Josef Peukert: Die Volksversammlung in Zobel’s Bierhalle in Fünfhaus am 31. Juli 1882
Es ist eine feststehende Tatsache, daß zur Zeit der radikalen Arbeiterbewegung in Österreich von dem ekelhaften Nationalitätenhader fast nirgends eine Spur zu merken war. Das offizielle Politikantentum katzbalgte sich wohl untereinander, aber sie vermochten das arbeitende Volk nicht dafür zu interessieren. Auch waren wir unermüdlich auf der Wacht, wenn den Arbeitern derartige Köder geworfen wurden; z. B. im Sommer 1883 hatten verschiedene Konventikel zwischen prominenten »Volksmännern« stattgefunden, darunter auch Kronawetter, Pernerstorfer u. a. in welchen es notwendig befunden und schließlich beschlossen wurde, eine »Deutschnationale Volkspartei« zu gründen. Seit Wochen wurde sowohl in der Tagespresse wie auch durch Flugschriften und Broschüren die öffentliche [163] Meinung bearbeitet. Aufmerksam verfolgten wir die Bewegung, bis wir es an der Zeit hielten, unser Veto einzulegen.
Auf Beschluß der Parteileitung wurde eine Volksversammlung in Zobels Halle1) veranstaltet, in welcher die Arbeiter ihre Stellung zu dieser Partei zum Ausdruck bringen sollten. Die Versammlung wurde in der Tagespresse angezeigt, überdies noch all die dabei interessierten Herren persönlich eingeladen.
Die Versammlungshalle war zum Erdrücken voll. Da die großen Glastüren nach dem Garten zu alle geöffnet waren, standen die Menschen noch Kopf an Kopf im Garten. Noch heute erinnere ich mich mit Schaudern, mit welcher Bangigkeit ich in jene Versammlung ging, für welche ich das Referat übernommen hatte. Seit mehreren Tagen war ich krank, ohne zu essen, und total erschöpft. Nachdem ich noch die einzubringende Resolution aufgesetzt, ging ich erst in die Gaststube, um etwas zu essen. Ich bestellte mir ein Goulasch, welches jedoch so schlecht war, daß ich keinen Bissen genießen konnte. So ging ich denn in die Halle, wo ich mich nur mit großer Mühe bis zur Tribüne durchdrücken konnte. Es war heiß, und nach wenigen Minuten Sprechen kam ich ins Schwitzen und zwar so stark, daß ich meine Taschentücher, von denen ich immer 2 oder 3 bei mir hatte, während der Rede beständig auswand, an den Tisch hängte und das trockenste benutzte. Von Minute zu Minute fühlte ich mich auch wohler und geistig frischer, sodaß ich noch heute der Meinung bin, damals die beste Rede in meinem Leben gehalten zu haben. Nachdem ich in objektiver Weise die Absichten der neuen Partei klargelegt, suchte ich an der Hand der sozialen und politischen Zustände zu beweisen, daß es im arbeitenden Volk außerhalb der radikalen Partei keinen Raum für irgend eine andere Partei gebe, wenn es nicht seine eigenen Interessen mit Füßen treten wollte.
Außer den Gründern der neuen Partei waren noch eine ganze Reihe Reichstagsabgeordnete und [164] Gemeinderäte anwesend. Trotz wiederholter Aufforderung nahm von den Herren keiner das Wort und so wurde unsere Resolution unter ungeheurem Jubel einstimmig angenommen. Die »Deutsche Volkspartei« war begraben, bevor sie noch recht geboren war. So oder ähnlich erging es auch anderen Parteien. Neben der radikalen Arbeiterbewegung war einfach kein Raum für nationale Sonderbewegungen, oder auch den christlich-sozialen Antisemitismus. Für all diese Strömungen, die sich später in Österreich zur Schmach und Schande breit machten und noch machen, mußte die radikale Bewegung erst mit allen Mitteln der Gewalt und Niedertracht niedergestampft werden.2
Daten
- 1
»Zobel’s Bierhalle« (Franz Zobel) in Fünfhaus (Niederösterreich [zu Wien 15.]), Gasgasse 4–6 / Zwölfergasse 3–15. Anmerkung Reinhard Müller.
- 2
Josef Peukert (1855–1910): Erinnerungen eines Proletariers aus der revolutionären Arbeiterbewegung. Berlin: Verlag des Sozialistischen Bundes 1913, S. 162–164.