Franz Vinzenz Schöffel (1884–1959)

Persönliche Daten
Geburtsdatum
3. Oktober 1884
Sterbedatum
8. Oktober 1959
Religionsbekenntnis
römisch-katholisch

Vater: Franz Schöffel: Heirat mit:
Mutter: Karoline Schöffel, geborene Heidler: Hausfrau
erste Ehe: in Joachimsthal (Böhmen [Jáchymov, Tschechien]) am 19. Jänner 1910 mit Marie Czizo (Nagysáros / Scharosch, Ungarn [Șoarș, Rumänien] 25. November 1885 – Wien 1. November 1921): Hausfrau
zweite Ehe: in Wien am 28. September 1922 mit Barbara Papp (Szaftza, Ungarn 30. März 1895 – ?), evangelisch (A. B.): Hausfrau
Sohn: Emmerich Josef Schöffel (Wien 1923 – Wien 2007): Bühnenbildner, Diplom-Innenarchitekt, Inhaber eines Möbelhausest, Parapsychologe

Biographie

Dass er nur mit Vorbehalt, und auch das nur für kurze Zeit, als Anarchist bezeichnet werden kann, zeigen die Bücher von Franz Vinzenz Schöffel, der 1911 aus Joachimsthal (Böhmen [Jáchymov, Tschechien]) nach Wien übersiedelt war. Franz Vinzenz Schöffel war ein Großneffe von Josef Schöffel (1832–1910), Politiker und bekannt als »Retter des Wienerwalds«.1

Franz Vinzenz Schöffel war Herausgeber der von ihm gegründeten Zeitung »Neue Freie Worte« (Wien), die vom 28. Oktober 1911 bis 28. August 1913 erschien. Karl F. Kocmata (1890–1941) stieß auf der Suche nach einem bezahlten Posten auf Franz Vinzenz Schöffel und war seit dem 30. November 1911 de facto und seit dem 22. Mai 1912 offiziell Redakteur sowie seit dem 14. Mai 1913 inoffizieller Herausgeber der Zeitung. »Neue Freie Worte« bot Kocmata die Möglichkeit, anarchistische Autorinnen und Autoren seiner Zeitschrift »Das Gesindel« (Wien) zu protegieren. Inhaltlich wurde die Zeitung – zumindest bis zum Frühjahr 1913 – von Franz Vinzenz Schöffel und seinen eigen-artigen Vorstellung des Anarchismus geprägt. Die außerordentliche Präsenz des Mittelstandes unter den Leserinnen und Lesern von »Neue Freie Worte« entsprach ganz der programmatischen Zielrichtung des Herausgebers: »Wir wollen weder eine neue antisemitische Partei, noch eine Scharfmacherpartei gegen die Arbeiter zugunsten des Mittelstandes gründen, sondern einzig und allein Realpolitik betreiben, was eben bisher zum Schaden des ganzen Volkes noch keine Partei getan hat. […] Die Ansicht, daß es dem größten Teil der Menschen gleich schlecht gehen müsse, damit es infolge einer großen Umwälzung allen besser gehe, hat ja auch etwas für sich, da große Revolutionen immer den Hunger zur Ursache gehabt haben, allein abgesehen davon, daß die allgemeine Proletarisierung der Menschheit heute noch Zukunftshirngespinste sind, von denen wir Lebenden niemals etwas sehen werden, drängt sich doch auch die Frage auf, ob es denn wirklich notwendig ist, die ganze Menschheit vorerst zu proletarisieren, sie durch lange Zeit unter das tiefste Niveau der Existenzmöglichkeit hinabzustoßen, um sie dann aus diesem Elend herauszuziehen und dann erst einer besseren Zukunft zuzuführen, oder ob es nicht doch möglich ist, die Menschen ohne Hungerrevolutionen einer gedeihlichen Entwicklung entgegenzuführen.«2 Die Aufgabe schien Schöffel leicht: »Einige tausend Großagrarier und einige tausend Großkapitalisten terrorisieren heute Millionen Menschen, die hungern und arbeiten müssen, um ihre Millionen zu vermehren. Und mit diesen paar Gewaltmenschen sollten die Millionen Bedrückter nicht fertig werden? […] Der Mittelstand muß nur allen Standesdünkel beiseite lassen und energisch Seite an Seite mit dem Volke für die größten Volksnotwendigkeiten, billige Wohnungen und billige Nahrungsmittel kämpfen. Der Mittelständler, der Beamte und Gewerbetreibende darf sich nicht schämen, einzugestehen, daß ihn die Wohnungsnot und Teuerung fast ebenso trifft, wie den Proletarier. Hier gibt es kein Versteckenspielen und kein Verhängen des knurrenden Magens mit einer aufs Abzahlen gekauften goldenen Uhrkette, hier heißt es freimütig einbekennen, daß […] auch der Mittelständler nicht gesonnen ist, sich weiterhin den Brotkorb von einigen Grund- und Lebensmittelwucherern in eine immer schwerer erreichbare Höhe hängen zu lassen. Wenn die Arbeiter einmal sehen werden, daß der Mittelstand den Kopf gegen die Großagrarier und Großkapitalisten zielbewußt führt, werden sie ihm dort, wo er Mithilfe bedarf, diese nie versagen, welcher Partei sie auch sonst angehören.«3 Nach diesem Bekenntnis zum Mittelstand und einer massiven Kritik an allen politischen Parteien, durchaus auch mit antisemitischen Abdeutungen gespickt, rückte Schöffel mit seinem Vorschlag heraus: »Allein, bevor der Mittelstand etwas Wertvolles schaffen kann, muß er sich vorerst einigen und diese Vereinigung kann, da in unserer Zeit das Wirtschaftsleben die Hauptrolle spielt, weder auf religiöser noch auf nationaler, sondern eben nur auf wirtschaftlicher Basis erfolgen.«4 Die Ablehnung aller politischen Parteien, die Anfeindung des Großkapitals und die Einschwörung auf den wirtschaftlichen Kampf sind klassische anarchistische Forderungen. Das Neue ist, dass sich diese direkt und mehr oder minder ausschließlich an den Mittelstand wenden – ein in der Geschichte der anarchistischen Bewegungen seltenes und in Österreich einzigartiges Phänomen. Konkret ging es Schöffel darum, eine Gemeinschaft zu gründen. Bereits im November 1911 schlug er einen »Verein der ehrlich arbeitenden Leute« vor, mit dem Zweck, »alle ehrlich arbeitenden Menschen zusammenzuschließen und die Lehre zu verbreiten, daß das Heil der Menschheit nur in ehrlicher Arbeit und Nächstenliebe liegt. Mittel zur Erreichung dieses Zweckes sind insbesondere die Gründung oder Unterstützung von diese Ziele verfolgenden Zeitungen und Abhaltung solcher Vorträge.«5

Diese Zeitung war also keineswegs eine klassisch anarchistische, wenngleich Rudolf Großmann alias Pierre Ramus (1882–1942) und Karl F. Kocmata 1912 und auch noch Anfang 1913 Franz Vinzenz Schöffel als »Kamerad« titulierten. Tatsächlich wandte sich Schöffel schon bald von seiner recht eigensinnigen Form des Anarchismus, der ausdrücklich auf die Kleingewerbetreibenden als Träger der zukünftigen Gesellschaft abzielte, ab. 1914 zum Kriegsdienst eingerückt, wurde er 1915 zum Leutnant und 1916 zum Oberleutnant befördert. Nach dem Ersten Weltkriegt lebte Schöffel als Redakteur und Schriftsteller in Wien und seit 1925 in Purkersdorf (Niederösterreich). Er wandte sich dem Okkultismus zu und exponierte sich als Parapsychologe. Politisch Anhänger des Nationalsozialismus, wurde Schöffel mit 13. April 1938 bis 1939 Hauptschriftleiter der Zeitung »Illustrierte Wochenpost. Unterhaltungsblatt für jedermann« (Wien), war aber 1945 bis 1947 erster Parteiobmann der Ortsgruppe Purkersdorf der »Österreichischen Volkspartei«.

Franz Vinzenz Schöffel – »durch und durch ein braver Mann«6 – war und blieb ein Skandaljournalist mit unzähligen verlorenen Ehrenbeleidigungsprozessen. Kocmata veröffentlichte allerdings noch 1918 mehrere Texte Schöffels in seiner Zeitschrift »Ver!« (Wien). Und Karl F. Kocmata war es auch, der die Zeitung »Neue Freie Worte« unter dem Titel »Zukunft!« (Wien) vom 18. September 1913 bis 12. Februar 1914 fortsetzte, nunmehr als sein anarchistisches Organ.

Bücher und Broschüren

  1. Der Weg durchs Jenseits. Über den Tod als Neugeburt und über das Leben jenseits des Grabes. Pfullingen in Württemberg: Johannes Baum Verlag 1922, 63 S.
  2. Irrwege des Sexualtriebes und 6. Sinn. Eine okkultistische Beleuchtung des Problems perverser Liebesempfindungen. Pfullingen in Württemberg: Johannes Baum Verlag 1922, 40 S.
  3. Spuk auf Wiener Boden. Ausführliche Schilderung der in Wolfsgraben, Trautmannsdorf und am Alsergrund vorgefallenen Spuk Erscheinungen. Wien: Bondi & Sohn 1922, 64 S.
  4. Der zehn Täubchen »Schwarze« Brautnacht / F[ranz] V[iktor] Schöffel. – Hexenfluch von Wilhelm Wostin. Wien: Verlag Schillingbibliothek Hans Mally und J. V. Schöffel 1925 (= Schillingbibliothek. 1.), 50 S. Mitautor: Wilhelm Wostin.
  5. Der Schatz des Armen Christi. Worte, Werke und Wunder des Heiligen Franz von Assisi. In zeitgemäßer Beleuchtung. Pfullingen in Württemberg: Johannes Baum Verlag [1926] (= Evangelien der Seele. 7.), 47 S. Betrifft: Franz von Assisi / Francesco d'Assisi (1181/1182–1228).
  6. Hexen von einst und heute! Über Teufelsbuhlschaft, schwarze Magie und Mediumismus. Mit 12 Abbildungen teilweise nach Zeichnungen des Verfassers. Bamberg (Bayern): Verlag Hans Müller 1931/32 [recte 1931], VII, 212 S.
  7. Fahrendes Kriegsvolk. Ein Buch vom Train. Wien: Ed. Bauer 1935, 159 S., 20 Tafeln.
  8. Servus, Herr Zögling! Mir Federzeichnungen vom Autor. [Mauer bei] Wien / Leipzig: Selbstverlag / Verlag Karl Kühne [1939], 166 S., 2 Bl. Abbildungen.
    b) Servus, Herr Zögling! Mir Federzeichnungen vom Autor. 2., erweiterte Auflage. [Mauer bei] Wien / Leipzig: Selbstverlag / Verlag Karl Kühne [1957], 167 S.
  9. Gewinnen – Verlieren? Von der Magie des Glückspieles – oder des Spielglückes. Alte und neue Erfahrungen, Gebräuche und seltsame Zufälle im Glückspiel. Eine Biographie über das Spielglück. Freiburg im Breisgau: Spiegel-Verlag, Bauer 1940, 84 S.
  10. Die »Goldene Lyra«. Ein Ziehrer-Roman. Wien: Verlag Erwin Metten Nachf. [1947], 256 S.
  11. Die grünen Masken. Wien: Kraemer [1949] (= Die Welt der Abenteuer. Sonderheft 18.), 47 S.

Periodika

  1. Neue Freie Worte. Organ zur Wahrung der Interessen aller ehrlich arbeitenden Stände (ab 3. Jg., Nr. 8 (21. Februar 1913): Neue Freie Worte. Satyrisch-kritische Wochenschrift mit dem Beiblatt: »Der Volksanwalt«; ab 3. Jg., Nr. 13 (4. April 1913): Neue Freie Worte. Satirisch-kritische Wochenschrift mit dem Beiblatt: »Der Volksanwalt«) (Wien), 1.–3. Jg. (26. Oktober 1911 bis 28. August 1913): Verleger, Herausgeber und verantwortlicher Redakteur.
  2. Wiener Tierpost. Das Blatt der Tier- und Naturfreunde. Herausgeber: Rudolf Anatol Petz, F[ranz] V[inzenz] Schöffel (Wien), 1. Jg. (1946): Herausgeber; Mitherausgeber: Rudolf Anatol Petz (1887–1961).
  3. Das neue Licht. Zentralorgan des »Deutschen Neugeistbundes« in Österreich (ab 18. Jg.: Das neue Licht. Zeitschrift für die Probleme der Seele), herausgegeben von F[ranz] V[inzenz] Schöffel (Wien, dann: Purkersdorf bei Wien), 1.–33. Jg. (1923–1959): Herausgeber; erschien bis 20. Jg. (1941) und wieder ab 21. Jg. (1947) und nach dem Tod des Zeitungsgründers weiter bis 35. Jg. (1961) herausgegeben vom Sohn Emmerich Schöffel (1923–2007).
Karte
  • 1

    Vgl. Karl F. Kocmata (1890–1941): Joseph Schöffel, der Erhalter des Wienerwaldes. Sein Kampf und sein Vermächtnis von Karl F. Kocmata. Wien: Verlag »Das Gesindel« 1912, 24 S.

  • 2

    [Franz Vinzenz Schöffel]: Was wir wollen, in: Neue Freie Worte (Wien), 2. Jg., Nr. 29 (9. Mai 1912), S. 1–2, hier S. 1. Dieser Artikel wurde auch als Sonderdruck verbreitet.

  • 3

    [Franz Vinzenz Schöffel]: Was wir wollen, in: Neue Freie Worte (Wien), 2. Jg., Nr. 29 (9. Mai 1912), S. 1–2, hier S. 2.

  • 4

    [Franz Vinzenz Schöffel]: Was wir wollen, in: Neue Freie Worte (Wien), 2. Jg., Nr. 29 (9. Mai 1912), S. 1–2, hier S. 2.

  • 5

    [Anonym]: Statuten des Vereines der ehrlich arbeitenden Leute, in: Neue Freie Worte (Wien), 1. Jg., Nr. 5 (23. November 1911), S. 8; fortgesetzt in: ebenda, 2. Jg., Nr. 12 (11. Jänner 1912), S. 7, und 2. Jg., Nr. 13 (18. Jänner 1912), S. 7.

  • 6

    Heiding [d. i. Karl F. Kocmata (1890–1941)]: Brief an [Rudolf Großmann alias Pierre Ramus] in [Klosterneuburg]. Heiligenstadt [Wien], am 6. Jänner 1912, im Nachlass Pierre Ramus, Mappe 143, im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam.