Otto Kretschmann (1859–)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Ehe: nein
Kinder: drei uneheliche
Biographie
Otto Kretschmann, zuständig nach Meistersdorf (Böhmen [Mistrovice (Nový Oldřichov), Tschechien]), absolvierte eine Tischlerlehre und arbeitete als Tischlergehilfe und Möbelpacker in Wien. Am 23. August 1891 wurde er Ausscgussmitglied des »Fortbildungs- und Unterstützungsvereins der Möbelpacker Wiens und Umgebung«. Kretschmann schloss sich jener Gruppe von Sozialrevolutionären an, die – sich teilweise personell mit den Unabhängigen Socialisten überschneidend – noch sehr stark in der Tradition der Sozialrevolutionäre der 1880er-Jahre stand. Sie bekannte sich zur Anarchie als zu erstrebendem Ideal. Hervorgetreten ist sie vor allem mit selbst hergestellten Flugblättern. Bereits im Mai 1891 erschien das Flugblatt »Was thun?«, gezeichnet »Es lebe die Anarchie!«.1 Dieses Flugblatt wurde, wie auch die vier folgenden, teils stoßweise in den Straßen Wiens und seiner Vororte ausgestreut, teils auf Hausmauern und in Stiegenhäusern plakatiert. Weiters erschien das Flugblatt »Aufruf«.2 Im Dezember 1892 folgte der Nachdruck eines bereits 1887 erschienenen Flugblatts: »An die Arbeiter im Soldatenrock«, nun allerdings mit dem Zusatz »Es lebe die Soziale revolution [!]«.3 Im Jänner 1893 wurde die »Anweisung zur Herstellung eines Sprengstoffes von bedeutender Stärke«,4 veröffentlicht, gezeichnet »Es lebe die Anarchie«. Schließlich erschien noch der »Aufruf an die österreichische Volksmasse«.5 Urheber dieser Flugblätter waren die Tischlergehilfen Stefan Hanel (~1861–?) und Franz Haspel (1863–?), welche sie in ihrer Untergrunddruckerei in Wien 5., Siebenbrunnengasse 65, herstellten.
Am 23. September 1893 hob die Polizei dieser Untergrunddruckerei aus, wobei auch eine Bombe und Materialien zur Herstellung von Bomben gefunden wurden. Am 23. und 24. September 1893 wurden in diesem Zusammenhang zwölf Sozialrevolutionäre verhaftet und in das Landesgericht Wien eingeliefert, am 28. September 1893 noch drei weitere, darunter Otto Kretschmann. Vom 19. bis 23. Februar 1894 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Wien unter Ausschluss der Öffentlichkeit der große so genannte Anarchistenprozess gegen vierzehn Sozialrevolutionäre statt, darunter auch Otto Kretschmann, angeklagt des Verbrechens des Hochverrats, des Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz und des Verbrechens der Desertionsverleitung und des Aufrufs zum Bürgerkrieg. Auf Grund der Aussage von Stefan Hanel wurde Kretschmann unter anderem beschuldigt, am Druck des Flugblattes »An die Arbeiter im Soldatenrock« mitgeholfen und dieses verteilt zu haben. Kretschmann bekannte vor Gericht, kein Anarchist, sondern ein gewaltloser Sozialist zu sein. Bei ihm waren im Zuge der Hausdurchsuchung anarchistische Druckschriften gefunden, aber auch eine Fahrkarte nach New York City (New York, USA), wohin zu reisen er im April 1893 geplant hatte, da dort sein Bruder lebte. Otto Kretschmann, der sich für nicht schuldig bekannte, wurde zu vier Jahren schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag vierteljährig, verurteilt.
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Autor: Reinhard Müller
Version: Juli 2025
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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- 1
Vgl. [anonym]: Was thun? [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (2 Seiten). Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 5. Mai 1891 in Österreich verboten.
- 2
Vgl. [anonym]: Aufruf. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1892], unpaginiert (2 Seiten).
- 3
Vgl. [anonym]: An die Arbeiter im Soldatenrock! [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1892], Flugblatt; Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12. Zum alten Flugblatt vgl. [anonym]: An die Arbeiter im Soldatenrock! [London]: [Druckerei der Zeitung »Die Autonomie«] [1887], Flugblatt; Sonderdruck aus der Zeitung »Die Autonomie« (London), 1. Jg., Nr. 1 (6. November 1886), S. 2–3, weshalb die Weiterverbreitung der Zeitung mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 17. November 1886 in Österreich verboten wurde. Die Weiterverbreitung des Flugblattes selbst wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 14. März 1887 in Österreich verboten.
- 4
Vgl. [anonym]: Anweisung zur Herstellung eines Sprengstoffes von bedeutender Stärke. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (2 Seiten); Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 30. Jänner 1893 in Österreich verboten.
- 5
Vgl. [anonym]: Aufruf an die österreichische Volksmasse. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (1 Seite, jedoch zum Falten gedacht); Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12.