02.04.02. Manifest der sozialrevolutionären Arbeiter-Partei Oesterreichs an das arbeitende Volk. [London 1882]
Manifest
der sozialrevolutionären Arbeiter-Partei Oesterreichs an das arbeitende Volk1
Arbeiter! Brüder!
Schmerz und Entrüstung erfüllt jeden fühlenden Menschen angesichts der verzweiflungsvollen Lage, in welche sich das arbeitende Volk gegenwärtig befindet. Krampfhaft ballt sich die Faust, wenn man sieht, wie die herrschenden Klassen, Hyänen gleich, in den Eingeweiden dieser unglücklichen Massen herumwühlen, Mark und Bein mit bestialischer Wohllust zerstören, auf jeden Schmerzensschrei einen brutalen Gewaltakt als Antwort haben. In erschrecklicher Weise greifen Noth und Elend unter dem arbeitenden Volke um sich, während unsere Tyrannen und Blutsauger im verbrecherischem Überflusse schwelgen und für die Klagen und Seufzer des Volkes nur Kugeln, Bajonette und Kerker bereit haben. Schätze auf Schätze häufen Wenige aufeinander, während die Massen des Volkes, welche diese Schätze durch die Arbeit erzeugen – je nach Umständen langsamer oder schneller verhungern, – zu Grunde gehen. Vergebens ringt und kämpft das Volk für eine Besserung seiner grauenvollen Lage, gleich einem Ertrinkenden klammert es sich an jeden Strohhalm, welchen die herrschenden Klassen frivol in den Ocean des sozialen Lebens werfen. – Umsonst! – Immer und immer wieder macht es die traurige Erfahrung, daß es betrogen ist. – Mit Hohn und Spott werden die natürlichsten Forderungen desselben von den herrschenden Klassen in den Koth getreten und jeder, der es wagt dieselben zu vertheidigen, wie ein Wild gehetzt, verfolgt, in den Kerker geworfen. Kurz, wir Arbeiter sind recht- und schutzlos, – Sklaven! – der niederträchtigsten Willkür privilegirter Raub- und Mordgesellen preisgegeben. Dies die Situation der Proletarier aller Länder und Staaten, insbesondere Österreichs!
Der menschliche Geist macht täglich neue Fortschritte und Entdeckungen auf allen Gebieten der Wissenschaft in Natur und Technik. Anstatt daß dieselben im Nutzen der Gesammtheit verwandt werden sollen, sind sie Privilegien einer kleinen Zahl und werden im Dienste des Kapitals, zum Vortheil unserer Unterdrücker und Ausbeuter, zum Schaden der großen Masse des Volkes verwendet. Durch die privatkapitalistische Produktionsweise, das heißt durch das Privateigenthum überhaupt, ist es möglich geworden, daß sich eine kleine Zahl Besitzender die Frucht der Arbeit der großen Mehrzahl des nichtbesitzenden Volkes aneignen kann und daß für das arbeitende Volk eben gerade nur soviel übrig bleibt, als zur kümmerlichen Erhaltung des eigenen Lebens und zur Fortpflanzung, das heißt zur Erzeugung der nothwendigen Anzahl neuer Arbeitskräfte, erforderlich ist. Mit jeder neuen Verbesserung oder Erfindung von Arbeitsmitteln werden Tausende von menschlichen Arbeitskräften überflüssig und brotlos, das heißt: sie haben das Recht zum Leben in der bestehenden Gesellschaftsorganisation verloren! Welcher Hohn auf unsere »göttliche Weltordnung«, daß wir Arbeiter gerade dann der größten Noth, dem tiefsten Elend preisgegeben sind, wenn durch unsere Gesammtarbeit alle Magazine des Weltmarktes mit Produkten und Waaren überfüllt sind – ein Zustand, welchen die professionellen Nationalökonomen mit »Überproduktion« bezeichnen, deren entsetzliche Folgen wir schon seit einigen Jahren und heute noch so bitter empfinden müssen. Arbeiter! hätten denn gerade wir nicht das größte Recht die Früchte unseres Fleißes selbst zu genießen? Gab die Natur nicht jedem Menschen das gleiche Recht zum Leben? Nur die nackteste Selbstsucht, nur frecher, schamloser Übermuth kann das verneinen, was allen Menschen gleichermaßen zusteht und was wir im Namen der Gerechtigkeit fordern. Nur der grausamsten Gewalt, der schändlichsten, raffinirtesten Hinterlist ist es gelungen, die große Masse der Menschen um ihr heiliges Anrecht an die Mutter Erde, um die Früchte ihrer eigensten Arbeit zu bringen, solchergestalt unsere Vorfahren zu berauben, und dieses System der verabscheuungswerthen Sklaverei zu begründen, in der wir heute noch schmachten. Nichts als Gerechtigkeit üben wir also, wenn wir zurücknehmen, was uns ruchloserweise geraubt wurde. Ja, es ist unsere heiligste Pflicht als Menschen, die uns entwürdigende Schmach nicht noch länger gutwillig zu ertragen. Gewalt und Lüge sind die einzigen Machtmittel der herrschenden Klassen zu allen Zeiten der Geschichte gewesen, wie sie es auch heute noch sind. Alles was zu ihrem Vortheil, in ihrem Interesse ist, wird zum »Gesetze« erhoben und das »Gesetz« als heilig, unantastbar hingestellt, wodurch sie ihr Raub- und Plünderungssystem zu Recht gemacht zu haben wähnen, so daß es heute ein »Verbrechen« ist, die Wahrheit zu sagen, ein »Verbrechen«, für die Rechte des arbeitenden geknechteten Volkes einzutreten.
Unsere natürlichen Feinde sind also leicht zu erkennen: Es sind alle Jene, welche aus diesen erbärmlichen Zuständen, auf Kosten des arbeitenden Volkes, Vortheile ziehen; ferner alle Jene, welche danach trachten auf Kosten der Gesammtheit Vortheile zu erreichen. Glücklicherweise werden sich die Arbeiter bereits ihrer Klassenlage bewußt. Wir wissen, daß die herrschenden Klassen nicht ein Jota von ihrer Beute gutwillig herausgeben, daß wir nur mit vereinter Kraft, gewaltsam, die Sklavenketten brechen können, in denen man uns mit Gewalt erhalten will. Solange wir uns durch Nationalitätenhader, durch Rassenhetzereien, durch Konfessions- und Parteizwistigkeiten über die wahren Ursachen des Übels täuschen lassen, so lange haben die herrschenden Klassen nichts zu befürchten. Das arbeitende Volk muß daher diesen Manövern entschieden den Rücken kehren, da dieselben nur zu seinem eigenen Schaden sind. Wir haben zur Genüge Gelegenheit gehabt, – aus der Geschichte, wie aus unseren eigenen Erfahrungen, – erkennen zu lernen, daß alle Versprechungen der herrschenden Klassen, unsere Lage zu verbessern, elender Schwindel sind, nur in der Absicht gemacht, die Unzufriedenen zu vertrösten, um das Raub- und Ausbeutergeschäft noch länger fortsetzen zu können. Seit länger als zehn Jahren haben wir vergebens auf gesetzlichem Wege für Verbesserung unserer Lage gekämpft, haben resolutionirt, petitionirt, – bis wir endlich zur Überzeugung gekommen sind, daß die herrschenden Klassen weder den Willen, noch die Fähigkeit haben, irgend etwas an den bestehenden Zuständen zu ändern. Weil ihre eigene Schmarotzer-Existenz nur durch die Noth und das Elend der Massen bestehen kann. Die Interessen der Unterdrücker und Ausbeuter sind daher mit den Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten unvereinbar. Je größer der Vortheil der Ausbeuter, desto größer der Haß gegen das Volk, wenn es gleiche Menschenrechte in der Gesellschaft fordert. Selbst die so viel gepriesenen Staatsbürger-Rechte existiren für uns Arbeiter nicht. Unsere Vereine und Versammlungen werden aufgelöst oder verboten, unsere Zeitungen konfiszirt, unsere Briefe und Postsendungen gestohlen, in unsere Wohnungen dringt man zu jeder beliebigen Stunde ein, um zu nehmen, was dem ersten besten Büttel gefällt. Jeder, der es wagt, die Rechte der Arbeiter in Wort oder Schrift zu verteidigen, wird gehetzt, verfolgt, in den Kerker geworfen wie ein gemeiner Verbrecher.
Die »Gesetze« sind nur zum Schutz der privilegirten Klasse geschaffen. Wer noch den leisesten Zweifel an der Richtigkeit dieser Thatsache hegte, dem musste derselbe durch das barbarische Urtheil vom 25. Mai d. J. gegen unseren Genossen Richter genommen werden. Zu zwölf Jahren schweren Kerkers wurde derselbe verurtheilt für das »Verbrechen«, den Satz zu einer Flugschrift, welche nichts, als eine wahrheitsgetreue Schilderung der bestehenden Zustände enthielt, zu einem Schurken von Buchdrucker getragen zu haben. Welcher grenzenlose Hass, welche blutdürstige Grausamkeit der herrschenden Klassen spricht nicht aus diesem Urtheil! Zwölf Jahre schweren Kerkers für Worte, welche noch nicht einmal ausgesprochen waren!… Österreichs Gerichte haben die russischen übertroffen. – Ein neuer Beweis für das Volk, daß unsere herrschenden Klassen nie menschlich fühlen und empfinden, sobald es sich um ihre Räuberinteressen handelt. Gedenken wird doch jener schmachvollen Gewaltakte, welche die Regierung an den Kohlenbergwerks-Arbeitern Böhmens und Mährens ausübte! Die eigenen Söhne des Volkes mußten, mit den Waffen in der Faust, ihre unglücklichen Brüder in eine unerträglich gewordene Knechtschaft treiben, welche für sie nur den langsamen Hungertod zur Folge hat. Wer sich dieser Maassregel nicht fügte, wurde wie ein Verbrecher in das Gefängniß geschleppt, während ihre Blutsauger ohne jede geleistete Arbeit jährlich Millionen in Völlerei und wahnsinniger Verschwendung verprassen. Diese Thatsachen beweisen besser als tausend der schönsten Schriften und Reden, daß alle Einrichtungen unseres Staates: Regierung, Gesetze, Behörden und Militär nur zum Schutze der Tyrannen und Ausbeuter, zur Unterdrückung des arbeitenden Volkes da sind. Wer da noch glaubt, oder den Arbeitern weiß machen will, daß ihre Lage auf friedlichem und gesetzlichem Wege verbessert werden kann, ist entweder ein Narr oder – ein Schurke. Uns bleibt nur noch die Alternative: Entweder als willenlose Lastthiere in Menschengestalt alle Reichthümer und Genüsse für Andere zu schaffen und dabei in Noth und Elend auf gesetzlichem Wege ein jämmerliches Dasein zu fristen, oder: unbekümmert um alle Sklavengesetze, das Übel mit der Wurzel auszurotten, mit allen Mitteln an der Vernichtung der Ursache aller Knechtschaft – der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – zu arbeiten. Im vollen Bewußtsein der heiligen, gerechten Sache, für welche wir kämpfen, im vollsten Vertrauen auf die solidarische Kraft des arbeitenden Volkes, haben wir uns für das Letztere entschieden. Nicht mehr erbitten wollen wir, was wir ein Recht zu fordern haben, keine Gnadenbrocken wollen wir mehr erbetteln, sondern den uns gebührenden Platz an der reich gedeckten Tafel des Lebens wollen wir erkämpfen, unsern vollen Antheil der Früchte gemeinsamer Arbeit. Die herrschenden Klassen haben unseren bescheidenen Forderungen die nackte Gewalt entgegengesetzt… Gut! die Gewalt soll entscheiden! Vor keinem Mittel schrecken wir mehr zurück, denn alle Mittel sind recht und gesetzlich, wenn es gilt die heiligsten Rechte der Menschheit, die so lange mit Füssen getreten worden sind, wieder aufzurichten.
Arbeiter! Brüder! Ein heißer, schwerer Kampf wird sich entspinnen. Aug’ um Auge, Zahn um Zahn! wird es in diesem Kampfe um unsere Menschenrechte heißen. Rüste sich Jeder, der nicht ewig dieses schändliche Joch der Knechtschaft tragen will; der nicht will, daß seinen Nachkommen ein noch schlimmeres Loos als einziges Vermächtnis verbleibe. Die unverkennbaren Vorboten des herannahenden Völkersturms – der sozialen Revolution, zeigen sich immer deutlicher, welche die Völker von ihren Tyrannen und Blutsaugern befreien, die Wurzel aller Knechtschaft, aller Noth: das Privateigenthum, vernichten wird. Von Ost und West, Süd und Nord ertönt der Ruf nach »Brot und Freiheit«. Das Proletariat aller Länder erhebt und rüstet sich zu diesem Kampfe. Auch wir Arbeiter Österreichs wollen nicht zurückbleiben. Es haben sich eine Menge muthiger, opferwilliger Männer zu einem festen, geheimen Bunde vereinigt, um den Kampf zu eröffnen. Mögen unsere Brüder aller Orts das Gleiche thun und Hand in Hand mit uns an diesem Vernichtungskampfe theilnehmen. Nicht nach Herrschaft streben wir, sondern nach Vernichtung jeder Herrschaft, nach gleichen Rechten und gleichen Pflichten; danach streben wir, daß die Erde mit ihren Schätzen zum Gemeingut aller Menschen werde, daß die Früchte unserer Arbeit auch unser eigen seien. Wir wollen es unmöglich machen, daß die große Mehrzahl der Menschen unter den größten Entbehrungen für einige privilegierte Tagediebe arbeiten muß und dafür mit Füßen getreten wird. An Stelle des Privateigenthums muß das Gemeingut treten, dann erst wird das Volk frei werden, weil die Existenz eines jeden Einzelnen nicht mehr von der Laune oder der Gnade eines Anderen abhängt.
Wohl wird dieser Kampf Opfer fordern. Aber diese verschwinden gegen die Zahl der Opfer, welches das arbeitende Volk täglich, ja stündlich dem Moloch Kapital bringt. Gedenken wir doch nur jener Tausende, die sich für unsere Tyrannen hinschlachten lassen müssen, um andere Völkerstämme zu unterdrücken. Umsomehr können wir diese Opfer bringen, da es nicht mehr gilt wie früher, für politische Streber aller Art die Kastanien aus dem Feuer zu holen, sondern da es sich darum handelt für uns, das Volk, Brot und Freiheit zu erkämpfen. Besser kämpfend sterben, als gleich einem Sklaven langsam zu verhungern. Unsere Parole ist:
Nieder mit den Tyrannen! Nieder das Ausbeuterthum! Nieder mit dem Privateigenthum!
Es lebe die soziale Revolution!
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[Anonym]: Manifest der sozialrevolutionären Arbeiter-Partei Oesterreichs an das arbeitende Volk. [London]: [Druck der socialdemocratischen Genossenschafts-Buchdruckerei »Freiheit«] [1882], später abgedruckt in der Zeitung »Freiheit« (London), 4. Jg., Nr. 31 (23. September 1882) unter dem Titel »Manifest der socialrevolutionären Arbeiterpartei Oesterreichs an das arbeitende Volk«. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 9. September 1882 in Österreich verboten.