02.03.01. An die Arbeiter in Oesterreich! [London 1881]
An die Arbeiter in Oesterreich!1
Gewiß, das Proletariat bedarf einer unbeschränkten Redefreiheit in der Presse, um für die Idee seiner Befreiung auf dem Wege des gedruckten Wortes agitieren zu können. Das weiß auch Eure Regierung – gerade deshalb gewährt sie Euch keine freie Presse. Was nützt da alles Bitten und Betteln? Unter einem despotischen Regiment wird höchstens die »Preßfreiheit mit dem Galgen« gegeben, eine Preßfreiheit, bei welcher der Schriftsteller »frei« schreiben kann, wobei aber auch der Staatsanwalt so frei ist, daß Gedruckte zu konfiszieren, der Richter sich die Freiheit nimmt, den Schreiber hinter Schloß und Riegel zu stecken.
Wenn man aber schon solchen Gefahren auf jeden Fall ausgesetzt ist, dann kann man für sein Tun und Lassen auch die entwürdigende polizeiliche Erlaubnis zum Schreiben und Drucken entbehren. Die Zeit ist gekommen, wo das Volk sich einfach das nehmen muß, was zu seinen Kämpfen nötig ist, was ihm seine Bedrücker vorenthalten wollen. Das will besagen, daß die aufgeklärten Proletarier Zeitungen, Broschüren usw. zu nehmen haben, woher und wie sie nur immer zu beschaffen sind. Ist die Verbreitung solcher Dinge nicht erlaubt, so muß dieselbe eben heimlich betrieben werden. So ist es gerade mit einem »freien« Vereins- und Versammlungsrecht. Das ist in einer reaktionären Gesellschaft sicher illusorisch. Nehmen wir an, Ihr dürftet Euch versammeln und Vereine bilden. Was wäre damit gewonnen, wenn alle Eure Beratungen polizeilich überwacht, Eure Reden notiert, die Sprecher eingesperrt werden? Was könntet ihr gegen die Reaktion auf Grund solcher »Rechte« unternehmen, wenn dieselbe ihre Kommissäre Euch beständig zu Überwachung auf den Hals setzen kann? Ihr wärt in der Lage eines Diebes, der dem zu Bestehlenden Tag und Stunde anzeigen wollte, wann er sich bei ihm einzustellen gedenke. Andere Vereinigungs- und Preßfreiheiten werdet ihr aber von den Schwarz-Gelben nie erlangen können, als solche mit polizeilicher Überwachung, – Freiheiten mit dem Strick um den Hals. Darauf könnt ihr verzichten.
Wozu braucht ihr überhaupt das Vereinsrecht? Habt ihr noch nie etwas von geheimen Gesellschaften gehört? Diese sind im Gesetz verboten; desto besser. Es ist damit bewiesen, daß sie von den Regierungen gefürchtet sind. Eure Forderungen betreffend Haftpflichtgesetz, Fabriksinspektoren, Gewerbeordnungsreform, Normalarbeitstag usw. sind Dinge, die ihr höchstens als Bettlerpfennig betrachten solltet, welche Euch aber gewiß nur dann die heutige Gesellschaft in den Schoß wirft, wenn sie fühlt, daß ihr der Boden unter den Füßen schwindet. Dann wird aber gerade für Euch der Moment gekommen sein, ganz andere Dinge zu verlangen, ihr werdet solche Konzessionen nicht zurückweisen, aber sie als Programmpunkte einer proletarischen Partei aufzustellen, dafür kämpfen zu wollen, das ist nicht der Mühe wert.
Bleibt noch das allgemeine Stimmrecht. Hinge der österreichischen Regierung nicht ein ellenlanger Zopf am Hinterhaupte: sie würde es Euch sofort gewähren. Denn ihr vermöchtet damit keinen Hund vor den Ofen zu locken, ihr würdet Euch hingegen eine Zeitlang – bis Euch endlich der Mißerfolg die Augen öffnete – ausschließlich auf dem Wahlsteckenpferd herumtummeln, würdet, um die Spießbürger und andere faustdick vernagelte Elemente zu gewinnen, immer gemäßigter auftreten, würdet Eure Grundprinzipien mehr und mehr verwässern und schließlich als Partei Schiffbruch leiden.
Eure Brüder in Deutschland haben diese entsetzliche Praxis versucht und fangen jetzt schon an, es bitter zu bereuen, dieselbe beschritten zu haben. Die Bonapartisten von Frankreich, die Bismärcker in Deutschland und die Bourgeoisie von Nordamerika und der Schweiz könnten Euch bezeugen, wie leicht es den Reaktionären ist, gerade auf Grund des allgemeinen Stimmrechtes den Arbeitern ein X für ein U vorzumachen.
Behandelt also Eure Angelegenheiten mit dem ganzen Ernst, welcher ihrer würdig und dienlich sein kann, ihr seid die Sklaven des Kapitals, das aus der Arbeit entsprungen ist.
An Euch liegt es, alle Schätze der Welt, die man Euch raubte, zurückzuerobern. Es gilt, Vorbereitungen zu treffen zu dem großen Klassenkriege, den das Proletariat mit den Reichen und Mächtigen auszufechten hat, wenn es seiner Ketten ledig werden und zu einem menschenwürdigen Dasein gelangen will.
Ihr, die ihr bereits vom Baume der Erkenntnis genossen, tretet in geheimen Gesellschaften zusammen, in denen ihr die Propaganda am besten vorbereiten könnt, lehret alle, die da mühselig und beladen sind, das Wort der Erlösung; tröstet sie mit der Hoffnung auf die kommende Revolution, befestigt ihren Glauben an dieselbe und pflanzet in ihre Herzen die Liebe zu ihr, kehret allen den Rücken, welche Euch noch länger von Reformen oder gar von Kompromissen reden wollen. Gedenket all derer, welche bereits für die heilige Sache der Revolution Leben und Freiheit hingegeben haben. Der Opfermut, die Energie und die Ausdauer dieser Vorkämpfer unserer Ideen müssen Euch anspornen, denselben nachzueifern. Eure Parole sei kurz und bündig:
Sturz der bestehenden »Ordnung«.
Vernichtung aller monarchischen, aristokratischen, pfäffischen und kapitalistischen Einrichtungen.
Gleiches Recht aller zur Arbeit und Existenz auf Grund kommunistischer Wirtschaftsorganisation.
Zuführung der Wissenschaft an die Gesamtheit durch wohlgeordnete öffentliche Erziehung.
Garantie aller Volksrechte durch Bewaffnung der Massen.
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[Anonym]: An die Arbeiter in Oesterreich! [London]: [Druck der socialdemocratischen Genossenschafts-Buchdruckerei »Freiheit«] [1881], Sonderdruck aus der Zeitung »Freiheit« (London), 2. Jg., Nr. 49 (4. December 1880). Die Weiterverbreitung der Druckschrift wurde mit Erkenntnis des Kreis- als Pressgericht Steyr vom 19. Jänner 1881 und des Landes- als Pressgericht Wien vom 21. Jänner 1881 in Österreich verboten.