Franz Gams: Anzeige wegen Vergehens gegen die persönliche Freiheit und Ehrenbeleidigung. Wien, im Mai 1883
Anzeige wegen Vergehens gegen die persönliche Freiheit und Ehrenbeleidigung. Wien, im Mai 18831
»An den Herrn Leiter des k. k. Bezirks-Polizei-Commissariates in Mariahilf!
Um Ihnen in der meine Person betreffenden Angelegenheit, welche Ihnen vom Herrn Commissär Krebs2 zur Beurtheilung vorgelegt wurde, bessere Einsicht zu verschaffen, als aus dem unklar aufgenommenen Protokoll ersichtlich ist, ersuche ich, die Sachlage, wie sie hier angegeben ist, zur Kenntniß zu nehmen und dieses Schreiben dem Protokoll beizufügen. Am Donnerstag den 24. d. M., als Ausgabstag des im Monat zweimal erscheinenden Arbeiterblattes ›Zukunft‹ trug ich, zu gleicher Zeit, als das Pflicht-Exemplar (nach dem Preßgesetz vom 17. December 1862) eingereicht wurde, 200 Blätter von der Druckerei, Schottenring Nr. 6, nach der Expedition, Gumpendorferstraße 78. Beim Hause Gumpendorferstraße 76 (Kaserne) erschienen plötzlich drei Civilpersonen und auch ein Sicherheitswächter kam sofort hinzu. Der Eine packt mich beim Ann, der Zweite schreit, was ich da trage, der Drille äußert sich: ›A, jetzt haben wir wieder so einen Lumpen.‹ Gegenseitig fragen sie sich, ob die ›Zukunft‹ confiscirt sei oder nicht, doch Keiner weiß es. Ich bin erstaunt und frage, was man von mir eigentlich will, man solle mich ruhig des Weges ziehen lassen; wenn die ›Zukunft‹ confiscirt sein sollte, so können sie, im Falle, als sie vielleicht Polizei-Organe sind, dieselbe im Expeditions-Locale, das ohnehin nur zwanzig Schritte entfernt ist, wegnehmen. Eine Civilperson sagte darauf: ›A was, Sie haben gar nix z’reden, jetzt san’s arretirt und gengan glei mit auf d’ Polizei.‹ Nun packt mich auf beiden Seiten Einer, und fort geht’s in Ihr Amtslocal. Einer hievon zeichnete sich besonders aus und gebraucht Ausdrücke wie: ›Mit eng L…bürscherln wern ma scho a no fertig wern, da san uns ja die Dieb und die Rauber und Gauner lieber als ös.‹ Es ist dies, wie ich heute gesehen habe, ein Diener von Ihrem Commissariat und auch derselbe. der mir so nebenbei sagte, daß ich arretirt sei. Auf dem Commissariat wurde ich zu Herrn Commissär Krebs geführt, welcher fragte, warum ich hier bin: ich wußte es nicht und auch die Anderen konnten es nicht angeben. Da trat der Sicherheitswächter vor und sagte: ›Wegen – wegen Nichtfolgeleistung.‹ Auf die Frage, worin die Nichtfolgeleistung bestehe, sagte er, daß er mir zweimal von rückwärts ›stehen bleiben‹ zugerufen habe und daß ich erst stehen geblieben bin, als er mich bei der Hand packte. Hiemit war die Anzeige beendet und waltete Herr Commissär Krebs seines Amtes. Nach Abnahme der Generalien befahl er: ›Sofort in Arrest hinunter mit ihm.‹ Ich protestirte gegen den ganz willkürlich vorgenommenen Ueberfall eines Passanten auf offener Straße, ich protestirte gegen die von einer Civilperson abgegebene Hafterklärung ohne vorherige Legitimation oder Vorweisung eines Auftrages hiezu, und protestirte gegen das Benehmen der Civilpersonen, welche sich später als Polizei-Organe erklärten, bezüglich der auf offener Straße gemachten Beschimpfungen. Ferner protestirte ich gegen die später herbeigezogene Begründung meiner Verhaftung von Seite des Wachmannes, und speciell protestirte ich gegen meine Abführung in den Arrest, wo mir meine Effecten abgenommen wurden, ohne daß hiefür der mindeste Grund selbst zur Annahme eines Verdachtes vorlag. Und protestire gegen all’ dem noch auch hiemit. Mein Protestiren nützte nichts, ich wurde in Haft behalten. Nach einer halben Stunde kam man erst zur Ueberzeugung, daß ich eigentlich wegen nichts hier bin, und wurde entlassen. Nun soll ich erst wegen meiner Protestation angeklagt werden. Bei der Protestation über das Vorgehen der Polizei-Organe gebrauchte ich den Ausdruck, daß dieser Vorgang mit Rücksicht auf das Gesetz vom 27. October 1862 ein ungesetzlicher ist, daß es demgemäß ein Eingriff der Polizei in die durch obiges Gesetz gewährleisteten Rechte der Personen ist. Indem dieser Ausdruck in Ermanglung eines anderen Delictes zu Ihrer Kenntniß gebracht wurde, erlaube ich mir Ihnen hiemit Obiges nochmals zu bestätigen und, wenn nothwendig. gewiß auf’s genaueste zu beweisen. Anders ist es bei der angeblichen Drohung. Ich sagte: ›Handeln Sie in der Angelegenheit nach Ihrem Gutdünken. Ich werde meinerseits nie derartige Ausschreitungen ruhig hinnehmen, sondern überall wo thunlich hiegegen protestiren.‹ Sie sehen also, auch dieses gebe ich zu, wie es zur Anzeige gebracht wurde, nur bestreite ich, daß diese Aeußerung als Drohung aufzufassen ist, indem ein Recurs gegen polizeiliche Urtheile nach der Strafproceß-Ordnung auch zulässig ist, und gegenüber der Oeffentlichkeit eine löbliche k. k. Polizei auch nicht Ursache haben wird, zurückhaltend zu sein, sobald ihre Handlungen und Entscheidungen im Gesetze begründet sind. Dies zur Klärung des Sachverhaltes. Zeichne mit Achtung Franz Gams, Miedermacher, VII., Neubaugasse 73, Mitherausgeber des radicalen Arbeiterblattes ›Zukunft‹.«
Daten
- 1
Zitiert nach Franz Gams (1850–1899): Wien, 29. Mai. (Eine polizeiliche Competenzfrage.), in: Wiener Allgemeine Zeitung [/] Morgenblatt (Wien), [4]. Jg., Nr. 1167 (30. Mai 1883), S. 2.
- 2
Franz Wenzel Krebs (1841–1913): Polizeikommissär in Fünfhaus (Niederösterreich [Wien 15.]), später Bezirksinspektor der Wiener Sicherheitswache in Mariahilf (Wien 6.). Anmerkung Reinhard Müller.