František Modráček (1871–1960)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Josef Modráček: Bauer; Heirat mit:
Mutter: Barbora Modráček, geborene [?]: Bäuerin
Ehe: standesamtlich in Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]I am 8. Juni 1901 mit Marie Hnátková
Sohn: einer
Tochter: eine
Biographie
Der Anarchist František Modráček
František Modráček besuchte die Volksschule, zwei Klassen des Gymnasiums und zuletzt die Staatsgewerbeschule für Holzbearbeitung in Chrudim. Danach arbeitete er als Holzschnitzergehilfe in Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]). Hier schloss er sich den Unabhängigen Socialisten an.
1892 kam František Modráček nach Wien. Hier schloss er sich jener Gruppe von Sozialrevolutionären an, die – sich teilweise personell mit den Unabhängigen Socialisten überschneidend – noch sehr stark in der Tradition der Sozialrevolutionäre der 1880er-Jahre stand. Sie bekannte sich zur Anarchie als zu erstrebendem Ideal. Hervorgetreten ist sie vor allem mit selbst hergestellten Flugblättern. Bereits im Mai 1891 erschien das Flugblatt »Was thun?«, gezeichnet »Es lebe die Anarchie!«.1 Dieses Flugblatt wurde, wie auch die vier folgenden, teils stoßweise in den Straßen Wiens und seiner Vororte ausgestreut, teils auf Hausmauern und in Stiegenhäusern plakatiert. Weiters erschien das Flugblatt »Aufruf«.2 Im Dezember 1892 folgte der Nachdruck eines bereits 1887 erschienenen Flugblatts: »An die Arbeiter im Soldatenrock«, nun allerdings mit dem Zusatz »Es lebe die Soziale revolution [!]«.3 Im Jänner 1893 wurde die »Anweisung zur Herstellung eines Sprengstoffes von bedeutender Stärke«,4 veröffentlicht, gezeichnet »Es lebe die Anarchie«. Schließlich erschien noch der »Aufruf an die österreichische Volksmasse«.5 Urheber dieser Flugblätter waren die Tischlergehilfen Stefan Hanel (~1861–?) und Franz Haspel (1863–1935), welche sie in ihrer Untergrunddruckerei in Wien 5., Siebenbrunnengasse 65, herstellten. Die Beziehungen, die František Modráček zu dieser Gruppe unterhielt, blieben der Polizei zunächst verborge. Allerdings wurde Modráček am 6. Februar 1893 vor dem Landes- als Erkenntnisgericht Wien der Herabwürdigung des Rechtsbegriffs des Eigentums angeklagt. Er hatte in einer Versammlung der Arbeitslosen am 18. Dezember 1892 in Wien seine Rede »Über die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen« gehalten, wobei er die Worte »Eigentum ist Diebstahl« von Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) zitierte und dazu anmerkte: »Es kann kein Wunder sein, wenn Jemand aus Noth einen Diebstahl verübt, welcher hiemit gerechtfertigt ist.«6 Im Sinne der Anklage wurde er zu sechs Wochen Arrest verurteilt und aus Wien abgeschafft.
Auf Umwegen begab sich František Modráček daraufhin nach Prag. Hier schloss er sich der seit Anfang 1892 sich organisierenden, im Dezember 1892 gegründeten geheimen Organisation »Omladina« (Jugend) an. Diese organisierte am 17. August 1893, am Vorabend vom Geburtstag des Kaisers, eine Demonstration auf dem Altstädter Ringplatz, an der natürlich auch Modráček teilnahm. Nach Serenade der Militätkapellen, stimmten etliche Anarchisten ein sozialistisches Lied an, danach wurde gezischt und auf Trillerpfeifchen gepfiffen und Flugblätter ausgestreut. Nach einer gescheiterten Festnahme konnte die Gruppe der Demonstrierenden zerstreut werden. Bald darauf wurden die ersten Anhänger der »Omladina« verhaftet, darunter auch der damals in Zizkow (Böhmen [Žižkov, zu Praha, Tschechien]) wohnhafte František Modráček. Und am 12. September 1893 wurde über Prag und Umgebung der Ausnahmezustand verhängt.
Am 23. September 1893 hob die Polizei in Wien die Untergrunddruckerei der oben angeführten Flublätter aus, wobei auch eine Bombe und Materialien zur Herstellung von Bomben gefunden wurden. Am 23. und 24. September 1893 wurden in diesem Zusammenhang zwölf Sozialrevolutionäre verhaftet und in das Landesgericht Wien eingeliefert, am 28. September 1893 noch drei weitere. František Modráček wurde erst später in die Untersuchungen einbezogen. Dieser wurde im Dezember 1893 von der Staatsanwaltschaft Prag verdächtigt, der dortigen geheimen Organisation »Omladina« (Jugend) anzugehören. Aus diesem Anlass schickte die Wiener Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift für den bevorstehenden Wiener so genannten Anarchistenprozess nach Prag.
Vom 15. Jänner bis 21. Februar 1894 fand vor dem Landes- als Ausnahmsgericht Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) unter Ausschluss der Öffentlichkeit der so genannte Omladina-Prozess statt, bei dem siebenundsiebzig Personen angeklagt wurden, darunter auch František Modráček. Am 3. Februar 1894 wurde Modráček auch über seine Beziehungen zu den Urhebern der auf der Untergrunddruckerei in Wien hergestellten Flugblätter verhört. František Modráček, sich vor dem Gericht als Unabhängiger Socialist bekannte, wurde am 21. Februar 1894 wegen Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie der Geheimbündelei zu achtzehn Monaten schwerem Kerker, verschärft mit einem Fasttag monatlich, verurteilt.
Am 17. Februar 1894 wurde František Modráček auf Anforderung des Landesgerichts Wien von Prag nach Wien eskortiert. Vom 19. bis 23. Februar 1894 fand vor dem Landes- als Schwurgericht Wien unter Ausschluss der Öffentlichkeit der große so genannte Anarchistenprozess gegen vierzehn Sozialrevolutionäre statt, darunter auch František Modráček, angeklagt des Verbrechens des Hochverrats und des Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz. František Modráček beantragte die Beiziehung eines Dolmetsches, da er des Deutschen nicht mächtig sei, korrigierte jedoch mehrmals denselben. Modráček, der sich wieder als Unabhängiger Socialist bekannte, wurde am 20. Februar 1894 verhört und am 23. Februar 1894 zu zwei Jahren schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag vierteljährig, verurteilt. Als politischer Häftling anerkannt, wurde er in die Strafanstalt Pilsen (Böhmen [Plzeň, Tschechien]) eingeliefert.
Der Sozialdemokrat František Modráček
1895 wurde František Modráček im Zuge der Amnestie aus der Haft entlassen. Bis 1897 hielt er sich in verschiedenen Orten in der Schweiz, in Preußen [Deutschland] und Frankreich auf. Er leitete nun eine Gruppe so genannter fortschrittlicher Sozialisten, mit der er 1897 der »Česká strana sociálně demokratická« (Tschechische Sozialdemokratische Partei) beitrat, der er bis 1919 angehörte. 1898 bis 1916 und 1918 bis 1920 sowie 1924 bis 1928 war er Chefredakteur der Zeitschrift »Akademie. Revue socialistická« (Praha; Akademie. Sozialistische Revue) und initiierte 1900 das »Sborník mládeže socialistické« (Sammelwerk der Sozialistischen Jugend). Genossenschaftlich engagiert, gründete er 1906 den »Ústřední dělnický spolek konzumní« (Zentraler Arbeiterkonsumverein). 1913 bis 1919 war er Obmann und 1931 bis 1939 Obmann-Stellvertreter des »Ústřední svaz československých družstev v prvních« (Zentralverband der tschechoslowakischen Genossenschaften). Vom 17. Juni 1907 bis zum 12. November 1918 war Franz Modráček sozialdemokratischer Abgeordneter zum Reichsrat, wobei er sich zuletzt der radikalen Opposition innerhalb der Partei anschloss. Im Reichsrat gehörter er seit 1907 dem »Klub českých sociálních demokratů« (Klub der tschechischen Sozialdemokraten) im Verband der sozialdemokratischen Abgeordneten, seit 1911 dem »Klub českých poslanců sociálně demokratických« (Klub der tschechischen Sozialdemokraten) und seit 1916 dem »Český svaz« (Tschechischer Verband) an. Während des Ersten Weltkriegs leistete er in der österreichisch-ungarischen Armee Kriegsdienst.
1918 wurde František Modráček Mitglied der Revoluční národní shromáždění (Revolutionäre Nationalversammlung), der er bis zu seinem Ausschluss im Mai 1919 angehörte. Von 1920 bis 1925 war er Abgeordneter und 1925 bis 1939 Senator der Národní shromáždění republiky Československé (Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik). Nach dem Ausscheiden aus der Sozialdemokratie gründete er 1919 die »Socialistická strana československého lidu pracujícího« (Sozialistische Partei des tschechoslowakischen arbeitenden Volks), schloss sich aber 1923 wieder der »Česká strana sociálně demokratická« an, der er bis 1938 angehörte. 1934 wurde er Mitglied des Institut International de Sociologie (Internationales Institut für Soziologie). Und 1938 bis 1939 war František Modráček Mitglied der kurzlebigen »Národní strana práce« (Nationale Arbeiterpartei).
Publikationen
Bücher und Broschüren
- V činný boj. Epištoly ze sesterské Moravěnky všem věrným Čechům. Věnuje Verus. V Praze [Praha]: tiskem i nákladem Edv. Beauforta 1892 (= Politické besedy. 10–11.), 110 S. Erschien unter dem Pseudonym »Verus«. Tschechisch: In den tätigen Kampf. Briefe der Schwester Mähren an alle treuen Tschechen. Von Verus gewidmet.
Die danach erschienenen Schriften waren eindeutig sozialdemokratisch.
Kategorien
Adresse
- Habrauz, Böhmen [Habroveč, zu Vrbatův Kostelec, Tschechien], Habrauz 14 (Geburtsadresse)
Karte
Autor / Version / Copyleft
Autor: Reinhard Müller
Version: Juli 2025
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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- 1
Vgl. [anonym]: Was thun? [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1891], unpaginiert (2 Seiten). Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 5. Mai 1891 in Österreich verboten.
- 2
Vgl. [anonym]: Aufruf. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1892], unpaginiert (2 Seiten).
- 3
Vgl. [anonym]: An die Arbeiter im Soldatenrock! [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1892], Flugblatt; Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12. Zum alten Flugblatt vgl. [anonym]: An die Arbeiter im Soldatenrock! [London]: [Druckerei der Zeitung »Die Autonomie«] [1887], Flugblatt; Sonderdruck aus der Zeitung »Die Autonomie« (London), 1. Jg., Nr. 1 (6. November 1886), S. 2–3, weshalb die Weiterverbreitung der Zeitung mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 17. November 1886 in Österreich verboten wurde. Die Weiterverbreitung des Flugblattes selbst wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 14. März 1887 in Österreich verboten.
- 4
Vgl. [anonym]: Anweisung zur Herstellung eines Sprengstoffes von bedeutender Stärke. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (2 Seiten); Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 30. Jänner 1893 in Österreich verboten.
- 5
Vgl. [anonym]: Aufruf an die österreichische Volksmasse. [Wien]: [Stefan Hanel und Franz Haspel] [1893], unpaginiert (1 Seite, jedoch zum Falten gedacht); Fundort: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien, Flugblattsammlung Lade 9, Mappe 12.
- 6
František Modráček, zitiert nach [anonym]: (Ein incriminirter Vortrag.), in: Die Presse (Wien), 46. Jg., Nr. 38 (7. Februar 1893), S. 11.