Josef Peukert im Verhör wegen Hochverrats und Mitschuld am Raub im Merstallinger-Prozess. 12. März 1883
Josef Peukert / Eduard Graf Lamezan-Salins / Karl Pelser von Fürnberg
Verhör des wegen Hochverrats und Mitschuld am Raub im Merstallinger-Prozess angeklagten Josef Peukert durch den Vorsitzenden des Gerichts Eduard Graf Lamezan-Salins und den Staatsanwalt Karl Pelser von Fürnberg. Wien, am 12. März 18831
»Verhör des Josef Peukert.
Vors.:2 Sie haben sich im Jahre 1871 auf einige Jahre nach Deutschland begeben? – Angekl.: Ich war zweimal in Deutschland, das erste Mal im Jahre 1872–7 4 und 1877. – Vors.: Sie haben bei Ihrer Partei eine hervorragende Rolle gespielt. Wodurch haben Sie sich jene Schulbildung angeeignet, von welcher man sagt, daß sie eine für Arbeiterkreise ungewöhnliche sei? – Angekl.: Durch Privatstudium. Von Schulen habe ich nur die Volksschule besucht. – Vors.: Wie ist es Ihnen möglich geworden, sich diese Bildung selbst anzueignen? – Angekl.: Mein Vater war damals Fabrikant, da erlaubten es unsere pecuniären Verhältnisse.
Der Angeklagte erzählt hierauf, daß er sich im Jahre 1877 zunächst nach dem Elsaß begeben und in Metz gearbeitet habe; dann sei er nach Paris gereist, habe sich dort zehn Monate aufgehalten, hierauf sei er nach Bordeaux, wo er 15 Monate gearbeitet und dann nach Spanien, sei jedoch bald wieder zurück nach Paris gereist.
Vors.: Waren Sie auch in London? – Angekl.: Das war bei meiner Reise in den Jahren 1873–74; da ich aber dort keine Arbeit erhielt, habe ich die Stadt bald wieder verlassen. Das zweite Mal im Jahre 1881. – Vors.: Sie sind aus Paris ausgewiesen worden? – Angekl.: Das ist richtig. –Vors.: Geschah dies in Folge eines behördlichen Erkenntnisses? – Angekl.: Ja. – Vors.: Wissen Sie die Ursache dieser Ausweisung? – Angekl.: Nein, ich war bestrebt, die Ursache zu erfahren, erhielt jedoch nur die Auskunft: ›Aus Rücksicht für die öffentliche Sicherheit.‹ Das ist ein [96] sehr dehnbarer Begriff und stellte mich nicht zufrieden. Die Ursachen oder Gründe hat man mir verweigert zu nennen. – Vors.: Sind Sie nicht auch in socialistischen und anarchistischen Vereinen aufgetreten oder haben Sie sich sonst bemerkbar gemacht? – Angekl.: Ich wüßte nicht, es wäre denn ein einziges Mal als ich Liebknecht entgegengetreten bin. Ich habe jedoch die Ueberzeugung gewonnen, daß meine Ausweisung nur auf Grund einer gemeinen Denunciation von meinen Gegnern erfolgt ist. – Vors.: Es wird vermuthet, daß Sie zur Zeit, als Sie in der Schweiz lebten, Exemplare der ›Freiheit‹ über Bregenz nach Oesterreich befördert haben? – Angekl.: Das ist unrichtig, ich habe mich nicht daran betheiligt. – Vors.: Wieso haben Sie in der Schweiz eine solche Rolle gespielt, daß Sie als Vertreter zum Weltcongreß entsendet wurden? – Angekl.: Nach meiner Ausweisung aus Frankreich, da es Winter war, habe ich schwer Arbeit gefunden. Ich bin daher von einer Stadt zur andern gereist, um Arbeit zu suchen. Bei dieser Gelegenheit hielt ich auch Vorträge in den Vereinen, wodurch ich den dortigen Parteigenossen bekannt wurde. Man mochte mir Vertrauen entgegengebracht haben, weil mir nicht wie manchem sogenannten Arbeiterführer um persönliche Interessen und um Erlangung einer gewissen Popularität zu thun ist. – Vors.: Sie wurden mittelst eines Mandats vom 9. Juli 1881 delegirt. Wie hat sich die Partei genannt, welche Sie delegirt hat? – Angekl.: Die social-revolutionären Gruppen der Schweiz. – Vors.: Das ist von Bedeutung und, wenn ich es sagen darf, für Sie gerade nicht sehr günstig. Daß Sie ein Mandat seitens einer social-revolutionären Partei erhielten, damit allein ist gesagt, daß Sie der Vertreter einer Reihe von Ansichten waren, welche nicht auf gesetzlichem Wege, sondern auf dem Wege der Revolution ihre Ziele verfolgen. – Angekl.: Das bezweifle ich durchaus, daß das Wort ›revolutionär‹ eine solche Tragweite haben muß. – Vors.: Ein social-revolutionäres Comité ist immer ein Club, der sich nicht auf gesetzlichem Boden zu bewegen die Absicht hat, sondern eine ungesetzliche Veränderung anstrebt. – Angekl.: Ich muß bemerken, daß es sehr verschiedene Ansichten und sehr viele Gruppirungen der revolutionären Partei gibt. Ich habe darüber Erfahrungen gesammelt. In Frankreich, Belgien, Spanien und der Schweiz gibt es eine Menge von Schulen, zwischen denen solche Differenzen bestehen, daß man sagen kann, die Einen sind revolutionär, die Anderen nicht. – Vors.: Also sind Sie Einer von den Revolutionären? – Angekl.: Das habe ich nicht gesagt. Wenn man gewisse Ideen hegt, so muß man deshalb noch nicht den Plan der Ausführung haben. – Vors.: Bezüglich der Ergebnisse des Congresses haben Sie in Ihrer Vernehmung angegeben, daß dort auch [97] das Betreten des illegalen Weges für den Fall, als der legale Weg nicht zum Ziele führen sollte, acceptirt wurde? – Angekl.: Ich muß bemerken, daß bei der Wiedergabe meiner Aussagen durch den Untersuchungsrichter Unrichtigkeiten vorgekommen sind und ich habe auch gegen diesen Passus protestirt. Es sind Anträge gestellt worden und diesen Anträgen entsprechen auch die Notizen, die bei mir gefunden wurden. – Vors.: Im Protokolle heißt es, daß die Anträge acceptirt wurden und Sie geben auch im folgenden Satze eine Auseinandersetzung, wie es kommt, daß Sie allenfalls einem solchen Beschlusse beistimmen würden. – Angekl.: Der zweite Satz ist nachträglich hinzugekommen, indem ich dagegen protestirt habe, daß mir ein ganz anderer Sinn unterschoben wird. Ich habe erklärt, es sei vielfach die Ansicht ausgedrückt worden, daß die Revolution eine Consequenz der bestehenden gesellschaftlichen Zustände wäre. Als solche Consequenz wurde sie anerkannt und in diesem Sinne habe ich es auch gemeint. – Vors.: Es heißt hier ferner, daß die ›Freiheit‹ ihre Principien zum Ausdruck bringen. – Angekl.: Da fehlt auch das Wort ›theilweise‹.
Auf Befragen des Vorsitzenden, ob der Angeklagte einen gewissen Reinsdorf kenne und ob mit demselben von der Schweiz nach Deutschland gereist sei, gibt der Angeklagte zu, Reinsdorf zu kennen. Derselbe habe bei ihm geschlafen, jedoch sei es unrichtig, daß er mit Reinsdorf gereist sei. ›Derselbe ist nach Deutschland und ich bin über Bregenz durch Tirol nach Triest, über Laibach, Graz nach Wien.‹ Das bei Reinsdorf gefundene Arbeitsbuch sei aus Metz, kein Reisedocument und auf unerklärliche Weise verschwunden.
Vors.: Sie sind am 4. December nach Wien gekommen. Wohin haben Sie sich zunächst gewendet. – Angekl.: In das Redactionslocal der ›Zukunft‹, um mich um Arbeit und ein Quartier zu erkundigen und da ich niemand Bekannten sonst hier wußte, wandte ich mich an die Parteigenossen. Bei der ›Zukunft‹ lernte ich Hotze und Motz kennen. – Vors.: Sie wurden kurz nach Ihrer Ankunft wegen des Verdachtes der Verbreitung von Flugschriften verhaftet. – Angekl.: Das ist unrichtig. Auf dem Verhaftungsbefehl heißt es wegen Gründung geheimer Gesellschaften und Aufreizung zum Haß und Verachtung wider die Regierungsform. Ich war drei Monate in Untersuchung und wurde dann trotz allen Protestirens per Marschroute in meine Heimat gesendet. Vors.: Wie sind Sie Redacteur der ›Zukunft‹ geworden? – Angekl.: Man hat mir den Antrag öfter gemacht, habe ihn jedoch nicht angenommen. Erst als ich durch die fortwährenden Nachforschungen überall ›glücklich‹ aus der Arbeit bugsirt war, entschloß ich mich, die Redaction des Blattes zu übernehmen. – Vors.: [98] Was erhielten Sie als Gehalt? – Angekl.: 12 fl. wöchentlich. – Ueber Befragen des Vorsitzenden gibt der Angeklagte an, den Chiffreschlüssel im Auslande erhalten zu haben, da solche Dinge dort ganz frei zu haben sind; übrigens bediene er sich in seinem Notizbuche einer eigenen Chiffrenschrift. Auf den vorgezeigten Brief an Palzer in Liebau erklärte der Angeklagte, er könne sich nicht genau auf die einzelnen Stellen erinnern, ob diese Abschrift richtig sei, er habe wohl an Palzer einen Brief ähnlichen Inhaltes geschrieben.
Vors.: Kennen Sie die ›Taktik contra Freiheit‹? – Angekl.: Ja, aber ich bin nicht mit dem dortigen Organisationssystem einverstanden; ich bin Föderalist, nicht Centralist. – Vors.: Sind Sie im Principe mit der Bildung geheimer Verbindungen einverstanden? – Angekl.: Je nach Umständen. – Vors.: Beabsichtigen Sie, hier solche Verbindungen zu gründen? – Angekl.: Nein, noch nicht; weil ich nicht weiß, ob das hier zweckmäßig wäre oder nicht. – Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß solche, von anderer Seite hervorgerufene Verbindungen bestanden haben? – Angekl.: Nein. – Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß von unerlaubten Mitteln die Rede war bei Hotze, Geld für Parteizwecke zu erreichen? – Angekl.: Es wurde Manches besprochen, doch davon weiß ich nichts, auch wäre ich damit nicht einverstanden gewesen. – Vors.: Es wird gesagt, daß Sie die Arbeiter aufgeklärt haben, dieselben hätten keinen Grund, das politische Wahlrecht anzustreben? – Angekl.: Ja, das habe ich. – Vors.: Was wollen Sie an dessen Stelle setzen? – Angekl.: Ich fühle mich nicht berufen, neue Systeme aufzustellen, aber die Ueberzeugung habe ich, daß durch das allgemeine Wahlrecht für die Arbeiter nichts gethan wird. Ich bin absichtlich zu dem Zwecke nach Frankreich und Belgien, um die Verhältnisse dort kennen zu lernen und bin zu dem Resultate gekommen, daß derlei Mittel heute nur für den Ehrgeiz einzelner Personen dienen. – Vors.: Wir befinden uns nur in einer akademischen Discussion, möchten Sie nicht Ihre Ansichten kundgeben? – Angekl.: Ich habe große Achtung vor dem Begriffsvermögen des Volkes. Dasselbe würde im Falle der Aufklärung schon selbst den rechten Weg wählen. – Vors.: Aber das ist ein langsamer Weg. – Angekl.: Je nachdem Hindernisse entgegengestellt werden. – Vors.: Sie wollen damit nicht sagen, daß bei Verwerfung des allgemeinen Wahlrechtes ein gewaltsamer Weg eingeschlagen werden müßte oder sollte? – Angekl.: Nein, ich wollte blos sagen, daß das Wahlrecht den Arbeitern nichts hilft.
Angeklagter Peukert erklärt auch auf das Bestimmteste, daß er das Merstallinger-Project, falls es zu seiner Kenntniß gekommen wäre, verworfen hätte. [99]
Der Vorsitzende hält dem Angeklagten eine geheime Correspondenz mit Schmidt vor; Peukert erklärt, er wisse nichts davon; die in den Arresten vorgefundenen Zetteln seien nicht von seiner Hand. Einer dieser Zettel lautet: ›Lieber Freund! Habe bemerkt große Traurigkeit bei Dir. Nach meiner Ansicht ist die Sache nicht so schlimm. Für die Hauptpersonen steht es gut. Sei nur standhaft! Ich habe Gelegenheit gehabt, die Meisten zu verständigen. Also Muth! Es greißen die Berge und gebären eine Maus. Es sind hier etliche Dreißig. Einer soll alle Andern niedergelegt haben. Thut aber nichts, er wird erdrückt, er kann auch nichts von Bedeutung sagen, Peukert liegt auf 47-I, Berndt auf 68 u. s. w.‹ – Auf einem anderen Zettel heißt es: ›Beim Spazierengehen zeige mir durch ein Nicken mit dem Kopfe an, daß Du diese Zeilen erhalten hast. Hoffentlich ist der Tag nicht mehr ferne, wo wir unsere Rache befriedigen werden. Unsere Genossen sollen durch unsere Haltung ermuthigt und begeistert werden.‹
Angekl.: Ich erkläre, daß ich diesen Zettel nicht geschrieben habe. – Vors.: Die Vermuthung, daß die Correspondenz von Ihnen herrührt, stützt sich auf die Aussage mehrerer Häftlinge, wonach Sie Zettel geschrieben und Anderen zugesteckt haben sollen. (Es werden drei solche Aussagen verlesen.) – Angekl.: Ich war in einer Zelle in einer Gesellschaft, über die ich empört war. Warum diese Leute das sagen, weiß ich nicht. Ich habe Niemandem einen Zettel geschrieben. Wir wurden ja vollständig durchsucht und man hat nichts gefunden. Ich bin dann dafür 48 Stunden in Correction gekommen. Später kam ich plötzlich wieder in Correction und mußte 24 Stunden lang an einer sechs Zoll langen Kette hängen, wie ein wildes Thier. (Heftiges Murren im Publikum.) Man sagte mir, ich hätte mich beim Spazierengehen umgesehen, was verboten ist, aber ich habe mich nicht umgesehen. Dann sagte man mir, ich hätte mich ungebührlich gegen die Wache benommen, auch davon ist mir nichts bekannt, da ich zu Niemanden gesprochen habe. – Vors.: Wir können das hier nicht erörtern. – Angekl.: Ich will nur das anführen, um zu zeigen, wie scharf ich bewacht worden bin, und daß ich diese Briefe nicht geschrieben haben kann.
St.-A.:3 Haben Sie in London nicht den Expeditor der ›Freiheit‹ kennen gelernt? – Angekl.: Jawohl, ich habe viele Personen damals kennen gelernt, doch kann ich mich nicht mehr auf die einzelnen Personen erinnern. Der mir hier Vorgestellte, scheint mir nicht Neve zu sein, ich habe ein ganz anderes Bild von ihm im Gedächtniß. – St.-A.: Warum ließen Sie Ihre Briefe an Herrn Gams adressiren? Angekl.: Weil ich Briefe an meine Adresse nicht erhielt, [100] mußte ich mir Personen suchen, welche bei der Polizei nicht im Geruche des Socialismus stehen.«
Daten
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Der Hochverraths-Proceß und die Affaire Merstallinger gegen Engel, Pfleger, Berndt, Sommer, Schmidt, Gröbner, Spiegel, Krondorfer, Winter, Masur, Motz, Kompoß, Würges, Wagner, Weich, Spahl, Wetz, Buelacher, Treibenreif, Peukert, Kotidek, Stiaßny, Führer, Gams, Kreps, Schenk, Wordak, Heitzer und Hotze. Verhandelt vor dem k. k. Schwurgericht Wien, vom 8.–21. März 1883. Nach den stenographischen Berichten bearbeitet und wahrheitsgetreu wiedergegeben. Herausgegeben von Josef Müller. VII. Bezirk, Gumpendorferstraße 78. Wien: Im Selbstverlage des Herausgebers 1883, S. 95–100.
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Das ist Eduard Graf Lamezan-Salins (1835–1904): Jurist, und Rettungsfachmann, ab 1872 Staatsanwalt, ab 1889 Präsident des Landesgerichts für Strafsachen in Wien, ab 1891 Präsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen in Wien; 1881 Mitbegründer der »Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft«. Anmerkung Reinhard Müller.
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Das ist Karl von Pelser-Fürnberg (1838–1917): Jurist, Staatsanwalt, zuletzt Richter am Obersten Gerichtshof. In Wien. Anmerkung Reinhard Müller.