Ludwig Sommer (1851–)

Persönliche Daten
Namensvarianten
tschechische Namensform: Ludvik Sommer
seit 1885: Louis Lété
Geburtsdatum
1851
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch, dann konfessionslos

Lebensgefährtin: Marie Wedra, geborene Maria Katharina Bauer, mit 28. April 1851 legitimierte Wedra (Neubau, Niederösterreich [zu Wien 7.] 10. Februar 1848 – ?): Handarbeiterin; Radicale
Kind: [?] Wedra
Sohn: Josef Ludwig Wedra (Wien 5. Oktober 1882 – Wien 9. Dezember 1883): an Masern verstorben

Biographie

Der Tischlergehilfe Ludwig Sommer kam 1870 nach Wien, wo er sich 1876 der sozialistischen Arbeiterbewegung anschloss. Schon früh wurde er ein wichtiger Vertreter der radicalen Arbeiterbewegung. Im März 1880 wurde er Ausschussmitglied des »Fortbildungs- und Unterstützungsvereins der Tischler«. Mindestens seit August 1880 war er mit dem Journalisten Johann Most (1846–1906) bezüglich der Verbreitung der Zeitung »Freiheit« (London) brieflich in Kontakt. Am 5. Dezember 1880 wurde in den Vororten Wiens das in London (England) gedruckte Flugblatt »Der Reichsrath ist wieder einmal versammelt«1 verstreut. Dies führte noch am selben Abend, aber auch an den folgenden Tagen, zu einer Verhaftungswelle gegen Radicale in Wien und den Vororten. Nach Hausdurchsuchungen wurden wegen Verbreitung verbotener Druckwerke neun Radicale verhaftet, darunter auch Ludwig Sommer. Er hatte zwar zunächst fliehen können, stellte sich aber am nächsten Tag freiwillig den Behörden und wurde in das Landesgericht Wien eingeliefert. Gegen drei der Verhafteten fand am 17. März 1881 vor dem Landes- als Schwurgericht Wien der Prozess statt. Ludwig Sommer wurde des Vergehens der Aufwiegelung angeklagt. Sommer, der sich teilweise schuldig bekannte, wurde im Sinne der Anklage zu drei Monaten strengem Arrest verurteilt.

Im Mai 1882 fand eine Sitzung des geheimen Clubs »Nummer II« statt. Der Tischlergehilfe Heinrich Hotze (1851–1891) sprach sich für die Beschaffung von Geld für Agitationszwecke um jeden Preis aus, selbst mittels Anwendung von Gewalt. Dagegen opponierte Ludwig Sommer, der in diesem Jahr zum Obmann des »Allgemeinen Arbeitervereins« gewählt wurde. Diese Sitzung wurde zur Geburtsstunde der so genannten Merstallinger-Affäre, des von den Tischlergehilfen Josef Engel (~1858–?) und Franz Pfleger (1831–1884) am 4. Juli 1882 verübten Raubüberfalls auf den Schuhwarenfabrikanten Josef Merstallinger (~1832–?) zur Geldbeschaffung für die radicale Arbeiterbewegung. Ludwig Sommer wurde auch Mitglied des kurz nach dieser Sitzung gegründeten geheimen Clubs und stellte aus seinem Besitz ein Chemiebuch2 zur Verfügung, welches der Herstellung von Chloroform dienen sollte. Am 24. August 1882 erfolgten Hausdurchsuchungen und erste Verhaftungen im Zusammenhang mit der so genannten Merstallinger-Affäre, darunter auch von Ludwig Sommer und seiner Lebensgefährtin, die Handarbeiterin Marie Wedra (1848–?), die hochschwanger in das dem Zucht- und Arbeitshaus angeschlossene Inquisitenspital in Wien 2. gebracht, aber am 27. August 1882 wieder freigelassen wurde. Am 13. Dezember 1882 erhob in der so genannten Merstallinger-Affäre die Wiener Staatsanwaltschaft offiziell Anklage gegen neunundzwanzig Personen, darunter auch gegen Ludwig Sommer. Vom 8. bis 21. März 1883 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Wien der Prozess anlässlich der so genannten Merstallinger-Affäre statt, der von der Staatsanwaltschaft als großer Schau- und Hochverratsprozess gegen die neunundzwanzig Radicalen angelegt wurde. Ludwig Sommer wurde der Verbrechen des Hochverrats und der Vorschubleistung durch Verhehlung – er hatte angeblich Josef Engel für dessen Flucht nach dem Überfall 10 Gulden gegeben – angeklagt, jedoch freigesprochen.3

Ludwig Sommer, nunmehr Obmann-Stellvertreter des »Allgemeinen Arbeitervereins« (wobei die Stelle des Obmanns unbesetzt blieb), wurde Anfang Februar 1884 aufgrund der Ausnahmsverordnungen vom 30. Jänner 1884 aus Wien ausgewiesen: »459 Sommer Ludwig, Tischler, geb. 1851 u. zust. Hermanitz, Bez. Königinhof, konf., l., mittelgr., stark, mit ovalem Ges., br. H., breiter Stirne, br. Augenbr. u. Aug., guten Zähnen, dunklem Schnurr- u. Backenb., ovalem Kinn, deutsch u. böhmisch sprechend.«4

Ludwig Sommer ging noch im Februar 1884 nach Linz an der Donau (Oberösterreich), von wo aus er eine Neuorganisation der Radicalen versuchte. Als am 14. Dezember 1884 in Linz an der Donau die große Verhaftungswelle von Radicalen begann, wurde zwar auch bei Ludwig Sommer eine Hausdurchsuchung vorgenommen, er selbst konnte jedoch entfliehen.

Ludwig Sommer kam Ende Dezember 1884 in die Schweiz, wo er den Namen »Louis Lété« annahm: eine Kombination des französischen Artikels »le« und des französischen Worts für Sommer »été«, also »Der Sommer«. Von Vevey (Kanton Waadt) und Basel / Bâle / Basilea (Kanton Basel-Stadt) aus organisierte er bis Oktober 1886 den Vertrieb der Zeitung »Der Rebell« (Nirgendsheim [d. i. London]) und nach der im Februar 1885 erfolgten Ausweisung des Seilergehilfen Josef Klinger (~1856–?) aus der Schweiz auch jenen der Zeitung »Freiheit« (New York). Zumindest noch 1887 stand Ludwig Sommer in enger Verbindung mit tschechischen Anarchistinnen und Anarchisten in Paris (Frankreich).

Die Zukunft (Wien) 1883

Karte
  • 1

    Vgl. [anonym]: Der Reichsrath ist wieder einmal versammelt. [London]: [Druck der socialdemocratischen Genossenschafts-Buchdruckerei »Freiheit«] [1880], Flugblatt, später abgedruckt in der Zeitung »Freiheit« (London) vom 12. Februar 1881. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 13. Dezember 1880 in Österreich verboten.

  • 2

    Vgl. Ferdinand Siegmund (1829–1902): Die Wunder der Physik und Chemie. Für Leser aller Stände gemeinfaßlich bearbeitet von Ferdinand Siegmund. Mit 100 Illustrationen« (Wien – Pest [Budapest] – Leipzig: A. Hartleben’s Verlag 1880, VIII, 960 S.

  • 3

    Vgl. die vom Radicalen Josef Müller (1839–1891) herausgegebene Schrift: Der Hochverraths-Proceß und die Affaire Merstallinger gegen Engel, Pfleger, Berndt, Sommer, Schmidt, Gröbner, Spiegel, Krondorfer, Winter, Masur, Motz, Kompoß, Würges, Wagner, Weich, Spahl, Wetz, Buelacher, Treibenreif, Peukert, Kotidek, Stiaßny, Führer, Gams, Kreps, Schenk, Wordak, Heitzer und Hotze. Verhandelt vor dem k. k. Schwurgericht Wien, vom 8.–21. März 1883. Nach den stenographischen Berichten bearbeitet und wahrheitsgetreu wiedergegeben. Herausgegeben von Josef Müller. VII. Bezirk, Gumpendorferstraße 78. Wien: Im Selbstverlage des Herausgebers 1883, 238 S.

  • 4

    [Anonym]: 459 Sommer Ludwig, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 11 (13. Februar 1884), S. 38.