02.02.02. Unserer freudigen Stimmung. London [1880]

Unserer freudigen Stimmung1 sollen wir an »Allerhöchst seinem 50. Geburtstage« Ausdruck geben. Wer ist denn eigentlich über dies höchst gleichgültige Ereigniss so hoch erfreut? Wer hat denn einen Nutzen davon, dass der Mann, den man sich unter zwei Jahren nun bereits das vierte Mal zu feiern anschickt, 50 Jahre alt wurde? Durch welche besondere Eigenschaften des Geistes und Herzens zeichnet er sich den aus, dass man ihm fortwährend so blendende und geräuschvolle Huldigungen darbringt? Wenn man ihm seine Geburt nimmt, die doch nicht sein Verdienst ist, was bleibt denn übrig, das ihn unter den Tausenden und Millionen anderer Menschen bemerkbar machen würde?

Aber die Person ist ja nur der Vorwand für jenes speichelleckerische Gelichter, welches nichts zu leisten im Stande ist und das sich in Ermanglung anderer Tugenden mit seiner miserablen Gesinnung, die in neuester Zeit wieder besonderen Anwerth findet, auf den offenen Markt stellt und der Welt glauben zu machen sucht, dass es keine höhere Menschentugend gebe, als ein unterthäniger, schweifwedelnder Hund zu sein. In Wahrheit will man das Volk betäuben und ihm weiss machen, dass es glücklich sei.

Unserer freudigen Stimmung sollen wir Ausdruck geben! Und worüber sollen wir so hoch erfreut sein? Etwa darüber, dass es den Börsenbaronen, Industrierittern und allen Jenen, die von der Arbeit und dem Schweisse des Volkes leben, so gut geht? Oder sollen wir über unsere freiheitlichen Errungenschaften jubeln? Die Bank-, Polizei- und Regierungsblätter behaupten zwar und die grosse Masse der Gedankenlosen sagt es ihnen nach, dass Oesterreich ein Freiheitsstaat sei. Worin besteht denn aber die österreichische Freiheit?

Etwa darin, dass die besitzenden Classen ein Parlament wählen, wo von allem Möglichen geschwatzt, für das Wohl des Volkes aber nichts gethan wird? Ein Parlament, von dem die Regierung Alles haben kann, was dazu dient, das Volk zu belasten oder dessen Freiheitsdrang einzudämmen und wo nur dann Spectakel gemacht und scheinbar Widerstand gezeigt wird, wenn es sich um Dinge handelt, die mit dem materiellen Wohle und der politischen Freiheit des Volkes absolut nichts zu schaffen haben?

Oder sollen wir über unsere Pressfreiheit entzückt sein, die wieder nur denen zu Gute kommt, die Tausende von Gulden für Caution und Stämpel zur Verfügung haben und die vereint mit Regierung und Parlament bestrebt sind, im Volke Klarheit über seine Rechte und die nothwendigen Bedingungen seiner Wohlfahrt nicht aufkommen zu lassen? Unterdrückt man denn nicht alle Blätter, welche das Geldprotzenthum, die Regierung oder das Pfaffenthum ernstlich bekämpfen und sperrt man nicht Jeden ohne Ausnahme ein, der durch Wort oder Schrift wirkliche Volksaufklärung zu verbreiten sucht?

Oder sollen wir uns etwa darüber glücklich fühlen, dass die Polizei es ungestraft wagen darf, Versammlungen unter den nichtigsten Vorwänden zu verbieten oder tagende gesetzwidrig aufzulösen, in die Wohnungen anständiger Bürger, die das Gesetz nicht übertreten haben, gewaltsam einzubrechen und sie ohne richterlichen Befehl zu verhaften, sie zu Thätlichkeiten zu provociren, um sie dann der öffentlichen Gewaltthätigkeit anklagen zu können, Briefe zu erbrechen und zu unterschlagen: mit einem Worte, fortwährend zu zeigen, dass die von den Vertretern der Besitzenden gemachten, also unendlich zahmen »Freiheitsgesetze« für die hohe Polizei nicht vorhanden sind, während man von dem »dummen Plebs« verlangt, von diesen Gesetzen heiligen Respect zu haben.

Solche Freiheiten zu feiern, sollen wir mithelfen? Gehen Dir noch nicht bald die Augen auf, armer, unwissender Proletarier!? Wie oft wirst Du noch mit Weib und Kind zu Tausenden auf den Ring eilen, um durch Dein massenhaftes Erscheinen, die von der Bourgeoisie veranstalteten, aus Deiner Tasche bezahlten Feste verherrlichen helfen? Bist Du nach so vielen Festen noch nicht müde, Deine Lunge mit Hochrufen heiser zu schreien, während man Dir den Mund so fest verstopft, wenn Du ihn öffnen willst, um Brot, Recht, Freiheit und Gerechtigkeit zu verlangen?

Lass’ doch die Glücklichen und Zufriedenen auf den Ring und in den Festeshallen wandern und die Welt wird staunen, wie lumpig die von einigen ordenssüchtigen Schweifwedlern ausgedachten und von dem nichtdenkenden Spiessbürgerthum unterstützten Feste ausfallen werden, wenn sich Jene davon ferne halten, die keine Ursache über die gegenwärtigen Zustände »freudig stimmt«, sondern im Gegentheil ein Lebensinteresse daran haben, alle Anstrengungen zum machen, das gegenwärtige System zum stürzen und ein Zeitalter herbeiführen zu helfen, in welchem Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen.

Findet einmal das wahre Verdienst Anerkennung und jede Arbeit ihren rechmässtigen Lohn, fällt der Löwenantheil an dem Erträgnisse Deiner Bemühungen nicht mehr in die Taschen Deiner unersättlichen »Brotgeber«, ist Dir Dein Einfluss auf die Leitung des Staates, den zu erhalten Du mithilfst, gesichert und ist es Dir gestattet, Deine Meinung frei und offen zu äussern: dann Proletarier ist es auch für Dich Zeit Jubelfeste zu feiern und Dich Deines Daseins und Menschenthums zu freuen.

Die »FREIHEIT« erscheint jeden Sonnabend und kann um 4 Mark unter Couvert und per Quartal bezogen werden durch

J. NEVE, 22, Percy Street, Tottenham Court Road, London, W.

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    [Anonym]: Unserer freudigen Stimmung. London: J. NEVE, 22, Percy Street, Tottenham Court Road, London, W [1880], 1 Bl. Die Weiterverbreitung der Druckschrift wird mit Erkenntnis des Landes- als Pressgericht Wien vom 23. August 1880 in Österreich verboten.