Paul Beer (1900–1931)
Persönliche Daten
Familienverhältnisse
Vater: Josef Beer (Iglau, Mähren [Jihlava, Tschechien] 26. Juli 1865 – 5. März 1934, Freitod), Sohn einer Hausfrau und eines Kaufmanns: Geschäftsreisender, später Kaufmann, Großhändler mit Haushaltswaren; Heirat in Wien am 6. November 1898 mit:
Mutter: Hilda Beer, geborene Pollak (Olmütz, Mähren [Olomouc, Tschechien] 10. Juli 1878 – ?), Tochter einer Hausfrau und eines Weinhändlers: Hausfrau
Bruder: Walter Beer (Wien 30. Jänner 1904 – Los Angeles, California, USA 16. März 2003): Fußballer (Torwart); 1938 Flucht in die USA
Ehe: keine
Kinder: keine
Biographie
Paul Beer stieß 1919 zur anarchistischen Bewegung um Karl F. Kocmata (1890–1941), publizierte 1919 bis 1920 in der Zeitung »Revolution!« (Wien), war 1919 Autor der Schriftenreihe »Das Neue Gedicht« im »Verlag des Ver!« sowie 1919 bis 1921 Mitglied der »Freien Künstlervereinigung Ver!« und 1920 deren Repräsentant im »Zentralrat geistiger Arbeiter«. Er wirkte unter dem Pseudonym »Tatwamasi«1 als Grotesktänzer, Bauchtänzer, Sänger, Rezitator, Blitzdichter, Grafiker, Bildhauer und Ringkämpfer in Wien. Zwischendurch war er auch als Schnellzeichner am Molo (Pier) von Scheveningen in Den Haag / ’s-Gravenhage (Niederlande) tätig. Im Juli 1922 trat »Tatwamasi« noch bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in einem Kabarett-Café auf, wo er eine bemerkenswerte dadaistische Aktion lieferte, die das »Literarische Cabaret« der »Wiener Gruppe« vorwegnahm.2 Nach seinem letzten Auftritt, im Oktober 1922 im »Pan«,3 verließ er Wien.
Von 1922 bis 1924 lebte Paul Beer in Ägypten, in Abessinien und im Sudan.
1924 übersiedelte Paul Beer in das Königreich der Niederlande, wo er sich in Den Haag / ’s-Gravenhage niederließ. Hier engagierte er sich als Pazifist bei verschiedenen Friedensorganisationen, plante die Errichtung eines »Menschheitsheims« und verfasste sein pazifistisch-anarchistisches Theaterstück »A«,4 das er mehrmals las und für dessen Aufführung sich bekannte Persönlichkeiten der Niederlande einsetzten. Schließlich wurde das Theaterstück am 18. Oktober 1926 im Haus für Kunst und Wissenschaften in Den Haag / ’s-Gravenhage – überwiegend mit Laienschauspielern – uraufgeführt. Militaristische Kreise beschuldigten Beer, dass er die Einnahmen aus der Theateraufführung nicht zweckgemäß verwendet habe. Am 8. Dezember 1926 wurde er verhaftet und am 9. Dezember 1926 aus den Niederlanden abgeschoben, wobei im Februar 1927 die Justiz die Abschiebung als gesetzwidrig und die Anschuldigungen als unbegründet befand.
Paul Beer lebte 1926 wieder in Wien, übersiedelte dann aber nach Bombay (Britisch-Indien [Mumbai ‹मुंबई› Indien]) und schließlich nach Madras (Britisch-Indien [Chennai ‹சென்னை› Indien]). Im Februar 1927 traf er Mohandas Karamchand Gandhi ‹મોહનદાસ કરમચંદ ગાંધી› (1869–1948) in Bombay, den er für die »Arbeiter-Zeitung« (Wien) interviewte und porträtierte. Kurz vor seiner Abreise nach Singapur ‹Singapore› (Britische Kronkolonie [Singapur ‹சிங்கப்பூர் குடியரசு›]) erlag Paul Beer einem Nierenleiden.
Adressen
- Wien 2., Kaiser Josefstraße 4 [heute Heinestraße] (Geburtsadresse)
Publikationen
Bücher und Broschüren
- Umsonst gedichtet. Ausgewählte Dichtungen. [Wien]: [Verlag des Ver!] 1919 [= Das neue Gedicht. XVI.], 16 S.
- A. Ein Theaterstück von Paul Beer. (Die Titelseite und die Dekorationsskizzen sind von mir entworfen und gezeichnet. Das Regiebuch wurde von mir ausgearbeitet. Erste Auflage, erstes Tausend bis viertes Tausend.) Den Haag: A-Verlag 1925, 117 S. Dieses am 18. Oktober 1926 im Haus für Kunst und Wissenschaften in Den Haag / ’s-Gravenhage uraufgeführte, pazifistische Theaterstück wurde hier im Selbstverlag mit Bühnenskizzen abgedruckt. Enthält auch: Als Geleitwort, S. 105–107 (mit Briefen von Willem Royaards [1867–1929], S. 105, Nico van Suchtelen [1878–1949], S. 104–105, Ernst Hochmuth [1887–1945], S. 106, G[errit] J[an] Heering [1879–1955], S. 106–107, und A[driaan] W[illem] G[errit] van Riemsdijk [1878–1930), S. 107]); Aus Presse-Besprechungen, S. 108–115 (mit Auszügen aus Besprechungen sowie Stellungnahmen von Carry van Bruggen [1881–1932], S. 108, Henri van Booven [1877–1964], S. 109, Luc[as] Willink [1897–1976], S. 109–110, Friedrich Wallisch [1890–1969], S. 110, Friedrich Victor, S. 111, Leo Einoerl [d. i. Leo Einöhrl (1878–1943)], S. 111, [Johannes Bernardus] van Loghem [1881–1940], S. 112, N[ico] Padt [1886–1967], S. 113, J[ouke] B[roer] Schuil [1875–1960], S. 113, [Arnold Louis Bernard] Saalborn [1888–1973), S. 113–114, Leopold Aletrino [1890–], S. 114, J. Andre de la Porte [d. i. J. André de la Porte], S. 115).
Mitarbeiter*innen an Periodika
- Revolution! (Wien / Wien – Leipzig – Berlin / Wien – Berlin) 1919 bis 1920
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Autor: Reinhard Müller
Version: Juni 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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Karte
- 1
Tatwamasi: nach तत् त्वम् असि (Tat Tvam Asi), Sanskrit für »Das bist du« bzw. »Du bist das«, eine der sogenannten Großen Verkündigungen im Vedantischen Hinduismus.
- 2
Vgl. Friedrich Wallisch (1890–1969): Der Universalartist, in: Neues Wiener Journal. Unparteiisches Tagblatt (Wien), 30. Jg., Nr. 10320 (1. August 1922), S. 4.
- 3
Am 22. November 1922 verursachte ein Gedankenleser »Tatwamasi« bei einem Gastspiel in Graz (Steiermark), Stefaniensaal, Sparkassenplatz 1, einen Skandal. Mehrere Leute aus dem Publikum, die ihn des Betrugs bezichtigten und ihr Geld zurückhaben wollten, stürmten das Podium, so dass die Polizei schließlich den Saal räumte. Paul Beer teilte mit, dass er mit diesem »Tatwamasi« nicht identisch sei; vgl. [anonym]: (Theaterskandale in Graz.), in: Neues Wiener Tagblatt. Demokratisches Organ (Wien), 56. Jg., Nr. 318 (28. November 1922), S. 6.
- 4
Vgl. Paul Beer: A. Ein Theaterstück von Paul Beer. (Die Titelseite und die Dekorationsskizzen sind von mir entworfen und gezeichnet. Das Regiebuch wurde von mir ausgearbeitet. Erste Auflage, erstes Tausend bis viertes Tausend.) Den Haag: A-Verlag 1925, 117 S.