Josef Pačes (1856–1909)

Persönliche Daten
Namensvarianten
in den USA: Joseph Paces
deutsche Namensform: Josef Paces
Geburtsdatum
14. Juni 1856
Sterbedatum
21. Mai 1909
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch, dann konfessionslos

Ehe: ja
Kinder: drei

Biographie

Als Josef Pačes mit seiner Familie 1880 nach Lieben (Böhmen [Libeň, zu Praha, Tschechien]) übersiedelte, war er bereits in der sozialistischen Arbeiterbewegung tätig. Er wurde Mitglied des im Februar 1881 gegründeten Agitationskomitees der »Sociálně-demokratická strana českoslovanská v Rakousku« (Tschechoslawische sozial-demokratische Arbeiterpartei in Österreich) der tschechoslawischen Sozialdemokraten aus Wien und Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]). Am Nachmittag des 18. August 1881 fand im Gasthaus »u Ježků« (zu den Igeln) in Prag, Ziegenplatz 200-1 [Kozí plácek], eine geheime Delegiertenkonferenz der »Sociálně-demokratická strana českoslovanská v Rakousku« statt, wo ein neues Agitationskomitee gewählt wurde. Auch diesem gehörte Pačes wieder an. Seit 27. Oktober 1881 wurden in Prag und Umgebung dreißig Hausdurchsuchungen bei Sozialdemokraten vorgenommen und sechzehn Personen inhaftiert, unter ihnen der am 29. Oktober 1881 ins Landesgericht Prag eingelieferte Pačes. Diese Aktion der Prager Behörden hatte auch Auswirkungen auf die Wiener tschechoslawischen Radicalen. Vom 23. Jänner 4. Februar 1882 fand vor dem Landes- als Strafgericht Prag in geheimer Verhandlung der erste große Prozess gegen im Vorjahr verhaftete einunddreißig Radicale statt, von denen sich zwanzig bis zum Prozessbeginn in Haft befanden, so auch der zu diesem Zeitpunkt bereits wegen eine Pressevergehens abgestrafte Pačes. Er wurde der Vergehen gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung sowie der Geheimbündelei angeklagt. Pačes wurde wegen Vergehens der Mitgliedschaft in einer geheimen Gesellschaft zu drei Monaten strengem Arrest verurteilt und nach Verbüßung der Haftstrafe aus Prag ausgewiesen.

Josef Pačes übersiedelte danach mit seiner Familie nach Wien, wo er ein wichtiger Anhänger der radicalen Arbeiterbewegung war. Allerdings wurde er aufgrund der Ausnahmsverordnungen vom 30. Jänner 1884 aus Wien ausgewiesen und begab sich mit seiner Familie in die Umgebung von Reichenberg (Böhmen [Liberec, Tschechien]).

Die Aktivitäten von Josef Pačes waren nicht nur für Nordböhmen bedeutend, sondern hinterließen auch in Österreich ihre Spuren. Pačes ließ sich zunächst in der Gegend von Gablonz an der Neiße (Böhmen [Jablonec nad Nisou, Tschechien]) nieder. Dann übersiedelte er nach Ober-Rosenthal (Böhmen [Horní Růžodol, zu Liberec, Tschechien]), wo im Februar 1884 die erste von insgesamt drei Nummern der tschechischen Untergrundzeitung »Pomsta« ([Horní Růžodol]; Die Rache) in einer geheimen Druckerei gedruckt wurde. Auf der geheimen Konferenz in Neu-Wernsdorf (Böhmen [Nové Verneřice, zu Hrob, Tschechien]) wurde im April 1884 die Beschaffung einer geheimen Druckerei für Böhmen beschlossen. Damit wurde der Schneidergehilfe Franz Jonata (1852–1917) beauftragt, der zur Ausführung Pačes gewann. Josef Pačes, der nun wieder als Schuhmacher arbeitete, mietete am 9. September 1884 für sich und seine Familie eine kleine Holzhütte in Lubokey 16 [heute Lubokey 2] (Böhmen [Hluboká, zu Liberec, Tschechien]), wo er die Druckerei einrichtete. Nach einer Denunziation – es wurde, allerdings unbewiesen, Janota verdächtigt – hoben am 12. Februar 1885 um 4 Uhr morgens vier Polizisten die geheime Druckerei der Radicalen in Lubokey aus, auf der am 16. Oktober 1884 die erste und einzige Nummer der tschechischen Untergrundzeitung »Svoboda« (New York [recte Hluboká]; Die Freiheit) hergestellt worden war.1 Zunächst wurden nur zwei Personen verhaftet: der Handlungsgehilfe Christof Černý (1860–1899) und Josef Pačes, beide erst im Vorjahr aus Wien ausgewiesen. Die Verhafteten trugen Revolver bei sich, und im Keller des Hauses wurden Teile einer Druckerpresse, Druckschriften, ein Totschläger, Schwefel, eine große Flasche Petroleum, Dynamit und Zündkapseln gefunden. Kurz darauf wurde auch noch der Webergehilfe Johann Rampas (1854–1897) in der Textilfabrik in Johannesthal bei Reichenberg (Böhmen [Janův Důl, zu Liberec, Tschechien]) verhaftet. Die Aushebung dieser Druckerei bedeutete auch für die tschechoslawische Bewegung in Österreich einen herben Rückschlag. Vom 19. bis 22. November 1885 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Prag unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Hochverratsprozess anlässlich der Herstellung der Untergrundzeitung »Svoboda« und wegen Betreibens einer geheimen Druckerei in Lubokey statt. Wegen der Verbrechen des Hochverrats, der Majestätsbeleidigung, der Aufreizung zum Hass und zur Verachtung gegen die Gerichte und Behörden, der Aufreizung zu Feindseligkeiten gegen einzelne Klassen der Gesellschaft sowie wegen Übertretung des Pressegesetzes und des Waffenpatents wurden Josef Pačes zu sechzehn, Christof Černý zu fünfzehn und Johann Rampas zu zehn Jahren schwerem Kerker verurteilt. Der in dieser Angelegenheit gesuchte vierte Komplize, Franz Jonata, hatte sich bereits am 20. Februar 1885 durch Flucht in die Schweiz der gerichtlichen Verfolgung entzogen. Pačes verbüßte seine Strafe im neuerrichteten Gefängnis Bory in Pilsen (Böhmen [Plzeň, Tschechien]). Widerrechtlich wurde er bis März 1895 in Einzelhaft untergebracht. Seine regelmäßigen Verstöße gegen die Gefängnisordnung brachten ihm insgesamt sechsundzwanzig Disziplinarverfahren mit Zusatzstrafen ein. Vor allem aber verschlechterte sich sein psychischer Zustand in Richtung Verfolgungswahn: Er befürchtete, dass er noch vor seiner für den 13. Juli 1900 vorgesehenen Entlassung durch die Gefängniswärter vergiftet werden würde. Am 26. September 1899 griff er einen Wärter, der seine Zelle betrat, mit einem Stock, der mit einem Schusterkneip (Schustermesser) versehenen war, an. Pačes stieß dem Wärter seine selbst gebastelte Stichwaffe in den Bauch und verletzte diesen schwer. Deswegen wurde er am 20. Februar 1900 vor dem Kreis- als Schwurgericht Pilsen des Mordversuchs angeklagt. Trotz seiner offensichtlichen Geisteskrankheit, auf die sein Verteidiger, der spätere Oberbürgermeister von Prag Karel Baxa (1862–1938) verwies, wurde Pačes wegen schwerer körperlicher Beschädigung zu weiteren drei Jahren Kerker verurteilt, verschärft durch Dunkelhaft und Fasten am Jahrestag der Tat. Eine diesbezügliche Intervention zugunsten von Pačes beim Justizminister blieb folgenlos. Die Wärter ihrerseits misshandelten Pačes so schwer, dass seine linke Gesichtshälfte schwer entstellt war und er am linken Auge erblindete. Seine letzten Kerkerjahre verbrachte Pačes im Gefängnis Pankratz [Pankrác] in Prag. Erst am 18. August 1902 wurde Josef Pačes aus dem Gefängnis entlassen.

Nach der Verhaftung von Josef Pačes war seine Ehefrau mit ihren drei Kindern noch 1884 nach London (England) übersiedelt, wo sie beim ebenfalls hierher geflüchteten Franz Jonata in freier Gemeinschaft lebte. Jonata hatte zunächst eine Beziehung mit ihr, dann mit der Tochter von Josef Pačes, Johanna Pačesova.

Nach seiner Haftentlassung reiste Josef Pačes zu seinem alten Mitkämpfer Josef Hybeš (1850–1921) nach Adamsthal (Mähren [Adamov, Tschechien]), der ihm Geld für die Überfahrt in die USA vermittelte. Noch 1902 reiste Pačes in die USA, wo er zuerst von Genossinnen und Genossen unterstützt in Cleveland (Ohio, USA) lebte, bis er sich selbstständig machen konnte. Einige Zeit arbeitete er auch an der Zeitung »Spravedlnost« (Chicago; Gerechtigkeit) mit. Danach zog er als Bauhilfsarbeiter durch den Mittleren Westen der USA, meist in einem Zeltlager lebend. Seine Frau und zwei seiner Kinder waren mittlerweile verstorben. Und Josef Pačes selbst starb am 21. Mai 1909 in Mitchell (Nebraska, USA).

Josef Pačes war der mit insgesamt siebzehn Jahren am längste inhaftierte Anarchist Tschechiens. Seine Aktivitäten in Böhmen [Tschechien] hatten einen wichtigen Einfluss auf die radicale Arbeiterbewegung, insbesonders die tschechoslawische, in Österreich. Und seine Lebensgeschichte machte Josef Pačes schon zu Lebzeiten nicht nur im anarchistischen Lager, sondern auch im sozialistischen und sozialdemokratischen zu einem Heroen der Arbeiterbewegung.

Adressen

  • Lubokey, Böhmen [Hluboká, zu Liberec, Tschechien], Lubokey 16 [Lubokey 2] (1884–1885)
  • Pomsta [Horní Růžodol; Die Rache] 1884
  • Svoboda (New York [recte Hluboká]; Die Freiheit) 1884
Karte
  • 1

    Anfang Juni 1887 fand man auf dem Fußweg zwischen Maffersdorf (Böhmen [Vratislavice nad Nisou, zu Liberec, Tschechien]) und Reichenberg (Böhmen [Liberec, Tschechien]) fünfzehn Kilo Bleilettern, welche auf dem Transport der Geheimpresse verlorengegangen oder absichtlich verstreut worden waren, und mit denen die Untergrundzeitung »Svoboda« (New York [recte Hluboká]; Die Freiheit) gesetzt worden war. Die in der Hütte in Lubokey unter der letzten Stufe der Kellerstiege versteckte Druckerei (Platten, Lettern, Walzen und andere Requisiten) konnte am 8. März 1885 durch vier Radicale gerettet werden.