Josef Peukert: Die Rolle des Arbeiterführers und der Personenkult. 1883
Die Rolle des Arbeiterführers und der Personenkult. 18831
»Gleichzeitig mit dem Mangel an Ideenklarheit unter den Agitatoren war auch noch ein anderer arg verbreiteter Übelstand: der Personenkultus. Es giebt sehr wenig Menschen, welche gegenüber den Gunstbezeugungen der Volksmassen die nötige Widerstandskraft besitzen, um nicht an Geist und Gemüt arg Schaden zu leiden. Für die Volksmassen wirkte der seit Jahrhunderten künstlich gepflegte Personenkultus darum so verderblich, weil er gerade der Boden ist, auf welchem die Volksverräter und Tyrannen gedeihen, das Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein im Volke [158] erstickte, während Untertänigkeit und Knechtseligkeit üppigste Blüte treiben.
Gleich nach unserer Freisprechung2 suchte man zu meinem schmerzlichsten Leidwesen, förmlich ein Idol aus mir zu machen. Vom rein menschlichen Standpunkte freute ich mich ja über die aufrichtigen, herzlichen Sympathien der Menschen, allein ich war mir auch der Gefahr für mich selbst, sowie für die Bewegung bewußt, und so blieb ich einem eigens für die Freigesprochenen im Collisseum3 veranstalteten Feste fern. Die sämtlichen Räumlichkeiten – drei große Säle und noch andere Räume – waren zum Erdrücken voll, nur weil ich fehlte, waren alle sehr enttäuscht, und die Genossen machten mir darob die heftigsten Vorwürfe. Nachdem ich denselben meinen Standpunkt klar gemacht, ersuchte ich sie dafür zu sorgen, daß jede wie immer geartete Ovation unterbleibe, wenn sie wollten, daß ich zu einer Festlichkeit komme.
Zwei Wochen darauf war im ›Stadtgut‹4 eine Festlichkeit veranstaltet, wo ich mich bewegen ließ mit hin zu gehen. Bei meinem Eintritt spielte plötzlich die Musik einen ›Tusch‹ und dann den bei den Genossen allgemein beliebten ›Lassalle-Marsch‹. (Die Marsailaise [!] durfte weder gespielt noch gesungen werden, dafür war der Rakoczy-Marsch in ›Lassalle-Marsch‹ umgetauft worden und ersetzte die Marseillaise.) Zuerst hatte ich keine Ahnung, daß das mir galt, als ich dies dann wahrnahm, wollte ich entfliehen, vergeblich. Ich war empört, gab diesem Gefühle auch ungeschminkten Ausdruck. Mußte mir aber nichtsdestoweniger gefallen lassen, daß die ganze Menschenmasse an mir vorbeikam, um mir die Hand zu drücken, und dies in so aufrichtiger, herzlicher Weise, daß vielen Tränen in den Augen standen. Von soviel herzlicher Sympathie ergriffen, schlich ich mich bei der ersten günstigen Gelegenheit hinaus, um bei einer Wanderung in den stillen Gassen meine total aufgeregten Gefühle einigermaßen zu beruhigen. Erst zwei Stunden später fanden [159] mich einige Genossen, die mich die ganze Zeit gesucht, in einer kleinen Wirtschaft einsam sitzen.
Von dieser Zeit an ließ ich keine Gelegenheit vorüber gehen, gegen den Personenkultus anzukämpfen und auf die bösen Folgen desselben hinzuweisen. Aus diesem Grunde schlug ich auch die Offerte der ›Wiener Illustrierten Zeitung‹ aus, welche mir 250 Gulden für den ›Inhaftierten-Fonds‹ anbot, wenn ich mein Bild mit einer kurzen Biographie veröffentlichen lasse. Desgleichen 50 Gulden eines Photographen, der mein Bild verkaufen wollte. Freilich war dabei auch ein persönliches Interesse, indem ich mein Bild der persönlichen Sicherheit halber nicht allgemein bekannt haben wollte.«
Daten
- 1
Josef Peukert (1855–1910): Erinnerungen eines Proletariers aus der revolutionären Arbeiterbewegung. Berlin: Verlag des Sozialistischen Bundes 1913, S. 157–159.
- 2
Gemeint ist der Freispruch im Merstallinger-Prozesses, 8. bis 21. März 1883. Anmerkung Reinhard Müller.
- 3
»Schwender’s Colosseum«: gängige Bezeichnung für »Schwender’s Vergnügungsetablissement« (Anna Silberbauer, verwitwete Schwender) in Rudolfsheim (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Fünfhauser Hauptstraße, Ecke Kirchengasse [Mariahilfer Straße, Ecke Reindorfgasse], welches auch »Schwender’s Casino« genannt wurde. Anmerkung Reinhard Müller.
- 4
Gemeint ist »Neßner’s Bierhalle« und Restauration »zum Stadtgut« (Johann Neßner) in Sechshaus (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Sechshauser Hauptstraße 7 [Sechshauser Straße]. Anmerkung Reinhard Müller.