Nikolaus Schmidt (1874–1930)
Persönliche Daten
Biographie
Nikolaus Schmidt, Sohn einer Taglöhnerin und eines Müllerknechtes, war schon seit jungen Jahren sehbehindert. Er wurde ein Kunsttischlergeselle, arbeitete 1892 bis 1896 in einer Fabrik in Arad (Ungarn [Rumänien]), kam auf der Walz in Innsbruck (Tirol) 1896 mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung in Kontakt und lebte schließlich drei Jahre in Berlin (Preußen [Berlin]).
Seit 1901 arbeitete Nikolaus Schmidt als Buchhalter in Arad, wo er heiratete, und begann 1902 zunächst in ungarischer, seit 1905 in deutscher Sprache zu dichten. 1903 begab er sich neuerlich nach Deutschland, um eine technische Erfindung zu vermarkten, kehrte aber als Opfer eines Betrugs bereits 1904 nach Arad zurück, wo er als Wirt, Krankenkassenbeamter, Krämer und dann wieder als Wirt und Fabrikangestellter lebte.
Nikolaus Schmidt verfasste klassische Arbeiterlyrik, die sich stark mit anarchistischen Themen wie Unterdrückung und Vagabundentum beschäftigte. Deshalb war er auch für seinen großen Wiener Förderer Karl F. Kocmata (1890–1941) »ein gottbegnadeter Dichter […], der über kurz oder lang das beanspruchen wird, was ihm längst zukäme: Anerkennung und Verständnis. […]. Selbstlerner, er besuchte bloß zwei Volksschulklassen, verbrachte der nun Vierzigjährige einen großen Teil seines Lebens auf der Wanderschaft. Leben bildet und macht das Auge sehend, läßt das Herz reifen zur Brüderlichkeit und Menschenliebe.«1 Schmidt selbst verstand sich als Arbeiterdichter, lehnte aber jede Form eines Parteidichterdaseins, insbesondere das sozialdemokratische, ab: »Und darum frage ich Sie: Kann die Sozialdemokratie echte Dichter überhaupt gebrauchen? Sind denn gottbegnadete Dichter in den Zwangsjacken politischer Dogmen zu zwingen? Nein, wahrhaftig nicht! Da haben Sie dann den Schlüssel, warum diese Partei im Laufe ihrer ganzen Geschichte keinen einzigen wirklich großen Parteidichter hervorbringen konnte. Ihre Dichtkunst gipfelt als solche in dem Limonadequatsch einer seligen Klara Müller.2 […] Warum das alles? Weil die Führer alles Erhabene und parteilos Wahre hassen! Weil es ihnen nicht so sehr an der Veredelung der Massen, als am Füllen ihrer bodenlosen Taschen liegt! Weil sie macht- und geldhungriger sind als die Kapitalisten selbst! Und darum habe ich durchaus kein Verlangen darnach, ihr Dichter zu werden. Ich war es auch nie. Und die Arbeiterschaft wird mich doch als ihren Dichter halten! Trotz alledem! Ich strebe nicht nach Reichtum und Macht, ich strebe nach Schaffen. Nach Wahrheit, nach Kunst!«3
Nikolaus Schmidt zog 1914 nach Budapest (Ungarn), wo er Mitarbeiter der Zeitung »Budapester Tagblatt« (Budapest) wurde und seit 1916 als freier Schriftsteller und Journalist lebte. Nun wandte er sich zusehends von seiner Mischung aus christlich-sozialer und sozialistisch-anarchistischer Weltsicht ab. Schwer alkoholkrank, verfasste er in der Nervenheilanstalt immer stärker vom Mystizismus geprägte Dichtungen.
Wie kein anderer Wiener Schriftsteller hatte sich Karl F. Kocmata (1890–1941) für Nikolaus Schmidt engagiert, veröffentlichte in allen seinen Zeitungen und Zeitschriften dessen Lyrik und Prosa. Im Mai 1913 besuchte Schmidt seinen Förderer Kocmata in Wien und gemeinsam mit diesem die Schriftstellerin Louise Koch-Schicht (1873–1927).
Publikationen
Bücher und Broschüren
Dudelsacklieder (Gedichte eines Schreinergesellen). Berlin – Leipzig: Modernes Verlagsbureau Karl Wigand 1909, 98 S.
Die braven Bauern. Eine Dorfkomödie in 3 Akten. Berlin-Friedenau: Bureau Fischer 1910, 54 S.
Weltenbrand und Vaterland. Patriotische Gedichte. 4. Buch der Sturm und Lehrjahre. Von einem Autodidakten. Budapest: Universum Literarische Gesellschaft [1914], 87 S.
Der Sturm- und Lehrjahre kleinere Gedichte bis Ende 1913. Nebst selbstbiographischer Skizze im Anhang. Budapest: Von Gönnern veranlasste Manuskriptausgabe 1917.
Satanas. Komödie der Ideen. Budapest: Von Gönnern veranlasste Manuskriptausgabe, [Druck] E. Pápai 1922, 185 S.
Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Heinz Stǎnescu. Bukarest: Literaturverlag 1969, 422 S. Herausgeber: Heinz Stǎnescu (1921–1994).
Buch der Erlebnisse. Kleine Gedichte bis Ende 1912. Eingeleitet und mit einem bibliographischen Nachwort versehen von Nikolaus Britz. (Im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft, Wien und des Seliger-Archivs, Stuttgart, herausgegeben von Nikolaus Britz.) Mattersburg: Bernd Wograndl 1981, XII, 118 S. Herausgeber: Nikolaus Britz (1919–1982).
Übersetzungen
Attila Orbók (1887–1964): Der Komet. Lustspiel in drei Akten von Attila von Orbók. Aus dem Ungarischen übertragen von Nikolaus Schmidt. Budapest: Verlag Dr. A. Marton Theateragentur 1922, 120 S., Souffleurbuch. Original: Az üstökös.
Mitarbeiter*innen an Periodika
- Das Gesindel (Wien) 1912
- Neue Freie Worte (Wien) 1912 bis 1913
- Zukunft! (Wien) 1913
- Revolution! (Wien / Wien – Leipzig – Berlin / Wien – Berlin) 1919
Kategorien
Autor / Version / Copyleft
Autor: Reinhard Müller
Version: Juli 2024
Anarchistische Bibliothek | Archiv | Institut für Anarchismusforschung | Wien
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Karte
- 1
Karl F. Kocmata (1890–1941): Nikolaus Schmidt, der Dichter der Millionen, in: Neue Freie Worte (Wien), 2. Jg., Nr. 26 (18. April 1912), S. 7.
- 2
Gemeint ist die Schriftstellerin Clara Müller alias Luise Mühlbach (1814–1873), Verfasserin pseudo-biografischer, wenig plausibler Dichtungen und sozialer Romane, die sich durch eine übertriebene Abenteuerlichkeit auszeichneten.
- 3
Nikolaus Schmidt: Sozialdemokratie und Künstler, in: Neue Freie Worte (Wien), 2. Jg., Nr. 39 (19. Juli 1912), S. 6–7.