinnen, die sich schließlich im Frühjahr 1891 in der Restauration am Matzleinsdorfer Frachtenbahnhof in Wien 5. trafen. Etwa ein Dutzend Sozialrevolutionäre, getarnt als Kartenspieler, erörterte dort organisatorische Fragen, Herstellung und Verteilung von Flugschriften und Wege zu Herbeiführung einer sozialen Revolution. Es war der seit Mai 1892 eine Zeit lang arbeitslose Stefan Hanel, der auch die Idee einbrachte, im Sinne der Propaganda der Tat dafür auch Sprengmittel einzusetzen. Gemeinsam stellten Stefan Hanel und Franz Haspel in ihrer Wohnung Sprengstoffe her, die zu Ostern, am 2. April 1893, im Rahmen eines Ausflugs nach Liesing (Niederösterreich [zu Wien 23.]) mit mehreren Genossen auf freiem Feld erprobt wurden. Im Sommer 1893 erlahmten die Aktivitäten kurzzeitig, weil der schwer Lungenkranke Stefan Hanel einen ärztlich verschriebenen Landaufenthalt absolvierte.

Wenige Wochen nach der Rückkehr Stefan Hanels nach Wien kam es zum Aufsehen erregenden Paukenschlag der Wiener Polizei. Schon seit mehr als einem Jahr stellte die Polizei-Direktion Wien fest, dass sich mehrere Personen von den Unabhängigen Socialisten lösten, um ein eigenes anarchistisches Programm zu verwirklichen. Und seit vielen Wochen ließ sie die sozialrevolutionäre Szene intensiv überwachen. Nach mehrtägigen polizeilichen Beobachtungen im Bezirk Margareten (Wien 5.) wurde am 23. September 1893 um 6 Uhr früh Stefan Hanel verhaftet, als er sich zur Arbeit begeben wurde. Ins Polizeikommissariat eingeliefert, wurde ihm dort der Wohnungsschlüssel abgenommen. Damit kehrten die Sicherheitsorgane zur Wohnung zurück, um auch Franz Haspel zu verhaften. Ein Polizei-Kommissär, unterstützt von drei Polizei-Detektiven, wollte die Wohnung aufsperren. Zu diesem Zeitpunkt standen auch zwei Polizeiagenten auf der Stiege, einer im Toreingang und zwei auf der Straße bereit. Allerdings war die Wohnungstür auch innen verriegelt. Als Haspel diese entriegelte, weil er die Rückkehr seines Mitbewohners vermutet hatte, wurde er sofort festgenommen. In einem Kasten fanden die Beamten ein Paket fertiggestellter Flugschriften, in einem Diwan versteckt eine vollständige Druckerpresse, in einem Tisch einen Setzkasten und einen vollständigen Letternsatz, außerdem den Schriftsatz für das Flugblatt »Aufruf an die österreichische Volksmasse«. Haspel soll während der Durchsuchung versucht haben, sich beim Fenster hinunter zu stürzen, was aber verhindert werden konnte. Allerdings konnte er die vorgefundenen Flugschriften aus dem Fenster zu werfen, wobei einige Exemplare von Passanten aufgehoben und mitgenommen wurden. Bei seiner Abführung rief Haspel: »Jetzt geht die Revolution an!«

Am 22. und 23. September 1893 wurden nun in Wien weitere Sozialrevolutionäre verhaftet: neben Franz Haspel und Stefan Hanel, der wegen seiner Tuberkulose sofort ins Inquisiten-Spital verlegt wurde, der Schmiedgehilfe und Vater von sieben Kindern Mathias Fleischhans (1842–1912), der Messerschmied und Vater von drei Kindern Karl Kácl (1857–?), der Schlossergehilfe Karl Kinkal (1853–1894), der Heizer und Vater von acht Kindern Josef Komárek (1848–?), der Buchbindergehilfe Karl Morawetz, eigentlich Karel Moravec (~1863–?), der Eisengießer und Vater von drei Kindern Josef Sehnal (1845–?), der Monteur und Vater eines Kindes Mathias Stětka (1856–?), der Tischlergehilfe und Vater von sechs Kindern Martin Stikula (1850–1898), der Anstreichergehilfe und Vater von fünf Kindern Michael Wellner (1853–1899) sowie der Zimmermann und Vater von zwei Kindern Johann Wopatek (~1858–?). Am 28. September 1893 wurden noch drei weitere Sozialrevolutionäre verhaftet: der Tischlergehilfe und Vater von vier Kindern Johann Fiala (1854–?), der gelernte Tischlergehilfe und nunmehrige Möbelpacker und Vater von drei unehelichen Kindern Otto Kretschmann (~1859–?) sowie der Schuhmachergehilfe Wenzel Plachy, eigentlich Václav Plachý (1869–?). Auffallend ist die große Zahl von Kindern der Verhafteten, insgesamt zweiundvierzig. Drei gesuchte Sozialrevolutionäre konnten sich am 23. beziehungsweise 24. September 1893 durch Flucht ihrer Verhaftung entziehen: der Maurer Josef Nastoupil (1860–?), Redakteur der Zeitung »Volné listy« (Vídeń [Wien]; Freie Blätter), der Schuhmachergehilfe Josef Tuma, Redakteur der Zeitung »Die Zukunft« (Wien), und der Schuhmachergehilfe Simon Radl (~1862–?). Gegen den in Prag einsitzenden Bildhauergehilfen Franz Modracek, besser bekannt als František Modráček (1871–1960), wurde erst später Anklage erhoben. Ebenfalls am 28. September 1893 wurden in Wien 15. vier Sozialrevolutionäre verhaftet, die bereits im Mai 1893 unter dem Verdacht des Hochverrats festgenommen wurden, weil sie angeblich außerhalb Wiens bei einem Postamt illegale Flugschriften abholen wollten. Sie mussten damals aber mangels Beweisen wieder freigelassen weerden: die Schneidergehilfen Josef Bruha, Wenzel Franzous und Alois Weiß sowie der bald wieder auf freien Fuß gesetzte Schuhmachergehilfe Pichler. Die anderen drei wurden nun ebenfalls im Dezember 1893 ohne Anklageerhebung freigelassen.

Am 24. September 1893 wurde eine genaue Untersuchung der Wohnung von Franz Haspel und Stefan Hanel in Wien 5., Siebenbrunnengasse 65, vorgenommen. Neben der voll eingerichteten Druckerei wurden aber auch Sprengstoffe und Sprengmittel gefunden: eine Bombe aus Blei und Zink gegossen, mit Hohlraum und Füllloch, Gusslöffel, Formsand und dazu passende Gussformen, weiters zwei Weißblechkassetten, zwei Metallkugeln und drei als Wurfbomben verwendbare Glaskugeln, eine Rolle Zinkblech zur Herstellung weiterer Sprengkassetten, Blei zur Füllung der Bomben und als Gussmaterial für neue, schließlich ein Glasballon, Glasröhren, Blechständer und ein Gummischlauch zur Erzeugung von Salpetersäure. Außerdem wurden Explosivstoffe und deren Bestandteile gefunden, Pikratpulver, 105 Gramm Schwarzpulver und rauchschwaches Pulver. Im Besitz von Franz Haspel wurden auch Fotos der so genannten Chicagoer Haymarket-Märtyrer gefunden. Und bei Stefan Hanel fand sich ein Winterrock, bei dem innen Drahthäkchen angebracht waren, offenbar zum unauffälligen Transport des Sprenggeschosses. Im Prozess gab Hanel an, dass diese zum Aufhängen eines Revolvers dienten.Außerdem wurde auch das noch nicht veröffentlichte Manuskript »An die Enterbten und Arbeitslosen« gefunden.

Vom 19. bis 23. Februar 1894 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Wien unter Ausschluss der Öffentlichkeit der große so genannte Anarchistenprozess gegen vierzehn Sozialrevolutionäre statt: Johann Fiala, Mathias Fleischhans, Stefan Hanel, Franz Haspel, Karl Kácl, Josef Komárek, Otto Kretschmann, František Modráček, Václav Plachý, Josef Sehnal, Mathias Stětka, Martin Stikula, Michael Wellner und Johann Wopatek. Stefan Hanel wurde des Verbrechens des Hochverrats und des Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz angeklagt, weil durch die bei Anwendung von Sprengmitteln Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit und das Leben anderer bestanden hätte. Außerdem hätte er Sprengstoffe und Vorrichtungen zu deren Verwendung hergestellt, angeschafft und besessen. Weiters wurde er des Verbrechen der Desertionsverleitung und des Aufrufs zum Bürgerkrieg angeklagt, indem er zum Kriegsdienst verpflichtete Männer zu einer Verletzung der angelobten Treue und des Gehorsams, nämlich sich im Bürgerkrieg auf Seite der Aufrührer zu beteiligen und ihre Waffen gegen ihre Vorgesetzten zu kehren, aufgefordert, angeeifert und zu verleiten gesucht hätte. Die Anklage beruhte unter anderem auch auf den teilweisen, vielfach lückenhaften und falschen Geständnissen von Martin Fleischmann, Stefan Hanel und Martin Stikula. Folgenreich war auch die Aussage des Eisendreher Mathias Wühl (1863–1896) der am 21. Februar 1893 als Zeuge befragt wurde und viele Angeklagte schwer belastete. Er wurde aus dem Gefängnis Stein [zu Krems an der Donau] (Niederösterreich) vorgeführt, weil er im Prozess, der am 27. und 28. Februar 1893 vor dem Landes- als Schwurgericht Wien stattgefunden hatte, wegen einer aus betrügerischen Motiven unternommenen Brandlegung zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war. Wühl war bereits im Februar 1884 aufgrund der Ausnahmsverordnungen vom 30. Jänner 1884 wegen anarchistischer Umtriebe aus Wien ausgewiesen worden. Von den Anarchisten und Sozialrevolutionären wurde er aber längst gemieden, weil er Gelder von Sammlungen nicht abgegeben, sondern vertrunken habe und unter dem Verdacht, an der Ausweisung eines Unabhängigen Socialisten schuld gewesen zu sein. Martin Wühl bestätigte nun vor Gericht, dass außer ihm selbst noch zwölf der vierzehn Angeklagten beim Treffen in der Restauration am Matzleinsdorfer Frachtenbahnhof im Frühjahr 1891 dabei gewesen wären. Er betonte auch, in dieser Versammlung die Gründung kleiner geheimer Clubs besprochen worden sei. Die Hauptangeklagten, Franz Haspel und Stefan Hanel, bekannten sich vor Gericht als Anarchisten und gestanden die Produktion und Verteilung der Druckschriften, die Herstellung von Sprengstoffen und Bomben nur teilweise. Franz Haspel wurde zu zehn Jahren schwerem Kerker verurteilt, mit anschließender Ausweisung aus Niederösterreich (und damit auch aus Wien).

Nach seiner Entlassung aus der Haftanstalt Stein kehrte Franz Haspel nach Graz zurück, wo er wieder als Tischlergehilfe arbeitete. Am 10. November 1904 wurde seine Vorrichtung zur Ausnutzung der Flussströmungen zur Stromaufwärtsbewegung von Schiffen als Patent angenommen. Im September 1907 stellte er von ihm entwickelte landwirtschaftliche Maschinen aus, und 1925 meldete er ein Patent auf ein Flugzeug ohne Propeller an. Franz haspel verstarb am 7. September 1935 im Städtischen Altersheim in Graz.

  • Graz, Steiermark, Graz 264, 3. Stock (Geburtsadresse)
  • Wien 5., Siebenbrunnengasse 65 (belegt für 1890 bis 1893)
  • Graz, Steiermark, Städtisches Altersheim, Albert-Schweitzer-Gasse 34–38 (Sterbeadresse)
Karte
  • 1

    Vgl. [anonym]: Was thun? [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1891], unpaginiert (2 Seiten). Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 5. Mai 1891 in Österreich verboten.

  • 2

    Vgl. [anonym]: Aufruf. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1892], unpaginiert (2 Seiten).

  • 3

    Vgl. [anonym]: An die Arbeiter im Soldatenrock! [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1892], Flugblatt; Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12. Zum alten Flugblatt vgl. [anonym]: An die Arbeiter im Soldatenrock! [London]: [Druckerei der Zeitung »Die Autonomie«] [1887], Flugblatt; Sonderdruck aus der Zeitung »Die Autonomie« (London), 1. Jg., Nr. 1 (6. November 1886), S. 2–3, weshalb die Weiterverbreitung der Zeitung mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 17. November 1886 in Österreich verboten wurde. Die Weiterverbreitung des Flugblattes selbst wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 14. März 1887 in Österreich verboten.

  • 4

    Vgl. [anonym]: Anweisung zur Herstellung eines Sprengstoffes von bedeutender Stärke. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (2 Seiten); Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 30. Jänner 1893 in Österreich verboten.

  • 5

    Vgl. [anonym]: Aufruf an die österreichische Volksmasse. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (1 Seite, jedoch zum Falten gedacht); Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12.