Leo Kochmann (1847–1919)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Franz Kochmann; tschechische Namensform: František Kochmann: Lehrer; Heirat mit:
Mutter: Veronika Kochmann, geborene Matiegky; tschechische Namensform: Veronika Matiegková: Hausfrau
Ehe: in Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) mit Fannie Veselá; auch: Fanny Kochmann, Francis Kochman (?, Böhmen [Tschechien] um 1856 – ?): Hausfrau
Sohn: Emil Kochmann; später: Emil Kochman (Prag, Böhmen [Praha, Tschechien] 1882 – ?): Polizist
Sohn: Victor Hugo Kochmann; später. Victor H. Kochman (New York City, New York, USA 26. Juli 1883 – New York City, New York, USA Dezember 1962): Privatangestellter, Konstrukteur
Tochter: Mary Kochmann (New York City, New York, USA 16. Dezember 1884 – ?)
Biographie
Der Sozialist Leo Kochmann
Leo Kochmann, nach Neustraschitz (Böhmen [Nové Strašecí, Tschechien]) zuständig, absolvierte eine Lehre als Mühlenbauer. Aus gesundheitlichen Gründen musste er seinen Beruf aufgeben und eröffnete in Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) einen Greißlerladen für Getreide. Hier schloss er sich der sozialistischen Arbeiterbewegung an und befreundete sich mit Josef Boleslav Pecka (1849–1897). Kochmann wurde nun auch journalistisch und – meist unter den Pseudonymen »Hesiod« und »Vive la Liberté« – dichterisch tätig, veröffentlichte 1877 bis 1879 Artikel und Lieder in der Zeitung »Budoucnost« (Praha; Die Zukunft). Kochmann nahm auch an dem am 7. April 1878 in Breunau (Böhmen [Břevnov, zu Praha, Tschechien]) abgehaltenen Gründungskongress der »Sociálně-demokratická strana českoslovanská v Rakousku« (Tschechoslawische sozial-demokratische Arbeiterpartei in Österreich) mit Sitz in Wien teil. Da man ihm seine Anwesenheit bei der Verabschiedung diverser Statuten nicht nachweisen konnte, wurde er nicht angeklagt. Die anderen sechzehn Anwesenden mussten sich im großen Sozialisten-Prozess, der am 24. und 25. Jänner 1879 vor dem Landes- als Strafgericht Prag in geheimer Verhandlung stattfand, verantworten.
Der Radicale Leo Kochmann
1880 bis 1881 arbeitete Leo Kochmann an der Zeitung »Dělnické listy« (Praha; Arbeiterblätter) mit, die ab 2. Februar 1881 in Wien erschien. Etwa um diese Zeit schloss er sich der radicalen Arbeiterbewegung an. Leo Kochmann wurde 1881 verhaftet und war einer von den insgesamt einunddreißig Angeklagten, die sich im großen Sozialisten-Prozess verantworten mussten, der vom 23. Jänner bis 4. Februar 1882 vor dem Landes- als Strafgericht Prag in geheimer Verhandlung stattfand. Kochmann wurde des Verbrechens der Majestätsbeleidigung, begangen durch die Veröffentlichung seiner Lieder, der Vergehen gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung und der Geheimbündelei sowie wegen unerlaubter Kolportage der Presseübertretung angeklagt. Er wurde wegen Verbrechens der Majestätsbeleidigung und Vergehens der Mitgliedschaft zu einem Jahr schwerem Kerker, jeweils verschärft durch einen Fasttag im Vierteljahr, sowie wegen Übertretung des Pressegesetzes zu 10 Gulden Geldstrafe, eventuell 48 Stunden Arrest, verurteilt. Die Folgen dieses Prozesses waren sowohl für die Radicalen in Österreich wie auch für die österreichischen Radicalen im Exil, insbesondere in den USA, von großer Bedeutung. Nachdem sein Verteidiger Johann Podlipný (1848–1914) – er war 1897 bis 1900 Bürgermeister von Prag – gegen das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen hatte, wurde Leo Kochmann zwecks Regelung seiner geschäftlichen Angelegenheit als Mehlhändler auf freien Fuß gesetzt.
Der Radicale und Anarchist Leo Kochmann im Exil
Leo Kochmann flüchtete mit seiner Ehefrau und seinem wenige Wochen alten Sohn kurz vor Antritt der Strafe nach New York City (New York, USA), wo er am 18. Juni 1882 eintraf, wobei er bei seiner Einreise als Beruf »Schneider« angab. Mittlerweile bestätigte der Kassationshof in Prag Anfang Juli 1882 das Urteil gegen Kochmann, und er wurde im März 1883 vom Landes- als Strafgericht Prag zur Fahndung ausgeschrieben und seit 15. September 1884 steckbrieflich gesucht: »3652 Kochmann Leopold, Greißler in Prag, nach Neu-Straschitz zust., 34 J., mittelgr., mit längl. Ges., br. H. u. Augenbr., bl. Aug., spitzer Nase, gesunden Zähnen, deutsch u. böhmisch sprechend, h. g. weg. Verbr. der Majestätsbeleidigung zu 1jähr. schw. Krk. rechtskräftig verurtheilt, wurde flüchtig u. ist anh. einzulief. Land.-Ger. Prag 15/9.84.«1 In den folgenden Jahren zählte Leo Kochmann zu den bekanntesten Radicalen in den USA. Am 22. Oktober 1882 fand in der Concordia Hall, 28–30 Ave, eine Versammlung der »Socialist Labour Party« (Sozialistische Arbeiterpartei) zum Thema »Die politischen Verhältnisse in Österreich und die Tätigkeit der Sozialdemokratie« statt. In dieser Versammlung wurde er als fünftes Mitglied in das Hilfskomitee für die inhaftierten Sozialisten in Österreich aufgenommen. Die bei dieser Versammlung beschlossene Resolution verlas der Revolutionär und Zeitungsherausgeber Serge von Schewitsch (1848–1911): »Wir erklären uns mit unseren Brüdern in Oesterreich solidarisch und sichern ihnen unsere volle Simpatie, unseren Beistand mit Rat und Tat zu. Wir fordern alle Sozialisten Amerikas, alle denkenden Arbeiter, alle freisinnigen und fortschrittlichen Organisazionen dieses Landes auf, das Los der Familien unserer Genossen zu erleichtern, ihnen Beistand zu leisten.«2 Kochmann, der Tschechisch, Deutsch, Englisch und Französisch sprach, war 1882 bis 1886 Redakteur bei der Zeitung »Dělník americký« (New York; Der amerikanische Arbeiter). Er gründete dann die von ihm herausgegebene und redigierte anarchistische Zeitung »Proletář« (New York; Der Proletarier), die vom 25. Mai 1884 bis 24. Mai 1885 erschien. Bei der Gedenkfeier für den am 7. Februar 1885 in Halle an der Saale (Preußen [Halle (Saale), Sachsen-Anhalt]) hingerichteten Schriftsetzer und Attentäter August Reinsdorf (1849–1885), die am 18. Februar 1885 in New York City stattfand, nahm auch Leo Kochmann am Bürotisch der Veranstaltung Platz. Seit 1887 US-amerikanischer Staatsbürger, arbeitete Kochmann einige Zeit auch als Drucker. Außerdem war er als Journalist, Übersetzer und Dichter tätig. So arbeitete er 1885 bis 1889 regelmäßig an der anarchistischen Zeitung »Diblík« (New York; Der Kobold) mit. 1886 war er Herausgeber und bis 1892 Mitarbeiter der Zeitung »Hlas lidu« (New York; Die Volksstimme). Kochmann, der 1893 wesentlich mitverantwortlich für die Spaltung der sozialistischen Arbeiterbewegung in den USA war, schloss sich zunächst dem anarchistischen Flügel, später der Sozialdemokratie an. Leo Kochmann, der bis zuletzt politisch aktiv war, starb am 15. Mai 1919 völlig verarmt in New York City.
Adressen
Neustraschitz, Böhmen [Nové Strašecí, Tschechien], Neustraschitz 238 (Geburtsadresse)
Prag, Böhmen [Praha, Tschechien], Karmelitergasse (1881–1882)
New York City, New York, USA, h 49 Avenue (1883)
New York City, New York, USA, h 266 Avenue (1887)
New York City, New York, USA, 436 E. 72d (1895–1899)
Publikationen
Bücher und Broschüren
Dělnická poesie. New York: Nákladem Česko-slovanské dělnické strany v Americe 1891–1893, 2 Bände:
1. Band: Písně dělnické. Dil I. Česko-slovanská dělnická strana v Americe. New York: Nákladem Česko-slovanské dělnické strany v Americe 1891 (= Dělnická poesie. Ročnik I. Čislo 1.), S. 1–94. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Böhmisch-Leipa vom 9. März 1892 und mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Prag vom 28. März 1892 in Österreich verborten. Tschechisch: Arbeiterlieder. Teil I. Die tschechisch-slawische Arbeiterpartei in Amerika.
2. Band: Písně dělnické. Dil II. Česko-slovanská dělnická strana v Americe. New York: Nákladem Česko-slovanské dělnické strany v Americe 1893 (= Dělnická poesie. Ročnik I. Čislo 2.), S. 95–128. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Prag vom 2. Dezember 1893 in Österreich verborten. Tschechisch: Arbeiterlieder. Teil II. Die tschechisch-slawische Arbeiterpartei in Amerika.
Die Bände enthalten Gedichte und Lieder von Leo Kochmann. Tschechisch: Arbeiterpoesie.
Übersetzer
Benoît Malon (1841–1893): Il proletario irredenta, čili, Společenské poměry v Italii. Dle Benoit Malona. Volně vzdělal Vive la Liberté. V Praze [Praha]: Nákladem vydavatelstva »Pravdy« 1880, 40 S. Übersetzer: Vive la Liberté, d. i. Leo Kochmann. Tschechisch: Der proletarische Irredentismus, das heißt, die sozialen Verhältnisse in Italien. Nach Benoît Malon. Frei geschrieben von Vive la Liberté.
[Karl Marx (1818–1883) / Friedrich Engels (1820–1895)]: Manifest strany komunistické. Zčeštil Vive la Liberté. New York: Československá sociálně demokratická sekce dělnická. Typ. »Dělník americký« 1882, 44 S. Übersetzer: Vive la Liberté, d. i. Leo Kochmann. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Böhmisch Leipa vom 9. März 1892 und mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Prag vom 28. März 1892 in Österreich verborten. Original: Manifest der Kommunistischen Partei. London 1848. Tschechisch: Das Manifest der Kommunistischen Partei. Ins Tschechische übertragen von Vive la Liberté.
Johann Most (1846–1906): Majetkoví dravci. Napsal John Most. Zčeštil V. l. L. New York: Dělníka Americhého 1883, 16 S. Erschien unter dem Autorennamen »John Most«. Übersetzer: V. l. L., d. i. Leo Kochmann. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Prag vom 25. September 1886 und mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Böhmisch Leipa vom 9. März 1892 in Österreich verboten. Original: Die Eigenthums-Bestie. New York [1883]. Tschechisch: Die Eigentumsbestie. Verfasst von John Most. Übertragen von V. l. L.
Paul Lafargue (1842–1911): Právo na lenošení. Od Paula Lafargue. Spracoval V. l. L. New York: Nákladem Česko-děl. vzděl. spolků číslo II 1887, 45 S. Übersetzer: V. L. L., d. i. Leo Kochmann. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Prag vom 23. November 1888 und mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 16. August 1892 in Österreich verboten. Original: Le Droit à la paresse. Réfutation du droit au travail. [Paris] 1883. Tschechisch: Das Recht auf Faulenzen. Von Paul Lafargue. Bearbeitet von V. l. L.
Johann Most (1846–1906): Socialní hnutí v Starém Římě a cesarismus. Sepsal John Most. Přeložil Leo Kochmann. New York: Nákladem Česko-dělnickóho vzdělávacího spoleku číslo II 1889, 283 S. Erschien unter dem Autorennamen »John Most«. Schrift aus der sozialdemokratischen Zeit von Johann Most. Übersetzer: Leo Kochmann. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Prag vom 25. September 1886 und mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Böhmisch Leipa vom 9. März 1892 in Österreich verboten. Original: Die socialen Bewegungen im alten Rom und der Cäsarismus. Berlin 1878. Tschechisch: Die sozialen Bewegungen im Alten Rom und der Cäsarismus. Verfasst von John Most. Übersetzt von Leo Kochmann.
Paul Lafargue (1842–1911): Komunismus a hospodářský vývin. Od Pavla Lafarguea. Sčeštil Leo Kochmann. New York: Nákladem Česko-dělnickóho vzdělávacího spoleku číslo 1 1898, 21 S. Erschien unter dem Autorennamen »Pavel Lafargue«. Herausgeber: Leo Kochmann. Original: Le Communisme et l’évolution économique. Lille 1892. Tschechisch: Der Kommunismus und die wirtschaftliche Entwicklung. Aufbereitet von Leo Kochmann.
Wilhelm Blos (1849–1927): Francouzská revoluce. Pravdivé popsání udalostí a poměrů ve Francii od roku 1789 do roku 1804. Od Viléma Blose. Překladem Leo Kochmanna, Franka Hlaváčka a Bernarda Herce. V New Yorku [New York]: Nákladem Co-operace časopisu »Hlas lidu« 1890, 480 S. Übersetzer: Bernard Herc (1858–1937), Franz Hlaváček (1853–1937), Leo Kochmann. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Böhmisch Leipa vom 9. März 1892 in Österreich verborten. Original: Die Französische Revolution. Volksthümliche Darstellung der Ereignisse und Zustände in Frankreich von 1789–1804. Stuttgart 1889. Tschechisch: Die Französische Revolution. Eine wahrheitsgetreue Darstellung der Ereignisse und Zustände in Frankreich vom Jahr 1789 bis zum Jahr 1804. Von Wilhelm Blos. Übersetzt von Leo Kochmann, Frank Hlaváček und Bernard Herc.
Mitarbeiter*innen an Periodika
Dělnické listy (Praha; Arbeiterblätter)1880 bis 1881
Proletář (New York; Der Proletarier) 1884 bis 1885
Diblík (New York; Der Kobold) 1885 bis 1889
Hlas lidu (New York; Die Volksstimme) 1886 bis 1892
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Autor: Reinhard Müller
Version: August 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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Karte
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[Anonym]: 3652 Kochmann Leopold, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 64 (27. September 1884), S. 253; siehe auch [anonym]: 1907 Erneuerung. Kochmann Leopold, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 32 (13. Juni 1885), S. 123: »1907 Erneuerung. Kochmann Leopold, – Bl. Nr. 64, Art. 3652 v. J. 1884 – Grießler [!], aus Prag, weg. Verbr. der Majestätsbeleidigung rechtsträftig zu 1jähr. schw. Krk. verurtheilt, wurde noch nicht zu Stande gebracht, ist daher dindringlichst zu verfolgen. Land.-Ger. Prag 26/5. 85.«
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Zitiert nach [anonym]: Aus Parteikreisen. [/] Am 22. Oktober l. J. […], in: Die Zukunft (Wien), [4] Jg., Nr. 77 (14. Dezember 1882), S. [3].