Ernst Fabri (1891–1966)

Persönliche Daten
Namensvarianten
in der Sowjetunion: Эрнст Зигисмундович Фабри (Ernst Zigismundowitsch Fabri)
Pseudonym: Ernst Breitenseer
Pseudonyme: Ernest Fabri
Pseudonyme: Emiljan Kowal
Geburtsdatum
7. Mai 1891
Geburtsort
Sterbedatum
6. November 1966
Religionsbekenntnis
israelitisch, seit 23. Februar 1909 konfessionslos

Vater: Sigmund Fabri; d. i. bis 6. März 1888: Zsigmond Feigelstock (Bük / Wichs [Bük], Ungarn 1850 – Wien 31. Mai 1933): Getreidehändler und Kaufmann; Heirat in Székesfehérvár / Stuhlweißenburg [Székesfehérvár] (Ungarn) am 15. Februar 1885 mit:
Mutter: Irene Feigelstock; seit 6. März 1888: Irén Fabri; geborene Guthard (Székesfehérvár / Stuhlweißenburg [Székesfehérvár], Ungarn 22. Mai 1867 – Ghetto Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren [Terezín, Tschechien] 5. August 1943, ermordet): Hausfrau
Schwester: Elsa Feigelstock; seit 6. März 1888: Elsa Fabri; verheiratete Else Bobasch (Wien 15. Juli 1886 – New York City, New York, USA 1. Jänner 1984): Hausfrau; Heirat in Wien am 21. Juli 1910 mit Oskar Bobasch (Proßnitz, Mähren [Prostějov, Tschechien] 12. Jänner 1885 – New York City, New York, USA 1. Februar 1950): Rechnungsprüfer, Bankprokurist; das Ehepaar flüchtete 1940 in die USA
erste Ehe des Vaters: mit Katharina [?] (um 1859 – ?)
Halbbruder: Eugen Feigelstock (Nagyatád, Ungarn 29. Juni 1887 – ?)
Ehe: mit Wilhelmine Anna Schwarzer (Pozsony / Preßburg, Ungarn [Bratislava, Slowakei] 7. August 1893 – Moskau ‹Москва›, Sowjetunion [Russland] 17. Juli 1977): sie war in erster Ehe mit Ludovick Hoffman verheiratet
Sohn: Kurt Fabri; später: Курт Эрнестович Фабри (Kurt Ernestowitsch Fabri) (Wien 1. Mai 1923 – Moskau ‹Москва›, Sowjetunion [Russland] 3. Juni 1890): Biologe, Tierpsychologe, Publizist und Hochschullehrer

Biographie

Ernst Fabri, Sohn eines aus Ungarn nach Wien zugezogenen Getreidekommissionshändlers, der nach der Pleite seines Getreidehandels als Handelsvertreter arbeitete, absolvierte die Handelsakademie in Wien und arbeitete danach bis 1920 bei verschiedenen Versicherungen und Banken. Politisch kam er aus der Sozialdemokratie und war Redakteur der »Arbeiter-Zeitung« (Wien), als er 1909 seinen ersten Gedichtband mit »roten Liedern« veröffentlichte.

Der Anarchist Ernst Fabri

Es war Ernst Fabri, der sich an Rudolf Großmann alias Pierre Ramus (1882–1942) wandte und ihm lyrische Arbeiten anbot, die 1910 und 1911 in der Zeitung »Wohlstand für Alle« (Wien) und dessen literarischem Beiblatt »Ohne Herrschaft« (Wien) erschienen.1 Er war im Umfeld Ramus’ auch organisatorisch aktiv, etwa bei der Ferrer-Feier vom 16. Oktober 1910. Da die Veranstaltung erst am 15. Oktober von der Polizei verboten wurde, versammelten sich die Wiener Anarchistinnen und Anarchisten wie verabredet und erfuhren erst vor Ort vom behördlichen Verbot. »Die Anwesenden begaben sich nun in geschlossenem Zuge nach dem in der Nähe gelegenen Gasthaus Otter. Dort wollte man eine §2-Versammlung abhalten, die von den Genossen Sonnenschein und Fabri rasch improvisiert wurde.«2 Auch diese Veranstaltung wurde von der Polizei untersagt. Bemerkenswert ist, dass Fabri mit seinem Engagement in der anarchistischen Bewegung seinen Ausschluss aus der  »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« durchaus in Erwägung zog, sich dagegen aber zur Wehr setzten wollte.3 Fabri stand damals auch mit Karl F. Kocmata (1890–1941) in Kontakt, für dessen Buch »Sexuelle Aufklärung in der Schule. Ja oder Nein?« er bereits 1911 eine Stellungnahme beisteuerte.4 Und Fabri war es dann auch, der den programmatischen Artikel zu Kocmatas anarchistischer Zeitschrift »Das Gesindel« (Wien) verfasste, welcher deutliche Spuren der Vagabundenromantik trägt. »Ja –, weil wir keinen metallisch-klingenden Charakter haben, scheltet Ihr uns einfach: Das Gesindel. Dabei ahnt Ihr gar nicht, gute liebe Mitbürger, wie unermeßlich reich wir sind. Alle Eure Kostbarkeiten zusammengetragen und zur hunderttausendsten Potenz erhoben, bilden noch lange nicht den geringsten Bruchteil unseres Schatzes! Und wenn wir die letzten Vagabunden wären und nicht einmal ein einziges, unbeschädigtes Kleidungsstück besäßen, so vergeßt nicht: die schöne, weite Welt und die liebe, allerwärmende Sonne sind unser Eigen. Unter rauer Schlacke, unter grobem Tuche pulst ein treufühlendes Herz und die Liebe zu Millionen Schwestern und Brüdern, mit denen wir leiden und fühlen – ist weltenerfüllender Reichtum.«5 Und an die Kollegen Arbeiterdichter gerichtet: »Darum Ihr sogenanntes ›Gesindel‹ schürft aus den Tiefen des Volkstums, da ruhen die Werdekräfte kommender Zeiten.«6 Fabris anarchistische Tendenzen werden in einem Artikel anlässlich der Auflösung des Abgeordnetenhauses der cisleithanischen Reichshälfte Ende März 1911 deutlich: »Das erste Parlament des allgemeinen Wahlrechtes ist tot. Es hat viele Millionen Steuergelder gekostet – die in keinem Verhältnisse zu seinen Leistungen standen. Es war eine politische Mißgeburt! Wie wohl das Kommende aussehen mag?«7 Das anarchistische Zwischenspiel Fabris währte nur kurz. Zwar pries Alfons Petzold (1882–1923) seinem Freund Pierre Ramus noch 1911 Fabri an: »ein lieber Kerl«.8 Doch bereits im Frühjahr 1912 hatte sich Fabri nicht nur mit Pierre Ramus überworfen, sondern ebenso mit Karl F. Kocmata: »Mich lässt er in Ruhe. Er weiss, dass mit mir nichts zu machen ist. Sein Buch wird übrigens mit 20 h verschleudert und trägt die doppelsinnige Anpreisung ›Herzzerreissende‹ Gedichte eines [›]Proletariers.‹ Eine Menge Gedankenstriche um blos [!] 20 Heller!«9

Der Sozialdemokrat und Marxist-Leninist Ernst Fabri

Ernst Fabri, der in den Schoß der Sozialdemokratie zurückkehrte, schloss sich während des Ersten Weltkriegs dem linksradikalen »Verband jugendlicher Arbeiter Österreichs« an, wurde 1920 Mitglied der »Arbeitsgemeinschaft revolutionärer Sozialdemokraten« und trat 1920 der »Kommunistischen Partei Österreichs« bei. Noch einmal kam es zu einem bemerkenswerten Konflikt mit den Anarchisten Karl F. Kocmata, Pierre Ramus und Karl Moldauer (1901–1972). Fabri sprach sich am 10. Mai 1919 erfolgreich dafür aus, deren Mandate als Wiener Arbeiterräte abzulehnen, weil sie als Mitglieder des »Bundes herrschaftsloser Sozialisten« nicht auf dem Boden des Klassenkampfes stünden. Fabri war 1921 bis 1923 Sekretär der »Kommunistischen Partei Österreichs« und arbeitete danach als Verkaufsleiter bei verschiedenen Metallbetrieben. 1930 entschied er sich, als freier Schriftsteller zu leben und war 1930 Mitbegründer und Vorsitzender des »Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Österreichs«.

1932 emigrierte Ernst Fabri mit seiner Familie in die Sowjetunion, wo er in Moskau ‹Москва› (Sowjetunion [Russland]) Redakteur des Organs der deutschen Sektion der Kommunistischen Internationale »Deutsche Zentral-Zeitung« (Moskau) wurde. 1939 arbeitete er am Moskauer Pädagogischen Institut für Fremdsprachen, ab 1941 beim »Radio Moskau« und als Instruktor in Lagern für deutsche Kriegsgefangene. Sein Versuch, nach Kriegsende zur Parteiarbeit nach Österreich zurückzukehren, scheiterte.10

Adressen

  • Wien 2., Stephaniestraße 8 [heute Ankergasse] (Geburtsadresse)
  • Wien 19., Osterleitengasse 7 (1911)

Bücher und Broschüren

  1. So unser Leben… Rote Lieder. Wien – Leipzig: Verlag von Brüder Suschitzky 1909, 63 S. Erschien unter dem Autorennamen »Ernest Fabri«.
  2. Aus elendsenger Tiefe. (Skizzen und Verse.) Wien: Verlag der Arbeiter-Buchhandlung 1921, 48 S.
  3. Josef Gerl. Nach einem Gespräch mit Josef Gerls Frau. Moskau: Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR 1936 (= Vegaar-Bücherei. 3.), 23 S., auf dem Buchrücken: Фаври Ернст: Иосиф Герл (Russisch: Fabri Ernst: Josef Gerl). Betrifft Josef Gerl (1912–1934).

Sonstiges

  • (Ernest Fabri) [Stellungnahme], in Karl F. Kocmata (1890–1941): Sexuelle Aufklärung in der Schule. Ja oder Nein? Von Karl F. Kocmata. Verfasser der Schrift: »Jugend und Schundliteratur«. Wien: Verlegt bei Sigmund Polak 1911, S. [41]–71, S. 59–62.
Karte
  • 1

    Vgl. [anonym]: Junger, schäumender Musenwein, in: Ohne Herrschaft. Literarisches Beiblatt des »Wohlstand für Alle« (Wien), 3. Jg., Nr. 8 (August 1910), S. [1]– [4], darin »I. Ernest Fabri«, S. [1]– [2].

  • 2

    [Anonym]: Aus der Internationale des revolutionären Sozialismus und Anarchismus. [/] Nieder-Österreich. Wien. Gehetzt und geächtet!, in: Wohlstand für Alle (Wien), 3. Jg., Nr. 20 (26. Oktober 1910), S. [5].

  • 3

    Vgl. Ernest Fabri [d. i. Ernst Fabri]: Brief an R[udolf] Grossman [alias Pierre Ramus] in [Klosterneuburg]. Wien, am 24. Juli 1910, im Nachlass Pierre Ramus, Mappe 141, im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam.

  • 4

    Vgl. Ernest Fabri: [Stellungnahme], in Karl F. Kocmata (1890–1941): Sexuelle Aufklärung in der Schule. Ja oder Nein? Von Karl F. Kocmata. Verfasser der Schrift: »Jugend und Schundliteratur«. Wien: Verlegt bei Sigmund Polak 1911, S. [41]–71, S. 59–62.

  • 5

    Ernest Fabri [d. i. Ernst Fabri]: An »Das Gesindel« in Wien!, in: Das Gesindel (Wien), 1. Jg., Nr. 1 (5. April 1911), S. 1.

  • 6

    Ernest Fabri [d. i. Ernst Fabri]: An »Das Gesindel« in Wien!, in: Das Gesindel (Wien), 1. Jg., Nr. 1 (5. April 1911), S. 1.

  • 7

    Ernest Fabri [d. i. Ernst Fabri]: Parlamentsauflösung!, in: Das Gesindel (Wien), 1. Jg., Nr. 1 (5. April 1911), S. 7–8, hier S. 8.

  • 8

    [Alfons Petzold (1882–1923)}: Brief an [Rudolf Großmann alias Pierre Ramus] in [Klosterneuburg]. Gries [zu Bolzano / Bozen], am 18. März 1911, im Nachlass Pierre Ramus, Mappe 132, im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam.

  • 9

    Heiding [d. i. Karl F. Kocmata]: Brief an [Rudolf Großmann alias Pierre Ramus] in [Klosterneuburg]. Wien, am 25. April 1912, im Nachlass Pierre Ramus, Mappe 143, im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam. – Gemeint ist das Buch von Ernest Fabri [d. i. Ernst Fabri]: So unser Leben… Rote Lieder. Wien – Leipzig: Verlag von Brüder Suschitzky 1909, 63 S., das ursprünglich 1 Krone und 20 Heller kostete.

  • 10

    Im Nachlass von Ernst Fabri im Österreichischen Literaturhaus in Wien finden sich keine Dokumente aus beziehungsweise zu seiner anarchistischen Phase.