Franz Sułczewski (1863–1930)
Persönliche Daten
Biographie
Franz Sułczewski absolvierte ein Steinmetzlehre und arbeitete in Krakau (Galizien und Lodomerien [Kraków, Polen]) als Steinmetzgehilfe, wo er sich der radicalen Arbeiterbewegung anschloss. Weil er das Flugblatt »Odezwa socjalistów polskich Zachodniej Galicji. Kraków w Maju 1883« (Aufruf der polnischen Sozialisten Westgaliziens. Krakau im Mai 1883)1 verteilte, wurde er 1883 kurzzeitig inhaftiert.
Am 22. April 1884, um 13 Uhr 30, versuchte der Bronzeschmiedgehilfe Bolesław Malankiewicz (~1867–?) eine mit Schießpulver und Schwefel gefüllte, acht Kilo schwere Bombe in das Fenster eines Parterrezimmers des Polizeigebäudes von Krakau zu schleudern, nach Ansicht der Polizei, um den dort vermuteten, bei der Verhaftung von Sozialisten besonders aktiven Polizeikommissar Johann Kostrzewski (~1850–?) – damals schon ein Geheimagent des russischen Zaren – und den Polizeikonzipisten Ladislaus Swolkień (1851–1913) zu töten. Die Bombe zerplatzte, ehe er sie werfen konnte. Bolesław Malankiewicz, der auch einen Revolver bei sich hatte, brach unter dem beschädigten Fenster des Polizeigebäudes zusammen und wurde in bewusstlosem Zustand in das Spital, aber schon bald darauf ins Gefängnis eingeliefert. Franz Sułczewski wurde am 3. April 1883 als ein Hauptverdächtiger dieses Bombenanschlags verhaftet.
Am 12. November 1884 begann vor dem Schwurgericht Krakau in geheimer Verhandlung der auch in Österreich Aufsehen erregende Prozess anlässlich des Anschlags auf das Polizeigebäude in Krakau gegen den Hauptangeklagten Bolesław Malankiewicz, der des versuchten Meuchelmords beschuldigt wurde. Fünf Mitangeklagte, der Buchbindergehilfe Ludwig Grudziński (1861–1905), der Eisendreherlehrling Adam Królikowski (1865–1899), der Gymnasiast Johann Pająk (1863–1915), der Ziseleur Roman Piechowski (~1863–?), der in Prag (Böhmen [Praha, Tschechien]) festgenommen worden war, und Franz Sułczewski, wurden beschuldigt, den Hauptangeklagten durch Befehl, Rat und Belehrung zu dem Verbrechen angeeifert und die Ausführung desselben durch Beschaffung der Mittel und Beseitigung von Hindernissen wesentlich gefördert zu haben. Außerdem wurden Johann Pająk und der Medizinstudent Ludwig Dąbrowski (1862–1933) auch eines Anfang September 1884 beabsichtigten Attentats auf den Polizeikommissar Johann Kostrzewski und den Polizeikonzipisten Ladislaus Swolkień beschuldigt. Alle Angeklagten waren großteils geständig. Roman Piechowski hatte die Bombe gebaut, Franz Sułczewski das Papier zum Verpacken der Bombe geliefert. Außerdem habe sich die Gruppe der Verschwörer regelmäßig in der Wohnung von Franz Sułczewski getroffen. Am 17. November 1884 wurden die Urteile gefällt. Bolesław Malankiewicz wurde wegen Verbrechens des versuchten Meuchelmords und Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu fünf Jahren, Roman Piechowski als intellektueller Urheber wegen Mitschuld an diesen Verbrechen zu neun Jahren, Franz Sułczewski wegen Mitschuld zu drei Jahren schwerem Kerker verurteilt. Johann Pająk wurde zwar vom Verbrechen der Mitschuld am versuchten Meuchelmord freigesprochen, aber wegen Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu einem Jahr schwerem Kerker verurteilt. Ludwig Dąbrowski, Ludwig Grudziński und Adam Królikowski wurden freigesprochen.
Franz Sułczewski wurde nach seiner Haftentlassung aus dem Gefängnis von Nowy Wiśnicz (Galizien und Lodomerien [Polen]) sofort zum 13. Infanterieregiment zum vierjährigen Militärdienst nach Lemberg (Galizien und Lodomerien [Lwiw ‹Львів›, Ukraine]) eingezogen, desertierte aber am 16. Mai 1888, weshalb er seit dem 19. Juli 1888 von der Polizei-Direktion Krakau steckbrieflich gesucht wurde: »2455 Sułczewski Franz, Steinmetzgehilfe, aus Krakau, 26 J., mittelgr., schmächtig, mit dunkelbld., kurz. H., längl.. blass., gelblich Ges., br. Aug., Schnurrbartanflug, raschem Gang, bekl. mit alter, abgenützter Zivilkleidung, br. Filzhute, br. Rocke und solcher Hose und Weste, Mitglied der polnischen Anarchistenpartei, mit Urtheil des hies. Land.-Ger. vom 17/11. 84 wegen Mitschuld am Verbr. des vers. Meuchelmordes, am Verbr. öffentl. Gewaltthätigkeit §§. 5, 85 St,-G. und weg. Verbr. der Störung der öffentl. Ruhe mit 3jährig. schw. Krk. abgestraft, wurde nach abgebüßter Strafe zum 13. Inf.-Reg. assentirt und ist am 16/5. l. J. desertirt. Pol.-Dion. Krakau 19/7. 88.«2
Franz Sułczewski tauchte zunächst unter, begann dann aber 1892 seine gewerkschaftlichen Aktivitäten unter den Steinmetzen von Krakau und wurde Mitglied der Lokalorganisation Krakau der neugegründeten »Galicyjską Partię Socjalno-Demokratyczną« (Galizische Sozial-Demokratische Partei), die 1897 in der »Polska Partia Socjalno-Demokratyczna Galicji i Śląska« (Polnische Sozial-Demokratische Partei Galiziens und Schlesiens) aufging. 1894 war er Mitbegründer und bis 1898 Vorsitzender des »Stowarzyszenia Robotników Budowlanych dla Galicji i Śląska Cieszyńskiego« (Verband der Bauarbeiter für Galizien und Teschener Schlesien) in Krakau. Franz Sułczewski war bis 1898 Redakteur der Zeitung »Naprzód« (Kraków; Vorwärts), was ihm mehrere Presseprozesse einbrachte, bei denen er unter anderem im Februar 1899 zu vier Monaten Arrest verurteilt wurde. Anlässlich der Aufführung eines Theaterstücks mit anti-sozialdemokratischen Tendenzen 1897 kam es zu von Sozialdemokraten inszenierten Skandalen, wegen der unter anderem Franz Sułczewski im April 1898 zu zwei Monaten Kerker verurteilt wurde. Im Juli 1898 wurde er als Sozialdemokrat aufgrund des Ausnahmezustands in Krakau interniert. Bei den Reichsratswahlen kandidierte Franz Sułczewski für Tarnow (Galizien und Lodomerien [Tarnów, Polen]) für die Sozialdemokratie, ebenso bei den Reichsratswahlen 1907, diesmal für Wadowitz (Galizien und Lodomerien [Wadowice, Polen]), ebenso 1911 für den Wahlbezirk Mischlenitz (Galizien und Lodomerien [Myślenice, Polen]). Seit 1900 gab er auch die sozialdemokratische Schriftenreihe »Latarnia« (Kraków; Die Laterne) heraus und wurde bis zu seinem Tod Beamter der Krankenkasse in Krakau. Außerdem wurde er 1901, 1903 und 1905 zum stellvertretenden Vorsitzenden des »Stowarzyszenia Robotników Budowlanych dla Galicji i Śląska Cieszyńskiego« gewählt. Im Jänner 1904 wurde Franz Sułczewski wieder einmal verhaftet, aber im Juni 1904 ohne Anklageerhebung wieder freigelassen. Franz Sułczewski war auch Mitbegründer der vierzehntägigen Zeitung »Robotnik Budowlany« (Lwów; Der Bauarbeiter), die 1908 bis 1914 erschien. 1913 wurde er Kassier des Bezirkskomitees Krakau der »Polska Partia Socjalno-Demokratyczna Galicji i Śląska«. Während des Ersten Weltkriegs engagierte er sich für die Unabhängigkeit Polens. 1921 wurde Franz Sułczewski in das Präsidium der Bauarbeitergewerkschaft berufen und 1926 deren Ehrenvorsitzender.
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Autor: Reinhard Müller
Version: März 2025
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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- 1
Vgl. [anonym]: Odezwa socjalistów polskich Zachodniej Galicji. Kraków w Maju 1883. Kraków: [ohne Druckerangabe] 1883, Flugblatt. Polnisch: Aufruf der polnischen Sozialisten Westgaliziens. Krakau im Mai 1883. Die Weiterverbreitung der Drucklschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Krakau (Galizien und Lodomerien [Kraków, Polen]) vom 14. Juni 1883 in Österreich verboten.
- 2
[Anonym]: 2455 Sułczewski Franz, in: Central-Polizei-Blatt. Herausgegeben von der k. k. Polizei-Direktion zu Wien (Wien), Nr. 39 (28. Juli 1888), S. 154.